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Beilage zu Nr. «2 ves Woche,»Mattes für Wilsdruff re. Verschlungene Wege. Original-Roman von Emilie Heinrichs. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) In diesem Augenblick trat Tellkamp rasch ins Zimmer und gebot mit feierlichem Ernst Ruhe. „Ick konnte ihn nicht zurückhalten," fuhr er leise und erregt fort, „Egon, führe den Freiherrn hinaus, und Sie —" wandte er sich zu Thorsen, „bringen wohl diesen Herrn in Sicherheit." Der Graf starrte den lächelnden Detectiv an und wollte ihn bei Seite schieben, um hinauszustürzen. Doch dieser, in solchen Dingen erfahren, hatte schon im nächsten Augenblick den sich Sträubenden hinausgezogen und durch starke Handschellen unschädlich gemacht, worauf er mit ihm das Haus verließ, den draußen harrenden Wagen bestieg und sich nach dem Polizei- gebäude fahren ließ, wo er seinen Fang triumphirend ablieferte. Er war zufrieden mit dem Resultat, das seinen Ehrgeiz befriedigte. Drinnen im Sterbczimmer hatte sich Ulrike verzweiflungsvoll über die Schwester gebeugt, welche der schrecklichen Scene stumm und unbeweg lich mit weit geöffneten Augen zugeschaut. Sie ergriff ihre eiskalte Hand, legte die Rechte auf ihre Stirn, blickte ihr in die schreckcnsvollen Augen, die starr und verglast erschienen, horchte nach ihrem Athen und stieß einen Angstschrei aus, von dem Tante Irmgard nicht mehr erwachte. „Sie ist todt!" rief sie außer sich, „und Ihr habt sie getödtet! — So war mein Opfer nicht groß genug, um ihr diese schreckliche Sterbe stunde zu ersparen." Sie sank an dem Bett auf die Kniee uud drückte ihr thränenüber- strömtes Gesicht auf die kalten Hände der Schwester. Alles war still in dem weiten Gemach, die drei Herrn standen stumm und erschüttert bei dem Anblick dieses tiefen Seelenschmerzes. Der Major winkte endlich den beiden jungen Männern, sich zu ent fernen, was geräuschlos geschah. Dann trat er leise an's Todtenbett und legte seine Hand sanft auf Ulrikens Scheitel. „Theure, Gstiebte, höre mich an," bat er leise. Sie fuhr empor und blickte ihn so entsetzt an, daß er zurückbebte. „Nennen Sie mich nicht mit solchem Namen, Herr Major!" sprach sie mit einer rauhen unnatürlichen Stimme. „Angesichts dieser Leiche, welcher die Heftigkeit der Jugend ein jähes Ende bereitet hat, klingt es wie Sünde in meinen Ohren. Q, Irmgard, ich werde mein letztes Ver sprechen halten," setzte sie, sich wieder über die Tobte neigend, wie irrsinnig hinzu, „Deine Ruhe soll durch mich nicht gestört werden. Ich gelobe Dir, unvermählt zu sterben und werde diesen heiligen Schwur halten." Tellkamps Brust entrang sich ein Laut, der wie Zorn und Verzweiselung klang. Dann verließ er mit wankenden Schritten das Zimmer und das Haus, welches der Arzt soeben Irmgard von Jmmendorf ruhte seit acht Tagen in der Ahnengruft, während Tante Ulrike in den Delirien eines Nervenfiebers, das ihr Leben bedrohte, lag und nichts von den Trauer-Feierlichkeiten sah und hörte. Dem ärztlichen Verbote trotzend, theilten Hedwiga und Magda sich iu der Pflege der Kranken, welche in der Raserei des Fiebers den ganzen Jammer ihres freudenlosen Daseins enthüllte und das letzte schwerste Opfer welches die egoistische Schwester ihr abgefordert und hohnlachend mit in'S Grab genommen, verzwciflungsvoll beklagte. Voll Ehrfurcht und Bewunderung staunten die beiden jungen Mädchen die Selbstlosigkeit und Seelengröße dieser Dulderin an und weinten heiße Thränen über ihr Geschick. Die Regierungsräthin Dorner war heimgekehrt und hatte ihre Ein willigung zu der Krankenpflege gegeben, da man die Natur der Krankheit verschwiegen. Allabendlich wanderte Major Tellkamp nach dem Jmmen- dorf'schen Hause, um Botschaft durch Magda zu empfangen, aber seine Gestalt hatte seit jener Sterbe-Scene die stramme, jugendliche Haltung ver loren, sein Gesicht war alt und vergrämt, Haar und Bart auffällig grau geworden. Magda bemerkte diese Veränderung mit tiefer Trauer und selbst die Regierungsräthin schüttelte besorgt den Kobs über die äußerliche und inner liche Wandlung des Bruders, der von dem todten Freifräulein nicht sprechen noch hören konnte, ohne in heftigen Zorn zu gerathen. Er verbot eS mit ungewohnter Strenge, ihren Namen in seinem Hause zu nennen und drohte in solchem Falle mit sofortiger Abreise, mit jahrelangem Fernbleiben. Die Regierungsräthin klagte es Magda, welche seufzend meinte, daß Onkel Tellkamp wohl Ursache dazu haben müsse, die Tante solle ihn nur recht sanft und schonend behandeln, sie wisse doch, wie viel die Todte ihm geraubt. Damit mußte sich die gute Dame beruhigen. Ulrich und Egon waren, da der Winter sehr mild und die Ströme vom Eise frei geblieben, mit der Weltmeer-Expedition abgefahren. Der Abschied von den beiden jungen Mädchen war umgangen worden, da die letzten Ereignisse und Tante Ulrike's schwere Erkrankung ihnen schwer auf der Seele lasten mochte. In zwei zärtlichen Briefen hatten sie um Ver zeihung, um Liebe und Treue gefleht, während am Krankenbett die jungen Bräute ihren Muth und ihre Seelenstärke erprobten. Als der Frühling wieder ins Land kam, war Ulrike auch von ihrem Schmerzenslager erstanden, an welchem Tod und Leben mit einander ge rungen hatten. Sie war still und ruhig wie immer, ergriff mit gewohnter Energie die häuslichen Zügel und studirte in ihren so lange vernachlässigten Geschäftsbüchern. Ihren beiden Pflegerinnen dankte sie mit der ganzen Liebe ihres reichen, selbstlosen Herzens, und laS mit wehmüthigem Lächeln die Abschiedsbriefe der beiden jungen Männer, worin auch ihre Verzeihung demüthig erfleht wurde. Es war das erste Lächeln seit langen Tagen, das die resignirten Züge der armen Ulrike erhellte, und mit diesem Lächeln betrat sie zum ersten Male seit Irmgards Tode die Ahnengruft, um einen Jmmortellenkranz auf den Sarg der Schwester zu legen und ihr Gelübte zu erneuern. „Es ist genug, daß wir beide gedarbt haben an Lebensglück, Du arme Verblendete, Du, die jetzt in einem höheren Lichte auf die Nichtigkeiten der Erde herabschaut. Mein Gelübte halte ich Dir, aber die Kinder sollen glücklich werden." So sprach sie mit halblauter, fester Stimme, ihre Hand auf den Sarg