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wohnlichem Organismus, der die Zuneigung und Achtung seiner Freunde, ja selbst seiner Feinde Achtung nicht entbehren mag. Ich weiß ja, daß in dem Sittenkodcx der großen Welt cs für einen Ehrenmann kein Verbrechen ist, die Gattin eines Anveren begehrenswerth zu finden, aber ich bin in dieser Beziehung sehr spießbürgerlich und pedantisch. Wenn ich einst hei- rathe, so muß meine Frau von tadelloser Herkunft und ebensolchem per sönlichen Ruf sein, und glaube mir, ich würde den leisesten Hauch auf dem Schilde meiner Ehre blutig rächen." „Du nimmst den Scherz wichtiger auf wie er es verdient, —Pauli, doch sieb' Dir das Pendant an." Eine Bachantin flieht vor einem Satyr und stürzt sich in die Arme des Mars. — Diese drei waren die Abbilder von Bella von Gleichen, Lionel Alvers und von Buchner. „Wer kann das gemalt haben?" srug Paul bewundert. „Ich habe keine Ahnung, es ist allerdings Käthchens Pinselführnng sowohl wie Anlage der Zeichnung, aber in dieser Vollendung nicht von ihr auSgefürt. „Forsche sie bei Gelegenheit aus, — Du kennst meine Gründe, ich müßte sie sonst selbst fragen, und Du wirst das kaum wünschen, liebste Tante." „Laß' doch die Sache auf sich beruhen: so lange die Bilder hier im Kasten liegen, schaden sie Niemand. — Mir zur Liebe, da ich ja durch Oeffnen des Pultes eigentlich eine Indiskretion begangen habe, ncgire Deine Mitwissensckaft aus doppelten Gründen." „Nun gut, um Deinetwillen, und ich hoffe, daß durch Veröffentlichung niemals ein Conflict heraufbeschworen wird, — Lothar ist ebenfalls nicht der Mann, sich eine öffentliche Satyre gefallen zu lassen, doch jetzt ent schuldige mich, die Zeit drängt, es wird bald els Uhr sein." Er drückte ihre Hand, sie sah ihn besorgt an, worauf er wieder lächelte. „Fürchte nichts, Tantchen, ich balte mein Versprechen." Auf dem Flur begegnete ihm im ersten Stock Käthchen, die mit dem Glockenschlag elf eintraf. Nichts an ihr verrieth, daß seit einer Stunde die große Wendung in ihrem Leben eingetreten war, wo aus dem harm losen Mädchen ein geprüftes Weib geworden. Ihre klugen, grauen Äugen sahen ihn ebenso unbefangen an wie stets znvor, und ebenso frei nahm sie seine Aufforderung zum Nähertreten an, weil er noch seinen Hut und Pelz anzulcgen hatte. Dann verließ sic mit ihm das Haus, die Droschke wartete vor der Thür. „Ich habe etwas Fruchtgelee und Cakes eingekauft, Herr Doctor," sagte sie, auf ein Paket auf dem Rücksitz deutend, „und für die Kleine eine hübsche Puppe und Bilderbücher, — das wird sie mir vielleicht gewinnen helfen." „Sie sind wahrhaft gut, liebste Freundin," er dankte und wollte die Puppe sehen, er forcirte Heiterkeit, um nicht in bittere, zornige Worte auszubrechen und ihr die Frage in das ihm so liebe Gesicht zu schleudern: „Was geht Dich meine Liebe, mein Leben an, wem gabst Du das Recht, mich mit der koketten Syrene lächerlich zu macken?" Aber er zürnte nur innerlich, — sein Mund lobt? lächelnd die Niedlichkeit der blonden Wachspuppe. Zm oberen Saal des Cafs Bauer war am Tage vorher wie in allen Nachmittagstunden gegen fünf Uhr zahlreicher Besuch von Gästen männlichen und weiblichen Geschlechts, die der äußeren Erscheinung nach nicht zu dem übrigen bürgerlichen Element zu rechnen sind. Die Männer tragen kokette Frisuren, weit ausgelegte Kragen mit farbigen Cravatten und auf diesen die vorzüglichsten Brillantnadeln, ihre Hände sind ebenfalls mit kostbaren Ringen geschmückt, und oie elegantesten Uhren sammt Ketten lugen aus den auffallend in Farbe oder Schnitt gehaltenen Kleidern hervor. Die Damen haben die werthvollsten Pelze und letzten Modekleider, auf ihren gepuderten Gesichtern liegt ein Reiz, den die Franzosen den okueiuo dnlls-mion nennen, Riesendiamanten oder Perlen zittern in den geschminkten Ohrläppchen und funkeln auf den üppigen Büsten, — es ist die Elite des Artistenthums, die hier ihr tägliches Rendezvous abhält. Einige Directoren der Specialitätentheater sitzen mit Theateragenten erwägend, unterhandelnd; hier oben ist die Börse für die Götter und Göttinnen des Tricots und der Atlasstiefel. Künstler jeglicher Nationalität, die vor n^un Monaten in Amerika, vor sechs Monaten in Paris, vor drei Monaten in Petersburg sich Lebewohl gesagt, begrüßen sich hier ersreut auf's Neue wieder, denn es herrscht unter dem Völkchen der Specialitäten-Künstler ein kamecad- sckaftlicher Ton. Französisck, englisch, italienisch schwirrt durch die Luft und Alle verstehen alle Sprachen. Ein großer, blonder, auffallend schöner Mann, der Ende der Dreißiger sei mochte, näherte sich einer Gruppe Künstler und Agenten, die abseits an einem Pfeilertischchen saßen. „Na, steht Berlin noch auf dem alten Fleck?" frug er, den Hut lüftend, indem er dem Agenten die Hand reichte. „Ah, Benares, — lassen Sie sich auch mal wieder in Berlin sehen, — und ganz allein, wo haben Sie denn Ihren Robert, — der muß ja jetzt auch ein ganz fixer Kerl geworden sein." „Robert ist todt," Benares knirschte es zwischen den Zähnen hindurch, „er war sehr tüchtig," fügte er wie einen Nekrolog hinzu. „Ach, das ist ja bedauerlich." — Eine Pause folgt, dann hielt der Agent es für besser, das Unabänderliche nickt noch lange zu beklagen und bot ihm einen Platz neben sich, oer auch angenommen wurde. „Wo sind Sie denn gewesen, Benares, wie lange ist es her, daß Sie von Berlin fortgingen?" frug der Agent. „Bald vier Jahre", entgegnet Benares, und ein lauernder Blick schoß aus den großen, selten schönen, hyazinthfarbenen Augen auf seine Tischgenossen, „ich mußte meine Frau damals zurücklassen, die kränkliche Frau und meine Kleine konnte ich nicht nach Petersburg, wohin mein nächstes Engagement führte, mitnehmen, — sie ist bei ihren Eltern in Wien", kam er rasch einer Frage zuvor. Damit waren die persönlichen Beziehungen erledigt, jetzr erkundigte er sich nach Künstlern und Künstlerinnen, die er gekannt hatte, und nach Berufsoingen. Wie bei Leuten dieses Schlags somt immer das Bemühen vorherrscht, sich den Anstrich der meistens mangelnden Bildung zu geben, so verrieth Benares Ton die Absicht, sich des Jargons seiner College« zu bedienen, aber wider Willen brack immer der Dialog eines gebildeten Mannes durch, — zuletzt stand er auf, um sich von dem Zeitungsständer einige Zeitungen zu holen. „Ein fescher Kerl," sagte, ihm bewundernd nachblickend, der Agent, „der hat eine gute Erziehung gehabt, daß er guter Leute Kind, merkt man an seiner Art und Weise." (Fortsetzung folgt.)