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sind. In Paris verhaftete am Mittwoch die Polizei 15 russische Staats angehörige, bei denen zahlreiche Schriftstücke, sowie Explosivstoffe mit Be schlag belegt wurden. Der Londoner Korrespondent der Birminghamer „Post" schreibt: „Der Deutsche Kaiser ist im Begriff, das Gutachten engli scher Vertreter von Gewerkveretnen über Fragen von höchstem In teresse für die deutschen Arbeiterklassen einzuholen. Er wünscht, daß der Konferenz von Delegirten aller Gewerke in Deutschland, die er einberufen auf dem Punkt ist, mehrere englische Delegirte beiwohnen, deren Rath in Betreff der Bildung und Leitung von Arbeiterverbänden nachgesucht werden soll. Die Idee des Kaisers ist — und er hat bereits Rundschreiben aus gesandt, worin dieselbe kurz ausgeführt wird — fähige Delegirte zu wählen, welche einen Arbeiterrath bilden sollen. Jedes Mitglied wird Se. Maj. mit Rath über Arbeiterfragen unterstützen und ihm behilflich sein, die Arbeiterklassen zu kontroliren. Für diese Obliegenheiten wird jeder ein Jahresgehalt von 2000 Mk. beziehen und den Titel „Arbeitsreich" erhalten." Der „Nordd. Allgem. Ztg." wird aus Cbristiania geschrieben: „Nach einer hier mit Bestimmtheit auftrctenden Angabe kommt Kaiser Wilhelm den 5. Juli um die Mittagszeit hierher und soll die Reise durch schwedisches Gebiet — also wahrscheinlich nach Hclsingborg über Göde borg — nach Moß, welches an der rechten Seite des unteren Christiania fjords (von der Ostsee aus gesehen) liegt, gemacht werden. Dort würde der Kaiser ein Dampfboot besteigen und den Christianiafjord hinauffahren, „damit die hier für einen festlichen Empfang im oberen Theile des Fjords (vor Dröbak, dem Stationsort der Kriegsflotte) getroffenen Anordnungen nicht vergeblich gemacbt seien." Die Kaiserin, heißt es jetzt, werde ihren Gemahl begleiten. Das hiesige Comitee hat sich an die Dampfschiffsahrts- gesellschaften und an andere Stellen mit der Frage gewendet, wie weit «an darauf rechnen könne, daß die Gesellschaften ihre Schiffe dem Comitee oder den Bürgern im Allgemeinen zur Verfügung stellten. Wie schon früher angedeutet, will man eine Flottille bilden, die den Kaiser vor Drö bak empfange. Von Kopenhagen meldet die dortige „Nationaltidende", daß der Kaiser bei seiner kurzen Durchreise durch Dänemark nickt in Kopenhagen, sondern in Helsingör landen, und von dort das Sckloß Fredensborg besticken wolle, nach welchem die dänische Königsfamilie sich nach des Königs Rückkehr von Wiesbaden zum Empfang hoher Gäste zu verfügen gedenkt." Der Zusammenschluß der Arbeitgeber behufs B ekämp f- ung sozialdemokratischer Vergewaltigungen bat auch im Aus lande Nachahmung gefunden. So wird aus der Stadt Enschede in Holland berichtet, daß daselbst einem drohenden allgemeinen Ausstands höchst frivoler Natur durch rasches gemeinsames Vorgehen der Arbeitgeber vorgebeugt wurde. Es hatten nämlich die Arbeiter einer größeren Weberei seit geraumer Zeit die Arbeit niedergelegt und sich allen gütlichen Ausgleichen hartnäckig und auf ihre „Macht" pochend verschlossen, ja sie drohten, um ihre Forderungen durchzusetzen, mit einem allgemeinen Streik. Da aber verloren die Ar beitgeber die Geduld, sie einigten sich — 21 an der Zahl— und eröffneten durch Plakate der gesammten Arbeiterschaft, daß, falls die Arbeit in der „gesperrten" Weberei nicht innerhalb 3 Tagen wieder ausgenommen sei, sämmtliche Fabrik-Etablissements geschlossen werden sollten. Dieses ent schlossene Vorgehen brach den Widerstand der Streikenden, oder den Terrorismus, durch den dieselben zusammengehalten wurden, und abgesehen von neun Mann, nahmen alle Arbeiter an dem bestimmten Termin die Arbeit wieder auf. Diese neun „Zielbewußten" erhalten nun in Enschede während der Dauer eines Jahres keine Arbeit; sie werden also ihr Bündel schnüren müssen, gleichwie die seinerzeit infolge des Sozialistengesetzes ausgewiesenen deutschen „Genossen", deren ebenfalls verschuldetes „grau sames" Schicksal immer wieder von der demokratischen Presse beklagt wird, dies thun mußten. Daß aber frivol vom Zaun gebrochene Streiks un säglich mehr Elend über die Arbeiter bringen und gebracht haben, als ein noch so streng angewandtes Sozialistengesetz, dürfte unmöglich zu be streiten sein; die vernünftigen Arbeiter also sollten für Maßregeln, welche sie von dem Terrorismus der Agitatoren befreien, besferes Verständniß entwickeln und für Bestrebungen, welche die gewerbsmäßigen Streikschürer lahm legen, nur dankbar sein. Ueber das Verhältniß zwischen Deutschland und Frank reich ist seit dem Rücktritt des Fürsten von Bismarck eine Reihe wunder licher Nachrichten verbreitet worden, unter denen schließlich die letzte, die von der Begrüßung des Präsidenten Carnot durch den Fürsten Hohenlohe, mit der Bestimmtheit auftrat, obgleich sie jedem der Verhältnisse auch nur Halbwegs Kundigen sofort als fast die unwahrscheinlichste von allen Vor kommen mußte. Es hätte kaum erst des offiziösen Dementis dieser Nach richt bedurft, nachdem eine Begrüßung unseres Kaisers bei seiner neulichen Anwesenheit in Elsaß-Lothringen seitens eines Abgesandten des Präsidenten Carnot unterblieben war. Daß über die Unterlassung derartiger inter nationaler Höflichkeitsbezeugungen zwischen Deutschland und Frankreich eine besondere Abmachung besteht, wie die „Nordd. Allstem. Zlg." mit- theilt, ist allerdings neu, kennzeicknet aber die wirkliche Lage besser, als lange Auseinandersetzungen. Das Erscheinen des Statthalters des deutschen Reichslandes Glaß-Lothringen in Belfort, dem letzten bei Frankreich ver bliebenen Reste des Elsasses, wäre, darüber kann man sich nicht täuschen, geradezu eine Provokation der unliebsamsten Kundgebungen gewesen. Jene Abmachung ist eine weise Maßregel im Interesse der Erhaltung des Friedens, zugleich aber auch der beredteste Hinweis darauf, daß es zwischen Deutsch land und Frankreich einen wunden Punkt giebt, durch den der Friede jederzeit in Frage gestellt werden kann. Das wird auch bestätigt durch das Verhalten, welches der Präsident der Republik in Belfort beobachtet hat. Herr Carnot war auf der Rückkehr von einer großen Reise durch den Süden seines Landes, auf welcher er des Oefteren von der Noth- wmdigkeit der Erhaltung des Friedens gesprochen hat. Wie seltsam, daß dies Friedcnsbekenntniß gerade an dem Orte verstummte, von wo aus es den tiefsten Eindruck hätte machen müssen! Der Präsident beschränkte sich in Belfort darauf, den stummen Schmerz des Patriotismus zu be wundern. Herrn Carnot's Friedensliebe wird kaum Jemand in Zweifel ziehen wollen; aber es giebt ein Axiom der öffentlichen Meinung, vor dem er sich beugen muß. Dieses Axiom lautet: keine Versöhnung mit Deutschland ohne Rückgabe Elsaß-Lothringens. Herr Carnot hat in Bel fort nicht von Frieden reden dürfen, eine Thatsache, die man in Deutsch land nicht unbeachtet lassen konnte. Wie aus dem socialdmotratischen Lager verlautet, wird nach Ablauf des Sozialistengesetzes der Abgeordnete Bebel nach Berlin über siedeln, um die Leitung des „Berliner Volksblattes" zu übernehmen. Der Abg. Auer nimmt ebenfalls seinen Wohnsitz Berlin und wird Redaktmr an dem genannten Blatte. Die Uebersiedelung dieser beiden Führer nach der Hauptstadt soll erfolgen, um die Zwistigkeiten, die in der Partei seit Jahren vorhanden sind, zu begleichen resp. zu verhindern, daß dieselben an Schärfe zunehmen. — Die Rückwirkung, welche die sozialdemokratische Bewegung durch die verunglückte Maifeier erlitten hat, ist in Berlin eine ganz außerordentliche. Alle Streikes mißglücken, und zwar deshalb, weil die sonst so reichlich geflossenen Streikgelder jetzt so spärlich eingehen, daß alle Kaffen leer sind. In den Reihen der Streikenden ist der Unmuth deshalb kein geringer; so haben die Schrauben-Fayondreher einen Aufruf veröffentlicht, in dem es heißt: „Wie Ihr schon Alle wißt, ist durch den Jndiffcrentismus eines größeren Theiles der eigenen Kollegen der Streik der Schrauben-Fa^ondreher in's Wasser gefallen und sind dadurch ca. 100 Mann auf's Pflaster geworfen worden. Die Kollegen unserer Branche wollen uns wahrscheinlich dem Hungertode überliefern, denn alle Anzeichen sprechen dafür, wie man bemerkt, daß von ca. 600 arbeitenden Kollegen 140 Mk. für die Festwoche zur Unterstützung der Gemaßregelten einge laufen sind". Was die Streike kosten, das lehren einige interessante Ab- recknungen. Der Luckenwalder Hutmacherstreik, der bekanntlich in's Wasser fiel, kostete 35 000Mk.; gewaltige Summen verschlangen die Formerstreike; der in Hamburg kostete 80 000 Mk., der Braunschweiger 37 000, der in Altona-Ottensen 20 000, der in Hannover 16 000. Jetzt ist in allen Kassen Ebbe, die Kräfte der Arbeiter sind erschöpft; und darum mußten alle Streike einen für die Arbeiter unglücklichen Ausgang nehmen. Frankreich wurde durch die Annexion Elsaß-Lothringens zu einer gesteigerten Rüstung gezwungen, von 1872—1890 haben die Budgets des Kriegs und der Marine eine Totalsumme von 15 Milliarden und 400 Millionen erreicht. Rochefort über seineLage. Ein Mitarbeiter des „XIX. Siscle" besuchte Rochefort, welcher erklärte, er halte momentan den Boulangismus für beendigt, zumindest für unterbrochen. Die Boulangisten begingen den Fehler, sich in die Munizipalwablen einzmmscken. Sowohl er als Bou langer werde eine Amnestie zurückweisen, aber Boulanger würde im Kriegs fälle zuückkehren, und das Volk wäre glücklick, ihn die Leitung der Staats- gesckäfte übernehmen zu sehen. Dieser Augenblick könne alltäglich kommen, er (Rochefort) wisse vermöge seiner Londoner Beziehungen aus sickerer Quelle, daß zwischen Rußland und Deutschland eine Annäherung statt gefunden habe; wie weit die Freundschaft gediehen sei, würde man bald erfahren. Paris, 29. Mai. In der hiesigen Irrenanstalt Bicötre herrschte am Pfingstmontag große Aufregung. Ein Tobsüchtiger, ein wahrer Her cules, riß in einem Anfalls von Wahnsinn das eiserne Gitter seiner Zelle aus der Mauer und zog mit mehreren anderen Kranken, die sich ihm anscklossen, nach dem Rundgange, wo die Wächter sich aufhalten. Diese mußten vor der Uebcrzahl weichen, und nun befreiten die Entwichenen alle Kranken der Section. Ehe die herbeigerufene Garnison des Forts und die Polizei-Agenten eintrafen, zertrümmerten die Tobsüchtigen Alles, was ihnen in die Hände fiel, und ein Wärter, der sich nickt eilig genug flüchten konnte, erhielt mit einem Tischbein einen so wuchtigen Hieb auf den Arm, daß dieser an zwei Stellen gebrochen wurde. Als der Polizei-Commissar von Gentilly mit den Soldaten vor der Anstalt eintraf, fand er vier der aufgeregtesten Kranken auf der Mauer sitzend und die den Wärtern entwendeten Rasirmesser schwingend. Die Soldaten rückten mit aufgestecktem Bajonnet vor, und die Wärter setzten ihrerseits die Lösch pumpen in Bewegung. So war es möglich, die Irrsinnigen einzeln zu fassen und nach ihren Zellen zurückzubringen, wo den Tobsüchtigen die Zwangsjacke angelegt wurde. Der angerichtete materielle Schaden berägt mehrere tausend Francs, Paris, 31. Mai. Die eben eingetroffene Briefpost aus Tonkin bezeichnet die Lage in Tonkin als unglücklick. In mehreren Provinzen gre-fen Hungersnoth und Räuberunwesen um sich; überall werden Handels- sckiffe von Piraten angehalten, ausgeraubt, oder wenigstens zu Abgaben gezwungen. In einer Provinz herrscht neben der Hungersnoth auch Cholera. Man zählt 68 Todesfälle täglich. Die Piraten kommen bis in die großen Städte; es werden zahlreiche Ueberfälle und Mordthaten gemeldet; sämmt- liche disponiblen Truppen sind ausgerückt. Etwa 16 000 Schutzleute in London, welche mit ihrem Wochen solde von 24 Schillingen nicht zufrieden sind, sind angeblich entschlossen, ohne Rücksicht auf die Folgen zu streiken, falls ihre dem Minister des Innern, sowie dem Polizeichef übermittelte Bittschrift zu Gunsten einer höheren Besoldung nicht sofort berücksichtigt wird. Die Hinrichtung von elf Verbrechern, welche schon vor Jahren zum Tode verurtheilt sind, ist jetzt in Griechenland durch Kabinetsbcfehl ange ordnet worden. Die Hinrichtung hatte sich so lange verzögert, weil es dem Justizminister bisher nicht gelungen war, einen Henker aufzutreiben. In Hellas gilt Ler Nachrichter nämlich noch als „unehrlich" und „vogel frei", weshalb man einen solchen nur unter den ärgsten Verbrechern werben kann. Um ihn vor der Volkswuth zu schützen, wird der Henker stets auf dem Kriegsschiffe „Nauplia" in einem eisernen Käfig von Ort zu Ort geführt, um dort seines traurigen Amtes zu walten. Im Jahre 1881 war es nach fünfjähriger Suche dem Minister Rhaflis gelungen, einen wegen Gattenmordes verurtheilten Messenier durch das Versprechen der Begnadigung zu ewigem Kerker zu Uebernahme des Henkeramtes zu bestimmen, und derselbe „expedirte" in vier Wochen siebzehn „College«", welche bis dahin auf die „Charakterfestigkeit" aller übrigen Block-Kandi daten gehofft hatten. Diesmal ist der Henker ein Giftmörder, Namens Roukis, welcher in Kürze seine Verbrechergenossen ins Jenseits befördern wird. Sofia, 30. Mai. Das Kriegsgericht hat heute Morgen nach 16- stündiger Berathung folgendes Urtheil gefällt: Panitza wegen thatsächlich begonnener Ausführung einer Verschwörung gegen das Leben des Prinzen Ferdinand und der Minister, sowie wegen versuchten Umsturzes der be stehenden Regierung mit Hülfe von Ausländern, zur Todesstrafe durch Erschießen unter Vorbehalt der Begnadigung, der Reserveosfizier Kolobkoff zu 9 Jahren, Lieutenant Rizoff und Armaudoff zu 6 Jahren, die Offiziere in Disponibilität Tatest, Tichawdaroff, Molloff, Kessimoff zu 3 Jahren, Stefanoff zu 5 Monaten (unter Abrechnung von Monaten Unter suchungshaft), FrUgeipochen wurden: Abalansky, Nojaroff, Stamenoff, Demeter Rizoff, Matheff, und Pantalei Kessimoff. Vaterländisches. Wilsdruff, 1. Juni. Die hiesige freiwillige Feuerwehr wurde heute Vormittag von '/^H—^12 Uhr durch das Landesausschußmitglicd, Herrn Branddirektor F. Öser aus Cölln b. Meißen, inspiciert. Die In spektion erstreckte sich auf Fußdienst, Spritzendienst, Dienst an der Stützen- lciter, Dienst an den Hakenleitern und Sturmangriff. Zu dieser Besich tigung waren auck Mitglieder der Mohorner Feuerwehr unter ihrem Haupt manns Gretschel mit 5 Musikern und eine Deputation der Gorbitzer Feuer wehr in Uniform erschienen. Außerdem waren noch die Feuerwebrhaupt- leute Thum-Radeberg, Schiemann-Pieschen, der Hauptmann der Stricßner Feuerwehr, Herr Bürgermstr. Ficker, Mitglieder des Stadtgemeinderats und der Feuerlöschdeputation und eine große Anzahl Bürger der Stadt auf dem Schießplätze versammelt, um Zeuge der Vorführungen zu sein. Nack Abwickelung der Uebungen wurde im Schützenhaussaale unter dem Vorsitze der Herrn Brandirektors Öser die Kritik über das Geschehene abgehalten. Es wird und muß weitere Kreise interessieren, in wie ge nügender Weise unsere freiwillige Feuerwehr den an sie zu stellenden An forderungen gereckt wurde. Darum sei hier zum Lobe der Vereinigung das Resultat der Kritik kurz zusammengefaßt. Zur Ausübung wurden die vorerwähnten Hauptleute zugezogcn. Den Fuß- und Spritzendienst censierte man mit sehr gut, Stützen- und Hakenleiterndicnst mit gut und den Sturmangriff mit sehr gut. Beim Sturmangriffe vereinigte sich alles