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„Was ist's mit der Mademoiselle,?" fragte er rauh. „Vonwelcher Felicitas reden Sie, mein Herr?" „Von welcher ich rede?" fragte der Andere, ihn erstaunt anblickend, „kann's denn noch eine zweite Mademoiselle Felicitas geben, Monsieur? Freilich, freilich," setzte er dann plötzlich, wie sich besinnend, hinzu, es gab einst noch einen solchen Stern am tdeütrs kruu^is, das war die Mutter der zweiten Felicitas, eben so schön, so prächtig, auch dieser Stern ging unter wie der zweite, schade, jammerschade!" „Sie haben die erste, die Mutter meine ich, gekannt?" fragte Fichtner halblaut. „Nein, Monsieur, nein, nicht persönlich, doch vom Hörensagen; aber die Tochter — die Göttliche —, ah, Monsieur, sie stellte halb Preis aus den Kopf. Schade um sie —" „Was ist schade?" donnert- Fichtner, „reden Sie, mein Herr, was soll das Bedauern? Ist sie tobt?" „Nein, Monsieur, nein, wie Sie mich erschrecken! Mademoiselle Fe licitas ist nicht todt, aber mit einem reichen russischen Fürsten auf und davon gegangen." „Das ist Lüge! Lüge!" keuchte Fichtner mit erstickter Stimme. „Ah, Monsieur, das ist eine Injurie, ich werde Sie belangen. Fragen Sie, ganz Paris wird Ihnen antworten: Mademoiselle Felicitas ist die Tochter ihrer Mutter, welche mit einem Preußen, ja Monsieur, mit einem verruchten Preußen, welcher sich einen französischen Namen beigelegt hatte und ein Handlanger des tkeLtro trau^ais war, auch einst auf und da von ging. — Dies ist wenigstens ein Russe, ein Nihilist und dazu ein reicher Fürst. Das entschuldigt viel, besonders bei einer Künstlerin, wie, Monsieur?" „Ja, ja, da- entschuldigt freilich. Pardon Monsieur!" rief Fichtner, laut auflachend. „Was kümmert mich überhaupt diese Schauspielerin?" Er erhob sich mühsam und schritt ohne Gruß von dannen, während der ehrliche Pariser ihm mit einem hämischen Lächeln nachblickte. Adalbert Fichtner kehrte in seinen Gasthos zurück, packte seinen Koffer und ließ sich sofort nach dem Bahnhof fahren, um mit dem nächsten Zuge heimzukehren. Jetzt war der Unglückliche ganz vereinsamt, da er an Adalberts Tod nicht mehr zweifeln konnte und das Andenken seiner Tochter verfluchte. Aber so leicht war das Gewissen nicht beschwichtigt, denn immer und immer wieder drängten sich die Vorwürfe desselben in den Vordergrund seiner Seele: Wenn Du Deiner Tochter ein pflichtgetreuer Vater gewesen wärst, dann hätte sie niemals so tief sinken können. Anstatt des ewigen Brotes selbstloser Liebe gabst Du ihr den Stein einfacher Pflicht, nichts darüber, «ährend der fremde Knabe Dein ganzes Herz besaß!" — Dann kam ihm plötzlich, als er sein Haus verkaufen wollte, um in die Vaterstadt zurückzukehrcn und dort wenigstens einer treuen Seele, die ihn aufrichtig geliebt, der tobten Mutter, nahe zu sein, ja, um vielleicht über kurz oder lang bei ihr zu ruhen, — der Gedanke, daß sein Pflege sohn doch am Ende noch unter den Lebenden weilen, sich vielleicht in fran zösischer Gefangenschaft befinden könne. Er machte unter dem Eindruck dieses Gedankens sein Testament, worin er Adalbert Frank zu seinem Uni versalerben erklärte und das Haus, sowie den größten Theil seines Baar vermögens unter die Administration eines von ihm erprobten Notars mit der Bedingnng stellte, daß beides erst nach fünfzig Jahren fruchtlosen Harrens auf den Erben zum Besten armer Waisenkinder verwandt werden sollte. Dann kehrte er in die Vaterstadt zurück, micthete sich ein einsam gelegenes Häuschen unweit des stillen Friedhofs, und hatte nur Verkehr mit den beiden Eingangs erwähnten Todtengrädern, zu denen er sich ihrer Absonderlichkeit halber sehr hingezogen fühlte. Nun ruhte er abseits von der stolzen Verwandtschaft als Selbst mörder im Armensünder-Winkel, während derPflcgesohn, von den Tobten auferstanden, ins Vaterland zurückkehrte. Wie war Adalbert Frank der französischen Sclaverei entronnen? — Fünf Jahre namenloser Leiden und unerträglicher Herabwürdigung hatte der Unglückliche in Algerien durchlebt, während die französischen Gefangenen in Deutschland wie liebe Kinder verhätschelt worden waren, — Gegensätze, welche den nationalen Charakter der Besiegten wie der Sieger grell genug beleuchten. Als seine Lage immer unerträglicher und hoffnungsloser wurde und er mit bitterster Verzweiflung einsehm lernte, daß man weder in hohen noch niederen Kreisen an eine derartige Perfidie französischer Machthaber glauben mochte, obwohl er nicht das einzige Opfer solch' schmählicher Niedertracht war, da faßte er den Entschluß, seinem Leben auf die eine oder andere Weise ein Ende zu machen. Mit einigen Leidensgenossen zu niedrigem Frohndienst commandirt, spähte er nack einer Gelegenheit zur Flucht, um auf diese Weise durch nachgesandte Kugeln getödtet zu werden, da an ein wirkliches Entkommen gar nicht gedacht werden konnte. Als die Aufseher sich gelagert hatten, um der Flasche zuzusprechen, da warf er Hacke und Schaufel fort und stürmte an Sümpfen und Gebüschen entlang einem Hohlwege zu. Seine Kameraden hatten sich nicht gerührt, da sie starr vor Schrecken waren. Im nächsten Angenblick schon saßen die Verfolger ihm auf der Ferse, und sausten ihm einige Kugeln um die Ohren. Im selben Moment stürzte ein Reiter ihm entgegen, parirte bei seinem Anblick sein Roß und rief: „Schwingt Euch rasch hinter mich, ich rette Euch!" Frank saß im Nu hinter dem Reiter, der wie der Blitz davon sauste. Hinter ihnen Geschrei und Fluchen, während Kugeln durch die Luft zischten. Immer weiter stürmte das flüchtige Roß, immer größer wurde der Raum zwischen ihm und der Verfolgern, bis Lärm und Schüsse endlich verstummten. Da zügelte der Reiter das schnaubende Roß und wandte den Kopf zu seinem Schützling. „Nehmt meinen Hut und diese Decke um die Schultern", sprach er, „damit die Franzosen Euch nicht er erkennen." Er schwang sich bei diesen Worten vom Pferde und reichte dem über raschten Frank seinen breiten Strohut, sowie eine feine arabische Decke, welche er wie einen Burnus um die Schultern schlug. „So", sagte der Fremde, zufrieden lächelnd, „nun setzt Euch nur fest und unternehmend im Sattel zurecht, während ich als Wegweiser voranschreite. Der Fremde zog eine leichte Seemannsmütze aus der Tasche, drückte dieselbe wie ein Fez auf den Kopf und schritt lustig pfeifend voran, während Frank, der sich in den Sattel gesetzt und sich stramm aufgerichtet hatte, wie im Traume ihm folgte. Zu seinem Entsetzen ging es geradewegs nach der Stadt Oran hinein. (Forts, folgt.)