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Zweites Blatt. »WUMM WM, Wil, AMII M die WWickL Atnlsbtalt Kr di« Lgl. Wmtshüuvtmannschaft zu Weißen, das Kgl- Amtsgericht und den Stadtrni- zn Wilsdruff. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnementvreis vierteljährlich I Mark. Einzelne Nummern 10 Psg.— Inserate werden Montags und Donnerstags dis Mittags 12 Uhr angenommen. Nr. 90. Freitag, den 11. November 1887. Die Söhne des Waffenschmieds. Original-Roman von E. Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Fünfzehntes Kapitel. Ein Mutterherz. Von dem in seiner Bauart und Ausdehnung riesenhaften Nordbahn hof Londons fuhren einige Tage später ein Herr und eine Daine in die innere Stadt, um sich nach der City vor Mr. Charley Longfield's Haus fahren zu lassen. Es waren zwei jugendlich schöne Gestalten, welche mit Staunen und schweigender Verwunderung dem Herzschlag der mächtigen Metropole horchten. „Dagegen komint mir unser Wien wie ein Dorf vor, Charley!" be merkte die junge Dame endlich. „Ich möchte hier nicht wohnen, es ist Mir, als würde ich von der Masse erdrückt." „Freilich," nickte Charley Heideck, „aber großartig ist's fürwahr, man fühlt sich gleichsam in einer neuen Welt, wie von einem mächtigen Strom fortgetrieben. Was willst Du, Marianne!" setzte er bedeutsam hinzu, „Du hast Dein Loos für diesen gewaltigen Strom Dir selber gezogen." Marianne Bruckner neigte den Kopf und zerdrückte eine Thräne zwischen den langen Wimpern. O, Charley, mir bangt davor, seiner Mutter entgegen zu treten," seufzte sie. „Wird sie mich nicht von sich stoßen, daß ich hierher komme, anstatt sein Schicksal zu theilen? — Fahre mich lieber nach einem Hotel." „Ei, das fehlte wirklich, Kind! Wo ist die muthige Heldin geblieben, welche es dem Vater des Geliebten in die Hand gelobte, die Mutter zu trösten und nebenbei nach dem wirklichen Mörder zu forschen? Es hätte Unserem James keinen Deut genützt, wenn man auch Dich eingesperrt oder Du Dich in jener kleinen norddeutschen Stadt zu Tode geseufzt oder ge härmt hättest. Hier, an der Seite seiner Mutter, ist Dein Platz, und hier in London will ich nicht ruhen und rasten, bis ich die Spur des Verbrechers entdeckt habe. Du kennst meine Gedanken darüber, welche wir allerdings vor Tante Rositta geheim halten müssen." „Sie schwiegen jetzt, da der Lärm der City jedes Wort verschlang. Endlich hielten sie vor dem alten Hanse, wo die Firma: „Charley Long- field, Waffenschmied", in goldenen Lettern ihnen entgegenleuchtete. Der junge Heideck hob Marianne aus dem Wagen, er zahlte den Kutscher und ließ das Gepäck in's Haus tragen, worauf Beide die Schwelle überschritten. Charley sah seinem Onkel, wie schon bemerkt, ähnlich, und als Frau Rositta, welche mit Verwunderung das Abladen des Gepäcks vom Fenster Ms gesehen, ihnen mit fragendem Ausdruck entgegcntrat, prallte sie förm lich erschreckt zurück und starrte den jungen Mann wie ein Gespenst an." „Tante!" sprach er, ihr die Hand entgegenstreckend. „O, das ist Mary's Sohn aus Wien," rief sie, mit beiden Händen die ausgestreckte Rechte des Fremden ergreifend und ihn näher zu sich heran ziehend. Nicht wahr, Du bist es, Charley?" „Ja, Tante, ich bin Charley Heideck." „Und bringst mir Nachricht von meinem James? — Aber mein Gott, was ist geschehen, daß Du jetzt hierher kommst? Ist Mr. Longfield nicht üngetroffen?" Sie verstummte, als ihr Blick auf Marianne fiel. „Die Dame ge hört zu Dir, Charley!" „Ja, Tante!" „Und ich lasse Euch hier auf dem Flur stehen. Kommt, Kinder, wir wollen jetzt nicht weiter reden, bis Jhr's Euch bequem gemacht und kine Erfrischung zu Euch genommen habt." Sie schritt voran ins Wohnzimmer, von ihren Gästen gefolgt, welchen recht beklommen um's Herz war. „Ich setze voraus, daß diese junge Dame Deine Gattin ist, Charley!" Wandte sie sich fragend an den Neffen. Mariannen's Antlitz wurde in Gluth getaucht. „Lies diesen Brief des Onkels, liebe Tante!" bat Charley, ihr ein Schreiben einhändigend, „er wird Dich über Alles aufklären; doch bitte ich inständigst, nicht zu sehr darüber zu erschrecken und meinem Worte, sowie des Onkels Versicherung vollständig zu vertrauen. Diese junge Dame heißt Marianne Bruckner, ist die Tochter unseres treuesten Freundes und einer geachteten Familie entsprossen." Frau Rositta schüttelte vcrständuißlos den Kopf und betrachtete be sorgt die Adresse, welche die Handschrift ihres Mannes zeigte. „Ich begreife nur, daß etwas Schlimmes passirt sein muß," sprach >e endlich, „und daß dieses Schreiben irgend ein Unheil enthält. Doch Mt Ihr armen Kinder jetzt nicht darunter leiden," setzt: sie entschlossen Mzu, indem sie auf Marianne zutrat und ihr Hut und Reisemantel ab- vahm. „Kommen Sie mit mir, liebes Kind, mein Charley sendet Sie kir, das genügt einstweilen." Sie sah das schöne Mädchen mit mütterlichem Wohlgefallen an, sichelte ihr die Wange und ergriff ihre Hand, um sie in ihr eigenes Schlafzimmer zu führen und hier ein wenig Toilette zu machen oder sich Vach Beleben umzukleiden. Dann sorgte Frau Rositta auch für den Neffen, sowie für einen kräftigen Imbiß, worauf sie sich zurückzog, um den verhängnißvollen Brief des Gatten zu lesen. Die willenskräftige Frau las das Schreiben bis zu Ende, ohne mit der Wimper zu zucken. Dann ließ sie dasselbe in den Schoß sinken und starrte wie geistesabwesend vor sich hin. Nach einer Weile erhob sie sich, um das Zimmer zu verlassen, that einige Schritte nach der Thür, schwankte wie ein hülfloscs Kind und brach dann bewußtlos zusammen. Die beiden Gäste warteten im Wohnzimmer auf die Hausfrau, bis Charley unruhig wurde und das Stubenmädchen herbeirief. Letzteres fand die ohnmächtige Mrs. Longfield und rief mit einem Zetergeschrei Alle her bei. Marianne entwickelte jetzt ihre weibliche Wirksamkeit und hatte bald die Freude, die Bewußtlose in's Leben zurückkehren zu sehen. Mit einem Seufzer strich sie sich über die Stirn, um dann Marianne zu sich herabzuziehen und einen Kuß auf ihre Stirn zu drücken. „Ver zeiht, Kinder," sagte sie leise, „mich wandelte eine plötzliche Schwäche an, welche ich sonst nie gekannt. Habt Ihr Euch mit Speise und Trank er quickt?" „Wir wollen es jetzt in Deiner Gesellschaft nachholen, liebe Tante!" erwiderte Charley, die beiden neugierigen Dienstmädchen mit einem Wink entfernend. „Fühlen Sie sich schon stark genug dazu, Mr. Longfield?" fragte Marianne liebevoll. „Nenne mich Mutter," sprach Frau Rositta leise. „Mein unglück licher James hat Dich zu mir gesandt, um meine Tochter zu sein, — ich bin ihm dankbar für diesen Trost. Er liebt Dich so sehr, wie Charley mir schreibt, aus Deinen schönen Augen spricht Treue und Herzensgüte, ich segne seine Wahl." Marianne sank weinend zu ihren Füßen nieder und umschlang sie mit beiden Armen. „O, meine Mutter! Meine geliebte Mutter!" schluchzte sie. „Welch' ein Himmel liegt in diesem einen Wort, dessen Glück ich nie gekannt." „Armes Kind!" flüsterte Frau Rositta, sich zärtlich auf Mariannen's reine Stirn neigend, „ich will Dich lieben und segnen im Namen meines Sohnes, den die blinde Justiz für einen Mörder hält. Sprich, Charley!" richtete sie sich dann entschlossen auf, „wie kann auch nur die Möglichkeit eines solchen ungeheuerlichen Verdachtes gegen James entstanden und be gründet sein? Erzählt mir kurz den eigentlichen Zusammenhang. Wußtet Ihr schon von einem Mord und dem muthmaßlichen Thäter, als Ihr das Telegramm an Mr. Longfield absandtet?" „Ja, Tante, wir hatten von dem Mord bereits gelesen, dachten aber an keine Gefahr für James und wollten Euch nicht erschrecken, weshalb Dein Sohn das Telegramm in dieser Fassung absandte. Soll ich Alles ausführlich erzählen?" „Ich bitte darum." Charley begann seine Erzählung mit der Ankunft des Vetters in Wien und theilte ihr Alles mit, was ihm James über seinen Besuch des Onkels in X. gesagt hatte. „Er ist beim alten James Longfield gewesen?" unterbrach Frau Ro sitta ihn mit tödtlichem Erblassen. „Er hat mit ihm gesprochen und kein Hehl daraus gemacht? Barmherziger Gott!" Sie hob die gefalteten Hände angstvoll empor und ließ sie dann mit einer verzweifelten Geberde in den Schoost sinken. »Ja, er ist dort gewesen," nickte Charley trüb, „und leider erwiesener maßen an demselben Abend, an welchem der Mord geschehen." „Du nanntest, irre ich nicht, den Namen meines Neffen Filippo Sa- chini," flüsterte die unglückliche Mutter; „wo war dieser geblieben?" „Er hatte sich bei X. von James getrennt und war mit einem Briefe für Euch weitergereist." „Der Brief, — ich erinnere mich jetzt —" rief Frau Rositta schwer- athmend, „ein kleiner Gentleman, welcher James in Wien gesprochen, er zählte mir von diesem Briefe, den wir niemals erhalten haben." „Ein kleiner Gentleman?" wiederholte Charley erstaunt, „Das klingt ja immer räthselhafter, — wir lernten in Schönbrunn allerdings einen kleinen Herrn aus Norddeutschland kennen, der uns die Zeitung mit der Mordgeschichte gab, doch unmöglich Kenntniß haben konnte von jenem Brief, den der Vetter Filippo zur Besorgung erhielt." „Ach, mir wirbelt der Kopf von all' dem Schrecklichen," klagte Mrs. Longfield. „Weshalb ließ Filippo meinen Sohn allein zurück?" „Ja, Tante, darin liegt in der That ein großes Fragezeichen," ver setzte Charley tief aufathmend. „Weshalb, frage ich weiter, hat er den anvertrauten Brief nicht besorgt und James überredet, sich seinen Vollbart von ihm selber wegschneiden zu lassen?" „Filippo hat meinem Sohne den Bart abgeschnitten?" fragte Frau Rositta leichenblaß. „Bis aus einen hübschen Schnurrbart ist James durch ihn ganz glatt rasirt worden, angeblich, damit der alte Mr. Longfield sich nicht vor ihm entsetzen solle. So erzählte mir James." „Weshalb ging der — der Filippo nicht mit ihm nach X.?" fragte sie mit starrem Blick.