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MV" Zweites Blatt. "WD WsM, Wil, Sick-Ich md die Wegeck«. Arntsökatt Ml die Kgl. Amts-auxlmanMiift zu Wei-en. das Kgl- Amtsgericht und den Stadtrat- zu Wilsdruff. Erscheint wöchentlich zweimql, Dienstags und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich 1 Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg. — Inserate werden und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Nr. 90. Freite, den 9. November 1888. Auf sicherer Fährte. Criminal-Roman von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Der Pfarrer war bei dem Namen Santen zusammengezuckt und starrte jetzt düster vor sich hin. „Ja, ja," sagte er, ich kenne die Geschichte, es geschah auf der Hoch zeitsreise, ein junger Ehemann, während die Gattin bedeutend älter erschien, thut nimmer gut, ein solcher Unterschied der Jahre." „Ah, jetzt verstehe ich," rief Newman, einige Male erregt vor sich hinnickend, „die Frau war reich, hatte dem jungen hübschen Edelmann, der nichts sein eigen nannte als den Namen, Alles vermacht, und so kam das Unglück in diesen Bergen, natürlich! — Weshalb war die Thörin so unklug, mit ihm an Abgründen zu spazieren, wo ein Ausgleiten so leicht möglich ist." Der Pfarrer blickte ihn unruhig an, sein wetterbraunes Gesicht war sehr bleich geworden. „Lieber Herr," sprach er mit stockender Stimme, „Sie argwöhnen doch nicht etwa ein Verbrechen?" „Mein lieber Herr Pfarrer," erwiderte Newman, ihn fest anblickend, „nach den heutigen Mitthcilungen, welche ich aus Deutschland erhalten, bin ich sogar davon überzeugt, ja, noch mehr, glaube fast, daß auch Sie diese Ueberzeugung erlangt haben, und zwar durch einen Augenzeugen, der sich Toni nennt. Der Pfarrer erhob sich entsetzt und streckte, ohne ein Wort hervor zu bringen, beide Hände abwehrend gegen seinen Gast. Dann schritt er einige Mal m dem engen Raum ganz erregt umher, worauf er sich wieder seinem Gast gegenüber setzte. „Sagen Sie mir doch erst, Herr Newman," begann er langsam, „wer sind Sie? Welches Handwerk betreiben Sie eigentlich?" „Wer ich bin?" — Ein ehrlicher Mann, welcher dem Gesetze und damit der ganzen Menschheit dient, somit also doch kein schlechtes Hand werk betreibt. Genügt Ihnen das?" „So sind Sie ein Polizeibeamter?" fragte der Pfarrer schwerathmend. „Sie scheinen das Vorurtheil der großen Menge zu theilen und sich vor dem Wort „Polizei" zu fürchten, Hochwürden!" erwiderte Newman erstaunt. „Das ist stark!" „O nein, mißverstehen Sie mich nicht, Herr Newman, —Sie heißen doch wirklich so?" „All right, ist mein Name. „Nun, wie sollte ich mich vor dem Worte „Polizei" fürchten, oder irgend ein Vorurtheil dagegen hegen, da dasselbe doch die Sicherheit der Völker bedeutet! — Nur kann ich es nicht gutheißen, ohne genügenden Beweis einen Menschen eines so schweren und todeswürdigen Verbrechens anzuklagen. Das Auge täuscht gar oft, es meint die Hand des Verbrechens zu sehen, wo es die einer rettenden Absicht doch gewesen. Ich habe mich nach den Personen genau erkundigt und nur Gutes vernommen, wo Sie das Allerschlimmste wittern. Auf die Phantasie des armen Kindes, dessen Gehirn bei dem Sturze gelitten, werden Sie unmöglich etwas geben können, und was jenen Andern betrifft, so war die Entfernung zu groß, um ein solch' schwerwiegendes Zeugniß gelten zu lassen. Ah, mein lieber Herr!" schloß der gute Pfarrer mit einem siegreichen Lächeln, „die zärtliche Liebe des jungen Mannes für die Verstorbene, welche eine ganze Menge angesehener Zeugen bekunden, nimmt Ihrer ungeheuerlichen Anklage von vornherein jeglichen Boden." Wenn der wackere geistliche Herr glaubte, seinen Gast überzeugt oder moralisch überwunden zu haben, so irrte er sehr; Mr. Newman war aus andcrm Holz geschnitzt und nicht leicht zu besiegen. Er hatte keine Miene bei der Philippica verzogen, sondern trommelte jetzt glcichmüthig mit den knochigen Fingern auf den Tisch und schaute den Pfarrer ruhig an. „Ganz schön, Hochwürden!" sagte er mit einem beifälligen Kopfnicken, „gar nicht anders zu erwarten, würde an Ihrer Stelle ebenso denken und reden, dafür sind Sie ein Diener der Kirche, ich aber bin ein Diener des Gesetzes, Hochwürden, und muß die Sache anders ansehen. Sie sind ein Pfarrer, woran der Herrgott seine Freude haben muß, und deshalb fühle ich mich gedrungen, Ihnen über diesen Herrn von Santen reinen Wein einzuschenken. Aber sind wir hier auch unbelauscht. „Das wohl, lieber Herr!" versetzte der Pfarrer, „doch möchte ich Sie bitten, mir nichts von diesem Herrn von Santen mitzutheilen, es würde keinen Zweck haben und mir nur die Seelenruhe trüben." „Ich möchte aber Ihre Erlaubnis; haben, Ihrem Psarrkinde, dem Toni, die Zunge zuZösen," rief Newman etwas erregt. „Er weiß Näheres über die Affaire, Sie haben ihm aber, weil Sie seine Aussage sür un glaublich halten, verboten, darüber mit Andern zu reden." „Sagen Sie mir erst einmal, wer Sie auf diesen Gedanken gebracht hat." „Ein Mann, welcher mit Ihnen zusammen den Schauplatz betrat, als der Absturz der Dame soeben geschehen war." „Der Amerikaner?" fragte der Pfarrer bestürzt, „aber wie und wo kann er auf den Gedanken mit Toni gerathen sein?" „Sie trafen ihn zweimal im Gebirge, das letzte Mal standen Sie mit Toni an dem verhängnißvollen Abhang." Der Pfarrer blickte seinen Gast mit einem scheuen Staunen an. „Das hätte ich nimmer bei dem Herrn vermuthet," sprach er endlich j fast kummervoll, „er war mir sehr sympathisch —" „Und er verdient auch Ihre Sympathie, hochwürdiger Herr!" fiel Newman mit ungewohnter Wärme ein, „Mr. Stevenson ist einer der wenigen Männer, die meine ungetheilte Hochachtung besitzen. Merken Sie auf, was er für ein Mann ist. — Also, drüben in Amerika leben zwei Deutsche, wollen sie Kain und Abel nennen. Der Kain ist ein Nichtsnutz, der überall zu ernten sucht, wo er nicht gesäet hat, während Abel von edler Herkunft, Sohn eines alten Geschlechtes, daheim in Deutsch land ein wenig wild gewirthschaftet hat, aber sonst ein nobler und guter Kerl ist. die Beiden treffen sich und werden gute Kameraden. Kain erfährt, daß dem Abel, der sein großes Vermögen durchgebracht, daheim eine bedeutende Erbschaft zugefallen ist, voll, er macht seinen Plan, lockt den Kameraden in einen Hinterhalt und schlägt ihn mausetodt, worauf er dessen Papiere und sonstige Werthsachen an sich nimmt und nun, anstatt dem Todten seine eigene Legitimationen in die Tasche zu schieben, wie es doch verständig gewesen wäre, nicht war, Hochwürden?" Der Pfarrer schüttelte tief aufseufzend den Kopf. „Sie meinen nicht? — Doch, doch, es war unverantwortlich dumm von dem sonst so schlauen und gewitzigen Kain. Na, also, anstatt so zu handeln, verschwindet er und läßt durch einen Complicen bezeugen, daß der Erschlagene Kain heiße, welchen die Jdianer stumm gemacht, während sein Freund Abel wahrscheinlich von ihnen mitgeschleppt worden sei. ri^lit, es wurde geglaubt, ich selber, welcher den Todten nicht gekannt, nahm es als wahr an, brachte aber eine Visitenkarte, welche sich in seiner Tasche vorfand, an die Adresse, nämlich an Dr. Stevenson in New-Aork." sprach Newmann weiter, „Mr. Stevenson war mein Mann, Hochwürden! — Warum? weil Abel kurz vorher an ihn geschrieben und den bewährten Advokaten um Regulirung seiner Erbschaft in Deutschland ersucht hatte, Sir! — ich erhielt meine Instruction und sondirte unter Kains Bekanntschaft, fand da unter Andern den Complicen, welcher für Kains Identität gezeugt und hatte ihn an der Angel. Der Brandy thut zuweilen seine Schuldigkeit, hochwürdiger Herr! folgte des Mörders Spur, welche natürlich nach Europa führte, da er die Erbschaft heben wollte. Dr. Stevenson verspürte Lust, die Heimath seiner Eitern zu sehen, es waren Deutsche, Hochwürden, — entschloß sich, in meiner Gesellschaft dem famosen Kain zu folgen, und so kamen wir schließlich zu den braven Tyrolern." Newmann schwieg, blickte den Pfarrer ruhig an und trommelte sich wieder den iLuAss-ctoälo. Der geistliche Herr, welcher seiner wunderlichen Erzählung mit einer Art von Grauen, aber doch auch mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört, war am Schluffe ganz erregt und unruhig geworden. „Weshalb erzählen Sie mir das Alles, mein Herr?" fragte er nach einer Weile. „Na, Hochwürden, die neue Geschichte von Kain und Abel hat Sie doch amüsirt?" „Reden Sie nicht so leichtfertig über solche grauenvolle Dinge," ver wies der Pfarrer mit sanftem Ernst. „Lieber wär's mir freilich, wenn die Geschichte sich als eine von Ihnen erfundene Fabel erwiese." „Dazu fehlt mir die Phantasie," meinte Newmann wegwerfend, „ich arbeite nur in wirklichen Dingen. Wir sind unserm Kain, der mittler weile anderweitig sich amüsirt hat, weil ihm die Erbschaft etwas Skrupel erregen mag, auf der Spur, da wir uns in Abels Ahnenschloß erst ein Bildniß des echten Erben angesehen haben. Auch schien Kain sich erst das standesmäßige Vermögen verschaffen zu wollen, um alsdann den Gra fen anzuziehen und damit den altadeligen Namen seines Opfers zu usur- piren. Auf einen Mord mehr oder weniger konnte es ihm doch nicht ankommen, er war ja schon geübt darin, und das zweite Mal hatte er kinderleichtes Spiel. — Bah, Hochwürden, wer sich in Gefahr begicbt, kommt darin um, und wenn dem Esel zu wohl wird, geht er auf's Eis und bricht ein Bein." Wieder erhob sich der Pfarrer mit allen Zeichen des tiefsten Schrek- kens und Entsetzens. „Nein, nein," rief er, an allen Gliedern bebend, „das ist nicht wahr, ich fühle mich versucht, Ihnen zuzurufen: „Hebe Dich weg von mir, Satan!" „Ja, so geht's doch gewöhnlich," sprach Newmann kopfschüttelnd, „dem elendesten Verbrecher wird immer mehr Glauben und Theilnahme geschenkt, als dem Ankläger, dem Vertreter der öffentlichen Sicherheit. Von Ihnen konnte ich's eigentlich nicht anders erwarten, Hochwürden! Ich glaube, wenn der Bube Ihren eigenen Bruder ermordet hätte, Sie würden ihm ihre Thür öffnen." „Ich wäre kein Priester, würde ich anders handeln," lautete des Pfarrers einfache Antwort. „Doch haben Sie recht mit Ihrer Anklage," setzte er fest hinzu, wenn Ihre furchtbare Geschichte keine Fabel, sondern eine Thatsache und der Mörder durch Ihre rastlose Verfolgung in der Person jenes Menschen wirklich entdeckt ist, dann werde ich mit Toni reden und sein Versprechen, welches er mir in die Hand gelobt, lösen. — Wo befindet sich jener Unselige, den Sie Kain genannt?" setzte er leise hinzu. „Wie die Zeitungen von heute melden, ist in X., einem Städtchen in Westfalen, ein Verbrechen begangen worden, deffen Opfer Herr von