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WmM für Wdruff ThmÄt, Dossen, Menlchn und die UmgkMden. Imlsölatt für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. ^orstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1 Mk. 55 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger m Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H A. Berger daselbst. No. SS. Dienstag, den 19. Mai 1896. Die Krönungsfeierlichkeiten in Moskau. von Paul Liudenberg. (Nachdruck verboten.) 1. Auf der Reise nach Moskau. Bahnhof Friedrichstraße Abends 7 Uhr — was ist das jetzt dort für ein Drängen und Schieben, Leben und Treiben, wenn mit seiner langen Wagenkette der Eilzug nach Alexandrow o einbraust! „Achtung! Achtung!" wahrlich, man muß die Augen gehörig öffnen und die Ohren tüchtig spitzen, denn aus den Versenkungen steigen ganze Koffer-Gebirge empor und werden in ihren einzelnen Theilen zu den Gepäck-Waggons gerollt, Couriere und Leibjüger kommen mit vielumfassenden Reisetaschen und sonstigen zahlreichen Gepäckstücken angehastet und helfen ihren Herrschaften beim Entsteigen und dem Bequemmachen im Koupee, Offizierburschen reichen ihren in adrettem Civil erscheinenden Herren Helmschachteln und Säbelfutterale hinein, die Diener und Zofen vornehmer Familien em pfangen von letzteren nochmals einige Dutzend Verhalt ungsmaßregeln, hier wird ein reizender Seidenspitz von seiner nicht minder reizenden Herrin zärtlich geliebkost, dort unterdrückt die hübsche junge Gattin mühsam die Abschiedsthränen, da komplimentiren einige Botschaftsherren um ihren gestrengen Chef herum, während Ihre Erzellenz kaum noch die duftigen Blumensträuße halten kann, deutsches französisches, russisches, englisches Sprachgewirr schallt an unser Ohr, und nun: „Einsteigen!" Einsteigen!" Die Thüren fliegen zu, die Räder rucken an, und hinaus geht's aus der von dumpfen Tosen erfüllten gewaltigen Eisen halle dem fernen Ziele, Moskau, zu. Schon seit acht Tagen sind sämmtliche Schlafwagen plätze belegt und von Warschau aus giebt's bis zum 20. Mai überhaupt keine Billets mehr für die-^LMons lits, alles strömt nach Moskau, von Frankreich, England, Italien her, und der Weg wird meist über Berlin und Warschau genommen, da er der schnellste ist, denn in vier undzwanzig Stunden hat man von den Ufern der Spree diejenigen der Moskwa erreicht. Sind wir doch schon bald nach 1 Uhr Nachts in Alexandrowo. Russische Gendarmen fordern unsere Pässe ab und es geht zur Zoll-Abfertigung, die verhältnißmäßig rasch und liebenswürdig verläuft; nnr den gewaltigen Koffer-Ungethümen der Damen wird einige nähere Aufmerksamkeit geschenkt und allerhard Spitzen-, Seiden- und Sammet-Gewirr, allerhand sonst den Außen sterblicher Erdensöhne unzugänglichen Toiletten - Geheim nisse kommen da zuin Vorschein und es wird hoch und theuer geschworen, daß alles, alles schon benutzt worden ist, obwohl jene lange, kostbar gestickte Schleppe wohl noch nie das glatte Parquet eines Ballsaales berührt, jenes blumen- und federverzierte Hütchen kaum je von den Sonnen strahlen getroffen, jene schmalen Sohlen und spitzen Ab sätze mehrerer Paare winziger Stiefelchen noch nicht einen Stanbatom aufzuweisen haben, ferner jenes mit verschiedenen Schleifen versehene Spitzen- doch knack, fliegt der Koffer zu und wird der grüne Zettel draufge klebt, und die dunkellockige Inhaberin all' der Herrlich keiten, deren Augenspiel beredter wie ihre Worte gewesen, athmet erleichtert auf und läßt sich das erste Glas dampfen den russischen Thees im Wartesaale noch einmal so gut munden. Um acht Uhr ist Warschau erreicht, fröhlich begrüßt uns die goldige Morgenfonne, und gern verschmähen wir die zu dem weiten Moskauer Bahnhofe führende Ver bindungsbahn und vertrauen uns einem fragwürdigen und mit noch fragwürdigeren Pferden bespannten Gefährt an, das wahrscheinlich schon beim Rückzüge der großen fran zösischen Armee seine bereits damals fragwürdigen Dienste gethan. Aber wie kann der Kerl fahren, wie greifen die Klepper aus, im gestreckten Galopp geht's dahin, „daß Kieß und Funken stoben", und unsere Gliedmaßen eine Polka aufführten, an die sie noch lange denken werden. Ganz Warschau hat geflaggt, die weiß-blau-rothen Fahnen flattern uns überall entgegen, der Namenstag des Groß fürsten - Thronfolgers ist ja heute, und die uni diese „frühe" Morgenstunde noch verschlafene Stadt macht dadurch einen freundlichen Eindruck. Aber bitte, nicht zu viel Umschau halten, man macht sonst ganz direkte Bekanntschaft mit dem Straßenpflaster der einstigen Residenz August's des Starken, hops, schon wieder ein Prellstein, Wupps, von neuem in eine Kute, klirr, zum dritten Male an einen Wagen 'ran, unser schmieriger Kutscher fuchtelt drohend mit der Peitsche und flucht fortwährend den stumpfsin nigen Lenkern der Bauernkarren sein „ksa Krew" — „Hundeblut" — entgegen, zehnmal drohen wir umzuwerfen und zehnmal gehts weiter, immer schneller, nun eine steil abfallende Straße mit großartig gräßlichem Pflaster hin unter, daß das Handpferd mehrfach schon im Sturze zu sammenknickt, aber stets wieder sofort emporgerissen wird, jetzt donnern die Hufe über das eiserne Pflaster der riesigen neuen Weichselbrücke, nun gehts durch das Judenviertel mit seinen kaftanumhüllten Bewohnern, deren jüngste männ liche Sprossen von drei, vier Jahren in Kleidung und Wesen schon den ältesten Altvordern gleichen und alle unserem großen Ludwig Knaus zu seiner köstlichen „Juden schule" Modell gestanden zu haben scheinen, und endlich halten wir vor dem wenig imposanten Bahnhofsgebäude und können vorsichtig fühlen, ob sich nicht doch eine Bein- oder Armverenkung so heimlich eingestellt hat. Bald läuft der Moskauer Schnellzug ein, und wir suchen cs uns möglichst wohnlich zn machen in dem kleinen Raum, der uns bis zum Nachmittage des nächsten Zuges beherbergen wird, lind nun rollen wir dahin durch Polen, Stunde aus Stunde, weite Steppen und dichte Waldungen, selten einige hölzerne Baracken, die kaum menschlichen Wohn ungen gleichen, zu sehen, noch seltener die Bewohner selber, die Männer in ihre schmutzigen Schafpelze, die Frauen in wulstige Umschlagtücher gehüllt, die Kinder in fadenscheinigen Hemdchen und Röckchen, und diese trostlose Einsamkeit wirkt so ermüdend, daß freudig jede noch so kurze Rast auf den kleinen Haltestellen begrüßt wird. Aus den Bahnsteigen derselben patroulliren Gendarmen in ihrer schmuckendunkel blauen Uniform mit rothen Quastenschnüren an der rechten Schulter und krimmerbesetztem rothen Kalpak mit Reiher stutz auf dem Haupte umher, und überall flattern auch hier die weiß-blau-rothen Fahnen von den meist hölzernen Bahnhofsgebäuden. Auf den größeren Stationen ist stets neben der einheimischen Bevölkerung eine Anzahl Offiziere vertreten, stattlichemännlicheErscheinungen, denen derschwere, hechtgraue Paletot ausgezeichnet steht und deren Wesen ein freundlich-zurückhaltendes ist. Alles entströmt dann dem Zuge, und man kann nun erst seine Reisegefährten, die sonst hinter den Thüren der Schlafwagen, an denen die Korridore durch die Durchgangswagen vorbeiführen, ver borgen bleiben, in Ruhe mustern. Potz -Zetter, was für lockende Französinnen und Polinnen sind darunter, von ihren Cavaliren begleitet, wie knistern die Seiden-Roben, die chicen Pariser Frühjahrs toiletten, wie kokett trippeln die zierlichen Füße, die in ihren eleganten Beschuhungen unter dem Spitzensaume gern sichtbar werden, wie munter wissen diese künstlich in ihrer Röthe nachgeholfenen Mündchen zu plaudern und zu lachen und diese schwarzumränderten Augen zu blitzen, daß den hier entlang promeuirenden Offizieren in ihren entlegenen Garnisonen und Garnisönchen ganz sehnsüchtig das Herz schwellen muß nach der großen, eleganten, rauschenden Welt da draußen mit all' ihren Sirenenlockungen! Haben sich unsere Augen aber gesättigt, so kommt auch der Magen daran, für den schon durch dm Speisewagen im Zuge um sichtig gesorgt ist, der aber nicht minder willig all' die schmackhaften Dinge entgegennimmt, die ihm auf diesen Stationen in überreicher Fülle und meisterhafter Zube reitung geboten werden. Ungemein einladend sieht alles auf diesen Buffets aus, von der Sacnsca, der Sammlung pikanter Vorspeisen, an bis zu den mannigfachen Braten und sonstigen Fleischspeisen wie delikaten Kuchen herab, in der Ecke summt der hohe messingne, blitzblanke Samo war, aus dem eine schier unerschöfliche Theequelle fließt, und enorme Flaschenbatterien nehmen die Mitte der sauber gedeckten Tische ein, die oft mit prächtigen vergoldeten Kandelabern geschmückt sind. Dann ein mehrfaches Glocken- signal, hinein wieder in den Zug, und von neuem geht's durch die weltfremde Einsamkeit dahin, in welcher der Frühling erst langsam erwacht und der Winter noch nicht völlig den Rückzug angetreten hat, wie aus den langen und breiten Schneestreifen in den Mulden längs der Bahn hervorgeht. Um die elfte Nachtstunde raffelt unser Zug auf langer Brücke über die einst blutgetränkte Beresina und am nächsten Morgen um fünf halten wir kurze Zeit in Smolensk, das an den beiden Ufern des Dnjepr malerisch hin- und auf gebaut ist, inmitten der alten Stadt im Frühsonnenschein funkelnd die fünf vergoldeten Kuppeln der ehrwürdigen Kathedrale und um die Stadt sich hexumziehend dieUeber- reste der wuchtigen, zinnenausgeschnittenen Mauern mit ihren plumpen Wachtthürmen. Allmählich hat sich indem langen Zuge auch die kleine deutsche Kolonie zusammenge funden, und mehrfach klingen im Speiseraum während des Vormittags die Gläser zusammen auf Kaiser und Reich, schreiben wir doch den 10. Maß an welchem vor einem Vierteljahrhundert zu unseres theuern Vaterlandes Ehre und Größe nach schwerem, opfervollem Ringen der Friede in der Mainstadt geschlossen wurde! Weit schneller als inan anfangs gefürchtet, verläuft die Zeit, aber doch dünkt uns der schrille Pfiff der Lokomotive, der uns die un mittelbare Nähe Moskaus kündet, wie ein Erlösungszeichen, und erleichtert athmet man auf, als in der Ferne dieviel- gethürmte Stadt erscheint und „Mütterchen Moskau" uns ihren freundlichen Willkommen bietet! Tagesgeschichte. Der gemeinsame Aufenthalt des Kaiserpaares in Schloß Primkenau in Schlesien ist am Freitag zu Eude gegangen. Der Kaiser reiste in der zehnten Abendstunde des genannten Tageö von Primkenau nach Pröckelwitz in Westpreußen zur Rehbockjazd weiter, die Kaiserin reiste am Sonnabend Vor mittag von Primkenau nach Berlin resp. Potsdam zurück. Auch in diesem Fahre unternimmt der Kaiser wieder eine Reise längs der norwegischen Küste. Bei dieser Gelegenheit wird er, schwedischen Blättern zufolge, von Christiani« aus das Gut Stora Sundby in Södermanland, den Sitz des früheren oeutschen Gesandten in Stockholm Grafen Wedel, besuchen, wobei er von der Kaiserin begleitet sein werde. Im dortigen Schlosse haben während des Winters umfassende Herstellungs arbeiten stattzefunven. Als sicher wird betrachtet, daß wenigstens sie Kaiserin nach Stora Sundby fährt. Eine norwegische Zeitung in Finnmarken hatte mitgethcilt, daß der Kaiser bi« nach Vaseö hinauf reisen werde, um die im August eintretende gänzliche Sonnenfinsterniß zu beobachten. Auf dem deutschen Konsulat zu Christiania ist von dieser Absicht nichts bekannt. Prinz Heinrich von Prenßen reiste am Sonnabend Nachmittag von Kiel über Berlin nach Moskau ab, um dort den Kaiser bei den bevorstehenden Krönunzsfeierlichkeiten zu vertreten. Es wird bestätigt, daß auf drm jüngsten parlamentarischen Abend beim preußischen Kriegsminister unter anderen Fragen auch die bezüglich der Umformung der vierten Bataillone lebhaft besprochen worden ist. Die militärischen Sachver ständigen zeigten sich hierbei besonders eifrig bemüht, die laut gewordene Befürchtung zu zerstreuen, als ob diese Vorlage nur die Vorbereitung zur Wiederherstellung der dreijährigen Mili tärdienstzeit bedeute. Nach ihren Darlegungen ist anzunehmen, daß schon bei der ersten Lesung der Vorlage im Reichstage dahingehende bündige Erklärungen vom Bundesrathstische aus abgegeben werden sollen. Dagegen dürfte der Antrag der Frei sinnigen auf dauernde gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit keine Aussicht auf die Zustimmung der verbündeten Regierungen haben, die nicht geneigt sein sollen, sich in dieser Hinsicht die Hände für alle Zeiten zu binden. Auch bezüglich der Reform des Militärstrafverfahrens dürften schon bei der ersten Lesung der Militärvorlage befriedigende Erklärungen seitens des Reichskanzlers oder des preußischen Kriegsminister« ertheilt werden. Insbesondere mit Rücksicht hierauf giebt man sich in Regierungökreisen der Erwartung hin, daß die Vorlage auf ernste Hindernisse im Reichstage nicht stoßen und eine an sehnliche Mehrheit finden wird. Für die Vereinfachung der Arbeiterversicherung sind schon die verschiedenartigsten Vorschläge gemacht worden. Einem zu diesem Zwecke von Dr. Freund in den preußischen Jahrbüchern veröffentlichten Artikel, welcher die Beseitigung der gegenwärtigen Krankenversicherungs-Organisation und deren Verschmelzung mit der Jnvaliditätsverstcherung vsrschlägt, ent nehmen wir u. A. Folgendes: „Als Träger dieser gemeinsamen Versicherung sollen die Invalidität«- und Altersversicherung«- anstalten dienen. Gleichzeitig soll aber ein gemeinschaftliche« territoriale« Hilfsorgan für die gesammte Arbeiterverficherung in den Arbeiterverficherungsämtern geschaffen werden. Dr. Freund geht hierbei von dem Leitsätze aus, daß Invalidität«-