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WtOU jm MM Beilage zu No. 83. Sonnabend, den 17. Juli 1897. Die Ernteschätzungen und der Getreidemarkt. Die Ernten und die Gestaltung des Getreidemarktes spielen im wirthschaftlichen Leben aller Kulturvölker eine so große Rolle, daß es wichtig und werthvoll erscheint, nach den Schätzungen der nun begonnenen Ernte die Ge staltung des Getreidemarktes zu versuchen zu beurtheilen. Um Widersprüchen in dieser Richtung zu begegnen, so muß betont werden, daß über den Ausfall der Ernten in den wichtigsten Kornländern auch bis jetzt eine einheitliche Meinung nicht zu finden ist. So stehen den Berichten aus Wien und Budapest, daß man in Oesterreich und Ungarn in Bezug auf die Ernte vor einer Enttäuschung stehe und nicht mehr als 60 bis 65 Prozent einer guten Ernte, also nur eine schwache Mittelernte einheimsen werde, neuere Nachrichten gegenüber, die von einer besseren Ernte berichten. Ferner wird gemeldet, daß im Süden und Sudwesten Rußlands theils durch Auswintern, theils durch Nachtfröste, Dürre und Insektenfraß die Ernte nur die Hälfte der früheren Erträge gebe. Das große russische Reich hat aber zur Zeit solche riesig ausgedehnten Korn felder in Kultur genommen, daß es immerhin fraglich er scheint, ob die Ausfälle in den Ernten der Steppenländer Rußlands Getreideausfuhr wirklich wesentlich beeinträchti gen. Wirklich schlecht scheint nur die Ernte in Frankreich zu sein, denn in Paris und den anderen französischen Getreideplätzen sind die Weizenpreise bedeutend gestiegen, welche Entwickelung des Marktes vernünftiger Weise nur mit einem bedeutenden Ernteausfall in Beziehung gebracht werden kann. In England, Italien, Holland, Belgien, Schweden und Dänemark gilt die Ernte mittelgut, und in Deutschland betrachtet man, von einzelnen Gegenden abgesehen, die Ernte als eine gute. Nun käme noch das größte Kornland Nordamerika in Betracht. Die Weizen ernte ist in den Vereinigten Staaten trotz mancher Aus fälle in einzelnen Distrikten ohne Zweifel wieder eine reichliche gewesen, denn die Ernte ist auf den ungeheueren Ebenen der Masse nach doch eine riesige. Daß dies der Fall, beweist auch die Zurückhaltung der Amerikaner in Bezug auf die Aufwärtsbewegung der Getreidepreise in Europa. Bedenklich gilt in Nordamerika nur wieder der Ausfall der Maisernte, welche durch große Hitze sehr ge litten haben soll. Würde der Mais in Amerika eine halbe Mißernte ergeben, so würden allerdings die Weizenpreise UMM da der amerikanische Landwirth dann mit anderem ^"len Viehfutterbedars decken muß. So scheinen Verhältnisse derartig zu liegen, daß weder em wesentliches Steigen, noch ein beträchtliches Sinken der Getreidepreise zu erwarten ist. Chronik der Stadt Wilsdruff. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) 187S. Im Sommer wurde durch freiwillige Beiträge eine neue Altarbekleidung beschafft; 377 M. waren zusammen- aekommen. In der am 9. September stattfindenden Landtagswohl wurde Stadtrath Müller aus Freiberg mit 46 Simmen Majorität gewählt. Am 4. Oktober fand die Verpflichtung der Friedensrichter durch Amtsrichter Dr. Gangloff statt; für den Bezirk waren 28 ernannt. Am 1. Oktober ging das seither 60 brauberechtigten Häusern gehörige Brauhaus in den Besitz des Brauers Jahn für 36 000 Mark über, so daß auf jeden der 60 Braugerechtsamcn 600 M. entfielen. Die von den 60 Brauberechtigten gebildete Braugenossenschaft, deren letzter 10jährige Vorsitzender, der Kaufmann Engelmann war, wurde nunmehr zur Auflösung gebracht. 188«. , , Dom 6. bis 8. Februar hielt der ins Leben ge- Atene Geflugelzuchterverein seine erste Ausstellung von Geflügel im „Löwen ab; mit derselben war eine Prämiirung und Verloosung verbunden. „ , Da das Vagabundiren und .Fechten" zu einer Calamltat für Stadt und Land geworden war — man berechnete die Zahl der arbeitslosen und meist arbeitsscheuen Reisenden pro Tag mit 600 000 im deutschen Reiche — so wurde vom Stadtgemeinderath beschlossen, eine Gaben stelle auf dem Rathhause zu errichten, wo jeder Durch reisende, der Legitimation besaß eine Marke erhielt, welche auf der Herberge mit 15 Pf. eingelöst wurde. Im Monat Januar hatten 634 Durchreisende die Unterstützung er halten; im ganzen Jahre waren 5189, darunter 1 Afrikaner, unterstützt worden, für das Sommerhalbjahr wurde die Unterstützung auf 10 Pf. herabgesetzt. Für den Rath- hausthurm wurde vom Großuhrmacher Wolf m Glas hütte eine neue Uhr bezogen. Am 2. November eröffnete im Hause des Redakteur Berger eine geprüfte Kinder- gärtnerin einen Kindergarten. Bei der am 1. Dezember stattgefundenen Volkszählung hatte Wilsdruff in 276 bewohnten Gebäuden 2650 Einwohner. 1881. Am 30. Januar wurde auf Anregung des Oberlehrer Dr. Hermann in Dresden ein Grbirgsverein gegründet, welchem 22 Mitglieder beitraten. Am 29. April schied Schuldirektor Beck nach langem treuen Wirken an unserer Schule aus unserer Stadt, um das Pfarramt Erl bach im Gebirge zu übernehmen. Als Nachfolger wurde der nach Hildner's Weggang als Oberlehrer installirte Gerhardt gewählt. Am 28. Mai Mittags zog ein tief gehendes Gewitter über unsere Stadt, welches sich über Pohrsdorf mit Wolkenbruch entlud. Gegen '/r2 Uhr kam der aus Wilsdruff gebürtige Gasthofspachter Otto Weißbach in Grumbach nach Wilsdruff gefahren, um die Einwohner auf die drohende Ueberschwemmungsgefahr aufmerksam zu machen. Gegen 3 Uhr wälzte sich die lehmige Fluth 70—80 cm hoch heran, alles mit sich fort reißend, Stege, Brücken, Gartenzäune und einen zähen Schlamm hinterlassend. Die Fluth stand 30 cm höher wie früher, gegen Abend hatte sich das Wasser verlaufen und nun war man geschäftig, die Lokale zu reinigen, Brunnen und Keller auszupumpen. Die gewarnten Ufer anwohner hatten rechtzeitig ihre unteren Lokale geräumt. Am 2. Juli fand Landtagswahl statt, Stadtrath Müller- Freiberg wurde gewählt. Am 1. Juli wurde eine allge meine Krankenunterstützungskasse für alle in Wilsdruff in Arbeit befindlichen Gesellen, Gewerbegehilfen, Fabrikarbeiter, Dienstpersonen, gegründet. Die beiden unteren Stuben im Armenhause wurden als Krankenzimmer eingerichtet; die männlichen Mitglieder zahlten 9 Pf., die weiblichen 7 Pf. pro Woche und erhielten im Krankheitsfalle freien Arzt, Apotheke und Verpflegung. Im Sommer wurde die erste Möbelfabrik mit Maschinenbetrieb in der Rathsmühle durch einen Tischler Werthschütz etablirt;die Tischlerei, welche gegenwärtig hier- orts 34 selbstständige Tischler, 40 Gesellen und ca. 50 Lehrlinge beschäftigt, ist in erfreulichem Aufschwünge begriffen. Am 22. September wurde der neue Gottesacker, zu welchem am 14. Oktober 1880 am Gemeindewege ein Areal von 4 Scheffel Land von Frau verw. Jlschner für 5700 Mark gekauft worden war, eingeweiht; es war vom Kirchenvorstand vorher beabsichtigt worden, auf dem ober halb der Bergstraße gelegenen Pfarrfelde den Gottesacker anzulegen, doch mußte die Ausführung dieses Projekts wegen des Einspruchs der Adjacenten unterbleiben. Nach dem die Friedhofsbauten: Parantationshalle, eine Leichen halle, ein Wohnhaus für den Todtengräber und eine Ein friedigung durch Sandsteinmauer an der Vorderseite, durch einen Holzzaun an den 3 anderen Seiten hergestellt waren, wurde am gedachten Tage Nachmittags 3 Uhr die feierliche Weihe vollzogen, der Festzug, an dem sich der Kirchen vorstand, der Stadtgemeinderath, der Gemeindevorstand von Grumbach, das hiesige Lehrerkollegium, die ersten Klaffen der hiesigen Bürgerschulen, die Korporationen und viele Einwohner der Stadt betheiligten, bewegte sich unter Lorantritt der Patronatsherrschaft und unter Glocken- gelaute nach dem neuen Gottesacker. Nachdem der Zug vor der Parentationshalle Aufstellung genommen hatte, wurde das Lied: Alle Menschen müssen sterben, gesungen, Urauf k> Dr. Wahl die Weihrede hielt, die sich auf Psalm 126 gründete und das Thema behandelte: Unser Gottesacker 1. eine Stätte der Thränen, 2 der Ruhe 3. der Hoffnung. Nach der Weihe und dem Segen schloß die Feier mit Gesang von: Ach bleib mit deiner Gnade. Am 14. bis 16. Oktober veranstaltete der hiesige Gewerbeverein eine Ausstellung von Lehrlingsarbeiten im Saale des „Löwen", mit welcher Prämiirung und Ver loosung verbunden war. Am 24. Oktober wurde Kantor Knof in sein Amt eingewiesen. Am 27. Oktober fand Reichstagswahl statt, Hofrath Ackermann erhielt 196 Stimmen gegen den deutschsrei sinnigen Oberlehrer Hermann — 50 Stimmen — und und den Sozialdemokraten v. Vollmar — 6 Stimmen. 1882. Am 16. Februar wurde der Bau einer Sekundärbahn von Potschappel nach Wilsdruff in der 2. Kammer auf Grund einer Petition der Regierung zur Erwägung ge- geben. Am 1. April wurde an Stelle des zum Schul direktor ernannten Gerhard, Bürgerschullehrer Bang aus Meißen als Oberlehrer eingewiesen. Am 23. April wurde der erste Kindergottesdienst gehalten. Am 20. Mai wurde der von der Beerdigungs- gescllschaft „Pietät" angeschaffte Leichenwagen in Gebrauch genommen. Am 7. September wurde an Stelle des mit Zucht haus bestraften Kießig, Konzertmeister Spüring aus Dres- den zum städtischen Musikdirektor gewählt. Am 20. Oktober wurde eine dritte Privatpersonenpost nach Dresden ein gerichtet, so daß nun eine 3 malige Verbindung mit Dres den vorhanden war. Ani 3. November brannten die vor der Zellaerstraße links von der Chaussee gelegenen 9 Scheunen nieder. Ein Dienstknecht Grimmer aus Röhrsdorf gestand die That ein, er hatte zuerst in Klipphausen gegen 6 Uhr Abends 2 Getreidefeimen des Ritterautspachters Risse an gezündet, war dann nach Wilsdruff gegangen, um die Scheunen anzuzünden, gegen V-8 Uhr ging das Feuer auf. Zur selben Zeit fand gerade eine Theateraufführung in der „Liedertafel" statt. Der Brandstifter wurde zu 12 Jahre» Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust ver- urtheilt. Im Jahre 1882 zählte man 78 Geburten, 16 Trau ungen, 76 Todesfälle. Desgleichen wurden in demselben Jahre dank der günstigen finanziellen Lage der Stadtkasse die Steuern ermäßigt um 25 Proz. Das Vermögen der Sparkasse betrug 4 409 268,5 Mark. (Fortsetzung folgt.) Begraben imd anferstanden. Erzählung von E. v. Linden. (Nachdruck verboten ) (Fortsetzung.) Der Alte war untröstlich beim Tode der Mutter, ste sah die Wolken, welche ihr Ende noch verdüstern sollten, drohend heranziehen und fühlte sich jetzt auch zu einsam in dem großen Hause, daß ste wohl schon über 50 Jahre schon in Ordnung gehalten hatte. An die lange Klatschbase hatte ste dabei nun freilich nicht im entferntesten gedacht. Wie grollte sie dem Jan im Stillen, daß er so aus der Art geschlagen, seine eigene Familie verstoßen und hassen und eine so boshafte Person, von deren Klatschsucht und Falschheit er vollständig überzeugt sein mußte, unter sein eigen Dach nehmen, ja, ihr, der alten, treuen Magd, sogar als Gebieterin setzen konnte. »Das ist mein Tod," Pflegte ste seufzend zu dem alten Arbeitsmann Lorenz, der ebenfalls seit undenklichen Zeiten Hand langerdienste im Zimmermann'schen Hause gethan, zu sagen, und dieser schüttelte dann regelmäßig den Kopf, zog die Schultern bis an die Ohren und brummte: „Es ist alles eitel, sagt Salomo, seit der Maurer dieses Haus verlassen, hält der Kalk nicht wehr, Trina, ich bin bange, wir pfeifen hier auf dem letzten Loche." — Nun so rasch ging das freilich nicht, der Onkel Jan Zimmermann war darin freilich äußerst konservativ, er hätte die alte Trina im Hause nimmer entbehren mögen. Aber böse Tage gab es denn doch genug, Aerger und Ver druß von allen Ecken, seitdem Mamsell Fortmann (anders wurde sie in diesem Hause nicht genannt) daö Regiment erhalte». Trina ließ sich freilich von einer solchen .Bettelmamsell" nicht viel sagen, ste war eine echte Hamburger Köchin und ste wäre auch imstande gewesen, dem Herrn noch den Dienst Sufzukün- digen, das war der letzte Trumpf, den sie im äußersten Falle auszuspielen gedachte. Nun kam das Trauerspiel mit dem armen Theodor Körner, woran niemand anders als MamM Fortmann die Schuld trug; sie hatte dem Lehrling die Gedichte heimlich entwendet und dem Onkel eingehändigt, um eine Katastrophe herbeizuführen. Al« ihr dieser Streich nur zu gut gelungen und Theodor dem ersten Sturme entlaufen war, da hielt es die Trina nicht länger aus, sie mußte zu dieser „Heidenwirthschaft" auch ein Wort reden, mochte der Alte „singen und springen". Die beiden Kinder waren ihr buchstäblich ans Herz gewachsen, und so den Soh» der eigenen Schwester zu behandeln, eine« unschuldigen Gedichte« halber, das war barbarisch. Sie setzte also eine reine Haube auf, band eine neue Schürze vor und trat mit feierlicher Miene vor den Herrn, welcher sich allein in der Wohnstube befand. .Ich habe über etwas mit Ihnen jetzt zu sprechen, Herr Zimmermann." „Nun, so mach's kurz, Trina." ,ES ist von wegen dem armen Theodor." „Aha," sagte Onkel Zimmermann, seine kurze Pfeife au« dem Munde nehmend, „pfeift der Wind au- diesem Loch- Hast wohl mit dem ungerathenen Burschen durchgesteckt?' „O, nein, das ist gerade nicht der Fall," versetzte Trina Entschlossen, ,jch wollte, es wäre so, der arme Junge! ich hätte ihn wohl zurechtgebracht, oder ihm wenigstens Reisegeld gegeben." „Sieh, wie spentabel Du bist," höhnte der Onkel, „eS ist mir ganz recht, daß er fortgelaufen ist, meinetwegen mag er nach Italien gehen, wenn er mir nur weit genug bleibt; ein Vagabund steckt darin, das liegt im Blut." „Nun, er Hot doch auch von Ihrem Blut, Sie find doch sein leibhaftiger Onkel," sagte Trina zürnend, „und ich sage Ihnen, wenn der selige Vater, dem Eie zuerst ungehorsam ge wesen, wieder aus dem Grabe aufstehen und die Wirthschaft hier im Hause sehen könnte, er würde zuerst einen dicken Stock nehmen und die Mamsell hier auStrciben, denn sie ist dir Auf hetzerin und hat die Schuld, daß der Tbeodor davongelaufen ist." „So, meinst Du da-, Trina?" sprach der Onkel gleich gültig, „ich glaube da« Gegegentheil. Im übrigen, wenn'S Dir im Hause nicht mehr gefällt " „Dann kann ich gehen und mich nach einem anderen Dienst umsehen," fiel Trina entschlossen ein, „da« weiß ich, Herr Zimmermann! — Sie brauchen mir nicht den Stuhl vor die Thür zu setzen. Ich habe gesprochen, wie ich mußte; wenn ich zur seligen Mutter komme, könnte ich gar nicht« zu meiner Recht, fertigung sagen, ich bin so lange im Hause und habe nicht- dazu gethan, wie das eigene Blut so hartherzig verstoßen wurde. — Da ist nun noch die kleine Helene —" „Nun ist es aber genug, Trina," unterbrach Jan fie hart, „geh' Deiner Wege und kümmere Dich um die Wirthschaft. Der Deuksel hol' das Weibergeschwätz." Trina wollte noch etwas erwidern, aber der Herr machte eine drohende Handbewegung, daß fie lieber de» Rückweg antrat, aber doch nicht an da- Wegziehen dachte. Nun kam's mit Helene; die Justizvorsteherin war gestorben und das 17jährige Mädchen stand völlig schutzlos da, Onkel Zimmermann war der nächste Blutsverwandte, dazu Vormund, das Mädchen hatte freilich schon einen Haufen Geld gekostet; war überdies groß genug, sich selbst ihr Brod zu verdienen;