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Stark« und große Leute sind selten gewandte Diener, sie vermögen sich nicht leicht zu bücken und zu drehen, um überall rasch bei der Hand zu sein; aber wer Helene Schwarz sah, gewann augenblicklich die Ueber- zeugung, daß sic trotz ihrer plumpen Formen eine große Rührigkeit ent falten konnte. Alle ihre Bewegungen waren rasch und gewandt, und die großen dunklen Augen schienen nur fortwährend auf der Hut zu sein, irgend einen Dienst erweisen zu können. Ihr ganzes Auftreten war ein fach und natürlich und ihre Antworten bescheiden, sogar etwas zurückhal tend. Man sah es dem Mädchen an, daß es ihm schwer fiel, die Freun din in's Verderben zu stürzen. Als der Rath Helenen zu einer offenen, rückhaltlosen Mittheilung aufforderte, traten ihr die Thränen in die Augen. „Wie gern wär' ich still gewesen," und ihre Lippen bebten, „es ist ein hart Stück Arbeit, die beste Freundin anzuzeigen, aber das Kind war so lieb und freundlich, ich hatt's so gern und ich konnnt' als Verwandte des Scholzen nicht stillschweigen und wenn es mir das Leben gekostet hätte." „Erzählen Sie noch einmal den Vorgang," bemerkte der Rath. „Mein Vetter, der Scholz, sagt mir sonst Alles, was er thun will," begann die Magd, aber davon hatte er kein Wort verloren, daß er schon so früh nach dem Tode der Frau — die Bertha sich holen wollt', er wußte schon, daß ich ihm das ausgeredet haben würde. Nun kam sie doch — und ich war ganz erschrocken, — da mocht ich nicht mit ihnen Kaffee trinken, obwohl mich Bertha dazu recht freundlich einlud, ich ging lieber in die Kammer und setzte mich zu meinem lieben Kinde. Die Kleine schlief so gut, und ich hockt' mich etwas an den Ofen und mag wohl ein wenig eingenickt sein, aber fest schlief ich nicht, Herr Gerichtsrath," be- theuerte die Magd besonders. Die Magd fuhr fort: „Ich hörte wohl endlich die Thür gehen, doch ich war so müde, daß ich nicht völlig erwachte. Mir war's, als ob Jemand nahe an mich herankäme, und als ich die Augen aufmachte, sah ich Bertha an der Wiege stehen und sich tief über das Kind hinwegbeugen. Nun wollt' ich rufen: Was machst Du da? aber ich war noch zu müde und schlaftrunken, und eh' ich ein Wort vorbringen könnt', war sie schon wieder verschwunden. Ich saß eine Weile dort, war ganz verwundert und sann darüber nach, was die Bertha eigentlich im Alkoven gewollt, und endlich ging ich an die Wiege, um nach dem Kinde zu sehen. Das Kind war jetzt munter, und wie erschrak ich, als dem armen, kleinen Wesen die Augen so unruhig im Kopse umherrollten, die Augen immer größer wurden und es sich unruhig in der Wiege hin und her warf. Ich schrie um Hülfe. Da kam der Scholz herbei und ich bat ihn, gleich den Doktor holen zu lassen. Aber die Krämpfe wurden immer stärker, das Kind begann am ganzen Leibe zu zittern, es lächelte noch einmal merkwürdig und dann war es todt." Die Magd hatte mit großer Lebhaftigkeit erzählt, und als sie das Sterben des Kindes schilderte, zeigte sie sich ganz besonders tief erschüttert. Sie mußte das Kind wirklich sehr geliebt haben. „Und Sie waren völlig munter, als Sie Bertha Lindner an der Wiege sahen?" fragte der Gerichtsrath. Helene schien zu ahnen, daß an Beantwortung dieser Frage das Schick sal ihrer Freundin hing, sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie fest und entschlossen: „Ich war völlig munter." „Aber dann müssen Sie auch gesehen haben, was die Angeschuldigte mit dem Kinde vornahm?" Die Magd schien sich wieder zu besinnen, augenscheinlich kämpfte das Gefühl der Freundschaft mit ihrer Gewissenhaftigkeit, und weniger sicher als vorhin antwortete sie: „Nein, das habe ich nicht bemerkt." Die Augen des Gerichtsraths ruhten mit forschender Strenge auf der Zeugin: „Wenn Sie völlig munter waren, kann Ihnen unmöglich das Be nehmen Ihrer Freundin entgangen sein!" sagte der Rath und betonte dabei ganz besonders das Wort „Freundin". Sicher hatte ihn die Magd verstanden; sie vermochte nur mit Mühe eine gewisse Unruhe zu unterdrücken und entgegnete nach einigem Ueber- legen: „Bertha drehte mir den Rücken zu, daß ich Nichts sehen konnte." Plötzlich schien ihr noch ein besserer Entschuldigungsgrund einzufallen, ihre Augen leuchteten freudig auf, und sie setzte rasch hinzu: „Ich saß auch zu niedrig, um zu sehen, was Bertha an der Wiege vornahm." „Und Sie waren noch schlaftrunken, nicht wahr?" fragte der Gerichts rath, der nur hören wollte, ob sie auch diesen Entschuldigungsgrund würde gelten lassen, da sie damit noch deutlicher die Absicht an den Tag gelegt hätte, ihre Freundin so weit als möglich zu schonen. Vielleicht reute sie schon ihre Gewissenhaftigkeit, und sie wollte nun ihre rasche Anzeige durch eine unsichere uud unrichtige Aussage wieder gut machen. Hatte Helene die Absicht des Gerichtsrathes errathen, oder ihre Wahr heitsliebe wieder den Sieg gewonnen? Sie erwiderte ohne Zögern: „Nein, Herr Gerichtsrath, ich war völlig munter, als Bertha an der Wiege stand; aber ich kann doch Nichts aussagen, was ich nun einmal nicht gesehen habe." Es lag eine ungewöhnliche Gereiztheit in diesen Worten, die von ihrer bisherigen Sanftmuth seltsam abstach und wohl nur bekunden sollte, daß sie die Wahrheit gesagt habe. Der Gerichtsrath war weit entfernt davon, der Zeugin diese Empfind lichkeit übel zu deuten, er sah wohl ein, daß ihr wirklich die Ausführung des verbrecherischen Vorhabens entgangen sein mußte, und fragte nur noch: „Haben Sie nicht bemerkt, was Ihre Freundin in der Hand gehalten?" „Eine Tasse, so sagte der Scholz," war Helenens Antwort, „deutlich hab' ich die Tasse nicht erkannt; Bertha war zu schnell aus dem Alkoven verschwunden, aber sie ist immer so rasch, das hat sie bei der Gräfin ge lernt," setzte sie zur Entschuldigung hinzu. Die Richtigkeit der letzten Bemerkung mußte auch der Rath zugestehen; die Angeklagte war damals an der gräflichen Tafel wie eine Lacerte hin und her geschlüpft, hatte durch ihre raschen, zierlichen Bewegungen sich das allgemeinste Lob erworben, und die Gräfin war förmlich stolz darauf ge wesen, daß es ihr gelungen, in solch' kurzer Zeit eine Bauerntochter so vorzüglich „abzurichten". „Warum kam denn, als Sie um Hülfe riefen, nur der Scholz, nicht auch Ihre Freundin?" fragte der Gerichtsrath. „Sie war schon fort, denn sie muß bald, nachdem sie im Alkoven gewesen, nach Hause gegangen sein." Die Magd erschrak vor ihrer Aus sage; sie schien jetzt zu bemerken, wie verdächtig sich ihre Freundin durch dies rasche Weggehen gemacht hatte. „Doch ich mag wohl so eine Vier telstunde im Nachdenken gesessen haben," setzte Helene rasch hinzu, „da ist's nicht weiter merkwürdig, daß sie fort war." „Sie haben Ihre Freundin selbst angeklagt, und nun geben Sie sich alle erdenkliche Mühe, Ihr Zeugniß für die Angeklagte so günstig wie möglich einzurichten, das ist ein Widerspruch, den ich nicht begreifen kann!" sagte der Gerichtsrath, und seine Augen ruhten durchdringend auf der Zeugin. (Forts, folgt.) Vaterländische». Wilsdruff. Ueber die am Montag stattgefundene Reichstagswahl sind uns aus unserm Amtsgerichtsbezirke folgende Wahlresultate zugegangcn: Ackermann. Horn. Wilsdruff 391 49 Grumbach 164 24 Hühndorf 24 — Sora 36 — Lampersdorf 26 — Helbigsdorf 65 — Herzogswalde 106 9 Limbach 51 — Kesselsdorf 99 8 Unkersdorf 29 1 Sachsdorf 44 2 Roitzsch 7 — Kaufbach 50 3 Klipphausen 64 2 Blankenstein 73 — Birkenhain 28 — Röhrsdorf 95 — Kleinschönberg 30 2 Weistropp 57 1 Steinbach b. K. 19 — Rothschönberg 81 — Burkhardswalde 51 — Schmiedewalde 34 — Groitzsch 42 — Alttanneberg 51 1 Neutanneberg 30 5 Trotz der angestrengtesten Wahlagitation der sozialdemokratischen Partei auch in unserni Amtsbezirke, ersieht man aus vorstehender Zusammen stellung doch, welch klägliches Resultat sie erzielt; andererseits aber kann unser Bezirk stolz darauf sein, auch in diesem letzten Wahlkampfe wesent lich dazu beigetragen zu haben, daß der Kandidat der Ordnungsparteien den Sieg errungen hat. Nach der vorläufigen Zusammenstellung des Wahlergebnisses vereinigten sich in unserm ganzen Wahlkreise (6.) auf Geh. Hofrath Ackermann 14,870 und auf Productenh. Horn 7722 St. — In Altstadt-Dresden erhielt Handelskammerpräsident Hultzsch 14,951, Baumeister Hartwig 1687 Hotelier Lingke 1110 und Drechslermeister Bebel 9174 Stimmen. Demzufolge ist eine Stichwahl vorzunehmen , zwischen Hultzsch und Bebel. Neustadt-Dresden besiegte Oberappellations- ! rath Klemm seine Gegner mit bedeutender Stimmenmehrheit. — Auch in Chemnitz hat der Wahlkampf, dank den Bemühungen der vereinigten konservativen und Liberalen, mit einem entschiedenen Sieg derselben geendet. Die Sozialdemokraten, welche den 16. Wahlkreis bis her als ihre uneinnehmbare Hochburg betrachteten, Haden denselben ver loren. Dieser Kreis wird während der Session durch einen reichstreuen Abgeordneten im Reichstage vertreten sein. Stadtrath Clauß erhielt ins- gesammt 18,220 Stimmen, während Geiser nur 15,353 Stimmen auf sich vereinigte. Aus Freude über diesen Sieg haben sofort an demselben Abend einige dortige Herren beschlossen, eine Spende zu Gunsten der Chemnitzer Arbeiterbevölkerung zu sammeln. Sofort wurde von 33 Herren die ansehnliche Summe von 2000 M. gezeichnet. Die nähere Bestim mung der Spende bleibt dem Herrn Reichstagsabgeordneten Clauß Vor behalten. — In Leipzig glänzender Sieg für Bürgermeister Dr. Trocndlin. Derselbe erhielt ca. 20,000 Stimmen, Drechslermeister Bebel 10,000 und Munckel 1200 Stimmen. — Leipzig, 22. Februar. Eine wahrhaft großartige, nationale Kundgebung war es, welche sich am gestrigen Abende im Theatersaale des Krystallpalastes abspielte, in welchem seitens der reichstreuen Parteien die Wahlresultate verkündet wurden. Bereits die erste Nachricht, welche ein traf, ließ daraus schließen, daß der bisherige Abgeordnete Bürgermeister vr. Tröndlin begründete Aussicht auf seine Wiederwahl zu haben schien und die nunmehr von Minute zu Minute folgenden neueren Nachrichten bestätigten voll und in saft überraschender Weise die gedachte Vermuthung. Mit brausendem Jubel wurde jede neue Siegesnachricht begrüßt und als schließlich das glänzende Endresultat verkündet wurde, erhob sich ein kaum zu befchreibender, erhebender Jubel und stürmischer Beifall. Oberbürger meister l)r. Georgi brachte hierauf auf den deutschen Kaiser ein drei maliges Hoch aus, worin die überaus zahlreich Versammelten mit dem größten Beifalle einstimmten, und der Jubel brach von Neuem los, als der neu- und wiedergewählte Abg. vr. Tröndlin aus seiner Wohnung herbeigeholt, den Saal betrat und mit den ihm eigenen zündenden Worten ein dreimaliges Hoch auf das Deutsche Reich ausbrachte. Unter vielfachen Hochs auf Kaiser und Reich, sowie Absingen des Liedes „Deutschland, Deutschland über Alles" trennten sich die Versammelten in der gehobensten Stimmung. — Die Agitationskosten für die Wahl Hultzsch in Dresden be ziffern sich bisher aus die stattliche Summe von 36,000 Mk. — Dresden. Durch die vigilante Thätigkeit der hiesigen Königlichen Polizei ist eine große Veruntreuung überraschend schnell zur Entdeckung gekommen. Eine sehr renommirte Berliner Juwelenhandlung hatte an einen der bestsituirten hiesigen Privaten eine Werthsendung von über 60,000 M. in zwei rekommandirten Briefen abgehen lasten. Erst nach Empfangsbe scheinigung, sowie nach erfolgter telegraphischer Verständigung mit dem Berliner Haus hat der hiesige Herr Adressat konstatirt, daß ihm zwei Werth- briefe auszuliefern waren, während positiv nur einer bei ihm abgegeben worden sein konnte und daß das Hauptwerthobjekt im zweiten nicht abge- licferten Werthbriefe enthalten sein müsse. Der Vertreter der Berliner Firma war sofort hierher geeilt, und seinem, namentlich aber dem intelli genten und energischen Vorgehen der Polizei ist cs zu verdanken, daß das fehlende Werthobjekt, welches der Postbote veruntreut hatte, gestern Morgen in einer Schleuß« der Ferdinandstraße intakt vorgefunden wurde. — Die vorläufig ermittelten Betriebsergebnisse der sächsischen Staatseisenbahnen für den verflossenen Monat Januar sind recht günstige zu nennen. Der Personenverkehr erbrachte bei einer Gesammtein- nahme von 1,387 000 Mk. rund 63,000 Mk. Mehrbetrag gegen den vor- j jährigen gleichen Monat und der Güterverkehr erzielte mit 3,800,000 Mk. ! ebenfalls ein Plus von rund 130,000 Mk. Die Gesammteinnahme aus allen Quellen beziffert sich auf rund 5,500,000 Mark und übersteigt die Januareinnahme des Vorjahres um circa 200,000 Mark. — Bei der Königlichen Altersrentenbank in Dresden (Altstadt, Land hausstraße 16, im Landhaus) sind im verflossenen Jahre 2,729,157 Mk. - eingezahlt worden, d. i. 1,018,774 Mk. oder 60 "/„ mehr als im Jahre 1885. Die Gesammtzahl der Einlagen beziffert sich aui 6952 Stück und weist gegen diejenige des Vorjahres eine Zunahme von 26 auf. Die stärkere Zunahme des Betrags zeigt, daß die großen Einlagen mehr als die kleinen zugenommen haben.