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114 <5>e- Rembold einen Besuch auf der Kanzlei des Kollegiendirektors und brachte die erwähnte Sache vor. „Diesen betreffenden Zeugen zu finden, scheint unmöglich," schloß der junge Rechtsanwalt seinen Vortrag. „Die Leute, mit denen jener Mann auf seinem abenteuerlichen Lebenswege verkehrte, sind unsichere Kameraden gewesen, heute hier und morgen dort, sie lesen selten Zei tungen, sind durch Briefe oft gar nicht zu erreichen; ihr Leben ist auch ein viel mehr gefährdetes, als das unserige. Ich glaube, man wird auf diesen Punkt verzichten müssen." „Der Sachlage nach scheint mir das auch," äußerte der Direktor. „Ich bin ebenfalls der Meinung, daß wir in jenem Manne den Erben vor uns haben, mich bestärkt in dieser Ansicht der Umstand, daß er selbst an die Erbschaft nicht glaubt und seinerseits keinen Schritt thut, das große Vermögen zu erlangen. Wäre er ein Betrüger, würde er anders auftreten. Bisher aber, Herr Doktor," fuhr der Kollegien direktor fort, „haben Sie nur privatim die Angelegenheit betrieben, dazu waren Sie nach den Bestimmungen des Erblassers berechtigt. Wir müssen aber jetzt den Erben in greifbarer Gestalt vor uns haben, er kann nicht, wie bisher, derartig im Hintergrund bleiben, er muß seine Passivität aufgeben. Wir werden ihn auf Grund der von Ihnen, Herr Doktor, gemachten Mittheilungen vorladen, dann kann er Sis als seinen Sachwalter nehmen oder nicht, wie er will. War er l>c> uns, hat er seine Papiere vorgelegt und jene Umstände, die Sie uB über sein Leben und seine Verhältnisse berichtet, als wahr bestätigt, so werde ich beantragen, das; die gesetzlichen Vorschriften erfüllt werden, den letzten Aufruf erlassen, die Verwandten in Deutschland benach richtigen, und dann kann die langweilige Sache endlich ihren Abschluss finden." Sehr befriedigt verließ der junge Nechtsgelehrte den Kollegien- direktor. I Gaudentia hatte ihrem Bruder die Unterredung mit dem DoktU Rembold wortgetreu berichtet, sie hatte Talent für dergleichen sprächswiedergaben und vergaß keine Silbe. Ter neue Justizpalast in München. (S. 116) Henry hatte dazu sehr zufrieden mit dem Kopfe genickt und: „Sehr gut so — Alles recht," gesagt. In seinem Innern war er jedoch recht beunruhigt. Ihm gefielen die nöthigen Aufrufe gar nicht. Wäre jener Mann im Cirkus an den erlittenen Verletzungen gleich gestorben, so würde er ohne Zweifel unter dem Namen Rinconi, den der einstmalige Perlenfischer jedenfalls sich beigelegt hatte, weil er keine auf den Namen Erich Reinkens lautenden Papiere mehr besaß, ruhig begraben werden. Bei herumziehenden Artisten, Gauklern, Cirkusleuten macht man in diesen Fällen nicht viel Umstände. Wenn er aber jetzt im Spital starb, nahm man die Sache gewiß genauer; es konnte sich unter seinen Sachen etwas vorfinden, das auf den Namen Erich Reinkens deutete und dies, in Verbindung mit den Aufrufen, welche die Erbschafts geschichte wieder auffrischten, die Angelegenheit für ihn bedenklich ge stalten. Noch unangenehmer konnte die Sache werden, wenn jener Erich Reinkens gesund würde und von den Aufrufen etwas erfuhr. Zwar konnte er ja keine wichtigen Papiere mehr besitzen, die ihn als Erich Reinkens auswiesen. Henry besaß ja den Aufenthaltsschein von New- Jork, den Paß, das Matrosenbuch — der Taufschein fehlte zwar, aber da der pedantische ordentliche Diann diesen nicht in der Brieftasche bei seinen übrigen Papieren aufbewahrt hatte, so war er sicherlich nicht im Besitze eines solchen. So schloß Henry. Welche Papiere konnte Jener denn noch haben, die auf den Namen Reinkens lauteten? Wich tige, beweiskräftige keinenfalls. Immerhin wäre es fatal, falls Reinkens erführe, daß ein Erlst Namens Erich Reinkens gesucht würde, dessen Lebensumstünde auf dst seinen so außerordentlich paßten. Das konnte leicht durch die Ausrust geschehen; und eine noch schlimmere Gestaltung nahmen die Dinge M ihn an, wenn Reinkens als Erbe auftrüte, behauptete, seine Papie^ seien ihm von einem gewissen Palow gestohlen worden; wenn Henr« dem Manne gegenübergestellt würde und ihn als jenen Palow, des in Kossak ihm diese Papiere genommen, mit völliger Sicherheit rekognoscirte. Dann gab es für ihn nur zwei Dinge: entweder die Flucht odft die Aufnahme des Kampfes mit dein Gegner. Das mußte jedoch ci" , bedenklicher, verzweifelter Kampf werden, dem vielleicht ein schleunig^ Verschwinden nach einem fernen Weittheil noch vorzuziehen war. (Foryetzung folgt.)