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Zweites Blatt. Wochenblatt für Msbrusf Tharandt, Men, Menlehn and die UmMN-tli. Imlsölulk für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstreniamt zu Tharandt. Erscheint Wöchentlich dreimal und ;war Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 M. 30 Pf., durch die Post bezogen I M. 55 Psg. — Einzelne Nummern IN Pfg. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittag 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis IN Pfg. pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H. A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. No. 87. Sonnabend, de« 20. Oktober 1894. Gustav-Adolf-Berein. Dem Vernehmen nach gedenkt der Wilsdruffer Gustav- Adols-Zweigverein die heurige Jahresfeier in allernächster Zeit in der Stadtkirche zu Wilsdruff zu begehen. Deshalb sei noch nachträglich mitgethcilt. Der „Sächsische Gnstav-Adolf- Bote," das Organ der sächsischen Gustav-Adolf-Vereine, wivmet dem Gustav-Adolf-Jubelfest in Dresden am 9., 10. und 11. Juli d. I. folgenden Gruß: „In diesen Tagen wird Dresden, die Stadt eines blühenden Zweig-, Frauen- und Hauptvereins, eine sonderliche Feststadt sein: der liebe Hauptverein feiert sein fünfzigjähriges Jubelfest. Wohlan, so sei unsere Feststadt auch unsere Fcstpredigerin. Sie grüßt und mahnt ihre Einwohner schaft: Evangelisches Dresden, halte fest am Paniere des Eustav-Adolf-Vereins! 1) Das fordert deine reiche Geschichte. 2) Das predigen dir deine schönen Gotteshäuser. 3) Das bist du deiner hohen Ehre schuldig. 1) Das erfordert deine reiche Geschichte. — Mit der Geschichte des Gustav-Adolf-Vereins ist Dresden aus das Innigste verknüpft. Allerdings kann es mit Leipzig nicht um die Palme ringen. Leipzig ist und bleibt der klassische Mutterboden unseres gottgesegneten Helferwerkes. Aber unter allen Schwestern, die Leipzig zum guten Werke die Hände reichten, ist Dresden die älteste. Die ersten Satzungen die sich die Gustav-Adolf-Stiftung gab, sind datirt: Leipzig und Dresden, November 1834, und neben den acht Leipziger Namen sind sie unterzeichnet von elf Dresdner Namen: Käuffer, v. Brause, Girardet, v. Erdmannsdorf, Thenius und wie sie alle heißen: das waren die Väter nicht bloß des Gustav-Adolf-Ver- eins in Dresden, das waren die Väter des Gustav-Adolf Ver eins überhaupt. Viele dieser alten Kämpen haben es 30 Jahre später mit erlebt, daß der Gustav-Adolf-Verein in seiner Ge- sammtheit in den Mauern Dresdens einzog. Es war im September 1865. Das mögen festliche Tage gewesen sein, als die Festesglocken dreimal zum Gotteshause läuteten, als am ersten Tage ein Prediger aus dem Norden, Pastor Müllensiefen aus Berlin, am zweiten Tage ein heimischer Prediger, oer selige Kohlschütter von Dresden, und am dritten Tage ein Prediger aus Süden, Prälat Gerok aus Stuttgart, die Kanzel der Frauenkirche bestieg und sie alle ungezählten Festgenossen die große Mahnung ins Gewissen hineinschrieben: Lasset uns Gutes thun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen. Aber ich greife weiter zurück und blättere in der älteren Ge schichte der Stadt. Da finde ich auf manchem vergilbtem Blatte der Dresdner Chronik eine Kunde, die beweist, das Dresden von Alters ber zu einer Gustav-Adols-Stadt bestimmt war. Lange vor dem Gustav-Advlf-Verein hat Dresden zwei schöne Gustav-Adolf-Thaten gethan. Unmittelbar nach dem dreißig jährigen Kriege hat es draußen „auf dem Sande" jene böhmische Exulantengcmeinde gastlich ausgenommen, die heute noch unter uns besteht, und wenige Jahre später hat sie französischen Emi granten ihre Thore geöffnet, den Vätern der reformirten Ge meinde, die in diesen Tagen hier ein neues liebliches Gottes haus sich erbaut hat. Dazu hat gerade Dresden eine Reihe wackerer Männer aufzuweisen, die, wenn sie heute lebten, mit lausend Freuden der Gustav-Adolf-Arbeit sich widmen würden. Ich nenne nur zwei, den Superintendenten O. Löscherund den Archidiakonus Hahn von der Kreuzkirche. Löscher war ein eif riger Freund bedrängter Glaubensgenossen. In mancher Predigt bat er, e n Prophet des Gustav-Adolf-Vereins, fürbittend der Diaspora gedacht, und wenn es galt, für einen einheimischen e der auswärtigen Kirchenbau Kollekten zu sammeln, da war er allezeit der erste. Einst ward für die abgebeannte Hauptkirche in Kopenhagen in Dresden eine Kollekte gesammelt. Da fand sich nn Becken ein Packet mit 50 Thalern. Der König wollte wissen, von wem es sei; es war von Löscher. Der Herrscher äußerte seine Verwunderung, daß der Beitrag seines Superin tendenten größer sei, als der seiner Minister, und am nächsten Tage liefen überraschend reiche Packele auch von diesen ein. Archidiakonus Hahn aber dürfte der erste sein, der wirkliche Diasporagemeinden mit Geldmitteln unterstützt hat. An mehrere Gemeinden in römisch-katholischen Landen z. B. in Westphalen, hat er wiederholt milde Beiträge ganz im Sinne unseres Ver eins gesandt. Daß er seinen evangelischen Eifer mit seinem Blute bezahlt hat, ist bekannt. Genug, eine Wolke von Zeugen schaut in Dresden auf uns und unsere Gustav-Adolf-Adolf- Arbeit herab. Und diese Zeugen heißen nicht bloß Löscherund Hahn, Käuffer und Kohlschütter, sie heißen Anna Sophie und Christiane Eberhardine, Moritz und Johann Georg I., Luther und Melanchthon. Sie alle mahnen: Evangelisches Dresden, Halle fest am Paniere des Gustav-Adolf-Vereins! Das fordert deine reiche Geschichte. 2) Das predigen dir auch deine schönen Gotteshäuser. — Man hat Sachsen das kirchlich bestversorgte Land genannt. Mit Recht. Wir fühlen uns glücklich inner halb unserer grün-weißen Grenzpfähle und danken Gott, daß er uns in unserer evangelisch-lutherischen Landeskirche eine so gute geistliche Mutter gegeben hat. Wenn man einst nach Jahrhunderten die sächsische Landeskirche von heute schildern wird, wird man sagen müssen: Der Ausgang des 19. Jahr hunderts war die Zeit des Kirchenbaues. Dies gilt in be sonders hohem Maße von Dresden. Fast alle unsere älteren Kuchen sind restaurirl worden, und viele neue sind aus dem Boden gewachsen. Pfarrhäuser und Schulen halten mit den Kirchen gleichen Schritt. Sollte uns nicht gerade dies zur regsten Mitarbeit am Gustav-Adolf-Werk ermuntern? Was wir daheim thun, das strebt ja der Gustav-Adolf-Verein draußen an: Kirchen, Schulen und Pfarrhäuser bauen. Aber welch ein Abstand zwischen daheim und draußen! Denken wir uns einmal die kirchliche Versorgung Dresdens neben der in gewissen Gegenden der Diaspora, die Kreuzkirche und daneben das enge, kleine gottesdienstliche Lokal, indem die evangelischen Deutschen in Rom sich versammeln, die Johanneskirche und daneben die armselige Hütte, die man in Heinrichsfelde das evangelische Gotteshaus nennt, die schmucke Kirche in Gruna und daneben oas mehr als bescheidene Bethäuschen, das Bozena Horky in Uljanik mit sauerem Schweiße selbst gebaut hat, die JnteriMs- kirche der Lukasparochie und daneben den Schuppen in Sacken, oder auch nur die Kapelle des Stadtkrankenhauses und daneben oen schmalen Predigtwinkel in Steinschönau — und es muß uns brennen wie feurige Koblen auf unserem Haupte, und unsere Herzen müssen weit werden, den armen Brüdern zu helfen, auch dann, wenn wir in Abzug bringen, daß eine Stadt wie Dresden noch ganz andere Kirchen, Schulen und Pfarren bauen und für die kirchlichen Bedürfnisse noch ganz anders sorgen kann, als ein böhmisches oder galizisches Dors. Die Leute draußen in der Diaspora sind doch schließlich dasselbe wie wir, wir haben vor ihnen nicht das Geringste voraus. Jedes unserer neuen Gotteshäuser, jeder Stein daran mahnt uns: Gedenket der Brüder! Evangelisches Dresden, halte fest am Paniere des Gustav-Adolf-Vereins! 3) Das bist du deiner hohen Stellung schuldig. — Dresden ist seit den Tagen der Reformation die Hauptstadt Sachsens. Die Hauptstadt giebt den Ton an. Wie es oben schallt, hallt es unten wieder. Die Häupter sollen die Führer sein, und die Hauptstadt Dresdens ist immer eine Führerin gewesen auf den Bahnen des Gustav- Adolf-Werks. Ohnedies ist ja Dresden ein Vorort des Evan geliums. Trotz 1697 und 1712, trotz Augusts des Starken und seines Sohnes, trotz der Statue des Ignatius von Loyola, die von den Zinnen eines Dresdner Gotteshauses herniederschaut, trotz alledem ist Dresden noch immer das evangelische Zion an der Elbe, als welches unsere Alten es gefeiert haben, und wird eS bleiben. Von hier aus sind für Sachsen die ersten Anstöße der äußeren und inneren Mission, sowie der Bibelge sellschaft ausgegangen. Mit der Pflege dieser Liebesarbeiten ist unserer Stadt auch die Pflege deö Gustav-Adols-Werkes auf Seele und Gewissen gebunden. Es wäre Selbstverrath, wenn Dresden je die Hand von dieser Sache ließe. Die evangelische Bürgerschaft Dresdens ist eingeschworen auf dies Liebeswerk. Evangelisches Dresden, halte fest am Paniere des Gustav- Adolf-Werkes. Du bist es deiner Stellung, deiner Ehre schuldig! — Jie Villings. Original-Roman von Em. Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Die Leute auf der Straße blieben stehen, die Fenster öff neten sich, man stürzte vor die Thüren, um den Wagen nach zuschauen, worin der Billing'sche Erbe mit dem Bürgermeister saß. „Der schleppt alles Geld nach Amerika," bemerkte ein griesgrämiger Lohgerber, „unser Herr Phystkus hat's gesagt. Wartet bis morgen, hat er gesagt, und er hat Recht." „Ob der Andere wohl hingerichtet wird?" meinte ein Tischler, dos gäbe wieder was für Emmern. O, es sind schon eine ganze Menge Fremde angekommen, die Gastwirthe können sich freuen, morgen giebts hier Leben in der Bude." „Ja, von dem Billing'schen Gelde bekämen wir doch keinen Pfennig," ries ein Schneider, der auf seinem Tisch am offenen Fenster an der Arbeit stichelte, „das bliebe doch im Stadtsäckel." Die beiden Herren waren mittlerweile ins Polizeigebäudc eingetreten und von den behördlichen Herren artig begrüßt worden. Herr Detlev Billing fragte nach seinem Eigenthum, das er ziemlich genau beschrieb, was den Polizcimeist«, der vom Assessor eingeweiht worden war, einigermaßen zu verblüffen und wieder unschlüssig zu machen schien. Die Ruhe und das überlegne Lächeln seines Collegen gaben ihm jedoch die Sicherheit zurück. „Ich kann es Ihnen zeigen, aber noch nicht wieder zurück geben, Herr Billing!" sagte er gelassen, „auch muß ich Sie noch um genauere Angaben der Kennzeichen bitten, Alles nur der Form wegen, wie sie sich denken können." „Natürlich," meinte Billing höflich die gesetzlichen Formen gelten überall für Jedermann. Meine Uhr, es ist eine goldene, nebst gleichwerthiger Kette, besitzt also, wie schon bemerkt, einige Anhängsel, ein mit einigen Edelsteinen besetztes Medaillion, die Porträts meiner Eltern enthaltend, und einen Kinderring mit einem Saphir —" „Hat dieser Ring eingravirte Buchstaben und von wem erhielten Sie denselben?" „Das sind Gewissensfragen, Herr Polizeimeister, welche ich nicht beantworten werde," erwiderte Billing achselzuckend und mit einem ruhigen Lächeln, obwohl es ihn wie Schreck bei dieser Frage, die eine Falle werden konnte, durchzuckte. „Da ich mein Eigenthum überhaupt nicht zurückerhalte, verzichte ich auch einstweilen auf dessen Besichtigung." „Aber wissen Sie denn, wer der Verwundete im Hospital eigentlich ist?" rief der Bürgermeister in fiebernder Hast. „Nun?" fragte der Assessor gleichgültig. „Ein natürlicher Sohn des vor vielen Jahnen verschwundenen Zwillingsbruders unseres verstorbenen Testators Axel Billing." Der Polizeimeister blickte ihn bestürzt an, während der Assessor fragend auf den Amerikaner sah. „Es ist so, meine Herren!" nahm dieser rasch das Wort, „jener Mensch, der sich, allerdings mit Fug und Recht, da er auf diesen Namen getauft ist, Detlev Billing nennt, ist der Halbbruder des von ihm ertränkten Axel Billing, des jüngeren, legitimen Sohnes seines Vaters, welcher ihm zwar seinen Namen gegeben, aber ihn niemals anerkannt hat." E'nige Augenblicke herrschte tiefe Stille nach diesen Worten, welche selbst den Assessor überrascht zu haben schienen. Mit unverhohlener Bewunderung betrachtete er sich den gewandten Verbrecher, welcher mit einer Keckheit, Sicherheit und schlauer Ueberlegung seine Rolle durchführte, um welcher ihn mancher bedeutende Schauspieler hätte beneiden können. Erdmann ge stand sich im Stillen, daß er ohne seinen Conrad Müller von diesem Comödianten mit den aristokratischen Manieren unbedingt hinler's Licht geführt und zum Mitschuldigen eines Justizmordes gemacht worden wäre. Aber was er mit seinen eigenen Ohren angehört, das konnte durch keine Comödie verwischt werden, und wenn erden eleganten Gentlemann auch nicht gesehen, so hatte er ihn doch jetzt an seiner Stimme augenblicklich wieder erkannt. Herr Detlev Billing hatte einfach die Rollen vertauscht, das war Alles da der Assessor ihn selber für den natürlichen Sohn hielt, was doch im Grunde nicht der Fall, da seine Murter die legitime Gattin seines Vaters gewesen war. Woher er die Kenntniß von dem Medaillon und dem Ringe an der Uhr des Ver wundeten erhalten, war ihm augenblicklich gleichgültig, da die Thatsache fest stand, daß der Betrüger die eingravirten Buch staben des Ringes nicht kannte. Einstweilen that er, als ob er seinem Märchen Glauben schenke und hielt die Maske äußerlicher Artigkeit fest, was der Polizeimeistcr, welcher vollständig verwirrt worden war, me chanisch nachahmte.