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Beilage zu Nr. 76 -es Wochenblattes für Wilsdruff re. Durch fremde Schuld. Original-Roman von E. v. Linden. (Nachdruck verboten.)- (Fortsetzung.) „Ich habe gethan, was in meiner Macht stand," versetzte Gerard heuchlerisch, „es ging über Erwarten gut. Im Dunkel der Nacht und bei der großen Aufregung, welche sich Aller bemächtigt, gab niemand Acht auf seinen Nebenmann. Leider hat der Ausfall keine großen Resultate anszuweisen, aber doch die Barbaren draußen aufgeschreckt und ihnen be deutende Verluste zugefügt." „Das alte gewöhnliche Raisonnement," bemerkte Felicitas wegwerfend, „wir kennen diese Prahlereien hinlänglich. Wenn ich nur die Gewißheit hätte, daß unser Schützling gerettet worden. Ist es wirklich zn einem ernstlicken Zusammenstoß mit dem Feinde gekommen?" „Versteht sich, meine Liebe, es soll fürchterlich hergegangen sein, habe viele Verwundete gesehen. Auch hat sich das Gerücht verbreitet, daß unsere Brüder zum Entsätze nahen, daß blutige Siege von unserer Seite er rungen worden sind und die neutralen Mächte sich jetzt zum entschlossenen Handeln aufgerafft haben, da es unmöglich, ja ganz undenkbar ist, daß Paris, dieser Mittelpunkt der civilisirten Welt, in die Hände deutscher Barbaren fällt." „Reden sie doch nicht solchen Unsinn, der Ihrem Verstände wenig Ehre macht, Monsieur Gerard!" rief Felicitas ungeduldig, „vergessen Sie nicht, daß auch deutsches Blut in meinen Adern rinnt und französische Bildung dem Flittergold« gleicht. Ich liebe Frankreich, aber nicht auf Kosten der Wahrheit. Wir haben alle Ursache, demüthig zu sein und uns der höheren Intelligenz unserer feindlichen Nachbarn zu beugen." „Kind," mahnte Gerard erschreckt, „wie unvorsichtig Du redest, ist eS nicht genug, daß ich meine Freiheit, ja, mein Leben gewagt habe, um einen verhaßten Preußen zu retten? — Willst Du das Verderben um jeden Preis auf uns herabbeschwören? Hüte Dich, dem Fürsten ein Wort davon zu sagen, er scheint mir in solchen Dingen keinen Scherz zu ver stehen. Ich würde überhaupt an Deiner Stelle die Heirath beschleunigen." „Fürchten Sie um Ihren Contract, mein Herr?" fragte sie mit un nachahmlicher Verachtung, „nun ja, es wäre mir ein Leichtes, denselben zu zerreißen, indem ich der Welt den Rücken wenden und mein Leben in einem Kloster beschließen würde. Doch seien Sie unbesorgt, Sie kluger Rechenmeister, noch liebe ich das Leben und die Welt zu sehr und habe auch die Verpflichtung, Ihnen gegenüber mein Wort einzulösen." Gerard verbeugte sich lächelnd. Wie dumm, wie einfältig ehrlich dachte dieses Mädchen, das mußte sicherlich von dem Tropfen deutschen Blutes in ihren Adem stammen. Freilich hatte auch er sein Wort cin- gelöst, doch als er die Karte als wichtiges Beweisstück von dem verhaßten Preußen erhalten, da war er kalten Blutes zum Kommandeur der Truppe gegangen, um diesen ein Blatt Papier in die Hand zu drücken. Es war die Denunciation, daß im letzten Gliede ein gefangener Prussien als fran zösischer Soldat sich befinde, welcher in dieser Weise befreit werden solle. Der arme Frank wurde ganz in der Stille herausgefunden und ins Ge- fängniß gebracht. Er wurde als Spion behandelt und zum Tode ver- urtheilt, bis man ihn plötzlich, weil die Zeit der Uebergabe nahe bevor stand, zur Deporation nach Algerien begnadigte. Selbstverständlich besaß Felicitas keine Ahnung von diesen Vorfällen. Sie sehnte sich nur, aus Paris fortzukommcn und bestimmte ihren Ver lobten zu einer stillen Vermählung, durch welche selbst Monsieur Gerard aufs Höchste überrascht wurde. Als der Friede geschlossen, Paris ganz frei geworden, da hieß es eines Tages, daß das ist sLtro krautig seinen ersten Stern verloren, da Mademoiselle Felicitas als Fürstin Weraschin der Bühne für immer Valet gesagt habe, und auf ihrem eigenen Dampfer mit dem Gemahl nach dem Orient abgcsegelt sei. Sie war fort, während Gerard rachebrütend mit seinem Contract in Paris zurückgeblieben war, da der excentrische Fürst ihm kalt bedeutet hatte, daß er seine Begleitung auf der Hochzeitsreise nicht wünsche. Wenn Felicitas wenigstens so klug gewesen wäre, ihren Kiel nach Westen an statt nach Osten in den Rachen des Zarenreiches zu wenden! Wollte sie ihm entfliehen? Gerard lachte spöttisch und dachte mit wahrer Henkcrslust an den Ge fangenen in Algerien. Viertes Capitel. Der arme, einsame Adalbert Fichtner hatte durch Frankreich jetzt beide Kinder verloren, o, wie er dieses Land und seine Bewohner deshalb haßte! — Das Grausamste bei diesem Verluste war die Thatsache, daß er keinen Beweis ihres Todes finden, nicht einmal die traurige Genugthuung haben konnte, an ihrem Grabe zu weinen. In einsamen Nächten erschien ihm seine Gattin in Trauer, um ihr Kind von ihm zu fordern, dann wieder war's Frank, der ihm vorwurfsvoll flehend anblickte, daß er keine Hand zur Auffindung seiner Kinder rege. Da n acht- er sich auf, um in die Weltzurückzukehren und zuvörderst nach d em Pflegesohn zu forschen. Man wußte ihm nichts weiter zu berichten, als daß Leutenant Frank sich über all wie ein Held benommen, das eiserne Kreuz erster Klasse sich errungen habe und vor Paris plötzlich auf unerklärliche Weise verschwunden sei. Er müsse irgendwo in einen Hinterhalt gefallen und heimtückisch ermordet worden sein. Adalbert Fichtner konnte sich hierbei nicht beruhigen, er ging nach Paris, um seine Kinder zu suchen, wo er von Gerard, der ihm begegnete, erkannt wurde. Der Nichtswürdige, welcher von ihm nicht gesehen worden war, verfolgte den unglücklichen Mann, der in dieser Stadt, dem Schau platz seines einstigen Glücks, Folterqualen durchlebte. Gerard setzte ihm ein gewissenloses Subject auf die Fersen, welches sich ibm zufällig in den Weg stellen und als ehrlicher Mann Auskunft ertheilen mußte. Sie saßen im Tuilericn-Garten auf einer Bank nebeneinander. Der ehrliche Mann war ein Bühnen-Enthusiast, er studirte eifrig in allen Theaterzetteln, welche er vor sich ausbreitete. „Mademoiselle Felicitas! — O, Stern ersten Ranges! — Schade, jammerschade!" sprach der Enthusiast mit einem tiefen Seufzer. Fichtner fuhr bei jenem Namem wie von einem Schuß getroffen zusammen.