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Reichthum und Name. Roman von Mary Dobson. (Nachdruck verboten.) (8. Fortsetzung.) Wie verabredet, kam am folgenden Morgen GrafEbers- torff bei seinem Neffen an und sand ihn damit beschäftigt, die Trauringe zu betrachten, die er soeben erhalten hatte. „Eine angemessene Beschäftigung für einen Bräutigam, mein lieber Arnold!" sagte nach gegenseitiger Begrüßung der schon ältere Herr, der, sobald sein Leberlciden ihn nicht plagte, stets zum Scherzen aufgelegt war. „Uebrigens hättest Du das vor einem Jahre thun sollen, denn wie magst Du wohl jetzt noch Deiner Braut den Reif an den Finger stecken?" „Das beabsichtige ich auch nicht, sondern dies wird morgen der Prediger thun; doch wollte ich Dich bitten, Onkel, ihn Fräulein Kranzler mitzunehmen." „Und willst Du mich nicht zu der Familie führen?" „Ich war gestern dort." „Und hast keine Lust, Deine Braut wiederzusehen? Ist sie hübsch?" „Sogar sehr schön — in ihrem Benehmeu ruhig und gemessen." „Du hast doch wohl nicht erwartet, daß sie Dich mit offenen Armen aufnehmen würde, nachdem Du sie ein ganzes Jahr hast warten lassen?" „Ich beklage mich nicht über den Empfang, welchen ich hatte — aber laß uns die Sache nicht weiter erörtern, sondern fahre Du zu Kranzler's und nimm zugleich den Ring mit. Meine Gegenwart ist erst morgen zur Trauung wieder er forderlich." Der Graf gab nach, bestellte einen Wagen, ordnete auf das sorgfältigste seine Toilette und begab sich nach dem Hause des Banquiers, während sein Neffe die verschiedenen Zeitungen durchblätterte, welche er sich von dem Kellner hatte bringen lassen. — Etwa nach einer Stunde kehrte Ersterer zurück, sein Aeußeres vcrrieth einen hohen Grad von Erregung, und Hut und Handschuhe auf den Tisch werfend, sagte er lebhaft, dicht vor seinen Neffen hintretend: „Arnold, ich habe Deine Braut kennen gelernt und ihr auch gleich den Ring übergeben. Suche ihre Liebe zu gewinnen und Du wirst einen Schatz haben, um den Tausende Dich beneiden müssen! Ich empfinde schon jetzt eine wahre Zuneigung zu ihr und habe ihr meinen be sonderen väterlichen Schutz gesichert." „Wie? Du, Onkel!" rief der junge Mann einigermaßen befremdet. „Ich hoffe doch nicht, daß meine Frau eines anderen Schutzes als des meinigen bedarf!" „Wie Du jetzt sprichst, glaube ich es ebenfalls nicht, mein Lieber, vorher jedoch hatte ich nicht unbegründete Zweifel und Bedenken. Es wäre ja fast auch undenkbar, daß ein junger Mann mit Sinn für Schönheit und edle Weiblichkeit nicht binnen wenigen Wochen eine Helene Kranzler lieben lernen sollte, wenn ihm diese dazu noch als sein Weib angetraut worden ist!" „Du bist wunderbar schnell bekehrt worden, mein lieber Onkel, zumal Du anfangs doch auch gegen meine bürgerliche Braut Dich aussprachst!" entgegnete der junge Freiherr mit leichter Ironie. „Lassen wir sie aber und sage mir lieber, wie Dir ihre Eltern gefallen." „Von Frau Kranzler sage ich nur, daß sie die würdige Mutter ihrer Tochter ist — Herr Kranzler ist ohne allen Zweifel geistig ein sehr bedeutender Mann, dem man es bei seinem großen Reickthum wahrlich verzeihen kann und muß, daß er den genialen Einfall gehabt, mit baaren 100000 Thalern sich einen adeligen Schwiegersohn zu erkaufen. Uebrigens werde ich Beide noch näher kennen lernen, denn ich habe ganz plötzlich den Entschluß gefaßt, meine Reise nach Karlsbad hinauszu schieben und durch Herrn Kranzler mir einige Geldangelegen heiten ordnen zu lassen. Auch habe ich seine Einladung, mir den Landsitz der Familie anzusehen, angenommen!" „Eure Bekanntschaft hat ja in kurzer Zeit riesige Fort schritte gemacht!" sagte der Neffe lächelnd. „Und wenn ich aus Karlsbad zurückkomme," fuhr, die Bemerkung nicht beachtend, der Graf fort, „werde ich als Nachkur mich hier einige Zeit aufhalten. In dieser Zeit muß der junge Kranzler aus Asien angekommen sein." „Sicherlich wird er auch seine Schwester besuchen, deren Verlobung und bevorstehende Verheirathung er gewiß auch schon erfahren hat!" bemerkte der junge Baron. Wie mir Herr Kranzler sagt, ist sie ihm angezeigt, doch hat er nie darauf geantwortet. Dennoch soll er seine viel jüngere Schwester zärtlich, fast leidenschaftlich lieben." „So ist er auch mit ihrer Verheirathung nicht einver standen, und ich habe ihm Rede und Antwort zu stehen, wenn sie sich als Baronin Greifenberg nicht glücklich fühlt!" sagte der jüngere Mann mit einem Anflug von Spott, und fügte mit verändertem Tone hinzu: „Onkel, hast Du schon über den Rest des heutigen Tages bestimmt? Sonst möchte ich D:r den Vorschlag machen, in einen der vielen Dampfschiffe eine Wasserfahrt mit mir zu unternehmen. Dies schöne Ver gnügen ist mir fast neu, auch möchte ich das sehr gerühmte Flußuser kennen lernen und am Abend vor meiner Hochzeit mir noch einen besonderen Genuß zu bereiten." VI. Nur zu schnell vergingen Helene Kranzler die Stunden deS Morgens, die sie im elterlichen Hause noch verlebte, und nur zu schnell rückte der Augenblick heran, der sie mit einem unbekannten, ungeliebten Manne verbinden sollte, Beim Frühstück hatte eine ergreifende Scene stattgefunden, denn als wie sonst Helene dem Vater die Taffe gereicht und ihm dabei zärtlich den Arm um den Rücken gelegt und ge flüstert: „Papa, für lange Zeit ist dies das letzte Mal!" — da hatte auch ihn seine gewöhnliche Ruhe verlassen, er hatte unter Thränen in inniger Umarmung die schöne weinende Tochter lange sprachlos an seine Brust gehalten und sich dann schnell entfernt und es seiner Gattin überlassen, der aufgeregten Helene tröstend und ermuthigend zuzusprechen, obgleich sie selbst des Trostes so sehr bedurfte. Lange hielten sich Mutter und Tochter umschlungen, keines Wortes mächtig, nahmen sie schon jetzt Abschied von einander, und endlich flüchtete Letztere nach den Zimmern, die sie bisher bewohnt und ihr verbleiben sollten, um in der Einsamkeit die Ruhe und Fassung zu erlangen, deren sie so sehr bedurfte und die letzten Anordnungen für eine lange Abwesenheit zu treffen. Kaum war dies geschehen, so war es auch Zeit sich zu der Hochzeit zu schmücken — einer stillen Hochzeit, ohne Braut jungfern und ohne allen äußern Prunk. Die Trauung war um 4 Uhr bestimmt, es fehlten nur noch wenige Minuten bis dahin, und in dem schon erwähnten Saal waren Herr und Frau Kranzler mit zwei Freunden des Hauses versammelt und Helenens Trauzeugen und Anwalt Blumenthal versammelt, die in abgebrochenen Reden sich unter hielten und sämmtlich in erwartungsvoller Spannung den nächsten Augenblicken entgegensahen. Da fuhren wiederum zwei Wagen vor; zunächst erschien Graf Eberstorff und der Geistliche, der, ein Freund des Hauses, die Braut getauft und confirmirt hatte und jetzt auch den Bund ihrer Ehe einsegnen sollte. Graf Eberstorff aber war nicht allein, sondem mit seinem Neffen gekommen, welcher zu seiner Braut geführt worden, die er in einem Zimmer, zunächst demjenigen, das zur Trauung festlich geschmückt war, antraf. Als er eintrat, blieb er zögernd und überrascht fast eine Secunde auf der Schwelle stehen, denn ihn blendete fast ihre Schönheit, die kaum durch das kostbare Brautkleid und den Spitzenschleier, der durch die Myrtenkrone gehalten und auf die Schleppe herabwallte, gehoben wurde. Sie hatte ihm ruhig cntgegengeblickt, dennoch färbte Plötzlich eine leichte Röthe, die eben so schnell wieder verschwand, ihre Wangen, als sie die nicht zu verkennende Bewegung und Bewunderung in den Augen ihres Verlobten sah, der ihr mit stummer Verbeugung seinen Arm reichte, in den sie, sich des wichtigen Augenblicks bewußt, ihre Hand legte und dann sich von ihm in das Trau- zimmcr und vor den Geistlichen führen ließ, der in sichtlicher Bewegung die feierliche Handlung vollzog und Helene Kranzler und Baron Arnold von Greifenberg als Mann uud Weib verband, und beide Theile ermahnte, sich bis an ihr Ende zu lieben und getreu zu sein. Als die Trauung vollzogen ward, bei der mehr als ein mal schwere Thränen Helenens Auge gefüllt, die sie nicht zurück zudrängen vermochte, und Arnold von Greisenberg voll tiefen Mitgefühls auf das schöne junge Wesen an seiner Seite ge blickt, dem er fortan Schutz und Stütze sein sollte, als der Prediger, wie üblich, zuerst das neuvermählte Paar begrüßt und die Hochzeitsgästc und Eltern sich näherten, da reichte der junge Gatt- schweigend seiner Gemahlin die Hand, führte die ihre an seine Lippen, und Beide nahmen die weiteren Glück wünsche entgegen. Zwei Stunven später hielt ein mit verschiedenen Koffern bepackter Wagen vor der Thür des Kranzler'schen Hauses, und zur Abreise gerüstet, lag Helene von Greifenberg in den Armen ihrer Mutter, di-, keines Wortes mächtig, sie wieder küßte und von ihr nicht lassen wollte und konnte. Endlich übergab sie die Tochter ihrem Vater, der, ebenfalls tief gerührt, von seinem Kinde Abschied nahm und sie dann an den Wagen führte, gefolgt von dem Freiherrn, der sich nochmals von seiner Schwiegermutter verabschiedete. Eine halbstündige Fahrt brachte sie zum Bahnhof, den sie eben noch früh genug erreichten, um in einem Wagen erster Klasse Platz zu nehmen, indeß der sie begleitende Diener das Gepäck besorgte. Dann nahm auch dieser, das Eisenbahnbillet bringend, mit ehrerbietiger Verbeugung und theilnehmendem Blick auf Helene, die von Allen im Hause geliebt und verehrt ward, Abschied; der grelle Pfiff der Locomottve erscholl und dampfend setzte sich die Maschine mit dem Zuge in Bewegung. Helene sah nach und nach die nächste Umgebung ihrer Vater stadt ihren Augen entschwinden, dann die entfernter gelegenen noch bekannten Ortschaften, und bald brauste die Locomotive der nächsten Station zu. Schweigend hatte das junge Paar, welches ein besonderes Coupee einnahm, bisher dagesessen, und eben so schweigend fuhr es weiter, so daß eine Station nach der anderen zurück gelegt wurde. Dis junge Frau blickte aus dem Fenster hinaus, an dem in steter Abwechslung die in üppiger Sonnenpracht daliegende Gegend, umgeben von dem Hauch eines heiteren Sommerabends, an ihren Augen vorüberflog. Ihre Gedanken waren dabei ins Vaterhaus zurückgewandert, welches die wenigen Gäste noch kaum verlassen hatten und ohne Zweifel mit ihren Eltern von ihr und ihrem Gatten sprachen. Sich dies ver gegenwärtigend, blickte sie zugleich auf die Zeit zurück, die sie so glücklich verlebt, im Schutz und in der Liebe ihrer Eltern, während sie jetzt einer gewiß freudenlosen Zukunft entgegen ging; es bemächtigte sich ihrer ein Gefühl tiefer Trauer und bangen Wehs, und sie hatte Mühe, die Thränen zurückzu halten, die ihre Augen zu füllen begannen; denn sie fühlte die Augen ihres Gatten auf sich gerichtet und wollte ihm zu keinerlei Bemerkung Veranlassung geben. Arnold von Greifenberg hatte wirklich während der letzten Strecke seine Gattin mit dem größten Mitgefühl betrachtet, die so jung, schön und reich an seiner Seite eine so traurige Hochzeitsreise zurücklegte. Was aber sollte er, durfte er thun, um sie zu trösten, oder ihren gewiß schmerzhaften Gedanken zu entreißen? Er, der sie erst zwei Tage kannte, der während eines ganzen Jahres nicht einmal versucht, sie zu sehen, viel weniger ihr Herz, ihre Liebe zu gewinnen? Unter anderen Verhältnissen hätte er gewiß seine ihm eben angetraute Gattin in seine Arme, an seine Brust geschlossen, sie über den Abschied vom Vaterhause zu trösten gesucht, und unfehlbar hätte sie sich von dem Manne trösten lassen und wäre ihm vertrauens voll in sein Haus gefolgt, das nun ihre Heimath, ihre Welt sein sollte. Noch über ihre gegenseitige Stellung zu einander nach sinnend, gewahrte er in der eingetretenen Dämmerung, daß sie sich der Station näherten, wohin der Reisewagen bestellt und welche nicht die Stadt W. war. Hier hielt der Kurier zug nicht und sie wurden deshalb zu einer längeren Fahrt genöthigt. Als das Haltesignal endlich ertönte, wandte der junge Baron sich Helene zu und sagte: „Gnädigste Frau, wir müssen hier die Bahn verlassen und werden den Wagen schon vor finden, der uns nach Greifenberg bringt." Jetzt hielt der Zug. Auf dem Bahnhof der kleinen Stadt waren nur wenige Personen anwesend, und daher ent deckte der junge Freiherr gleich seinen Diener, der ebenfalls seinen Herrn gesehen und an das Coupee trat. Jenem die Besorgung des Gepäcks übergebend stieg er aus und reicht« der ihm folgenden Helene den Arm, um sie an den Wagen zu geleiten. Beim Besteigen desselben glitt sie aus, so daß er genöthigt war, seinen Arm um sie zu legen, um sie vor einem unsanften Fall zu bewahren. Er that dies mit einer Ritterlichkeit, mit der er jeder anderen Dame denselben Dienst geleistet, ordnete ihren Sitz für die noch stundenlange Fahrt und nahm, als endlich das Gepäck besorgt und der Diener den Bock bestiegen, an ihrer Seite Platz. Die vier muthigen Pferde zogen an und fort ging« in die dämmernde Sommer nacht hinaus über das holprige Steinpflaster der kleinen Land stadt hinweg, bis sie nach kurzer Zeit diese im Rücken hatten und auf einer gut erhaltenen Landstraße weiter fuhren. Da Helene sich in die Wagenecke zurückgelehnt, so glaubte der Baron, daß sie, müde und angegriffen von der Reise, eingeschlafen sei, nachdem sie das Taschentuch hervorgezogen und ihr abgewandtes Gesicht mit demselben bedeckt. Die vor her gewaltsam zurückgedrängten Thränen brachen jetzt um so heftiger hervor. Der Gedanke an die neue Heimath, der die vier Pferde sie immer näher brachten, an den Empfang, der ihrer dort wartete, an die ganz fremde Familie, der sie nun angehören sollte, alle diese Vorstellungen hatten sie überwältigt und ihr die nächste Zukunft in so traurigem Lichte gezeigt. Dem Freiherrn waren die Thränen, die ihn zugleich tief rührten, ein bitterer Vorwurf, denn er mußte sich sagen, daß es in seiner Macht gelegen, ihre«Verhältniß zu einandereine andere Wendung zu geben, und jetzt, wo er Helene Kranzler endlich kennen gelernt, bereute er tief, dies nicht früher gethan zu haben. Auch war ihm schon der Gedanke gekommen, daß sie nicht die Verbindung gewünscht. Ihre Thränen sagten ihm dies hinreichend, doch wollte er die Bestätigung aus ihrem eigenen Munde hören. Sich ihr zuwendend, sagte er in theilnehmendem Tone: „Gnädige Frau, Ihre Thränen sind mir eine schwere Anklage und Ihnen nach muß ich glauben, daß es Ihnen große Ueber- windung kostet, mir nach Greifenberg zu folgen. Ich bin von je her der Meinung gewesen, daß wenigstens Sie mit den Plänen unserer Väter übereingestimmt." „Ich?" fragte Helene, ihre Thränen trocknend. „Ich? Aus welchem Grunde hätte es mir einfallen sollen, die Gattin eines Mannes zu werden, den ich nie gesehen, und in eine Familie zu treten, von der ich mir sagen konnte, daß sie mir nicht freundlich entgegen kommen würde? — Nein, Herr Baron, ich erfülle nur den bestimmt ausgesprochenen Willen meines Vaters, der meine Wünsche und die Vorstellungen meiner Mutter nicht berücksichtigen wollte, denn noch vor der Trauung hätte ich Ihnen bereitwillig Ihre Freiheit zurückgegeben, da ich mir sagen mußte, daß auch Sie Ihrem Herzen nach diese Verbindung nicht begehren." Jedes dieser Worte fiel schwer auf das Herz des jungen Mannes, dessen Wangen sich hoch geröthet hatten. (F. f.) Vermischtes. * Von einem eigenthümlichen Mißgeschick ist ein Herr R. in Berlin betroffen worden. Im Begriff, seine Braut abzuholcn, um mit ihr vor den Standesbeamten zu treten, wollte er von einem Barbier noch die letzte ordnende Hand an seinen äußeren Menschen legen lassen. Während derGe- sichtsverschönerer an dem Kinn deS Herm gerade „gegen den Strich" operirte, mußte dieser plötzlich niesen. Die Schneide des Messers fuhr Herrn R. tief in die Nase, und rasirte deren Spitze ab. Statt auf das Standesamt mußte sich R. nach der königlichen Klinik begeben, wobei für den unglücklichen Mann noch außerdem die Gefahr bestehen bleibt, daß ihm die Braut, nachdem er an seiner Erscheinung solchen Schaden erlitten, mit „langer Nase" abziehen läßt. * Moltke und der Droschkenkutscher. Als der Feldmarschall Graf Moltke vor ungefähr fünf Jahren aus einer Sitzung des Reichstags kam und seinen Wagen vor dem Portal vergeblich suchte, nahm er zur Heimfahrt eine in der Nähe haltende Droschke. Als er beim Generalstabsgebinde