Volltext Seite (XML)
Wochenblatt für Wilsdruff Tham dt, Wen, Menlkhn und die Umgegenden Im^sblnll Druck und Verlag von Martin Bürger in Firma H. A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. so scheint es, findet man noch nicht einmal die Kraft, auch nur dem Siege der die Finanzen und soll das zu 8 Millionen Mk. und die Polizei aller Staaten sollte energisch wiederholt ge meinsame Razzia gegen die Anarchisten unternehmen, welche sicher manchen Umstürzler unschädlich machen wird. worden, dem Könige von Italien zu italienischen Waffen bei Kassala gratulirt. Nach neueren Berechnungen haben sich des deutschen Reiches bedeutend gebessert deckende Defizit für das neue Etatsjahr nur Erscheint wöchentlich zweimal u.zwarDienstags und Freitags. — Abonnementspreis vierteljährlich 1 Mk., durch die Post bezogen 1 Mk. 25 Pf. — Einzelne f Nummern 10 Pf. für die Agl. Amtshauxtmannschast Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Agl. Forstrentamt zu Tharandt. Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionsvreis 10 Pf. pro dreigespaltene Corpuszeile. betragen. Di: Neichspost, die Reichseisenbahnen, die Wechsel stempelsteuer, die Zucker-, Salz- und Brausteuer weisen alle erhöhte Einnahmen auf, zeigen also auch eine Hebung des Ge schäftsverkehrs. Die deutsche Turnerschaft. Mit den finnreichen vierfachen ? auf ihren Fahnen wurden die deutschen Turner, begeistert für die deutsche Sache, am 22. d. M. in Breslau empfangen. Wenn man in früheren Jahren durch die großen Turnfeste belebend auf den Einheitsgedanken unseres Bölkes einwirkte, so soll jetzt dem geeinigten Vaterlande gezeigt werden, in welcher Weise diese große Bereinigung deutsche Männer heranbildet, die Jugend zur Thatkraft, zur Willensstärke und zum nationalen Bewußtsein erzieht. Gleichzeitig soll aber auch öffenlsich Ler Beweis geliefert werden, wie man leitender Stelle bemüht ist: durch Liebe zum Vaterlande, Treue zum Herrscher- Hause, Achtung vor dem Gesetz und der gesellschaftlichen Ord nung das Andenken des Altmeisters zu ehren. So würde es im Sinne Jahn's sein, und so werden auch die Bestrebungen der Turner von der großen Mehrzahl unseres Volkes aufgefaßt. Wer aber Gelegenheit gehabt hat, unsere deutsche Turnern näher kennen zu lernen , parteilos in das innere Leben der Vereine, beziehungsweise Abtheilungen hineinzusehen, der kann sich leider der Ueberzeugung nicht verschließen, daß das Wesen des Turnens im Sinne des Altmeisters von den wenigsten verstanden wird. In ihren Satzungen führen ja fast alle diese Vereine die schönen Worte: „Der Verein hat den Zweck, seine Mitglieder im Sinne Jahn's körperlich auszubilden und eine sittlichmannhafte, vaterländische Gesinnung zu wecken und zu befestigen." Durch die That wird aber von vielen Vereinen der Beweis geliefert, daß man im allgemeinen von dem hohen sittlichen und vaterländischen Werthe, den die Turnerei nach der Auffassung Jahn's unserem Volke bringen sollte, doch nicht die richtige Anschauung hat. Man stößt auf eine Fülle von Un wissenheit über die Grundsätze und Ziele Jahn's, daß sich jedem wahren Vaterlandsfreund die Frage aufdrängt: „Mit welchem Rechte mag sich ein Verein wohl „deutsch" nennen, der bei Heranbildung der Jugend über die Großthaten unseres Volkesso leicht hinweggeht?" Wer hierin einen Verstoß gegen den Willen des Altmeisters erkennt und sein Bedenken darüber äußert, dem wird erwidert, daß „Politik" nicht getrieben werden dürfte. Auf diese Belehrung folgen gewöhnlich die bekannten Schlagwörter: „Die deutsche Turnerei ist der geheiligte Boden, wo sich der Mensch brüderlich zum Menschen findet, und darf weder durch politischen noch religiösen Parteihader entweiht werden!" Auf eine solche auswendig gelernte Phrase wird dann von denjenigen Mitgliedern, die gern die Freiheit im Munde führen und auf die Unfehlbarkeit ihrer politischen Partei schwören, mit einem kräftigen überzeugungstreuen „Bravo" ge antwortet. — Der großen Männer, die sich durch unvergängliche Thaten ein ehrendes Andenken im Herzen unseres Bölkes ge schafft haben, darf nur in wenigen Ausnahmefällen gedacht Woran fehlts unserer Zeit? Nichts ist bedenklicher, als der Leichtsinn, um nicht zu sagen, die Stumpfheit und Gleichgültigkeit, mit der die heutige Gesellschaft nicht blos in Frankreich, sondern auch in andern Ländern die Ereignisse der letzten Zeit über sich ergehen läßt. Wohl ging ein Schrei der Entrüstung durch die Lande, als zu erst die Kunde von der Frevelthat Caserios erscholl. Mit Un gestüm forderte man in Frankreich Lie strengsten Maßnahmen von der Regierung gegen die Anarchisten und andwen Ver schwörerbanden, ja man warf ihr, und nur ihr vor, daß ihr Mangel an Vorsicht und Thatkraft ganz allein das Unheil ver schuldet habe. Und jetzt, wo die Regierung dem Verlangen des Volkes nachkommt, und strengere Gesetze gegen die Anarchisten in Vorschlag bringt, was sehen wir da? Weitzefchlt, daß die selben vom Parlament mit einstimmigem Beifall gut geheißen würden, erhebt sich schon wieder der wüste Lärm der Parteien, die die einen dies, die anderen jenes an den Vorschlägen der Negierung auszusetzen haben, and es fehlt sogar nicht an Leuten, welche die neuen Gesetze geradezu als einen Angriff auf die „Freiheit des französischen Volkes" bezeichnen und der Regierung vorwerfen, sie benütze den Anlaß der Ermordung Carnots nur, „um Waffen gegen die Sozialisten überhaupt in die Hand zu bekommen." Dieser letzte Satz ist bezeichnend, denn er beweist wie auch die Tadler der Negierung und diejenigen, welche sich zu Vertheidigern der sozialistischen Lehren aufwerfen, den engen Zusammenhang zwischen Sozialismus und Anarchismus aner kennen, da sie sonst unmöglich fürchten könnten, daß gesetzliche Maßnahmen, die darauf berechnet sind, den Anarchismus zu unterdrücken, zugleich auch den Sozialisten gefährlich werden könnten. Jndeß, wie dem auch sei, jedenfalls zeigt das widerspruchs volle Verhalten der französischen Kammer, wie wenig noch immer die ernsten Lehren der jüngsten Zeit beherzigt werden. Immer offenbarer wird es, daß der Boden unter unseren Füßen brennt, daß wieder wie vor 100 Jahren Revolutiontgedanken die Welt erfüllen und Katastrophen sich langsam vorbereiten, welche, da fern sie nicht eine volle Kraftenifaltung und energische Hand habung der Gesetze hintangehalten werden, schrecklicher werden dürften, als alles was bisher dagewesen ist. Nicht blos die anarchistischen Attentate, wie sie in rascher Aufeinanderfolge fast in allen europäischen Staaten in den letzivergangenen Jahren und in der jüngsten Zeit oorgekommen sind, bezeugen dies, sondern auch die schweren, wirthschaftuchen Kämpfe und mehr und inehr in blutige Kriege ausartenden Ausstände in Amerika sind des ein Zeuge. Das unterirdische Feuer brennr eben über all und verrälh sich zuweilen in Flammen, die hie und da aus dem Boden zucken. Aber die heulige Welt lebt wie in einem Taumel; die Flamme erschreckt sic zwar auf einen Augenblick, aber kaum ist sie verschwunden, so fällt sie in ihre alte Stumpf heit und Gleichgültigkeit zurück und geht ihrer gewohnten Be schäftigung und vor allem auch ihren gewohnten Vergnügungen nach. Es ist wahr, was ein geistreicher Schriftsteller früher ein- mal gesagt: „Wir tanzen auf einem Vulkan." Diese Stumpfheit, diese Gleichgültigkeit, Blasirtheit ist wohl das rechte Wort, ist mit das bedenklichste Zeichen unserer Zeit. Sie beweist, daß wir nicht weit inehr entfernt sind von einem Zustande, wie er im sinkenden Rom, als dasselbe bereits seinem Untergange nahe war, herrschte. Damals schleuderte der große Geschichtsschreiber Livius seinen Zeitgenossen den schweren Vorwurf ins Gesicht: bisc vitia, nsc rsnsiäm pari possumus, und wollte damit sagen, daß seine Zeit an schweren sittlichen Gebrechen kranke, aber unfähig sei, diese zu heilen, da es ihr an deni sittlichen Muth und der Kraft gebreche, die dagegen wirksamen Heilmittel und bitteren Arzneien anzuwenden. Es Dtts internationale Vorgehen der Mächte gegen die Anarchisten. Wenn auch berechtigte Zweifel darüber bestehen, ob cs zwischen den europäischen Mächten zu einer förmlichen Konferenz mit festen statuarischen Abmachungen in Bezug auf die Be kämpfung des Anarchismus kommen werde, so weisen jetzt doch zwei wichtige Momente daraufhin, daß ein gewisses gemein sames Borgehen aller Staaten gegen die Anarchisten wohl statt finden wird. Zunächst fordert schon die Thatsache, daß die Anarchisten ihre Sache „international" behandeln, sich aus allen Nationen rekrutiren und sich in allen Ländern herumtreiben, ein internationales Vorgehen der Polizei aller Staaten, denn sonst ist es ja ganz unmöglich, den Anarchisten in ihren eben falls internationalen Schlupfwinkeln beizukommen. Wie sollen Verbrecher überhaupt möglichst noch vor der Unthat unschädlich gemacht werden, wenn sie, ohne daß die betreffenden Regierungen und Polizeibehörden einander in die Hand arbeiten, von Paris nach London, von Rom nach Basel, von Wien nach Belgrad in der ungestörten Weise entwischen und an dem neuen Wohn sitze als unverdächtig ihr Wesen treiben können?! Ferner ist es doch auch sehr charakteristisch für das Anwachsen der anar chistischen Gefahren, daß es in zwei anerkannt liberal regierten Ländern, 'n Frankreich und Italien, die Regierungen für durch aus noihwendig erachtet haben, besondere Maßregeln gegen die Anarchisten zu ergreifen, und wenn wir im Deutschen Reiche noch nicht bei diesem Schritte angelangt sind, so liegt dies nur an dem glücklichen Umstande, daß Deutschland von allen Staaten derjenige ist, welcher bisher am wenigsten von anarchistischen Uuthaten gelitten hat. Neben Frankreich und Italien beschäftigt sich neuerdings sogar England mit dem Gedanken, daß durch eine geeignete Gesetzgebung der Staat stärker gegen die An griffe der Umstürzler zu machen sei, denn der englische Pre mierminister Lord Rosebery hat seine Geneigtheit darüber kund gegeben, daß er sowohl mit auswärtigen Regierungen als auch mit englischen Staatsmännern auf Ansuchen einen Gedanken austausch über bessere Maßregeln gegen die Anarchisten pflegen will. Erwähnt muß übrigens auch werden, daß die Schweiz sich entschlossen hat, ebenfalls mit besonderen Maßregeln den Umstürzlern entgegenzutreten, denn am 1. August tritt in der Schweiz ein Gesetz in Kraft, welches die Anfertigung, Aufbe wahrung und Vermittelung von Sprengstoffen zu verbrecherischen Zwecken mit schweren Strafen belegt. Es ist nicht zu ver- Tagesgeschichte. Obwohl der Kaiser Wilhelm seine eigentliche Nord landsfahrt bereits in voriger Woche beendigt hat, dürfte der Monarch doch erst in diesen Tagen nach Deutschland zurück kehren, da er auch nach den herrlichsten Gebirgslandschaften des südlichen Norwegens einige Ausflüge unternahm. Wie ver lautet, beabsichtigt der Kaiser Wilhelm im August der Insel Helgoland einen Besuch abzustatten. — Kaiser Wilhelm hat von seiner Nordlandfahrt aus, wohin ihm die Nachricht gesandt Freitag, den 27. dies. Monats, 19 Uhr Borm, findet im hiesigen Gerichtsgebäude die Versteigerung von zwei Taschenuhren und einer Uhrkettesfftatt. Wilsdruff, am 21. Juli 1894. In Vertretung des Gerichtsvollziehers. das Nächstliegende zu thun, nämlich mit strengen Strafen gegen diejenigen einzuschrciten, dieganzoffenkundig die Revolutionirung der Massen betreiben und den allgemeinen Brand zu entfachen sich bemühen. So ist cs in Frankreich und so ist es überall. Fest steht nun freilich, daß die gegen die Anarchisten in Vorschlag ge brachten Gesetze in Frankreich schließlich angenommen und auch zur Anwendung kommen werden. Aber wie? das ist die Frage. ES wird sich wiederholen, was wir so oft schon sahen. Wie die Gefahr schwindet oder zu schwinden scheint, schwindet auch die Furcht, die jetzt fast allein noch die Massen geneigt macht, sich strengere Gesetze gefallen zu lassen, die Gleichgültigkeit nimmt wieder überhand, die Energie erlahmt und allmählich ist alles wieder beim Alten. Das macht, unsere Zeit läßt sich wohl vorübergehend erschrecken und aufregen, bricht daun in! bittere Klagen aus und fordert strenge Gesetze, aber bis zu! einem rechtschaffenen Zorn, einer nachhaltigen sittlichen Ent- > rüstung und Empörung über das Schlechte, die dann auch vor den äußersten Mitteln nicht zurückschreckt, bringt sie es nicht mehr. Dazu ist sie zu blasirt, und das ist das Uebel. Uns thäle etwas von der kraftvollen Art unserer Vorfahren noth, jener ,Furor toutouiLus", vor dem die Römer sich einst so fürchteten, und der den Feinden gegenüber, die jetzt anstnserem Volksleben zehren, wohl auch angebracht und wirksam sein würde! wäre traurig, wenn auch wir bereits auf diesem Standpunkte angekommen wären, aber was wir jetzt in Frankreich und ander wärts geschehen sehen, spricht fast dafür. Alle Welt klagt über die zunehmende Verwilderung und Zuchtlosigkeit unserer Tage, über sich häufende Verbrechen, über das Hinschwinden von Treue und Glauben, über die Ausbeutung des Schwächeren durch den Stärkeren und wie die Klagen sonst alle heißen. Man fordert mit Ungestüm Abhilfe und strenge Maßregeln dagegen. So bald aber solche und neue strenge Gesetze vorgeschlagen werden, findet man diese wieder zu hart oder man bekämpft sie sonst Kennen, daß besondere Gesetzesbestimmungen gegen anarchistische unter irgend einem Vorwande und, was die Hauptsache ist,! Umtriebe leicht zu allerhand Mißgriffen führen können, doch ist zur Besserung an sich selbst bietet niemand die Hand, während s diese Schattenseite wohl nicht so groß, wenn sehr tüchtige es doch klar ist, daß ohne sittliche Erneuerung des ganzen! und besonders instruirte Polizeibeamte mit der Ausführung der Volkes, ohne eine „Reformation an Haupt und Gliedern" wie betreffenden Gesetze beauftragt werden, denn das Hauptgewicht Luiher gesagt hat, dem Schaden überhaupt nicht mehr beizu-! bei der Einrichtung stärkerer Schutzmaßregeln ist doch wohl auf komme» ist. Daran aber fehlt eS ganz und gar, und vorläufig, die Handhabung der Polizei selbst zu legen. Den Anhängern " " ' ' " " " - ' . . .. deg Anarchismus müssen aber die Schlupfwinkel verlegt werden, No. 59. Dienstag, den 24. Juli 1894.