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der ! setzen. Kannst Du Dir jetzt eine fesche Wienerin vorstellen, kleine Kate?" wir sie weiter noch nennen werden. „Die fesche Wienerin weiß stets einem Witzwort zu parieren, sie ist schlagfertig und wohlerfahren in Künsten der Koketterie und weiß ihre Vorzüge ins rechte Licht zu Donau sagt." „Und das Wort bedeutet?" fragte Kate-neugierig. „Ach, es ist Euch Engländern gegenüber unübersetzbar," lächelte Mary, wie mit den „Das ist ja ganz unmöglich zu entziffern", rief Kate enttäuscht, worauf sie nach einer Weile erröthete und achselzuckend den Brief zurück gab, weil sie verschiedentlich ihren eigenen Namen, mit zärtlichen Adjek tiven verbunden, gelesen hatte. In diesem Augenblick erschien Baxwell's Dienstmädchen, um Miß Kate zu bitten, einen Augenblick zu der kranken Missis zu kommen. „Bleib' Du nur ruhig hier, Mary!" bat Kate. „Die Mutter ist in der Bedienung etwas eigen, — ich bin längstens in einer Viertelstunde wieder zurück." Sie ging und Mary blieb zu Mrs. Shor großer Genugthuung. Draußen wurde dreimal leise geklopft, worauf Mr. Shor einen Blick mit seiner Frau wechselte und hinausging. Nach einer Weile trat er mit einem schlanken Herrn wieder ein, welcher hochblondes Haar und einen langen röthlichen Bart hatte, wozu die schwarzen Augen und der dunkelbraune Teint einen geradezu unangenehmen Gegensatz bildeten. Der Fremde, welchen Shor als seinen Freund, Mr. Mac Farlane aus Edinburgh vorstellte, verbeugte sich überrascht vor der jungen Dame, deren auffällige Schönheit einen bezaubernden Eindruck auf ihn zu machen schien und betheuerte dann mit fremdartig klingendem Dialekt, daß er leider nicht im Stande sei, lange zu bleiben, sondern nur Mrs. Shor habe be grüßen wollen, um dann morgen seinen Besuch zu wiederholen. Es war ein sehr gewandter Mann, von liebenswürdigen Manieren, was Mary nicht leugnen konnte, obwohl der stechende Ausdruck der schwarzen Augen sie abstieß, während eine unbestimmte Aehnlichkeit sie mit seltsamer Unruhe erfüllte. Der Besuch des Schotten währte in der That kaum zebn Minuten, worauf er sich eiligst empfahl und mit einem langen Blick auf die junge Dame das Zimmer verließ. „Den haben Sie ja vollständig erobert, Miß Stevens!" lächelte Mrs. Shor, „o, nur nicht so abwehrend", setzte sie mit hohem Pathos hinzu, „Mr. Mac Farlane ist sehr reich und von angesehener Familie, — es wäre keine schlechte Partie." Miß Stevens lächelte zerstreut und meinte dann, der Gentlemen müsse vor allen Dingen mit ihrer Freundin Kate bekannt werden, da diese Sym pathie für rothe Bärte bekundet habe. „O, Du arge Spötterin!" tönte es von der Thür her, wo Kate Baxwell auf der Schwelle stand, „wann hätte ich Sympathie für Roth bärte bekundet?" Mary lachte. „Als Du den schwarzen Bärten vorhin den Krieg er klärtest, meine Kleine! — Apropos!" setzte Mary rasch hinzu, „Du mußt dem Rothbart auf der Treppe begegnet sein, er ging vor wenigen Minuten erst fort." „Unsinn, Kind, dann hätte ich ihn doch sehen müssen", versetzte Kate. „Es ist überhaupt kein rothbärtiger Gentlemen, welcher meiner Aufmerk samkeit werth gewesen wäre, ins Haus gekommen; wie erkläre ich mir also Deine Vision?" Bevor Mary, welche ein höchst erstauntes Gesicht machte, hierauf etwas erwidern oder ihrer Verwunderung Ausdruck geben konnte, nahm Mrs. Schor rasch das Wort und bemerkte, daß der Besuch, ein Freund aus Edinburg, trotz alledem ins Haus gekommen sei und dasselbe auch wieder verlassen habe und ganz untröstlich sein werde, daß sein schöner Bart, auf welchen er so große Stücke halte und seinen besonderen Stolz setze, so unbemerkt geblieben sei, wie überhaupt seine ganze Person. Daß der Fremde bei der geschäftlichen Frequenz im Hause von Miß Kate nicht gesehen worden, setze durchans nicht in Erstaunen. Mrs. Shor schloß vieses Thema jetzt mit einer geschickten Wendung, indem sie nach dem Befinden der Fran Mama fragte und dann auf Sig nor Sachini's Schreiben überging, woran sie eine neue Lobhymne seiner Person knüpfte, bis ihr Gatte wieder eintrat und in seiner nervösen Hast eine ganze Geschichte des Mr. Mac Farlane zum Besten gab. „Er ist nach London gekommen, um einen unserer geschicktesten Augen ärzte in Anspruch zu nehmen," fuhr er mit seinem gewöhnlichen kurzen Auflachen fort, „por K3.000! wie unser Freund Filippo sagte, begeht der leichtsinnige Mensch die Unklugheit, seine Schutzbrille abzunehmen und konnte nun, halb geblendet, kaum die Hausthür finden. — Die Sehnerven i sind furchtbar angegriffen, — er ist nämlich ein großer Gelehrter —" „Das sah man seinen Augen nicht an," bemerkte Miß Stevens, als Mr. Shor jetzt eine kleine Pause machte, „im Gcgentheil —" „O, das täuscht gewaltig, — ich sage Ihnen, er hat kaum Ihre Züge unterscheiden können, Miß Stevens! Deshalb starrte er Sie etwas unver schämt an." „Ei, dann brauche ich nicht eitel auf die Eroberung zu sein, Mrs. Shor!" lachte Mary mit leisem Spott, während Kate Baxwell ganz ver wundert den Kopf schüttelte. Endlich verabschiedeten sich die jungen Damen, wobei Kate zum ersten Mal den kleinen Paul vermißte. „Er ist doch nicht krank?" fragte sie theilnehmend. „Er hatte Kopfweh, der arme Schelm, und da habe ich ihn in's Bett gelegt. Jetzt schläft er wie ein Bär," sprach Mrs. Shor mit threm süßesten Lächeln. „Aber nicht wahr," setzte sie hinzu, „ich sehe die Damen bald wieder? — Hier oben ist die schönste Aussicht im ganzen Hause, und wenn Miß Stevens Gefallen daran findet, steht ihr das Fenster dort zur Ver fügung." „Ich werde jedenfalls von Ihrem gütigen AnerbietenGcbrauch machen, Mrs. Shor!" versetzte Mary rasch, „das Straßentreiben macht mir großes Vergnügen." „Gut, auch ich acceptire mit Dank während einiger Morgenstunden, wo ich der Mama die Küchenleitung abnehmen muß," nickte Kate ruhig, „meine theure Mary wird dann keinesfalls Langeweile empfinden. Es darf Ihnen aber durchaus keine häusliche Störung daraus erwachsen, Mrs. Shor! Miß Stevens wird nach dem ersten Frühstück hinauf kommen. Ist Ihnen das recht?" „Gewiß, meine Theure!" versicherte Mrs. Shor mit ihrer einnehmendsten Miene. „Welche Störung könnte mir wohl aus der Gegenwart einer jungen schönen Dame erwachsen? Höchstens, daß sie mein Paulchen und Mr. Shor bezauberte, was immerhin für mich bedenklich wäre." „Ach, Mr. Shor ist auf der Poft und Paulchen in der Schule, Sie haben also nichts zu fürchten, Mrs. Shor!" lachte Kate ganz harmlos. „He, he, he!" lachte auch Mr. Shor, „werde mich krank melden lassen, Miß Baxwell! Haben mich da auf eine köstliche Idee gebracht." „O, daß Paulchen nur nichts davon merkt," meinte seine Frau wirk lich erschrocken, „er wäre im Stande, ebenfalls krank zu werden, nur, um bei Miß Stevens sitzen zu können." „Ja, ist ein Wetterjunge, mein Paul!" bekräftigte Mr. Shor, „giebt kein zweites Exemplar hier in London, das sich an Klugheit und Genie mit ihm messen könnte." „Gewiß, Ihr Paul ist einzig," fiel Kate ihm rasch in die Rede. „Komm nur, liebe Mary, die Mama wird ungeduldig sein." Sie verabschiedeten sich eiligst und befanden sich in der nächsten Minute in Kate's behaglichem Zimmer. „Ich mußte dem Entsetzlichen das Wort abschneiden," rief Letztere, Mary in einen Sessel niederdrückend, „er wäre sonst im Leben mit Paulchens Lobhymne nicht fertig geworden. Erhole Dich, Du armes Opfer, ech Abend bei Mrs. Shor ist einfach schrecklich, und nun willst Du Dir die Morgenstunden auch noch verderben!" Die junge Wienerin blickte starr und nachdenklich vor sich hin, als hätte sie die Worte ihrer neuen Freundin gar N'cht verstanden. „Ich mußte mich aber doch über ihren Scharfblick wundern," fuhr Kate lebhaft fort. „Wie rasch sie mit ihrem Urtheil über Dich fertig war." „Und wie boshaft dieses Urtheil ausfiel," nickte Mary, „ich bin jetzt selber irre an mir geworden. Meinen Landsleuten war ich keine rechte Wienerin, weil ich ihnen nicht fesch genug erschien, wie man daheim an Diese hatte aufmerksam zugehört und ein seltsam nachdenkliches Gesicht gemacht. „Du verstehst das Alles nicht, Mary?" „Nein, weil ich mich dieser Dinge schäme." „Ach — ich möchte Wien gern sehen, um die fesche Wienerin kennen zu lernen, meinte Kate zerstreut. „Weißt Du, Mary, es muß den Männern ! doch gefallen." „O, gewiß," nickte Mary, sie erstaunt anblickend. „Ich wollte auch durchaus nicht damit sagen, daß meine feschen Landsmänninnen sich dec Ungeschicklichkeit schuldig machen; es kleidet gut wie eine blitzende Uniform und liegt den meisten Wienerinnen im Blut. Natürlich ist das den Eng ländern sstoolcin^!" Kate lachte. „Freilich, obwohl ich das Wort Haffe, ich würde mich ganz vortrefflich in Wien befinden, mich dort bald heimisch fühlen. Wir treiben einen förmlichen Kultus mit der äußeren Schicklichkeit und sind im Stillen durch und durch sstoolcinß. — Nicht wahr, setzte sie nach dieser Selbstkritik mit einem forschenden Blick auf die Freundin hinzu, „deshalb ist auch aus Dir und Mr. Charley kein Paar geworden?" Marianne Bruckner schüttelte ganz erstaunt den Kopf. „Ich kann aus Deinem wunderlichen „spssok", wie Ihr Engländer sagt, durchaus nicht klug werden, Miß Kate!" — Ich glaube wohl, daß Du Dich in Wien bald heimisch fühlen würdest, Du hast etwas dafür, weshalb aber aus mir und Charley Heideck just ein Paar hätte werden müsfen, versteh' ich nicht. Wir sind wie Geschwister ausgewachsen und haben niemals ein anderes Gefühl für einander empfunden." „Er liebt wohl das Fesche sehr," meinte Kate etwas zögernd, „ist sicherlich auch schon verlobt, — wie?" Mary blickte sie überrascht an und unterdrückte ein Lächeln, das sich auf ihre Lippen stehlen wollte. „Weißt Du, Kind, versetzte sie dann sehr ernst, „daß ich Charley Heideck stets für viel zu scheu und linkisch gehalten habe, um Gefallen an feschen Mädchen, überhaupt an unseren! Geschlecht zu finden. Er ist ein gelehrter Mann, der nur noch große Reisen machen möchte, um dann als berühmter Professor und langweiliger Bücherwurm sein Leben zu beschließen." „O, Mary!" rief Kate indignirt. „jetzt verleumdest Du ihn, — eine solche Bosheit hätte ich Dir n mmer zugetraut. Der gute Mr. Charley sieht ganz lebenslustig, ja, wie ein rechter Gentleman aus und wird gewiß niemals ein langweiliger Bücherwurm werden. Als ob jeder berühmte Professor von vornherein dazu bestimmt wäre! Nein, Du Böse, weil er Deiner bezaubernden Schönheit widerstanden —" „Halt, Miß Kate!" unterbrach Marianne sie schalkhaft, „wir sind in gleicher Verdammniß. Weshalb konnte die Hoffnung und der Wunsch der Eltern nicht erfüllt und aus Miß Baxwell und Mr. James Longfield nicht ein Paar werden? Wer hat hier eine Niederlage zu verzeichnen?" „Nun, ich mochte den guten James recht gern, konnte ihn mir aber nie als meinen künftigen Gatten denken. Ich glaube, wenn man sich von Kindheit an so genau gekannt hat, kann eine solche Liebe, wie sie nun einmal zur Ehe gehört, nicht existiren." „Das wird richtig sein," nickte Mary, „streiten wir uns nicht weiter darüber, liebste Kate! Und was unseren Freund Charley anbetrisit, so denke ich. daß die Vertheidigung durch die reizende Miß Baxwell ihm mehr werth sein würde, als seine ganze Gelehrsamkeit." „Spotte nicht so unbarmherzig," bat Kate. „Ich spotte niemals mit solchen Dingen," versetzte Mary ernst, „zürne mir vielmehr, daß ich einen Augenblick ihn darüber vergessen konnte, der hinter Kerkermauem schmachtet und keine andere Hoffnung besitzt, als die Hülfe, welche ihm Liebe und Freundschaft bringen sollen. Sprechen wir also von unserem Besuch; ich halte Mrs. Shor für eine gefährliche intri gante Frau, welche mich haßt." „Dich?" fragte Kate erstaunt. „Freilich", setzte sie eifrig hinzu, „sie haßt jede Schönheit, welche sie verdunkeln kann. Ich möchte lieber, Du gingest morgen nicht zu ihr." „Fürchte nichts, sie soll mich gewappnet finden. Wehe der Armen, die in unserer heutigen Welt nicht immerdar auf dem Kriegsfuß lebt; im Verkehr mit Bekannten, und sogenannten Freunden sehen wir uns stets von allen Seiten durch die Pfeile des Spottes und der Bosheit bedroht, welche uns halb todt zu Boden strecken würden, wenn wir uns nicht in denselben Waffen übten, um uns mindestens vertheidigen zu können. So ist es daheim, so ist es hier, wie ich's bereits empfunden, so ist es aller orten, wo die Politur äußere Bildung das Szepter führt. Die bunt schillernde Schlange warnt uns durch Zischen vor ihrer gefährlichen Nähe; unsere lieben Mittchwestern drücken uns in überfließender Zärtlichkeit an's Herz, um uns desto sicherer mit ihrer Bosheit, ihrem ätzenden Spott zu verwunden." „Aber wir sind doch nicht nicht alle gleich geartet", meinte Kate. „Du und ich machen in erster Reihe eine rühmliche Ausnahme und Mrs. Longfield erst recht. O, ich kenne auch meine lieben Freundinnen und weiß von mancher Wunde zu erzählen, cs ist leider zu viel Firniß, zu viel gesellschaftliches Lügen erlaubt, man kann niemals wissen, wo die Grenze desselben ist und die Wahrheit beginnt. Gott sei Dank, es giebt noch einen Spiegel, der selten trügt; es ist das menschliche Auge, dessen klare Fläche auch Dein Inneres mir erschlossen hat, Du liebe, schöne Wienerin!" Sie schlang den Arm um Marianne, welche sie gerührt an sich drückte und sie ihr geliebtes Schwesterchen nannte. Dann saßen Beide Hand in Hand, um von dem armen James zu reden, bei welcher Gelegenheit auch jenes Schotten, Mac Farlane, erwähnt wurde. „Daß Du ihm auf der Treppe oder im Flur nicht begegnet bist, ist mir unerklärlich", meine Mary kopfschüttelnd. „Ich sinne vergeblich darüber nach, ob ich diesen Menschen nicht irgendwo schon gesehen habe. Seine stechenden schwarzen Augen, der bronzeartige Teint kontrastirten seltsam genug mit dem blonden Haar und rothcn Bart. Lache nicht, Kate, wenn ich Dir sage, daß seine Augen mich an meinen James erinnerten, obwohl ihr Ausdruck mir eine Art Grauen erregte; mein Gott, es ist m der That so, Liebe, dieser Schotte hatte Aehnlichkeit mit James Longfield.