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NchM rMMff Beilage zu No. 97. Freitag, den 8. Dezember 1888. Stadtgemeinderathssitznng vom 28. Novemeber 1889. 1 ., Referirte die Baudeputation über die mit Herrn Oberregierungs- rath Amtshauptmann von Kirchbach und Herrn Straßeninspector Neuhaus an Ort und Stelle wegen Weiterbaues der Schleuße an der.hiesigen unteren Meißnerstraße gepflogenen Verhandlungen; es wurde hiernach be schlossen, auf Vollendung dieser Schleuße zu bestehen und zu dm Kosten, falls dieselbe entlang der Straße weitergebaut werden sollte, Etwas nicht, falls dieselbe aber hinter dem Hofmann'schen Grundstücke fortgeführt und mit 3 Einfällen versehen werde, die Hälfte beizutragen; 2 ., trat man den von der Feuerlöschdeputation in ihrer'Sitzung vom 8. November d. I. gefaßten Beschlüssen bisauf denjenigen, Neuanschaffung von Schläuchen bctr., deren gegenwärtiger Bestand zunächst ermittelt werden soll, bei; 3 ., will man auf das Gesuch des Herrn Möbelfabrikant Guhlmann und Gen. um Pflasterung und Beschleußung der hiesigen Töpfergasse sowie um Ergänzung der Straßenbeleuchtung am untern Bache zunächst eine Lokalbesichtigung vornehmen; 4 ., verwilligte man dem Geflügelzüchterverein für Wilsdruff und Umgegend auf sein Gesuch wiederum 25 M. zur Stiftung von Ehren preisen für die nächste hiesige Geflügelausstellung; 5 ., faßte man Beschlüsse in vier Unterstützungssachen. 6 ., soll der Laternenwärter Schmidt aufgefordert werden, fortan die hiesige Straßenbeleuchtung wieder selbst zu versorgen und zur Erreichung dieses Zweckes sowohl als auch einer besseren als der bisher sehr mangel haften Versorgung der Laternen ihm vorläufig die Gebührnisse beanstandet werden; 7 ., genehmigte man die Vollziehung der Petition des Comitös für Erbauung einer Eisenbahn von Wilsdruff nach Deutschenbora-Gadewitz. Wilsdruff, am 3. Dezember 1889. Der Stadtgemeinderat h. Ficker, Brgmstr. Durch fremde Schuld. Original-Roman von E. v. Linden. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Ja, ja, Madame Gerard", fiel der Arzt rasch ein, „darüber wollte ich eben mit Ihnen reden. Der junge Mann mag wohl beinahe dreißig Jahre alt sein, wie?" „Wird wohl ungefähr zutreffen —" „Nun, ich war vor achtundzwanzig Jahren Arzt am Hospital zu Bern, als eine Epidemie in den Grenzdörfern des Cantons Waadt ausbrach. Ich schloß mich einigen Aerzten an, welche um Beistand ersucht worden waren, und sah hier eines Tages eine junge schöne Frau an der Epidemie sterben, welche niemand kannte, weitste erst seit 24 Stunden mit einem zweijährigen Knaben krank herübergckommen war, sofort das Bewußtsein verloren hatte und auch nicht wieder zu sich kam. Um diesen Knaben entspann sich, wie ich später hörte, ein Grenzstreit, unser Waadt-Canton auf der einen, die Neuenburger aus der anderen Seite. Niemand wollte sich des armen kleinen Burschen, der selbstverständlich nichts weiter als das nackte Leben besaß, erbarmen, und so hing man ihm endlich den Spottnamen Franco an, stieß ihn hüben und drüben wie einen herrenlosen Hund, bis —" „Ja, ja, bis mein Schwager, der sich endlich hier einmal blicken ließ, als meine Felicitas todt war, sein Kind forderte und sich den Bettelbuben auslud, den er wie seinen Sohn gehalten und lieber gehabt hat, als sein eigen Fleisch und Blut." „Nicht wieder bitter werden, kleine Frau!" mahnte der Doctor, „Ihr Schwager that ein gutes Werk, das der liebe Gott ihm nicht gering dort oben angercchnet haben wird. Es ist also in Wirklichkeit der kleine Franco, den wir als Lieutenant Frank bei uns haben. Mir fiel die Aehnlichkeit mit seiner Mutter auf; das Bild der jungen, schönen Frau von damals stand bei seinem Anblick lebhaft wieder vor mir." Madame Gerard blickte nachdenklich vor sich hin und fuhr plötzlich wie erschreckt zusammen. „Gütiger Gott!" seufzte sie, „das kann doch nicht möglich sein, Herr Doctor! — Aber mir ist es just, als fiele es mir wie Schuppen von den Augen. — Sie erinnern sich vielleicht der hübschen Jeanne Brune, — ihre Mutter hatte eine Pension —" „Ja, ja, ich glaube mich ihrer zu erinnern," nickte der Arzt, in seiner Erinnerunng suchend. „Schlanke Blondine, blaue Augen, zierliche Gestalt, — wie war'S doch mit ihr? — Wurde sie nicht nach Paris verheiratet? Ich verkehrte zuweilen in dem Hause." „Sie wurde verheirathet, die schöne, blonde Jeanne —" „Halt," unterbrach sie der Arzt, „jetzt erst steht ihr Bild wieder voll ständig vor mir. Sie und keine Andere war die Arme, war die, von der ich vorhin sprach, und ihr Sohn der kleine Franco —" „Lieutenant Frank ihr Sohn," rief Madame Gerard sichtlich entsetzt, „daher das Bekannte in seinem Gesicht. O, Herr Doctor, das wäre aber zu schrecklich!" „Weshalb zu schrecklich?" rief der Arzt verwundert. Diese Mutter kann für ihn so gut, wie jede andere sein." „Natürlich, — aber der Vater! Wissen Sie denn nicht, daß Jeanne Brune einen gewissen Rico heirathete?" Der Doctor blickte sie starr an. „Sie meinen doch nicht etwa diesen Rico, der unsern Lieutenant ver wundet und als Mörder verhaftet worden ist?" „Denselben, Herr Doctor, eben denselben, Jeanne Brune heirathete diesen Joss Rico und wenn sie die Mutter des kleinen Franco ist, nun, dann ist er der rechtmäßige Vater, welcher auf den eigenen Sohn geschossen und meinen Schwager beraubt und ermordet hat. — O Himmel, wie schrecklich, wie soll das enden?" „Ja, das ist allerdings eine recht häßliche Neuigkeit, welche besser un- mtdeckt geblieben wäre," bemerkte der Doctor betroffen, „das kommt von den dummen Aehnlichkeiten und Erinnerungen. Das Klügste, was wir thun können, ist, den Schnabel halten, Madame Gerard, Bestimmtes wissen wir nicht, weshalb also ein Menschenherz verdüstern und mit ungewissen Schrcckbildcrn anfüllen. Sagen Sie deshalb Ihrer Tochter auch nichts davon, es sind alles doch nur Vermuthungen von unserer Seite, zufällige Aehnlichkeiten, auf welche man kein Gewicht legen darf, kleine Frau!" „Verstehe schon, Herr Doctor!" nickte diese, „Sie sollen sehen, daß auch eine Frau schweigen kann." „Brav, meine Theure! — Ah, da haben wir Madamoiselle Desirse, die schönste Rose von Lausanne, wieder", wandte er sich lächelnd um, „nun, haben wir einen Gruß oder irgend eine Bestellung für unsern Kranken, liebes Kind? Sie sehen mich zu allem bereit, selbst den Postillon d'amour zu spielen." Desirse warf einen Blick auf ihre Mutter, welche zustimmend nickte. Rasch drückte sie dem alten Herrn ein Briefchen in die Hand und wollte eiligst wieder davon schlüpfen. Der aber hielt sie mit einer geschickten Wendung fest. „Meinen Botenlohn, wenn ich bitten darf", sprach er ernsthaft. „Ich meine, ein Küßchen wäre die Bestellung wohl Werth". „O, Herr Doctor", lachte Desirse schelmisch, „solches Geld darf ich nicht ausgeben, es wäre Falschmünzerei." „Sieh, sieh", schmunzelte der Arzt, „eine solche Antwort hätte ich der Kleinen doch nicht zugetraut. — Nun, falsches Geld nehme ich nicht, aber eine jener schönen Rosen —" Desirse wählte die schönste, welche sie ihm selber ins Knopfloch steckte und dann noch ein duftiges Sträußchen für — „Weiß schon", rief der alte Herr, „werde alles an die richtige Adresse besorgen." Er küßte der schönen Desirse die Hand, nickte der Mutter zu und ging. Madame Gerard schüttelte verdrießlich den Kopf. Wie ungalant dieser Graukopf gegen sie war, und sie durfte sich doch noch immer für eine hübsche, stattliche Frau halten. Vierzehntes Capitel. Im Gefängniß der kleinen deutschen Stadt N., wo unser Roman be gonnen, saß nun schon seit drei Monaten der des Mordes verdächtige Joss Rico, ohne daß es den Richtern gelungen war, ihn zu überführen oder zu einem Geständniß zu bringen. Er leugnete in einer so kecken Weise, wußte das Zeugniß der beiden Todtengräber und der alten Frau Peters auf eine so virtuose Art zu verwirren, daß diese schlichten Leute selber irre wurden und die Richter zu zweifeln begannen. Reinecke gerieth bei den Verhören, welchen bcizuwohnen ihm erlaubt worden war, nach und nach in eine hochgradige Unruhe. Seine Bemerk ungen und Einreden wurden nicht beachtet, man wies ihn in seine Grenzen zurück und verbat sich hochmüthig jede weitere Einmischung, ja, ließ sogar durchblicken, daß man die ganze Verhaftung und Anklage als einen höchst beklagenswerthcn Jrrthum seinerseits schließlich wohl ansehen müsse. Rico behauptete, niemals in dieser Gegend Deutschlands gewesen zu sein, daß aber ein Schwindler, den er in Baden-Baden kennen gelernt, einige Aehnlichkeit mit ihm gehabt und ihm außer einer Summe Geldes auch mehrere Documente und jenes Visitkarten-Täschchen, das als Beweis stück gegen ihn vorlag, gestohlen habe. Der Mensch habe sich Antoine Gerard genannt, er könne nicht sagen, ob er diesen Namen mit Recht ge führt habe. Die Herren vom Gericht fanden diese Erklärung hinreichend, um das Beweisstück als hinfällig anzusehen, worüber Reinecke außer sich gerieth und sofort abreiste, um sich nach einem wirksameren Beistand umzusehen und vor allen Dingen dem gefangenen Cassirer in Hamburg, der bereits sein Urtheil empfangen hatte und ins Zuchthaus abgesührt worden, weil seine Schuld sonnenklar bewiesen war, einen Besuch abzustatten, wozu ihm die Erlaubniß sogleich ertheilt wurde. Der Sträfling, welcher fest überzeugt war, nur durch Nico, den er unter den Namen Gerard vor Jahren in Paris kennen gelernt, in die Falle gerathen zu sein, erging sich, als Reinecke den Namen desselben nannte, in laute Schmähungen und Verwünschungen über den abgefeimten Schuft, gegen den er, der Cassirer, sicherlich ein unschuldiges Kind noch sei. „Dafür kommt er unter's Beil", knirrschte er mit ingrimmiger Ge- nugthuung. „Das ist immerhin noch eine offene Frage", bemerkte Reinecke achsel zuckend, „der Schuft ist wie ein Aal und hat zum Ueberfluß sehr nach sichtige und langmüthige Richter. Ich fürchte, daß er sich loslügt." Der Sträfling sah ihn fast ängstlich an. „Weshalb hat man mein Zeugniß verworfen?" grollte er. „Ich wollte ihn schon ans Messer liefern." „Ich will dafür sorgen, daß Sie als Zeuge vernommen werden. Die gestrengen Herren wollten nichts davon hören, einem Sträfling und über führten Dieb gegen einen vielleicht ganz unbescholtenen Mann Zeugniß ab legen zu lassen. Jetzt werde ich suchen, ihn in andere richterliche Hände zu bringen. Hatte mittlerweile Geschäfte, die mich von jener mir eigent lich privatim übertragenen Sache ganz entfernten. Wahr ist's, daß dieser Rico alias Gerard Sie in die Patsche gebracht hat, daß Sie ihm ihr Un glück zu verdanken haben und daß er, der Mordgeselle und Räuber, zuletzt ins Fäustchen lacht, wenn wir nicht noch andere Beweise gegen ihn Vor bringen können. Wo haben Sic den alten Freund denn eigentlich wieder gefunden? Ich glaubte, Sie wollten damals nach Australien?" „Hm, wenn Sie mir die Mittel dazu gelassen hätten," knurrte der Sträfling. „So aber suchte ich mir, als die Luft wieder rein war, die Usberfahrt nach Frankreich zu verdienen, was mir auf einem Dampfer als Heizer gelang, verlauste meine Pretiosen und traf zu meiner Freude auf dem Wege nach Paris den Monsieur Gerard. Hätte ich den Schuft doch nie gesehen. Nun, er half mir mit Geld aus und dirigirte mich nach Lau sanne, wo ich ihn erwarten sollte. Ich glaube, der alte Geck hatte es auf die schöne Blumenhändlerin am Markt abgesehen." „Sehr möglich", nickte Reinecke, „er besaß also viel Geld, auch viel leicht Edelsteine?"