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WM MÄff 2. Beilage zu No. 41. Freitag, den 24. Mai MS. Tagesgeschickte. Berlin, 2l. Mai. Der König vonZtalien st mit dem Kronprinzen heute Vormittag 10 Uhr 33 Min. hier eingetroffen und von Sr. Maj. dem Kaiser und allen Prinzen, sowie dem Reichskanzler, den Ministern und der Generalität auf dem Bahnhof empfangen und herzlich begrüßt worden. Der Kaiser und der König umarmten und küßten einander wiederholt. An der Seite des Kaisers fuhr der König darauf in feier lichem Zuge durch die prachtvoll geschmückte Triumphstraße, wo Truppen Spalier bildeten, nach dem Schloß. Dicht gedrängte Menschenmassen be grüßten den Monarchen ununterbrochen mit jubelnden Zurufen. — An dem Empfange auf dem Bahnhof nahmen außer dem deutschen Kronprinzen auch dessen Bruder Eitel Fritz theil. Namens der Stadt begrüßten der der Oberbürgermeister und der Stadtverordnetenvorsteher den König. Der Reichskanzler begrüßte Crispi mit mehrmaligem Händedruck. Im ersten Wagen saßen der König und der Kaiser, im zweiten der italienische und der deutsche Kronprinz, die Prinzen Heinrich und Eitel Fritz, in dem späteren Wagen folgten der Reichskanlzler mit Crispi. Bei dem Pavillon vor dem Opernhause hatten die Vertreter der Akademie und andere Kor porationen sich aufgestellt, rechts davon die Künstler in mittelalterlichen Kostümen, links junge Damen in altdeutscher Tracht. Zn der Nähe standen Berliner Sängerchöre, dirigirt von Joachim. Die Sängerchöre stimmten, als der Wagen des Königs nahte, eine eigens hierfür gedichtete Festhymne an, worauf die Hofschauspielerin Hochenburger den von dem Direktor der Nationalgalerie, Jordan, gedichteten Willkommesgruß an den König richtete. Unter brausenden Jubelrufen fuhr der Wagen dann weiter nach dem Schloß. — Deutschlands Kaiser und sein Volk, das zu Tau senden aus allen Theilen des Reiches nach der Residenz geströmt ist, hat heute wieder so recht den alten Spruch von deutscher Gastfreundschaft zu Ehren gebracht, indem sie dem König und den Kronprinzen von Italien ein „Willkomm" bereiteten, wie es schöner nicht gedacht werden kann. Der Herzensfreude wurde auch äußerlich durch die wunderbare Ausschmückung der Straßen und Häuser, durch welche die hohen Gäste ihren Weg nehmen sollten, Ausdruck verliehen. Der Himmel zeigte sich in seinem zartesten Blau und die Sonne meinte es herzlich gut. — Punkt 10 Uhr 33 Min. lief der Extrazug in die Bahnhofshalle, während die Ehrencompagnie die mili tärischen Honneurs erwies und der Kaiser zur Bewillkommnung seines hohen Gastes auf den Salonwagen des Zuges zuschritt. Diesem entstieg sogleich König Humbert mit dem Kronprinzen Victor Emanuel. Beide hohen Herren hatten die Uniform^des 1. hessischen Husarenregimentes Nr. 13 mit dem großen Bande des Schwarzen Adlerordens angelegt und begrüßten sich mit Sr. Majestät durch herzliche Umarmung. Hierauf wurde zunächst die Front der Compagnie abgeschritten. Alsdann wandten sich die Maje stäten dem Kreise der königlichen Prinzen zu; König Humbert schloß den Prinzen Heinrich in seine Arme und reichte dann dem Prinzen Albrecht, sowie dem Prinzen Alexander, dem Erbprinzen von Meiningen die Hand und küßte zärtlich die beiden ältesten Söhne des Kaisers, ebenso begrüßte derselbe die Gemahlin des italienischen Botschafters Grafen Launay. In- ! zwischen hatte sich die Compagnie zum Vorbeimarsch in Sektionskolonnen ! formirt und defilirte vor den Herrschern im Geschwindschritt nach den Klängen des Bersaglirimarsches, den die in Reihen marschirenden Hornisten bliesen. Dann fand eine kurze Cercle um die Majestäten statt. Während desselben stellte Se. Maj. Kaiser Wilhelm seinem hohen Gast den Kriegsminister General von Verdy du Vornis, den Generallieutenant v. Hahnke, den Generaloberst v. Pape, den General der Infanterie Fürsten Radziwill und noch einige andere der zunächst stehenden höheren Offiziere vor. Mit einem jeden derselben wechselte König Humbert einige Worte und begrüßte dann bei dem Verlassen des Perrons noch mehrere ihm persönlich bekannte höhere Offiziere. Die städtische Deputation der Behörden, an der Spitze Ober bürgermeister Dr. v. Forckenbeck, wurde dem hohen Gast vom Kaiser selbst vorgestellt, nachdem Seine Majestät bereits vorher seiner Freude über die gelungene Ausschmückung der Straßen Ausdruck gegeben hatte. Der Ober bürgermeister sprach dem hohen Gaste unseres Kaisers gegenüber die Sym pathie der Stadt Berlin aus, die dieselbe sowohl ihm, als dem italienischen Volke freudig entgegen bringe. Der König drückte sowohl bem Oberbür germeister, als auch dem Stadtverordnetcnvorsteher die Hand. Vor dem Eintritt in oas Kaiserzimmer hatte Se. Majestät dem Fürsten Bismarck die Hand zum Gruße gereicht und mit demselben eine kurze Unterhaltung geführt. Unter den Personen des köngl. Gefolges bemerkte man auch den Conseilspräsidenten Crispi in der italienischen Ministeruniform mit dem Bande des Schwarzen Adlerordens. Als die Majestäten vom Kaiserzimmer aus die Wagen bestiegen, tönten ihnen tausendfache Hurrahrufe entgegen und unter dieser sich fortpflanzenden Begrüßung begaben sich die hohen Herr schaften nach dem Schloß. — Die Deputation der Stadt, Oberbürger meister v. Forckenbeck und Stadtverordnetenvorfteher Stryk, wurde heute bei der Ankunft Sr. Maj. des Kaisers auf dem Bahnhof von demselben mit den Worten begrüßt: „Ich gatulicre zu der schönen Ausschmückung der Straßen, es ist Alles herrlich gelungen. Den Mittelpunkt der Sonnabendsdebatte des Reichstages über die Alters- unb Jnvaliditäsversicherungsvorlage bildet die Rede des Reichs kanzlers Fürsten Bismarck, durch welche sich der leitende Staatsmann zum ersten Male über dieses hochwichtige gesetzgeberische Werk vor dem Parlamente äußerte. Der Reichskanzler übte zunächst eine scharfe Kritik an dem Verhalten der die Vorlage bekämpfenden Parteien und bemerkte hinsichtlich der sozialdemokratischen Opposition, dieselbe wundere ihn nicht, denn die Sozialdemokraten seien ja vor Allem bemüht, Unzufriedenheit zu säen. Was die Freisinnigen anbelangt, so wies der Kanzler auf deren mehr als 15jährige Opposition gegen ihn und sein Wirken hin und be zeichnete er weiter die Welfen und die elsässischen Protestler als die ge schworenen Gegner des Reiches und seiner inneren Befestigung, also auch der Alters- und Invalidenversicherung. Bedauernd sprach sich Fürst Bismarck über den Widerspruch eines Theiles der Konservativen gegen das Gesetz aus, die betreffenden konserativen Elemente ähnelten da sehr den Sozial demokraten, da sie, wie diese, sich bei Beurtheilung der Frage nur von wirthschaftlichen Interessen leiten ließen; des Widerspruches auch des größten Theiles de- Centrums gegen die Vorlage gedachte Fürst Bismarck aus ¬ fallender Weise gar nicht. Er trat alsdann speziell den Bedenken der ost- und westpreußischen Konservativen hinsichtlich der empfindlichen Mehr belastung der Landwirthschaft im Osten durch die Alters- und Invaliden versicherung entgegen, im Uebrigen ging er auf die Einzelbestimmungen der Vorlage und die vorgebrachten Gegengründe nicht näher ein, sondern präzisirte vorwiegend seine Stellung zum Gesetz. Der Kanzler erklärte hier, er verlange dasselbe in erster Linie als eine Quittung für die Be reitwilligkeit der verbündeten Regierungen, die kaiserliche Botschaft vom Jahre 1881 über die sozialpolitischen Reformen im ganzen Reiche und Lande durchzuführen; auch betonteer, die „Furcht", er könne durch verläumderische Nachreden zu denen gerechnet werden, welche insgeheim wünschten, daß die Vorlage abgelehnt werde, habe ihn bestimmt, im Reichstage zu Gunsten der Vorlage das Wort zu ergreifen. Die Ausdehnung des Gesetzes auf Wittwen und Waisen stellte der Kanzler für später in Aussicht; einstweilen aber handele es sich darum mit möglichst wenig hohen Kosten einen prak tischen Versuch über die Ausführbarkeit zu machen. Ferner bezeichnete es Fürst Bismarck als sehr vortheilhaft für das Reich, wenn dasselbe durch die Alters- und Invalidenversicherung hunderttausende kleiner Rentner er halte und wies er auf die zahlreichen kleinen Rentner in Frankreich hin. Gegen die angeregte Vertagung der ganzen Frage sprach sich Fürst Bis marck mit aller Entschiedenheit aus und zum Schluffe ermahnte er die oppo sitionellen Elemente der Konservativen nochmals eindringlichst, sich von der Gemeinschaft mit den Polen, Welfen, Sozialdemokraten u. s. w. in dieser Frage loszusagen. Salzbrunn i. Schl., 20 Mai. Ein aufmerksamer Leser des „M. T." hatte die Freundlichkeit, demselben über die Ausschreitungen der Aus ständigen auf den in der Nähe von Hermsdorf belegenen Schächten folgende Einzelheiten mitzutheilen: Von der rasenden, etwa 5000 Mann starken Menge wurden unter Anderem von den auf der „Glückhilf"-Grube vor handenen 18000 Sicherheitslampen 14000 Stück zerstört, was allein einen Schaden von 210000 Mk. ausmacht, da das Stück einer solchen Lampe 15 Mk. kostet. Ferner warfen sie Bücher, Contorutensilien, Fenster u. s. w., kurz Alles, was nicht niet- nnd nagelfest war, in den Schacht und schließlich fuhren sie sämmtliche Hunte (kleine Kohlenlowries) an den Schacht und stürzten sie gleichfalls hinunter. Es wird 3 bis 4 Wochen brauchen, um den Schacht wieder fahrbar zu machen. Daß die Bergleute die erwachsenen Töchter des Bergverwalters Fischer an den Haaren in der Stube herumschleiften, Herrn Fischer selbst tödtlich verletzten und einem Steiger das Bein zerschlugen, ist Ihnen wohl schon bekannt. Wie plan mäßig die Arbeiter in der Zerstörung vorgingen, kann man daraus entnehmen, daß sie eine Postenkette von der nächsten Bahnstation (Freiburg) bis zum Schacht gestellt hatten, die sofort die Ankunft des Militärs den bei der Zerstörung thätigen Arbeitern anzeigte. Als die Soldaten eintrafen, wollte Niemand die Uebelthäter gekannt haben, was die Esteren aber nicht hin derte, eine Anzahl Bergleute festz inehmen. Auch heute escortirtcn eine Anzahl 6 bis 8 gefesselte Bergleute, die von ihren Kameraden angegeben worden sind, nach Waldenburg. — Es macht einen schlechten Eindruck, daß die Arbeiter, für die der Reichstag jetzt das Jnvalidengesetz schafft, solche Rohheiten in Scene setzen. Es ist auch unbegreiflich, wie der größte Theil der Presse immer wieder darauf zurückkommt, es seien keine sozial demokratischen Umtriebe bei der Bewegung und die Ausschreitungen seien von Nichtbergleuten ausgeführt worden;, beides ist unrichtig und unwahr. Die großeArbeitseinstellung derwestfälischen Bergarbeiter hat am Montag nach 14tägiger Dauer ihr Ende erreicht, da am Diens tag laut Beschluß der in Bochum versammelt gewesenen Arbeiter-Delegirten die Arbeit auf sämmtlichen Zechen des Oberbergamtsbezirks Dortmund wieder ausgenommen werden sollte. Indessen ist di e Beendigung des Streikes nur eine bedingte, denn wenn nach zwei Monaten die von den Gruben besitzern den Arbeitern gemachten Versprechungen nicht voll erfüllt sind, so soll die Arbeit auf's Neue eingestellt werden; zur Kontrole bleibt daher auch die Organisation des Streike-Komitee's bestehen. Man darf wohl erwarten, daß die Grubenbesitzer schon in ihrem eigensten Interesse die gemachten Versprechungen einhalten werden, so daß ein erneuter Ausbruch des Streikes vermieden wird. Auch in denjenigen Bergrevieren des Westens, in denen der Arbeiter-Ausstand zur Zeit noch fortdauert, steht eine bal dige Beendigung desselben in Aussicht. Dagegen dauert der Arbciterstreik in den schlesischen Kohlenbezirken noch in unverminderter Stärke fort und seit Dienstag haben auch die Bergleute der Umgegend von Zwickau wegen Ablehnung ihrer Forderung einer 30prozentigen Lohnerhöhung durch die Grubenbesitzer die Arbeit eingestellt. Der Generalstreik der Berliner Maurer ist proklamirt worden. Der Beschluß, die Arbeit am Dienstag, 21. Mai, auf allen Bauten ein- zustellcn, wurde am Montag Abend in der Philharmonie von einer im posanten an 7000 Theilnehmern zählenden öffentlichen Versammlung der Maurer Berlins und Umgegend gefaßt. Im Namen der Unterhandlungs kommission berichtete der Maurer Fiedler über die bisherigen erfolglosen Bemühungen der Kommission, den Streik zu vermeiden. Der Vorsitzende Grothmann brachte folgende Resoltion ein: In Erwägung, daß die von uns Maurern Berlins und Umgegend eingesetzte Unterhandlungskommission es nicht zu einer gütlichen Einigung zwischen Meistern und Gesellen hat bringen können und die in dem am 7. Mai stattgehabten drei öffentlichen Versammlungen einstimmig angenommene Resolution von Seiten der Ar beitgeber keine Würdigung gefunden hat, erklären wir, am 21. Mai die Arbeit niederzulegen." Die Streikbewegung unter den deutschen Bergleuten steckt nunmehr auch die belgischen Kohlengrubenarbeiter an, die ja überhaupt gern zu Ausständen neigen. Nach einer Privatmeldung aus Seraing ist am Montag in den Kohlengruben von Marihaye ein theilweiser Streik ausgebrochen, da den Arbeitern die geforderte Lohnerhöhung nicht bewilligt wurde: die Ausdehnung des Ausstandes auf weitere Kohlenbezirke Belgiens wird be fürchtet. Außerdem beginnt sich auch unter den Kohlengrubenarbeitern Englands eine Lohnbewegung geltend zu machen und ebenso wird aus dem nordamerikanischen Staate Indiana von einem Streik der Bergleute berichtet.