Volltext Seite (XML)
ofort, wenn er wieder gesund geworden ist, eine Bescheinig ung ausstellen. Alle Bescheinigungen hebe er sorgfältig auf. Ist der Arbeiter trotzdem noch in irgend einem Punkte im Zweifel, so wende er sich persönlich an seinen Arbeitgeber oder an die Polizeiverwaltung seines Ortes oder an die Amts hauptmannschaft seines Bezirks, damit er in jeder Weise Vor sorge für seine Zukunst tr-ffe. Tagesgeschichte. Von den Hochzeitsfeierlichkeitenam kaiserlichen Hofe wird über den Trinkspruch Sr. Majestät des Kaisers auf die Neuvermählten im „Reichs-Anzeiger" Folgendes be richtet: Nach der Suppe erhob sich Se. Majestät der Kaiser zu einem Trinkspruch auf die Neuvermählten. Allerhöchst- derselbe gedachte des hochseligen Kaisers Friedrich, dem es nicht vergönnt gewesen sei, dem hohen Paare an diesem Tage zur Seite zu stehen. „Möge der Segen des Verklärten" — so etwa schloß Se. Majestät — „und der Segen Unserer ge liebten Mutter und (zu dem Bräutigam gewendet) Deiner Eltern auf Euch ruhn! Möget Ihr auf meine väterliche Freund schaft als neue Mitglieder des Königlichen Hauses vertrauen! Ich trinke auf das Wohl des Brautpaares und wünsche Ihm Gottes Segen und glückliche Fahrt!" Der Kaiser hat den Geh. Medizinalrath Professor Dr. Koch in längerer Audienz empfangen, sich ausführlichen Vor trag über seine neue Entdeckung halten lassen und ihm per sönlich das Großkreuz des Rothen Adlerordens, den höchsten preußischen Orden nach dem Schwarzen Adlerorden, überreicht. Eine solche außerordentliche Auszeichnung dürfte bisher schwerlich dagewesen sein, sie ist um so größer, als bisher Dr. Koch über haupt noch nicht eine Klasse des Rothen Adlerordens besaß und somit sämmtliche Klassen desselben übersprungen hat. Uns ist kein Gelehrter bekannt, der bisher diese hohe Ordensaus zeichnung erhalten hat; es ist dieselbe Auszeichung, welche zu meist die höchsten preußischen Beamten und Minister besitzen. Dr. Koch wurde auch von der Kaiserin empfangen. Eine gewaltige Aufregung hat die Entdeckung des Professors Koch in der ganzen Welt hervorgerufen. Von allen Seiten und aus allen Ländern wird dem deutschen Ge lehrten die wohlverdiente ehrende Anerkennung zu Theil. Leider werden von verschiedenen Seiten auch Hoffnungen an dieselbe geknüpft, zu denen die nüchterne, rein wissenschaftliche Sachlichkeit, mit der Professor Koch als gewissenhafter Forscher über die Bedeutung seines Heilmittels gegen Tuberkulose be richtet hat, zunächst durchaus nicht berechtigt. Mit dem Koch'- schen Heilmittel ist der medizinischen Wissenschaft unleugbar eine starke Waste zur Bekämpfung der Tuberkulose in die Hand gegeben, aber die Annahme, daß durch Einspritzung des selben alle tuberkulösen Herde wie mit einem Zauberschlage verschwinden, ist nach dem Berichte des Professors Koch nicht gerechtfertigt. Ueber die Heilung von Lungen-, Kehlkopf- und Gelenktuberkulose sehle es zur Zeit noch ganz an genügenden Beobachtungen, und die Heilbarkeit veralteter Lungentuberkulose bezweifelt Professor Koch selbst. Auch das scheint sicher zu sein, daß nach den vorliegenden Erfahrungen das Mittel sich sehr wenig zur Verwendung in Polikliniken und in der am bulanten Praxis eignet. Die allgemeine Reaktion des Körpers ist unter Umständen so groß, daß das Mittel im Allgemeinen nur in stationären Krankenanstalten Anwendung finden sollte. Vorläufig ist von demselben, wie vorliegende Mittheilungen aus dem ReichsgcsunbheitSamte ergeben, nur ein so geringer Vorrath vorhanden, daß kaum die ersten Kliniken damit ver sehen werden können. Die Herstellung ist sehr schwierig und langwierig, und von Professor Koch ist das Mittel noch nicht zu allgemeinen Versuchen preisgcgeben worden. Wie es heißt, soll Professor Koch die Verfügung über sein Heilmittel dem Kaiser anheimgestellt haben. Vermuthlich werden in Bälde neue Veröffentlichungen darüber erfolgen. Seit dem 20. d. M. findet insofern eine Art Kursus statt, als in der Königl. Klinik bei Professor von Bergmann täglich eine Stunde zu regelmäßigem Versuche der nach Kock'scher Methode behandelten Kranken für auswärtige Aerzte festgesetzt ist und Professor von Bergmann selbst alltäglich zur Stunde des klinischen Unterrichts über Jndication und Verlauf der Behandlung be richten wird. Eine Abgabe des Mittels an Privatärzte dürfte erst nach Wochen, vielleicht sogar erst nach Monaten erfolgen. Der Bundesrath hat eine ganze Reihe wichtiger Ar beiten vollendet, insbesondere hat er der Verordnung, betreffend die Inkraftsetzung des Jnvaliditäts- und Altersversicherungs gesetzes, seine Zustimmung ertheilt. Diese Verordnung wird in den nächsten Tagen veröffentlicht und damit allen Zweifeln über das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 1891 ein Ende gemacht werden. . Aus Paris wird eine Sensationsaffaire berichtet: Der russische General Seliverstow, vor Jahren kurze Zeit in Peters burg Chef der Geheimpolizei, jetzt aber Rentier und zum Be such in Paris, ist am Hellen lichten Tage in seinem Hotel zimmer erschossen worden. Man vermuthet einen nihilistischen Racheakt und soll den Mördern auf der Spur sein. Amsterdam. Der König Wilhelm HI. der Niederlande ist am Sonntag gestorben. Der gegenwärtige Stand der Choleraepidemie läßt sich in Bezug auf Europa dahin zusammenfaffen, daß bis auf die südspanischen Provinzen unser Erdiheil völlig seuchenfrei ist. Dort allerdings läßt der Gesundheitszustand noch manches zu wünschen. Statt abzunehmen, macht die Cholera Fort schritte. In der Provinz Sevilla existiren allein vier Aus- strahlungszcntren, deren eines, die Landstadt Gilena, in zwei Tagen allein 93 Erkrankungs- und 25 Todesfälle zu ver zeichnen hatte. In der Provinz Murcia, mit fünf verseuchten Dörfern, kamen am 3. d. M. 13 neue Erkrankungs- und 16 Todesfälle vor. In der Provinz Alicante macht die Krankheit ebenfalls Fortschritte, wogegen die Provinz Valencia sich einer stetigen Besserung der Gesundheitsverhältnisse erfreut. In Südwest-Afrika rührt es sich jetzt überall und es ist kein Zweifel mehr, daß in kurzer Zeit dort eine weit verzweigte Thätigkeit zur Entwickelung und Ausbeutung des großen Schutzgebietes beginnen wird. Eine Anzahl neuer Unternehmungen sind, nach der „Krz.-Ztg.", im Gange, verschiedene Gesellschaften von Deutschen und Engländern haben sich namentlich im Süden in Groß-Namaqualand Minenrechte gesichert; aber die Hauptvorbedingung ist, daß dort Ruhe und Ordnung geschaffen wird, es muß den Kämpfen der Einge borenen ein Ende gemacht werden. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so ist an di- Schutztruppe schon der Befehl ergangen, kräftig einzugreifen und Ruhe und vollen Frieden herzustellen. Vaterländisches. — Weichherzige Hausfrauen lassen sich oft durch Bitten und Thränen ihrer Dienstmädchen verleiten, denselben unver dient gute Zeugnisse auszustellen. Vor einiger Zeit wurde ein Dienstmädchen wegen eines verübten Diebstahls entlassen und das Entlassungszeugniß lautete dennoch: „Fleißig und ehrlich verhalten". Bei der neuen Herrschaft führte die Ent lassene einen Diebstahl von mehreren Hundert Mark aus. Auf Grund obcngedachten unrichtigen Zeugnisses wurde der Aussteller gerichtlich verurtheilt, den der bestohlenen Herrschaft erwachsenen Schaden zu ersetzen und sämmtliche Kosten zu tragen. — Die „Auerbacher Zeitung" meldet: In der Lungen heilanstalt Reich oldsgrün ist die erste Sendung Koch'schen Impfstoffes angelangt und die Behandlung der anwesenden zahlreichen Lungenkranken nach Koch's Anleitung hat begonnen. Da auf einen ganz außergewöhnlichen Andrang Kranker zu rechnen ist, werden alle verfügbaren Räume schleunigst zur Aufnahme von Kurgästen hergerichtet. — Kalendarisches vom Jahre 1891. Am 11. Februar ist bereits Aschermittwoch. Eine Folge der kurzen Faschings zeit ist, daß sich Bälle und andere Veranstaltungen zusammen drängen werden. Im künftigen Jahre werden die Haupt feiertage viel früher eintreten als sonst. Der zeitliche Voll mond im Frühjahr (25. März), nach welchem sich alle be weglichen Feste richten, bringt uns Ostern schon am 29. und 30. März; Pfingsten fällt auf den 17. und 18. Mai. Es kann daher sehr leicht der Fall sein/daß wir nächstes Jahr weiße Ostern haben. — Die Stadt Freiberg wird in den nächsten Jahren die beiden dort garnisonirenden Artillerie-Abtheilungen definitiv an Riesa abgeben müssen, denn wie bereits in der Stadt verordnetensitzung in Riesa beschlossen worden ist, soll eine größere städtische Kaserne dem Schützenhause gegenüber erbaut werden. — Der Fuhrwerker Winkler in Schkeuditz kam dieser Tage auf dem Wege von Bruckdorf auf eigene Art um's Leben. Derselbe hatte die üble Gewohnheit, sein Taschen messer offen in der Tasche zu tragen, und dieser seltsamen Gewohnheit ist er zum Opfer gefallen. Winkler ist aus der Schooßkelle seines Wagens auf die Landstraße gefallen und, während die Pferde ihren Weg fortsetzten, liegen geblieben. Beim Nachsehen der Leiche fand man, daß ihm die Klinge des Messers in die Seite gedrungen war, edle Theile verletzt und so den Tod herbeigeführt hatte. — In der NähevonEtsenzeche beiHeidersdorffanden am 18. früh aus den Hüttenwerken heimkehrende Arbeiter ein über einen''hohen Damm herabgestürztes Fuhrwerk, welches die ganze Nacht hindurch gelegen hatte. Das Unglück war durch den total betrunkenen Geschirrführer veranlaßt worden, welcher am Etablisfement seines Herrn in Oberneuschönberg vorbei und in das Verderben gefahren war. Das eine der Pferde war todt und schrecklich verstümmelt. Der treulose Knecht hotte sich in den Gasthof zum Flöhathal eingeschlichen, dort im Stall übernachtet und früh das Weite gesucht, ohne an die Rettung der ihm anvertrauten Thiere zu denken. — Am 13. d. M. trug sich in Rippien ein recht be dauerlicher Unglücks fall zu. Im unbewachten Augenblicke er trank im Wohnzimmer in einem daselbst stehenden gefüllten Wasserzober das ca. 1 Jahr alte Söhnchen des Bergarbeiters Pöschel. Das Unglück ist sehr schnell geschehen, denn als die Mutter des Kindes das eben verlassene Wohnzimmer wieder betrat, war dasselbe todt. Die von mehreren Aerzten vorge nommene Sektion des Leichnams bestätigte den Tod infolge Ertrinkens und eines plötzlich cingetretenen Gehirnschlags. — Vor einigen Tagen wurde in Blasewitz der Leich nam eines gut gekleideten Mannes aus der Elbe gezogen. Nähere Untersuchungen haben ergeben, daß der junge Mann als Buchhalter in einem größeren Weißwaarengesckäft in Dres den thätig und ein tüchtiger Arbeiter war. Am Tage vor seiner Auffindung als Leiche hatte der Verunglückte in der sächsischen Landeslotterie 3000 Mk. gewonnen und vor Freude darüber mit mehreren Freunden einen Ausflug verabredet, zu dem auch der Vater des jungen Mannes aus der Lausitz'hier- her gekommen war. Der Verunglückte gericth oberhalb Blase witz, ob durch Unvorsichtigkeit oder Zufall ist unaufgeklärt, in den Elbstrom. Der anderen Tags aufgcfundene Leichnam konnte rccognoscirt werden, da man in der Tasche des Be treffenden das Lotterieloos mit der Namensbezeichnung seines Besitzers vorfand. — Der Gewinn von 100000 Mark ist in die Lotterie Kollektion des Herrn Dietel in Sayda gefallen. Die Freude darüber ist in allen Kreisen der Stadt allgemein, umsomehr, als sich in die hundertausend Mark lauter solche Leute theilen, welche einmal eine außergewöhnliche Zubuße gebrauchen können. Mehrere kleine Handwerker sind mit Zehnteln betheiligt. — Ein Gemeindemitglied in Niederlößnitz hat, zum An denken an einen theuren Verstorbenen, der Kötzschenbrodaer Kirche das ansehnliche Geschenk von 4000 M. gemacht, von welchem die Zinsen zum größten Theil für innere Aus schmückung der Kirche verwendet werden sollen. Reichthum und Name. Roman von Mary Dobson. (Nachdruck verboten.) (15. Fortsetzung.) „Mutter," entgegnete der Freiherr abermals ruhig, „ich habe Dich ausreden lassen, um Dir mit einem Worte zu sagen, daß Du meiner Frau nach meinem Dafürhalten, das größte Unreckt thust!" „Wenn Du das meinst, Arnold, so billigst Du cs auch gewiß, wenn sie bei ihrer Unerfahrenheit in der nächsten Zeit meine Hausführung tadelt und hier die Einrichtungen treffen wird, die bei ihr zu Hause Gebrauch sind!" „Das wird sie aus eigener Veranlassung nie thun, Mutter, obgleich ich überzeugt bin, daß meine Frau den Hausstand mit Umsicht und Geschick lenken würde, sobald die Nothwendigkeit an sie heranträte." „Arnold, ich begreife Dich wahrlich nicht. Ein ganzes Jahr hast Du Dich gesträubt, diese Bürgerliche auch nur zu sehen, nnd kaum ist sie hier, so besitzt sie in Deinen Augen schon alle nur möglichen Vollkommenheiten." „Ich bitte Dich, Mutter, laß uns über meine Frau nicht weiter streiten, die ja einzig dem Willen ihres Vaters zufolge die Ehe mit mir eingegangen ist." „Sich aber dem ungeachtet hier ganz wohl zu fühlen scheint!" bemerkte Freiin Theodora hohnlächelnd. „Das hat sie uns nicht gesagt, Theodora, das Gegentheil aber könnte ein schwerer Vorwurf für uns sein!" „Es ist diesen Abend nicht mit Dir zu reden, Arnold, und daher ist es besser, wir überlassen Dich Deinen Gedanken. Ich werde über Deine Frau kein weiteres Wort sagen, bitte Dich aber inständig, genau zu prüfen, ehe Du Dich für sie oder uns entscheidest! — Gute Nacht, mein Sohn!" „Gute Nacht, Mutter," entgegnete dieser und begab sich in sein Zimmer, wo er nochmals an das Fenster trat und in die beginnende Sommernacht hinausblickte, während seine Mutter und Schwestern sich in ihre Gemächer begaben, triumphirend über ihre Angriffe auf seine schöne, bürgerliche Frau, von deren Wirkung sie sich die besten Erfolge für ihre Pläne ver sprachen. Ich habe sie vcrthcidigt, sagte er halblaut, weil ich es für meine Pflicht hielt, und meine Mutter und Schwester sich von Anfang an bitter gegen Helene Kranzler, die Bürgerliche, aus gesprochen haben! — Sollten sie aber doch Recht haben? Sollte sie herrschsüchtig und alles das sein, wessen sie sie anklagen? Wäre es dennoch nicht möglich, daß sie die Ab sicht hat, sich ihre Rechte anzueignen — ihre Rechte, die sie über meine stellen würde? Ich muß sie beobachten, um gegen Alle gerecht zu sein. In diesem Augenblicke schlug das Geräusch eines schnell näher kommenden Wagens an sein Ohr. Er sah nach der Uhr, cs war gegen halb zwölf, und er fügte hinzu: Sie wird es sein — muß es sein, wenn nicht irgend eine Störung vor gefallen ist! Und wirklich war es der Wagen, der die junge Guts herrin zurückbrachte, welche ihren Bruder nach einem Gasthof der Stadt W. begleitet und dann von ihm Abschied genommen, nachdem sie von ihm das Versprechen erhalten, ihr in den nächsten Tagen die Ankunft bei den Eltern beschreiben zu wollen. Helene hatte dann die Rückfahrt angetreten, allein in dieser sie umgebenden Stille der Sommernacht, auf dem einsamen Wege, auf dem ihr in der späten Stunde Niemand begegnete, und dies erste Alleinsein in der ihr fremden Gegend, die Trennung von dem geliebten Bruder, die sie lebhaft wieder an das Vaterhaus und an die sorgende Liebe erinnertc, die sie dort umgab, das Alles wirkte aus ihre, durch die wiederholten Angriffe der Baronin und ihrer Tochter, gereizten Nerven, und erst langsam dann immer heftiger begannen die Thränen zu fließen. Aber nicht lange ließ die junge Frau sich von ihrer augen blicklichen trüben Stimmung beherrschen, bald bekämpfte und überwand sie sie mit der ihr eigenen Willenskraft, und ihre Augen trocknend, flüsterte sie vor sich hin: Wieder diese Thränen, und ich wollte hier keine vergießen, Niemand hier sollte meine Thränen sehen! Sie werden im Hause schon zur Ruhe sein, wenn ich komme, oder sollte ..." Helene von Greifenberg lehnte sich jetzt sinnend in die Wagenccke und richtete sich nicht eher auf, als bis die Hufe ihrer Pferde auf die Steine des Gutshofes fielen. Nach dem Herrenhause blickend, sah sie den Flur erhellt, und ebenfalls, daß im Zimmer ihres Gatten noch Licht war. Plötzlich fiel ihr der Morgen ihrer Ankunft ein, wo er sie in ihr Zimmer geführt und sie avfgefordert, ihn wenigstens als ihren Freund zu betrachten, ihn, dessen Gatlin sie geworden, ohne ihn zu lieben, ohne ihn zu kennen. Jetzt hielt der Wagen, und der Bediente kam, um den Schlag zu öffnen, dann aber trat er zurück, denn Arnold v. Greifenberg war da, um seiner Gattin ausstcigen zu helfen. „Guten Abend, gnädige Frau", sagte er, einen Augen blick stehen bleibend, „haben Sie Ihren Bruder sicher in W. untergebracht?" „Guten Abend, Herr Baron! Ja, er hat, wie er glaubt, ein gutes Nachtquartier gefunden!" entgegnete Helene, deren Wangen sich höher gefärbt hatten. „Vorsichtig, gnädige Frau! — Johann, ein Licht her!" Die Mahnung aber kam zu spät, oder Helene war zu schnell, denn sie verfehlte die Stufe des WagentritteS und wär« unfehlbar zur Erde oder auf die steinerne Treppe gestürzt, hätte ihr Gemahl sie nicht in beiden Armen aufgesangen. Einen Augenblick lag sie an seiner Brust, sein Athem streifte ihre Stirn, er fühlte das Klopfen ihres H-rzens — da kam Johann mit dem Lichte, der Freiherr reichte seiner Gattin den Arm und führte sie die Treppe hinauf auf den Flur. Hier traf sie ein rascher, forschender, fragender Blick, und sie, die außer einer leichten Röthe ihrer Wangen bereits jede Erregung unterdrückt, sagte ruhig: „Es ist schon spät, ich will mich sogleich in meine Zimmer begeben." Auf dem Corridor angelangt — ob Zufall oder Absicht — trat ihnen Freiin Theodora entgegen. Sie wandte sich mit einer Frage an ihren Bruder, und mit einem förmlichen: „Gute Nacht!" trennte sich das junge Ehepaar. X. Als Helene am folgenden Morgen erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel und nach der Uhr blickend, sah sie, daß es bereits acht vorbei war. Zu ihrer Ucberraschung vernahm sie auch die Stimmen der Damen des Hauses, welche laut und erregt mit einander sprachen. Sie kleidete sich hastig an und schellte dann. Ihre Dienerin Emma erschien sogleich mit dem Früh stück und war auch im Dtande, Auskunft über diese ungewohnte Erscheinung zu ertheilen. Als ihre Gebieterin fragte: „Ist etwas besonderes vor gefallen? Ich habe schon die Stimmen der gnädigen Frau und der Baronessen gehört?" —entgegnete Emma diensteifrig: „Ach ja, gnädige Frau! Es ist schon heute früh ein Brief aus der Stadt gekommen — der Herr Baron reist noch dielen Morgen nach Karlsbad ab." „So ist der Graf wohl ernstlich erkrankt?" „Es muß so sein, denn er will sogleich nach Ebcrstorff zurück, und da er nicht allein reisen kann, soll der Herr Ba ron ihn abholen." „Reist keine der Damen mit?"