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WM ftMHE ThmM, WM, Mkulche M W WWiAl Nr. 88 Freitag den 2. November 1888 Dagesgcschichte. Berlin, 29, October. Großes Aufsehen erregt die Antwort, welche Kaiser Wilhelm am Sonnabend der Deputation der städtischen Behörde ertheilte, welche ihm die Errichtung eines Kaiser brunnens mitzutheilen gekommen war, an der Spitze derselben standen Oberbürgermeister von Forckenbcck und Stadtverordnetenvorsteher Dr. Stryck. Nach der „N. A. Z." sprach der Kaiser Seine Freude über die Theilnahme aus, mit der die Hauptstadt Ihn auf Seiner Reise begleitete; das freundliche Entgegenkommen, welches Er überall gefunden, habe nicht blos Seiner Person, sondern auch dem Reiche und also auch Seiner Hauptstadt gegolten. — Weiter drückte der Kaiser Seinen Dank für die Ihm bereitete Ueberraschung aus, insbesondere freue Er Sich darüber, daß sie gerade an dem heutigen Tage Ihm dargebracht sei, wo die Kirche, für die Sein Vater stets das höchste Interesse bewiesen habe, ihrer Vollendung entgegengegangen sei. Er hoffe, daß bald noch mehr schöne Kirchen in Berlin erstehen würden. Wenn Er nun gern Sein Heim hier aufschlagc, so müsse Er doch Sein Bedauern und Seinen Unwillen darüber aus drücken, daß während der Zeit, wo Er nach Kräften Sich für die In teressen des Reichs bemüht habe, in der Berliner Presse ein Streit über Verhältnisse Seiner eigenen Familie entbrannt sei, wie ihn sich kein Pri vatmann gefallen lassen könne. Der Kaiser forderte die Mitglieder der Deputation auf, an ihrem Theile dafür zu sorgen, daß diese Ungehörigkeit aushöre. Er würde gern als Berliner zwischen Berlinern wohnen und hoffe auch von der Reise für das Reich die besten Folgen. Diese schroffe Antwort hatte nach dem „Berl. Tagebl." folgenden Wortlaut: Nach einer kurzen Pause fuhr der Kaiser, indem sein Gesicht einen noch ernsteren Ausdruck annahm, fort: „Sie berührten da in Ihrer Adresse meine Reise, welche ich im Interesse des Reichs, im Interesse der Erhaltung des Frie dens, in ferne Länder unternommen habe; ich muß aber hier bemerken, daß es Mich mit tiefer Betrübniß, zum Theil auch mit Unwillen erfüllt hat, daß in meiner Abwesenheit die Presse in der Hauptstadt meines Rei ches sich eines Gegenstandes bemächtigt hat, der nur meine Familie an geht. Jeder Privatmann würde solche Einmischung zurückweisen. Der gleichen Vorgänge müssen die Betheiligten sehr unangenehm berühren, und kann ich die Herren nur ersuchen, ihren Einfluß in dieser Richtung geltend zu macken." Zum Schluß wurde der Kaiser wieder freundlicher und entließ die Herren mit folgenden Worten: „Ich habe zu meinem stän digen Aufenthaltsorte meine Vaterstadt Berlin gewählt und werde mich freuen, den Bürgern meiner Haupt- und Residenzstadt bald nahe zu sein." So weit das „Berliner Tageblatt". Den Schluß der Audienz schildert die „Nat.-Ztg." folgendermaßen: „Nach nochmaligem Danke verließen Majestät sehr ernst, ohne dem Oberbürgermeister die Hand zu reichen und sich die Herren vorstellen zu lassen, den Saal." An den Chef des Ci- vilcabinets, Dr. von Lucanus, soll nach einem Berliner Telegramm des Hamburger Correspondenten seitens der städtischen Deputation, welche Seiner Majestät dem Kaiser gestern die Willkommens-Adresse überreichte, eine Anfrage ergangen sein, auf welche Familienangelegenheit der Kaiser in seiner Ansprache habe Bezug nehmen wollen. Die freisinnige Presse ver sucht bereits, die Antwort des Kaisers auf die Adresse der Berliner städtischen Behörden auszubeuten. Es unterliegt wohl aber keinem Zweifel, daß der Kaiser die Erörterungen einer Anzahl Berli ner Blätter über die Krankheit desselben anläßlich der Mackenzie'schen Broschüre meinte." Von parlamentarischer Seite wird der nationalliberalen „Börs.-Z." geschrieben: In Kreisen, die mit der Auffassung des Monarchen vertraut zu sein pflegen, sah man das Unwetter, das am Sonnabend sich entladen hat, kommen, und es läßt sich auch wenig dagegen einwenden, daß na mentlich der Oberbürgermeister von Forckenbcck so viel Einfluß auf die nächste Umgebung des Politikers von Forckenbcck hätte nehmen können, um jeden weiteren Mißbrauch mit Aufzeichnungen zu hemmen, die Kaiser Wilhelm auf dem Wege der Klage als sein Eigenthum und als sein Geheimniß hat reklamiren müssen. Darüber scheinen nach der Hand wenigstens die meisten Leser der Fortschrittspresse klar geworden zu fein. Wie sich begreifen läßt, ist die Stadt voll von Gerüchten über Amtsniederlegungen u. s. w. Doch dürfte zur Stunde noch keins dieser Gerückte sichere Unterlage besitzen. — Hoffen wir Eines: Daß die kaiserlichen Worte wie ein Gewitter reinigend wirken werden und daß Angelegenheiten des Kaiserhauses nicht mehr in der Art, wie dies bisher geschehen, zum Gegenstand freisinniger Wahlmanövcr mißbräuchlich in die Oeffentlichkeit gezerrt werden. In der Berliner Studentenschaft ist man gesonnen, den von Mackenzie so heftig angegriffenen Professoren v. Bergmann und Gerhardt eine Ovation darzubringen. Dieselbe wird nach einem Beschlusse, den nun mehr der dafür bestehende Ausschuß gefaßt hat, in einer feierlichen und glanzvollen Auffahrt bestehen. Von einer geräuschvollen Feier, wie etwa einem Commerse, hat man aus naheliegenden Erwägungen Abstand ge nommen. An der Auffahrt sollen nickt allein die Mitglieder des Aus schusses theilnchmcn, sondern auch die Vertreter der Korporationen, an die noch eine diesbezügliche Aufforderung ergehen wird. Die Ovation dürfte in einer feierlichen Ansprache gipfeln, in welcher der Vorstand des Aus schusses den verehrten Professoren die Gesinnung der Studentenschaft kund geben wird. Die Theilnehmer der Auffahrt, welche so bald als möglich stattfinden soll, werden mit Bannern und Fahnen, sowie im vollen stu dentischen Wichs erscheinen. Berlin. Die Nachrichten über den beabsichtigten Besuch des Kaisers Mr die Kgl. Amts Hauptmann schäft zu Meißen, das Kgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu WtsdruL. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich 1 Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg.— Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. von Rußland am diesseitigen Hofe in Erwiderung des Besuches unseres Kaisers in Petersburg lauten durchaus widerspruchsvoll. Einstweilen steht so viel fest, daß dem hiesigen Hofe eine Anzeige über das Eintreffen des Kaisers von Rußland noch nicht zugegangen ist. Es scheint indessen, daß der Besuch im Laufe des November erwartet wird. Dagegen ist auch in Hofkreisen bekannt, daß der Gegenbesuch des Königs von Italien am diesseitigen Hofe in der zweiten Hälfte des April k. I. erfolgen soll. Ueber einen Besuch des Kaisers von Oesterreich in Berlin sind Be stimmungen noch nicht getroffen. Von gleichzeitiger Anwesenheit des Kaisers Franz Josef und des Königs Humbert am Hofe des Königs Wilhelm war bisher noch nicht die Rede; es handelt sich in dieser Beziehung nur um Wünsche, die freilich vielfach verbreitet sind. Ueberaus enthusiastisch klingen die Berichte über den Kaiserbesuch in Hamburg anläßlich der am Montag stattgefundenen Zollanschluß feier und lassen sie alle erkennen, zu welch einem Fest- und Freudentag für die Hamburger sich dieser Kaiscrtag der alten Hansastadt gestaltete. Punkt 12 Uhr mittags traf der Kaiserzug an der Lombartsbrücke in Ham burg ein und die Fahrt des Monarchen von hier nach dem Festplatze am Hafen glich einem Triumphzuge. Die Jubelrufe der die prachtvoll geschmückten Straßen nach Hunderttausenden erfüllenden Volksmenge er widerte der Kaiser huldvollst und nahm auch die Blumen entgegen, welche dem kaiserlichen Herrn an verschiedenen Stellen überreicht wurden. Nachdem der Monarch auf dem Festplatze angekommen war und hier auf der für ihn und seine nächste Umgebung bereiteten Trübine Platz genommen batte, hielt Bürgermeister Dr. Versmann eine Rede, in welcher er dem Danke des Senats und der gesammten Bewohnerschaft Hamburgs dafür Ausdruck gab, daß es dem Kaiser gefallen, die Stadt zu ehren und der Feier des Tages durch seine Theilnahme die Weihe zu verleihen. Hierauf wurde die Urkunde verlesen, welche für den Schlußstein des Werkes be stimmt ist und die eine Geschichte des Zollanschlusses enthält. Sodann wurde dem Kaiser der Hammer überreicht und begleitete der hohe Herr seine Hammerschläge mit den Worten: Zur Ehre Gottes, zum Besten des Vaterlandes, zum Wohle Hamburgs. Es folgten sodann General feldmarschall Graf Moltke, die Präsidenten des Senats, die üimmführenden Mitglieder des Bundesrathes, Staatsekretär Graf Bismarck, der stellver tretende Chef der Admiralität Graf Monts, der preußische Gesandte bei den Hansastädten v. Kusserwo, anwesende Mitglieder des Reichstages und die anderen offiziellen Theilnehmer an der Feier. An die letztere schloß sich eine Fahrt des Kaisers an Bord des Dampfers „Patriot" auf der Elbe und zur Besichtigung des Hafens, während welcher dem Kaiser wiederum begeisterte Huldigungen dargebracht wurden; nach der Landung an der herrlich geschmückten Landungsbrücke begab sich der Kaiser unter immer erneuten stürmischen Kundgebungen des Publikums zu Wagen nach seinem Absteigequartier im Jänischen Hause. Hier rastete der Kaiser eine Stunde und begab sich dann nach der Kunsthalle, um an dem ihm zu Ehren von der Stadt Hamburg veranstalteten Bankett theilzunehmen, nach dessen Beendigung der Kaiser ^7 Uhr mittelst Extrazuges nach Fried- richsruh fuhr, woselbst die Ankunft etwas vor 8 Uhr erfolgte. Auf dem festlich geschmückten Bahnhofe wurde der Kaiser vom Fürsten Bismarck empfangen und begrüßte der Monarch seinen Kanzler herzlichst mit wie derholtem Händeschütteln; die Friedrichsruher Feuerwehr, welche Fackeln trug, bildete Spalier. Unter den brausenden Hurrahrufen der trotz des Regens sehr zahlreichen Menschenmenge fuhren der Kaiser und Fürst Bismarck alsbald nach dem Schlosse des letzteren. Der Kaiser verweilte bis zum Dienstag Nachmittag in Friedrichsruh, worauf er nach Potsdam zurückreiste und hier in der achten Abendstunde wieder eintraf. Aus Hamburg, 31. Oktober wird berichtet: Noch klingt in der hiesigen Bevölkerung, die durch den Kaiserbesuch hervorgerufene hohe Fest stimmung freudig nach und schon rüstet sich unsere Vaterstadt zum Em pfang neuer Gäste, der Vertreter von Handel und Industrie aus ganz Deutschland. Die von der Hamburger Handelskammer ausgegangene Ein ladung zu einer Besichtigung der Zollanschlußbauten am 3. November hat in allen deutschen Gauen ven lebhaftesten Anklang gefunden. Vom äußersten Norden (z. B. aus Schleswig) bis hinunter nach dem Süden (Konstanz am Bodensee,) vom weiten Nordosten (Tilsit, Insterburg, Königsberg, Danzig) bis nach den westlichsten Grenzen (Straßburg und Mühlhausen im Elsaß) haben die verschiedenen Handelskörperschaften Vertreter ange meldet, so daß die Zahl derselben sich auf circa 700 beläuft. Für Ham burgs Handel, Schiffahrt und Industrie ist dieser Besuch der berufensten Vertreter dieser Gewerbszweige aus ganz Deutschland hochbedeutsam; gilt es doch, denselben zu zeigen, daß Hamburg wohlgerüstet den Zollanschluß veranlaßten neuen Verhältnissen entgegengeht. Die lebhafte Betheiligung, mit welcher der Einladung der Hamburger Handelskammer allseitig ent sprochen worden ist, bekundet aber auch das Interesse, welches der alten, nunmehr verjüngten Hansestadt überall cntgegengebrackt wird. Petersburg, 31. Oktober. Der Minister des kaiserlichen Hauses theilt Details über die am Montag stattgefundene Entgleisung des Kaiserzuges mit. Der Zug ging Mittags von Taranowska ab und entgleiste zwischen letzterer Station und Borki auf einer durch eine ziem lich tiefe Schlucht führenden Strecke. Während der Entgleisung befanden sich der Kaiser, die kaiserliche Faimlic, sowie das Gefolge beim Frühstück im Speisewaggon. Als der erste Wagen des Zuges entgleiste, entstand rin fürchterliches Schwanken. Die folgenden Wagen flogen auf beide Seiten des Dammes, der Speisewagen verblieb zwar auf dem Bahndamme,