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Zweit-'s Matt. WMMckT WrM. Wi, Acckhi HÄ die WWidcii. AmLsbLclLL für die Kgl. Kmtshauptmannschaft zu Meißen, das Kgl. Amtsgericht und dm StadkaH M WtsdnA ^richcint wölvcnu-ch zircinial, Dieustass und Freitags. — Abonnementvre i s vierictjährlich 1 Mark. Einzelne Nummern 10 M. — Jujerare m-rren Montag» und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. 1887 Freiing, deu 28. Oklober Nr. 8« Die Söhne des Waffenschmieds. Original-Roman von E. Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Unsinn," lächelte Wendel, „der junge Gentleman ist so unschuldig daran wie wir, obgleich —" Er brach jetzt ab und wars dem aufhorchen den Detektiv einen seiner harmlosen Blicke zu, „obgleich das Geld ein großer, — ja der größte Versucher im Menschenleben ist," fuhr er ruhig fort. „Kennen Sie den Neffen der Mrs. Longfield, einen gewissen Sachini?" Mr. Hunt starrte ihn an und nickte dann langsam. „Kenn' ihn sehr gut, den Signor Filippo Sachini, ein großer Maler und ehrenwerther Gentleman." „Haben Sie den Signor kürzlich vielleicht hier in London gesehen?" „Nein, er ist nach seiner Heimath zurückgekehrt, um dort sein Erbe zu übernehmen. Sah dem Mr. James sehr ähnlich, aber schöner und stolzer, ein rechter Held, was die Weiber anbetrifft, — waren alle verliebt in ihn." „Ich denke, daß er seinen Vetter nach Deutschland begleitet?" „Nach dem Kontinent, Sir! Gingen zusammen nach Paris, dann aber getrennt nach Italien und Deutschland, hat's mir selber gesagt, der Signor Filippo, war ein ganzer Gentleman, — kommt Ihr Mr. James nicht dagegen, hm, — worum kann dieser das famose Gespenst nicht ge wesen sein, wie?" Wendel zuckte die Achseln, war dieser alte beschränkte Bursche einer der so viel gerühmten englischen Detektivs? „Es kommt darauf an, ob Mr. Janies sein Alibi nachweisen kann, Sir!" fuhr Mr. Hunt eifrig fort. „Wenn ihm nachgewiesen werden könte, daß er in jener norddeutschen Stadt sich aufgehalten und vielleicht gar den Onkel besucht hätte —" „Ja, wenn er, — wenn er —" unterbrach Wendel ihn lächelnd, „mit solchen bequemen Möglichkeiten rechnet kein Kriminalist. Ich fange an, zu begreifen, daß ich auf falscher Fährte mich befunden und werde meinem Kollegen wohl den Vorsprung und damit auch den Triumph des Erfolges gönnen müssen. Freut mich übrigens recht sehr, Ihre werthe Bekanntschaft gemacht zu haben, Mr. Hunt, habe Respekt vor Ihrem eminenten Scharfsinn bekommen." Mr. Hunt lächelte geschmeichelt und meinte, wenn's ihm nur gelänge, den Spitzbuben mit den geraubten Obligationen, welche jedenfalls vom alten Longfield herrührten, abzufassen, dann stände seinem Glück nichts mehr im Wege. „Ah, Sie hoffen, daß der Räuber die Papiere hier in der Bank ein lösen wird?" fragte Wendel erstaunt. „Allerdings; weshalb sollte er das nicht thun, da er keine Ahnung von dem gefundenen Notizbuch haben wird." „Sie vergessen, daß er nur dieses Buches halber als Gespenst wieder kehrte." „M rigllt, Sir! Wir müssen es aber doch voraussetzen, wie denken Sie darüber?" „Ich glaube, daß er kein solcher Dummkopf sein, sondern die Papiere längst bei einem beliebigen Bankier verkauft haben wird, Mr. Hunt!" Dieser starrte ihn wieder etwas verblüfft an und griff dann, sich rasch erhebend, nach seinem Hut. „Ich muß mich sofort erkundigen, ob die Polizei informirt ist," sagte er hastig. „Wollen Sie mir einen Gefallen erzeigen, verehrter Kollege?" fragte Wendel, ihm die Hand reichend. „Sprechen Sie!" „Erstens, der Polizei meine Anwesenheit resp. Privat-Mission zu ver schweigen und mir zweitens die Wirthshäuser zu nennen, welche mein braver John Watson, der sich für heute Urlaub erbeten, gewöhnlich besucht, da ich ihn sprechen möchte." „John Watson verkehrt meistens in Southwark, Castlestreet im „Gol denen Pfau", auch wohl links um die Ecke in der Parkstreet im „Fliegenden Fisch". Und was meine Verschwiegenheit hinsichtlich Ihrer Person anbe trifft, Sir, so können Sie vollständig beruhigt sein, — ich kenne Sie nicht." „Dank Ihnen, Mr. Hunt!" versetzte Wendel, ihm seine Cigarrentasche präsentirend. „Werde vielleicht morgen das Vergnügen haben, mit Ihnen eine Flasche Wein zu leeren, da ich mir London noch einmal recht beschauen möchte.^ Im „Goldenen Pfau" und „Fliegenden Fisch" sagten Sie?" „Southwark, Castlestreet und Parkstreet, am besten, ein Cab zu nehmen, Sir, finden in dem Straßengewirr Ihr Lebtag nicht zurecht." Wendel dankte verbindlichst, und Mr. Hunt ging eiligst fort. Wäh rend jener an's Fenster trat und dem Detektiv, der gleich darauf das Haus verließ, lächelnd nachblickte, sah er plötzlich zwei Herren in dem Strom der Passanten auftauchen, welche sein lebhaftes Interesse erregten. Der eine war Mr. Shor, der andere Mr. North, welcher einen übermäßig breiten Schlapphut, der sein Gesicht beinahe ganz verdeckte, trug. Die Herren schüttelten sich die Hände, tauschten einige Worte miteinander und trennten sich dann nach entgegengesetzten Seiten. Wendel hatte Beide scharf auf's Korn genommen, dann blitzschnell seinen Hut ergriffen und das Haus verlassen. Ohne Besinnen folgte er dem Herrn mit dem Schlapphut, welchen er erst bei einem Straßenüber- gang erblickte. Derselbe stand hinter John Watson, was den kleinen Wendel bewog, sich in Schlangcnwindungen in die unmittelbare Nähe des interes santen Schlapphutes zu bringen. Sein Gehör war ebenso scharf wie seine Sehkraft, und so vernahm er in dem allgemeinen Getöse eine zischende Stimme, welche die Worte „Goldener Pfau" und „9 Uhr Abends" dem vor ihm stehenden Watson zuraunte. Er sah, wie Letzterer den Kopf be jahend neigte, ohne sich umzublicken und hatte noch Zeit, das Gesicht des Gentlemans trotz des breiten Schlapphuts einer kurzen scharfen Prüfung zu unterziehen. Mit großer Höflichkeit und seinem sanften Lächeln suchte Herr Wendel sich jetzt wieder rückwärts zu konzentriren, was ihm auch mit seiner ge wohnten Taktik so ausgezeichnet gelang, daß er sich schon nach wenigen Augenblicken, ohne von Watson bemerkt worden zu sein, aus dem Menschen knäuel befreit hatte und nun rasch mit einem tiefen Athemzuge seinem Hotel wieder zuschritt. In seinem Zimmer uotirte er sich sorgsam, was er gehört hatte und versank dann in ein langes ernstes Nachdenken. Er befand sich nun schon seit drei Tagen in London; sein Chef, der Kommissar Reinick, mußte seinen Brief empfangen haben. Ob derselbe ihm auch ferner freie Hand ließ? — Eine Wolke legte sich auf seine Stirn. „Nur noch einige Tage, da das Glück mich augenscheinlich begünstigt," murmelte jetzt Wendel, „ich würde in diesen» Falle nicht gehorchen können." Im selben Augenblick wurde an die Thür geklopft und dann über reichte der Kellner ihm ein Telegramm an Mr. Rosemeier. „Meine Ahnung!" murmelte er, es rasck öffnend. Das Telegramm enthielt nur die wenigen inhaltschweren Worte: „H. Hal ihn schon in Wien, kommen Sie rasch zurück." „Hat ihn schon," lachte Wendel verächtlich, „o, der kluge Hinze." Er warf rasch einige Zeilen hin und brachte den Zettel selbst nach dem nächsten Telegraphenamt. „Muß noch hier bleiben, bitte um Vertrauen und Verschwiegenheit!" so lautete Wendels Telegramin an den Kommissar Reinick. Vierzehntes Kapitel. Im „Goldenen Pfau." Die Nacht sank herab, ein kalter Wind jagte schwarze Wolken herauf, welche sich in einem langsain rieselnden Regen entluden. Bei der Pauls kirche, deren eherne Zunge soeben die achte Abendstunde verkündete, stand ein kleiner wohlbeleibter Mann mit einer blauen Brille und starkem blon den Vollbart. Er trug einen sogenannten Kaisermantel von grobem Tuch und eine Mütze mit breitem Schirm. Beide Hände in den Manteltaschen, schritt er auf ein Cab zu, dessen Führer sich soeben anschicken wollte, sein Heim aufzusuchen und sagte kurz: „Southwark-Castlestreet." „Well Sir!" versetzte der Kutscher vergnügt, da der Tag recht schlecht gewesen, half dem Gentlemen einsteigen und fuhr eiligst der Southwark- brücke zu, um seinen Fahrgast nach Castlestreet zu bringen. Dieser gab ihm ein gutes Trinkgeld über die Taxe und schlenderte dann durch die unsaubere, ziemlich enge Straße, wo allerlei Publikum, Arbeiter, betrunkene Matrosen, auch wohl lichtscheues Gesindel seinen Weg kreuzte. Er zog, um sich vor dem Regen zu schützen, den Kragen seines Mantels herauf, betrachtete beim Schein des Gaslichts die verschiedenen Firmen der alten Häuser und trat endlich in eine Wirthschaft, welche den stolzen Namen „Zum goldenen Pfau" führte, dessen radschlagendes Abbild in prunkenden Farben den Eingang zierte. Der kleine Mann im Kaisermantel blickte durch ein in der Flur wand befindliches Fenster, dessen grüner Vorhang sich etwas verschoben hatte. Er schaute in einen mit Tabaksqualm angefüllten ziemlich großen Raum, vermochte aber nicht eine Gestalt darin zu unterscheiden und trat deshalb mit raschem Entschluß hinein. Der wüste Lärm, das gottlose Fluchen und das Geklirr der Gläser genirte ihn durchaus nicht, er spuckte ohne Umstände rechts und links aus, schlug den Mantelkragen herab uno fetzte eine unverschämte Miene auf. Dann schlug er mit der Faust auf einen Tisch und bestellte bei dem ver blüfften Kellner ein Abendessen mit Wein, worauf er kaltblütig seinen durchnäßten Mantel abwarf und sich mit einem kräftigen Fluch auf den einzigen leeren Stuhl niederließ, ohne von dem Gaste, welcher allein an diesem kleinen Tisch im äußersten Winkel der geräumigen Stube saß, die mindeste Notiz zu nehmen. „Hm, Sir," begann dieser jetzt, sich verlegen räuspernd, „wollen Sie sich nicht einen anderen Platz suchen? Dieser da ist besetzt." Die blauen Brillengläser richteten sich verwundert auf den Sprecher. „Natürlich ist dieser Platz besetzt," kurrte er. „Bin ich etwa Luft in Euren Augen, Mann?" „Ach was, ich habe den Stuhl für meinen Freund besorgt, aber nicht für Sie." „Sachte, mein Lieber," unterbrach ihn der Kleine. „Mit Eurem Glase Bier könnt ihr dem Wirth keine Separetplatze bezahlen. Ich bin ein freier Schweizer und kenne meine Rechte."