Volltext Seite (XML)
Schm« jm MW Beilage zu No. 139. Dienstag, den 24. November 1896. Bortrag über „Das sächsische Wahlgesetz", gehalten im „Gemeinnützigen Verein" von Herrn Amtsgerichtsrath Or. Gangloff am 19. November 1896. Meine Herren! Es ist Ihnen bekannt, daß in der II. Kammer des sächs. Landtages trotz in früheren Jahren erlittenen bün digen Abweisungen Seiten der anderen Parteien gleichwohl in jeder neuen Landtagssession von der fozialdemokratischen Landtagsfraktion regelmäßig von Neuem der Antrag auf Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts wie bei den Reichstagswahlen auch für die Landtagswahlen gestellt wurde. Es geschah dies auch auf dem letzten Landtage An fang d. I. Diesmal erwiderten jedoch die vereinigten Ordnungsparteien diesen Stoß gegen das bestehende Wahl recht mit einem Gegenstöße und zwar einem recht kräftigen und nachhaltigen. Sie beschlossen nämlich nicht nur, über den sozial demokratischen Antrag zur Tagesordnung überzugehen, „da das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahl recht den Verhältnisfen und Interessen des Landes nicht entspräche", sondern regten nun auch ihrerseits — allerdings in einer anderen Richtung — eine Abänderung des bestehenden Wahlrechts an, indem sie aussprachen, „daß den Interessen des Landes eine Aenderung des Wahlrechts nur in der Richtung diene, daß das Wahl system auf dem Prinzipe der Leistungen der einzelnen Staatsbürger an direkten Staatsstenern anfgebaut werde, daß dabei jedoch eine Entziehung des Wahlrechts der jenigen nicht eintreten solle, die dasselbe jetzt besäßen." Sie wissen, meine Herren, daß die Staatsregierung durch den Mund des Staatsministers v. Metzsch bei den be treffenden Kammerverhandlungen ihre Geneigtheit zu er kennen gab, der gegebenen Anregung zu entsprechen, auch auf Grund dieser Erklärung noch im Februar d. I. dem Landtage einen Gesetzentwurf, die Wahlen für den Land tag betr., zugehen ließ. Mit nur geringfügigen, von der Kammer ihm gegebenen Abänderungen, welchen die Regie rung zuftimmte, ist dieser Gesetzentwurf von der II. Kammer in der Sitzung vom 6. März d. I. mit 56 gegen 22 Stimmen, darunter die 15 sozialdemokratischen, angenommen worden. Diesem abgeänderten Entwurf ist die I. Kammer dann ebenfalls beigetreten. Selten, meine Herren, hat um ein Gesetz ein solcher Sturm getobt, wie um das neue Wahlgesetz. Selbst von namhaftesten, zu den Ordnnngsparteien zählenden Männern ist gegen dasselbe die heftigste Opposition erhoben worden, nicht zu gedenken der ob desselben Lanz außer sich gerathenen Sozialdemokraten. — Daß das Wahlsystem, wie dasselbe durch das Gesetz neu geregelt ist, ein Ideal und das un bedingt beste sei — diesen Anspruch haben auch die leiden schaftlichsten Äertheidiger des Gesetzes nicht erhoben. Nach den Ausführungen des Staatsministers v. Metzsch ist die Regierung bei Bearbeitung und Einbringung der Vorlage nur von dem Bestreben geleitet gewesen: „das Staatsinteresse zu fördern, den Sinn für Gesetz und Recht im Volke zu erhalten und wenn derselbe in's Schwanken zu gerathen drohe, zu festigen und nen zu beleben, treu immer dem Grundsätze: salus rsipublicas guyremu lux! Des Staates Wohlfahrt das oberste Gesetz." Ich werde mich hiernach, meine Herren, bei meinem Vor trage streng sachlich halten und Urtheile über das Gesetz vermeiden. Unterm 28. März d. I. hat dasselbe die königliche Genehmigung erhalten und ist nun, sobald sich eine Neu wahl zur II. Kammer nöthig macht, nach demselben zu ver fahren. — Zwar werden, meine Herren, durch das Gesetz die Landtagswahlen nicht vollständig neu geregelt, denn neben dem Gesetze bleiben noch verschiedene Vorschriften des Ge setzes vom 3. Dezember 1868, die Wahlen für den Land tag betr., theils in voller Geltung, theils sind sie nur un wesentlich abgeändert und ergänzt. So ist, um dies gleich hier zu erwähnen, die bisherige Eintheilung Sachsens in 37 städtische und 45 ländliche Wahlkreise beibehalten worden. Es wird demnach auch m Zukunft, nm von unserm Wahlkreis zu sprechen, der LI- ,städtische Wahlkreis von den Städten Freiberg, Wils druff und Tharandt und der XVII. ländliche Wahlkreis von den Amtsgerichtsbezirken Nossen und Wilsdruff gebildet. Ebenso sind in der Hauptsache die Voraussetzungen jur die Wählbarkeit des Abgeordneten dieselben geblieben, 'wofern zum Abgeordneten jeder Wähler gewählt werden kann, der 1. das 30. Lebensjahr erfüllt hat, 2. seit 3 Jahren sächsischer Staatsangehöriger ist, 3. mindestens 30 Mark Grund- oder Einkommensteuer . oder an beiden zusammen zahlt, wobei ihm die Steuer zu Gute kommt, die für das Ver- "wgen seiner Frau oder seiner Kinder zu entrichten ist. Daß der Abgeordnete dem Wahlkreise angehört, ist nicht erforderlich, nur muß er Sachse sein. Die Wahl des Abgeordneten ist wie bisher geheim. Bei derselben entscheidet die absolute Mehrheit der abge gebenen gütigen Stimmen. Wird solche bei zweimaliger Abstimmung nicht erlangt, so entscheidet bei der dritten Abstimmung relative Stimmenmehrheit, bei Stimmengleich heit das Loos. Es ist also jetzt, statt wie früher zweimal, eventuell dreimal zu wählen. Denn nach dem Gesetze von 68 galt als gewählt der, welcher die meisten der abge gebenen gütigen Stimmen, mindestens aber '/z derselben erhalten hatte. Hatte Niemand Vs erlangt, so war zur engeren Wahl zwischen den Personen zu schreiten, welche bei der ersten Wahl die meisten Stimmen erhalten hatten. Im Falle der Stimmengleichheit entschied das Loos. Dagegen hat, meine Herren, das bisherige Wahl system eine vollständige Aenderung dadurch erfahre», daß es nunmehr ein indirektes geworden ist. Denn nach § 1 des neuen Gesetzes werden die Abgeordneten für die II. Kammer von Wahlmännern in Wahlkreisen und die Wahlmäuner von den Urwählern in Wahlbezirken gewählt. Bisher galt in Sachsen das System direkter Wahlen. Jeder Wahlberechtigte gab seine Stimme für den Mann ab, von dem er wünschte, daß er Abgeordneter werde. — Das ist geändert worden. — Jetzt wählt der Wahlberech tigte die durch das Gesetz vorgeschriebene Anzahl von Wahlmännern und durch die Wahlmänner erfolgt die eigent liche Abgeordnetenwahl. Natürlich wird der Wähler immer diejenigen als Wahlmänner wählen, zu welchen er Vertrauen hat und von welchen er annimmt, daß sie politisch seiner Ansicht sind. Ein Recht aber, den Wahlmännern die Wahl eines bestimmten Abgeordneten vorzuschreiben, hat er nicht. Die Wahlmänner sind durchaus selbstständig und an keine Weisung gebunden. Wie das Wahlsystem ist auch die Stimm- uud Wahl berechtigung durch das ueue Gesetz theilweise abgeändert worden. Wahlberechtigt sind demnach nur Männer; Frauen nicht, auch wenn sie eigenes Vermögen besitzen und dieses selbst verwalten. Angehörige anderer deutscher Bundes staaten oder Ausländer sind des Wahlrechts nicht theil- wftig. Ein Preuße oder Oldenburger, ein Schweizer oder Oesterreicher, die in Sachsen wohnen, daselbst Grundstücke besitzen, eine Pachtung haben oder ein kaufmännisches Ge schäft betreiben, darf nicht zum sächsischen Landtage wählen. Weiter ist nur wahlberechtigt, wer u) das 25. Lebensjahr erfüllt hat, 6) seit mindestens 6 Monaten da, wo er sein Wahl recht ausüben will, seinen Wohnsitz oder Aufent halt hat. Personen, die erst vor Kurzem zugezogen sind, sind also nicht wahlberechtigt. Wer sich an einem Orte länger als 6 Monate anfgehalten hat, ohne den Wohnsitz in einem anderen Orte aufgegeben zu haben, kann das Wahlrecht entweder am Orte seines Aufenthalts oder an dem seines Wohnsitzes ansüben. An mehr als einem Orte kann Niemand das Stimm recht ausüben. Auch ist dasselbe nur in Person auszuüben. Das letzie Erforderniß der Wahlberechtigung ist c) die Entrichtung von direkten Staatssteuern, d. h. von staatlicher Grund- oder Einkommensteuer. Die Sache liegt also so, daß derjenige Sachse, der weder Grund- noch Einkommensteuer bezahlt, nichtwahlberechtigt ist. Andererseits ist jeder Sachse wahlberechtigt, der fünf undzwanzig Jahre alt, am Orte der Wahl mindestens seit 6 Monaten wohnhaft oder aufhältlich ist und entweder Grund- oder Einkommensteuer oder Beides entrichtet. Da nach der Verordnung vom 30/6. 94 in Sachsen nur Der jenige Einkommensteuer zahlt, der ein jährliches Einkommen wn über 400 Mark hat, so folgt daraus, daß diejenigen Personen, die jährlich nicht mehr als 400 Mark einnehmen, nicht wahlberechtigt sind. Wer jährlich über 400 Mark einnimmt und deshalb 1 Mark jährliches Einkommen zahlt, wühlt mit zum sächsischen Landtage. Aber auch Einer, der keine Einkommensteuer entrichtet, kann trotzdem wahlberechtigt sein. Dieser Fall tritt ein, wenn er Grundsteuer zahlt, denn es verleiht auch schon die Entrichtung von Grundsteuer das Wahlrecht. Wer also ein Einkommen von nur 300 Mark oder von noch weniger besitzt, jedoch als Eigenthümer eines kleinen Häuschens Grundsteuer zahlt, ist wahlberechtigt. Hcrvorzuheben ist hier noch, daß die Gemeindeabgaben für die Wahlberechtigung znm Landtage ganz ohne Be lang sind. Also das Endergebniß: ohne Staatssteuern kein Wahl recht. Da nach dem früheren sächs. Wahlgesetz nur der jenige wahlberechtigt war, der entweder ein bewohntes Grundstück besaß oder an direkten Staatssteuern mindestens 3 Mark jährlich entrichtete, so ist durch das neue Gesetz der Kreis der Wahlberechtigten erheblich erweitert worden. Wie schon nach dem alten Wahlgesetze, sind auch nach dem neuen von der Stimm- oder Wahlberechtigung — um dies der Vollständigkeit halber noch zu erwähnen — die jenigen Personen ausgeschlossen, die unter Vormundschaft stehen, die keinen fleckenlosen Ruf haben, welcher z. B. die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, die in Vermögcnsverfall bez. Konkurs gerathen sind oder die ihren Pflichten als Steuerzahler nicht pünktlich nachgekommen. Daß die Angehörigen des aktiven Heeres nicht wahlbe rechtigt sind, beruht auf reichsgesetzlichen Bestimmungen. Endlich ist noch zu erwähnen, daß die Wahlberech tigten eines Ortes in eine Liste (Urwählerliste) eingezeich net werden, welche vor jeder Hauptwahl aufzustelleu und eine Woche lang auszulegen ist. Aus dieser Liste kann jeder Wahlberechtigte ersehen, ob seinem Wahlrechte ge nügend Rechnung getragen worden ist. Das Recht der Einsicht dieser Liste ist jedoch für jeden Betheiligten auf die Befugniß beschränkt, von der eigenen Veranlagung und der Veranlagung derjenigen Personen Kenutniß zu nehmen, die dazu schriftliche Vollmacht ge geben haben. Mit Ausnahme der Angabe über die Steuerverhält- niffe hat jedoch bie Gemeindebehörde jedem Urwähler auf Verlangen mündlich Auskunft über den weiteren Inhalt der Liste zu ertheilen. Gegen die Richtigkeit und Voll ständigkeit der Liste können Einwendungen erhoben werden, worüber der Bezirks- oder Kreisausschuß entscheidet. Wir wissen also, meme Herren, daß in Zukunft die Abgeord neten nicht mehr von den Wählern direkt, sondern durch von den Urwählern zuvor gewählte Wahlmänner gewählt werden. Bevor ich von der Wahl der letzteren spreche, lassen Sie mich erst noch Folgendes bemerken: Wie schon erwähnt, giebt es in Sachsen 37 städtische und 45 ländliche Wahlkreise, zusammen alfo 82, in welchen je 1 Abgeordneter gewählt wird. Das bleibt auch nach dem neuen Gesetze. Die Wahlkreise zerfallen in Wahlbezirke. Die Wahl kreise sind die größeren, die Wahlbezirke die kleineren Ge biete. In den ländlichen Wahlkreisen erfolgt die Abgrenzung der Wahlbezirke durch die Amtshauptmannschaften, in den städtischen in der Regel, je nachdem die betreffende Stadt die revidirte oder kleine Städteordnung hat, durch die städtischen Behörden bez. den Bürgermeister. Nach dem Gesetze sollen nun die Wahlbezirke nicht weniger als 1500 und nicht mehr als 3499 Seelen um fassen. Ein Wahlbezirk kann jedoch aus einem Orte allein, oder aus Theilen eines Orts oder aus mehreren Orten bestehen. Kleinere Landgemeinden werden in der Regel zu einem Wahlbezirk vereinigt. Orte von 1500—3499 Seelen bilden einen Wahlbe zirk für sich. Wilsdruff mit seinen 3116 Einwohnern wird daher einen Wahlbezirk bilden. Orte von 3500 und mehr Seelen werden in mehrere Wahlbezirke gespalten. Die Wahlbezirke wählen nun die Wahlmänner und zwar soll die Zahl der Wahlmänner in der Regel so be rechnet werden, daß auf jede Vollzahl von 500 Seelen ein Wahlmann fällt. Es ergeben sich hiernach 4 verschiedene Klaffen von Wahlbezirken, nämlich von 1. 1500—1999 Seelen, welche 3 2. 2000-2499 „ „ 4 3.2500-2999 „ „ 5 4. 3000-3499 „ „ 6 Wahlmänner wählen. Es sollen mithin in einen: Wahlbezirke mindestens 3 und nicht mehr wie 6 Wahlmänner gewählt werden. Eine Ausnahme findet nur bei Orten von mehr als 3499 Einwohnern statt. Doch davon später. (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Von einer sensationellen Verhaftung berichtet man aus Wien: Hier wurde ein Mann festgenommen, der sich dadurch verdächtig machte, daß er auffallend viel Goldmünzen verausgabte und solche förmlich ausstreute. Der Mann führt Papiere auf den Namen Edwin Schmeißer lautend bei sich, soll aber Karl Hoelken heißen, aus Haßlinghausen in Preußen stammen und Bootsmann auf dem Dampfer „Hohenzollern" vom Norddeutschen Lloyd gewesen sein. Er erzählt eine romantische Geschichte: Auf einer überseeischen Fahrt sei er Zeuge gewesen, wie Matrosen des „Hohenzollern* Säcke mit Gold untereinander vertheilten. Zwei solcher Säcke habe man ihm dann geben müssen. Ein Sock, enthaltend Münzen zumeist japanischer, dann aber auch europäischer Prägung im Werthe von über 4000 Gulden, wurde bei dem Verhafteten noch uneröffnet vorgefunden. Die Vermutbung, das Gold rühre von einem großen Diebstahl her, hat sich bestätigt. Der Sekondelieutenant hat der Wiener Polizei mitgetheilt, daß ihotsächlich an Bord des Lloyddampfers „Hohenzollern* ein Postdiebstahl verübt worden sei, aus welchem die Gold- vorräthe des Verhafteten unzweifelhaft stammen. Letzterer wird nach Erfüllung der nöthigen Formalitäten an Deutschland aus geliefert werden. * Eine Entführung versetzt einen großen Theil der römischen Aristokratie, sowie die klerikale Welt in Rom in große Aufregung. Die Prinzessin Elvira von Bourbon, Tochter des gegenwärtig in Venedig befindlichen Prätendenten Don Carlos, die mit ihrer Schwester die Gastfreundschaft des Fürsten Massimo genoß, ist mit einem vierzigjährigen Maler, Filippo