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VchMMKW Beilage zu No. 51. Freitag, den 28. Zmii 1888. Verschlungene Wege. Original-Roman von Emilie Heinrichs. - Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Aber wer war's denn, vor dem Zhr an jenem Abend wie ein Hase ausrisset," fuhr Thorsen ungeduldig fort. „Weiß nicht, kannte ihn nicht," brummte der Kranke jetzt trotzig, »gehört Ihr zur Polizei?" „Nein, er ist nur ein alter Kamerad von mir," mischte sich Lüttmann jetzt ein, indem er seine Autoriätsmiene aufsetzte. „Laß ihn in Ruh', Thor sen, ich darf's nun nicht länger mehr leiden, geh' gefälligst Deiner Wege, hörst Du, mein Junge?" »Ja, ja, ich gehe schon," sprach der Detectiv ruhig, indem er dem Wärter einen Wink gab, „Du kennst meine Neugierde, Kamerad!" Lüttmann folgte ihm bis zur Thür, wo Thorsen ihm leise zuraunte: „Der Bursche hat ein schlechtes Gewissen, suche ihn auszuforschen, es soll Dein Schade nicht sein." Er klimperte mit den Geldstücken in der Tasche und ging. Lüttmann blickte fast erschreckt vor sich hin. „Zum Kukuk auch," murmelte er, „das kommt mir verdächtig vor mit meinem Schulkameraden, was geht ihn Adam Sturm an? Will doch den Portier mal fragen, unter welcher Firma der gute Junge sich hier ein geschmuggelt hat." Der Detectiv ahnte nichts von diesem rebellischen Mißtrauen des ehr lichen Lüttmann, sondern schritt mit gerunzelten Brauen nach Hause, um seinen ganzen Scharfsinn aufzubieten, einen neuen Operationsplan zu er sinnen. Als Resultat desselben blieb nur di- entmuthigte Thatsache, daß er erst die Genesung des Verwundeten abwarten müsse, um durch diesen die Identität des Adam Sturm mit Ulrich von Jmmendorf feststellen zu lassen, wobei er sich nach der heutigen Erfahrung ferner sagen mußte, daß der Verwundete jedenfalls gegründete Ursache habe müsse, seinen Feind zu fürchten und ihn deshalb lieber verleugnen als verrathen werde. „Gut! murmelte Thorsen nach dieser logischen Erwägung, „dann werde ich meinen Zeitpunkt abwarten und den Burschen überlisten. Wie die Folge es gelehrt, hatte Ulrichs letzter verzweifelter Entschluß ein unerwartet großes Resultat gehabt, zumal Egon Dorner als Fürsprecher aufgetreten war und dem Fürsten in einer Privat-Audienz die ganze Lage des unglücklichen jungen Mannes, welcher durch eine Verkettung unseliger Zufälle zum Mörder gestempelt worden, klar dargelegt hatte. „Gestatten Durchtaucht mir, hinzuzufügen," so hatte Egon seinen Bericht geschlossen, „daß mein Onkel und ich nicht den mindesten Grund haben, die Angaben des jungen Jmmendorf zu bezweifeln, da Major Tellkamp ihn stets als einen offenen, ehrenhaften und wahrheitsliebenden Charakter erkannt und erprobt bat." „Auch ich habe Ulrich von Jmmendorf's Charakter in solcher Weise erprobt," hatte der Fürst gedankenvoll erwidert, „er war ein wilder Brause kopf, aber ein ehrenhafter und muthiger Jüngling, dessen Zukunft nach anderer Richtung hin sicherlich bedeutend geworden wäre. Schade um diese verlorne Jugend, welche, wie ich sehr wohl weiß, ans eines Dritten Conto gesetzt werden muß, doch lassen wir diese Erörterungen. Ich schulde dem jungen Freiherrn persönlich und freue mich, diese Schuld durch einen ein fachen Act der Gerechtigkeit jetzt abtragen zu können. Die Bürgschaft solcher Männer rechtfertigt mein Vertrauen, — doch, — seien Sie ruhig, lieber Doctor! — auch ohne diese hätte ich Ihrem Freunde geglaubt. Rufen Sie ihn, bitte, selbst hierher und bleiben Sie anwesend." So war Ulrich zum Fürsten Friedrich gekommen und von diesem sehr huldvoll anfgenommen worden. Er hatte nicht nöthig gehabt, die für ihn so qualvolle Geschichte seiner Jugend und spätem Jahre zu wiederholen, sondern nur die fürstliche Versicherung des hohen Schutzes und die Be stallung seines väterlichen Ranges als Oberhaupt der freiherrlichen Familie zu empfangen. Die beiden Freunde waren alsdann der jungen Fürstin vorgestellt und von dem hohen Paar- in jeder Weise ausgezeichnet worden, wie es bei dem Einzuge in die Stadt L. gesehen und von aller Welt mit Genugthu- ung bemerkt worden war. Wie ein jäher Donnerschlag bei Hellem Sonnenschein mußte deshalb in diese glückliche Sicherheit auf's Neue der unheimliche Name „Adam Sturm" erdröhnen und den armen Ulrich mit Entsetzen erfüllen. War John Walter genesen? Oder hatte er einen Verbündeten gefunden, um ihn zu ängstigen? Woher aber sollte er seinen wirklichen Stand und Namen kennen? Wenn der alte Johann vielleicht geplaudert hätte? — Er dachte an die entlassene Dienstmagd, von welcher er im Hause vernommen, und seine Unruhe wuchs von Minute zu Minute. Der kleinst- Schall kann die Lawine in Bewegung setzen! — O, wenn der Zug erst sein Ende erreicht hätte! Nun, das geschah auch, wie Alles im Leben sein Ende erreicht. — Weshalb aber fürchtete der junge Mann noch jetzt vor einer Entdeckung, jetzt, wo die mächtigste Hand im Lande ihn schützte und keine Schuld sein Gewissen belastete. Nun, weil Ulrich von Jmmendorf bei allen tollen Streichen der Jugend, in Noth und Entbehrungen späterer Jahre, ja, bei den niedrigsten Arbeiten, wozu ihn Hunger und Elend gezwungen, doch stets den stolzen, unabhängigen Sinn sich bewahrt und den Schild der Ehre spiegelblank erhalten hatte. Deshalb graute ihm vor einer Entdeckung, welche ihn zum Mörder stempeln, ihn in die Region der Verbrecher Hinabstoßen konnte, und vor der Gewiß heit, daß hier selbst die mächtige Hand des Fürsten ihm keinen Schutz mehr gewähren konnte, weil er keinen andern Beweis seiner Schuldlosigkeit als die einfach- B-theuerung derselben, als sein Ehrenwort besaß. Egon sah und fühlte, wie der Unglückliche litt und beschloß deshalb augenblicklich für ihn zu handeln. Als der fürstliche Vierspänner vor dem Schloß-Portal hielt, wo das aufgestellte Militär mit der Musik die üblichen Ehrenbezeugungen vollführte, die Kanonen auf dem Wall ihre donnernden Grüße darbrachten und das hohe Paar endlich seine Zimmer erreicht hatte, um sich auszuruhen, hatte sich Ulrich von dem Freunde verabschiedet, um das väterliche Heim aufzusuchen. „Entschuldigen Sie mich beim Fürsten, Doctor!" bat er leise, „ich muß einige Stunden unter dem Dach meiner Väter ruhen, um das nöthige Gleichgewicht wieder zu erlangen." „Gut, ich will's besorgen," nickte Egon, „werde später zu Ihnen kommen. Ihre Damen müssen sich jedenfalls zur Tafel bereit halten." „Freilich, Hedwiga, — Tante Ulrike kann die Kranke nicht verlassen, doch wird Ihr Onkel mit den Damen sicherlich erscheinen. „Ohne Zweifel, — schauen Sie nicht so düster, Ulrich! — wir wollen jenes Gespenst, das uns mit Aoam Sturm umspukt, bald kalt stellen. Kopf hoch, — ein fürstliches Wort vermag noch heute einen Alexanderknoten zu lösen und gilt ebenso viel wie ein thatsächlicher Beweis." Ulrich lächelte schwach, drückte ihm die Hand und ging, während Egon ihm eine Weile nachblickte und dann gedankenvoll das Schloß betrat, um sich zum Fürsten, der ihn bereits zu erwarten schien, zu begeben. „Wo haben Sie Ihren Freund gelassen?" rief der Fürst ihm entgegen. „Er bat mich, ihn bei Ew. Durchlaucht zu entschuldigen, weil er, höchst angegriffen, sich einstweilen nach Hause habe begeben müssen." „Ach, wirklich? — Hat er schwache Nerven ?" lächelte der Fürst etwas ironisch, „nun ja, dergleichen greift wirklich an, und auch ich fürchte mich ein wenig vor dem morgigen Trubel." „Ah, Durchlaucht fürchten sich vor der Liebe höchst Ihrer Residenz?" „DaS nicht, lieber Doctor! — man verschwendet zu viel Geld dabei, welches den Armen zu Gute kommen könnte, der Winter steht vor der Thür, dergleichen hat stets einen bittern Nachgeschmack für mich. Doch läßt es sich nicht ändern, ohne die Gemüther zu verletzen, — und — wissen Sie, Doctor, — es ist mein zweiter Vermählungs-Einzug, einen dritten aber soll Niemand wieder erleben. — Nun, davon nichts mehr, Doctor! wovon redeten wir eigentlich?" „Von Ulrich von Jmmendorf, Durchlaucht!" „Richtig, er hat eine sehr schöne Schwester, superbe^Erscheinung, von welcher die Fürstin entzückt ist. Die andere junge Dame ist ihre Pflege schwester, eine entfernte Verwandte von Ihnen?" „Durchlaucht halten zu Gnaden, keine Verwandte, — die verwaiste Tochter eines Freundes meines verstorbenen Vaters, welche allein in der Welt zurückgeblieben." „Und von ihm in seinHaus ausgenommen wurde," sprach der Fürst wohlwollend, „das ehrt den Verstorbenen noch im Grabe. Wie nennt sich die junge Dame doch gleich?" „Magdalena Rosen, Durchlaucht zu Befehl!" „Und Sie heißen Dorner, mein lieber Doctor, da gehört die Dame ja unzweifelhaft zu Ihnen, vom Schicksal gleichsam für Sie prädestinirt, meinen Sie nicht? Rose und Dornen allerliebst!" „Magda ist mir lieb, wie eine Schwester," versetzte Egon ernst, „ich darf den gleichen Wärmegrad der Gefühle von ihrer Seite für mich con- statiren." „Schade!" meinte der Fürst, ihn sinnend betrachtend. „Nun, pardon Doctor! es war nicht böse gemeint. Ich sehe Sie also mitJhrer ganzen Familie bei der Tafel wieder? — Haben Sie mir sonst noch etwas zu sagen, ich lese dergleichen in Ihrem Gesicht." „Ja, Durchlaucht! — ich möchte noch um einige Minuten gnädiges Gehör im Interesse meines Freundes Jmmendorf bitten." „Ah, also doch etwas Besonderes mit seiner Angegriffenheit," sprach der Fürst, sich in seinen Sessel niederlassend, und mit einer leichten Hand bewegung den Doctor ebenfalls dazu auffordernd, worauf dieser inrespect- voller Entfernung Platz nahm. „Sprechen Sie, lieber Doctor!" nickte ihm der liebenswürdige Fürst freundlichst zu. Egon erzählte kurz, was sich bei dem Einzuge ereignet hatte. „Wieder dieser ominöse Name in eines Dritten Munde, das ist seltsam," sagte der Fürst nachdenklich, „es wird jedenfalls dieselbe Person sein." „Unzweifelhaft, Durchlaucht! — der arme Ulrich sieht sich verrathen und verkauft, falls man ihn verhaften und ihm den Prozeß machen sollte. Er fürchtet, daß Ew. Durchlaucht ihn alsdann fallen lassen müsse." „Fürchtet er das wirklich?" rief der Fürst, gedankenvoll den Doctor anblickend, „allerdings bin ich kein Despot, welcher Gesetz und Recht beugt, um seinen Willen durchzusetzen und einen Schuldigen vor Strafe zu schützen. Aber hier, denke ich, liegt die Sache anders, und meine fürstliche Pflicht und Aufgabe gipfelt dabei einfach in der Verhütung eines Justizmordes. Ich muß die Richter, welche nach dem unseligen Thatbestand das Schuldig unbedingt aussprechen müssen, vor jenem Verbrechen schützen. Das ist meine Ueberzeugung, Doctor!" Dieser erhob sich tief bewegt, um vor dem ebenso edlen als klugen Fürsten, dessen Geistesschärfe den jungen Mann überraschte, das Knie zu beugen, um ihm so seinen Dank und seine Huldigung darzubringen. Der Fürst hob ihn rasch auf und drückte ihm die Hand, „Ich dulde das von keinem Menschen, mein lieber Freund!" sprach er lächelnd, „von Ihnen, dem freien, geraden Manne erwartete ich dergleichen am wenigsten, obwohl es mich deshalb besonders erfreuen und mit Stolz erfüllen sollte. Es ist nicht wohlgethan, dem Fürsten jede Pflichterfüllung als hohe Tugend anzurechnen, er verliert den Maßstab für sein Thun und Streben nach jener selbstlosen Aufopferung, welche wir erst mit dem er habenen Ausdruck „Tugend" bezeichnen dürfen. Nun aber eilen Sie zu Ihrem Freunde, und übermitteln ihm meine fürstliche Ueberzeugung." Er winkte freundlich mit der Hand und Egon verließ das Gemach und das Schloß, um mit freudig bewegtem Herzen den Weg nach der Schloß straße einzuschlagen. XX. Auch dieser festliche Tag war für die Stadt X. vorübergerauscht. Zur Tafel hatten Alle, welche zur Aristokratie und den Angesehensten der Stadt zählten, Einladungen erhalten, während sich das Volk an's Schloß heran drängte, um die glänzenden Toiletten zu bewundern und seine Glossen zu machen. Mit einer geheimen Scheu war Ulrich von Jmmendorf mit Hedwiga der Equipage entstiegen, deren Schlag der alte Johann in Gala-Livree respectvoll geöffnet. Der junge Mann fürchtete auch hier den ihm jetzt verhaßten Namen zu hören und athmete erst ruhig wieder auf, als -r nn-