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digen Festsetzung der Friedenspräsenz soll ja auch nach seiner Meinung erst am 1. April 1888 ab praktisch werden. Berlin. Am Donnerstag wurde, wie das „Dtsch. Tagcbl." erst jetzt mittheilt, in Berlin der Rechtskonsolent Sparr in seiner Wohnung durch Geheimpolizisten verhaftet. Sparr, welcher zu den Ersten gehörte, die unmittelbar nach dem Erlaß des Sozialistengesetzes von hier ausge wiesen wurden, erhielt später die jederzeit widerrufliche Erlaubnis; sich hier aufzuhalten. „Wie Sparr, so schreibt das „Dtsch. Tagebl." diese Er- laubniß mißbraucht hat, geht daraus hervor, daß er nunmehr wegen vor bereitender Handlungen zum Hochverrath und auf Grund des Gesetzes gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Spreng stoffen (Dynamitgesetz) verhaftet worden ist." Bei der Homburger Gewerbebank sind bedeutende Veruntreuungen des Vorstandes entdeckt worden und ist der Konkurs eröffnet worden. Die Direktoren Schmekler und Tronkner wurden verhaftet. Ven Frankfurter Firmen sind die Deutsche Genossenschaftsbank mit ca. 100,000 Mk. und die Mitteldeutsche Kreditbank mit etwa 120,000 Mk. als Gläubiger be- theiligt. Beide besitzen für ihre Forderungen Deckung. Die Aufregung in Homburg ist groß, da eine erhebliche Anzahl kleiner Leute ihre Spar einlagen bei der Gewcrbebank depouirt haben. Das hieße einen Schachzug gegen Rußland, wenn die Nachricht sich bestätigt. Aus Darmstadt wird berichtet, Fürst Alexander von Bulgarien werde in nächster Zeit nicht nur nach Aegypten, sondern von dort nach Indien reisen, sein Bruder, Prinz Franz Joses von Battenberg, werde ihn begleiten. Wir wollen hier wiederholen, daß englische Blätter schon früher ihrer Regierung gerathen haben, man solle den Fürsten Alexander zum Vicekönig von Indien machen. Zwischen Mantua und Codogno ist am 15. d. ein Lastzug in einen Personenzug eingefahren. Neunzehn Personen wurden leicht verwundet und acht Wagen stark beschädigt. In Belgien sieht's wieder scl-limm aus. In Marchiennes au Pont haben am Sonntag 4000 Kohlengrubenarbeiter eine große Kund gebung veranstaltet. Vian verlangte hauptsächlich die Einführung des allgemeinen Stimmrechts und die Einsetzung von Sühnegerichten. Gegen 2000 Arbeiter striken auch wieder im Kohlenbecken von Charleroi. Es wird eine allgemeine Arbeitseinstellung befürchtet, die Bürgergarden sind an verschiedenen Orten wieder unter die Waffen gerufen worden. Mehrere Führer der sozialistischen Partei sind von Brüssel nach Charleroi abgereist, angeblich um eine allgemeine Arbeitseinstellung um jeden Preis zu verhindern. In Mexiko ist der Oberst Miguel Lopez, den die Geschichte als Verräther gebrandmarkt hat, gestorben. Er war es, der für ein Judas lohn von 10,000 Pesedas den Kaiser Maximilian verrieth, indem er Nachts ein Thor von Queretaro öffnete, die feindlichen Truppen einließ und die Soldaten in das Schlafzimmer des verrathenen Kaisers führte, der dann kriegsgerichtlich erschossen wurde. Den Lohn hat Lopez eingestrichen, aber auch die Verachtung seiner Landsleute; es erging ihm wie meist denVer- räthern, man benutzt sie und giebt ihnen dann einen Fußtritt. London, 19. Januar. In der Ansprache, mit welcher Goschen sich an die Wähler von Liverpool gewendet hat, heißt es: Wie der deutsche Reichskanzler für den Frieden arbeite, so geschehe dies auch seitens Eng lands. England habe niemals daran gedacht, Europa in Verwirrung zu bringen einer Dynastie oder irgend einer Person wegen, die Regierung sei niemals, weder direkt noch indirekt für die Wiedereinsetzung des Fürsten von Bulgarien eingetreten. Was die Wahl eines neuen Fürsten anbe lange, so bilde dafür der Berliner Vertrag die Grundlage der Politik der Regierung, letztere werde nichts thun, was sie von den Mächten trcnrnn könnte, die gegenwärtig für die Sache des Friedens arbeiteten. England stehe, obgleich es nicht seine Sache sei, die Initiative zu ergreifen, der Lösung der bulgarischen Frage keineswegs gleichgiltig gegenüber. — Während einer Theatervorstellung, die gestern Abend in dem Lokale des dramatischen Vereins „Jrelie" in dem Stadtviertel von Spitalsields statt fand, ertönte Plötzlich der Feuerruf. Es wurde dadurch eine solche Panik herbeigeführt, daß bei dem Drängen nach dem Ausgange von den etwa 500 Personen, welche der Vorstellung beiwohnten, 17 Personen, meist Frauen, das Leben verloren. Waterländiftbes. Wilsdruff. In diesem Jahre stehen uns außer der nahen Reichstagswahl auch wieder Landtagswahlen bevor. Verfassungs mäßig hat ein Drittel der 2. Ständekammer auszuscheiden und die des halb nothwendig werdenden Ersatzwahl^ werden, falls nicht außergewöhn liche Verhältnisse dazwischentreten, voraussichtlich im August zur Ausschrei bung gelangen. Dresden hat im 5. städtischen Wahlbezirk (Antonstadt) eine Ergänzungswahl vorzunehmen. In den übrigen städtischen Wahl kreisen haben diesmal Neuwahlen stattzufindcn im 6. Kreis (Freiberg, Wilsdruff, Tharandt) für den Abg. Müller-Freiberg; 7. Kreis (Meißen, Lommatzsch, Nossen, Siebenlehn, Roßwein) für den Abg. Ober- regierungsrath und früheren Amtshauptmann in Meißen v. Bosse-Dresden. Von den Wahlkreisen des platten Landes haben zu wählen der 13. Kreis (Altenberg, Frauenstein, Dippoldiswalde) für den Abg. Gutsbesitzer Steyer- Reinholdshain; 17. Kreis (Wilsdruff-Nossen) für den Abg. Ritter gutspachter Horst-Rothschönberg. — Leipzig. Wie gewogen selbst die höchsten Behörden der Ende d. M. in Leipzig stattfindenden Ausstellung für Volksernährung und Koch kunst sind, geht daraus hervor, daß man die Ausstellungs-Lotterie anstands los genehmigte; dies will viel sagen in einer Zeit, wo es der Landes- Lotterie schwer fällt, ihre Loose abzusetzen. Allerdings ist das Reiner- trägniß der Ausstellungs-Lotterie lediglich zu humanen Zwecken bestimmt, u. a. für den Alberts-Verein, Samariter-Verein, Armen-Anstalten. Ver lost werden nur nützliche Gewinne im Werthe von 3 bis 1000 Mk., an gekaufte Ausstellungs-Gegenstände und Geschenke. Letztere sind sehr zahl reich und werthvoll. Von interessanten Ausstellungsgegenständen sind er- wähnenswerth die Kochgeräthschaften und das Verpflegungsmaterial der holländischen und holländifch-indischen Armee, vom niederländischen Kriegs- Ministerium ausgestellt. Auch ein Kaffeelaum von 10 Meter Umfang und 3 Meter Höhe, mit Blüthen und Früchten (etwa 2000 Schoten) in allen Reife-Stadien, den ein Leipziger Kaffeehaus ausstellt, dürfte noch niemals in Europa gesehen worden sein. — Wegen Ueberfüllung mit Objekten wird eigens für die Ausstellung und trotzdem diese nur 5 Tage dauert, im Garten eine große Jnterimshalle von 12 Meter Tiefe errichtet, welche zugleich die beiden Gartenflügel des Krystallpalastes mit einander verbindet. Darin wird auch die Feldeisenbahn-Küche in einem Waggon 4. Klasse der K. S. Staatsbahn, sowie ein anderer Feldküchenwagen neuester Konstruktion (von einer Hamburger Firma) ausgestellt. In teressant für Fachleute wie Zuschauer muß das „Wettkvchen" nach den verschiedenen Systemen sein. — Leipzig, 18. Januar. Ein heute früh hier abgegangener Post wagen, etwa 800 Pallete enthaltend, ist in Corbetha mit dem gesummten Inhalt durch Feuer zerstört worden. — Leipzig, 19. Januar. In dem mit Fahnen und Emblemen reich geschmückten großen Saale der Centralhalle fand gestern Abend hwr der seit Jahren übliche allgemeine Studentenkommers zur Feier der Gründung des Deutschen Reiches statt. Der Kommers war überaus stark von Studenten und Professoren besucht. Die Galerien zeigten einen reichen Damenflor. Nach Abfingung des alten Liedes „Sind wir vereint zur guten Stunde", ergriff der Rektor Magnisikus Professor Dr. Wolde mar Schmidt, der den Ehrenvorsitz führte, das Wort, um zunächst der Fe'er das Tages der Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches zu gedenken, dann aber den Wiederaufrichter selbst, den Jubelgreis im Silberhaar zu feiern. An einem solchen Tage wie heute solle die akademische Jugend indem sie sich des Errungenen, der Ncuschöpfung des Reiches freue, auch Hinausblicken in die Zukunft und sich bewußt sein, daß Jeder für seinen Theil dereinst die Pflicht habe, nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Feinde des Reiches zu bekämpfen. Mit lauter Begeisterung folgte die Studentenschaft der Aufforderung des Redners und rieb einen kräftigen Salamander auf unsern Heldenkaiser. Den zweiten Trinkspruch brachte Hofrath Prof. Heinze auf Se. Majestät den König Albert aus, den ge liebten Landesherrn und zugleich den Rektor Magnificentissimus unserer Universität, den ruhmreichen Heerführer und Feldmarschall des Reiches. Seiner Aufforderung, auf das Wohl Sr. Majestät des Königs Albert einen kräftigen Salamander zu reiben, kam die Studentenschaft mit jugendlicher Begeisterung nach. Hatten schon diese Toaste mächtig gezündet, so erreichte angesichts der parlamentarischen Kämpfe der vorigen Woche die Begeisterung ihren Gipfel, als Professor (der Geschichte) Maurenbrecher sich erhob, um auf den gewaltigsten Mann der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, auf den Reichskanzler Fürsten Bismarck, zu toasten, der trotz einem Reichstag wie dem eben verflossenen, zum Wohle des Vaterlandes alle schweren Kämpfe ruhmvoll bestehen werde. Diese Reichstagsmehrheit aber, die sich von einem „Welfen von ausgepichtester diabolischer Bosheit" und von einem öden Worthelden und „persönlich gehässigen Doktrinär" leiten lasse, richte sich selbst, und einer solchen vaterlandsfeindlichen Reichs- tagsmehrhsit den Garaus zu machen, dazu möge auch Leipzigs Studenten schaft, sobald sie hinaustrete ins öffentliche Leben, nach besten Kräften redlich beitragen und dem Kanzler, der mit seiner Heeresvorlage zum Heile des Vaterlandes durchdrungen werde, gleichviel ob jetzt oder später, dem Fürsten Bismarck, dem eigentlichen Gründer des Reiches, ihre nationale Gesinnung auch durch die That bekräftigen und im Kampfe gegen die äu ßeren Feinde des Reiches ebenso wie gegen die inneren treu zum Kanzler stehen zum Heile und Wohle des großen theuren Vaterlandes. In ent husiastischer Stimmung rieb die Studentenschaft, dazu vom Redner aufge fordert, einen urkräftigen Salamander auf den Fürsten Reichskanzler, daß den Gegnern desselben schier die Ohren davon geklungen haben müssen, Danach ward einstimmig der Beschluß gefaßt, Huldigungstelegramme an Kaiser Wilhelm und König Albert, sowie an den Fürsten Bismarck, später auch noch -in gleiches an Graf Moltke abzuscnden. Nachdem man noch einen Salamander auf die Le'pziger Professoren gerieben, dankte in deren Namen Konsistorialrath Professor Luthardt, versichernd, die Studentenschaft sei selten so wie diesmal patriotisch ernst und hoch erregt gewesen und das mit vollem Recht. Handle es sich doch darum, für die Reichsregierung und besonders für den Grafen Moltke einzustehen, dem diese Reichstags majoritätsführer nach Art des homerischen Schwätzers Theresites mit kecker Stirn in ihrer Unwissenheit und militärischen Nichtigkeit entgegentreten sich angemaßt hätten. Mit dein Wunsche, daß die Leipziger Universität zumal stets ein Altar der Vaterlandsliebe sein möge, rieb Redner auf die Leipz. Studentenschaft seinen Salamander. Auch der folgende Redner, Geh. Medizinalrath Professor Birch-Hirschfeld zog gegen Eugen Richter und Genossen, diese kleinen Geister, welche, wie einst Theresites den Achilleus, so jetzt einen Bismarck und Moltke zu begeifern sich nicht entblödeten, mit scharfen Worten zu Felde und ließ schließlich den Grafen Moltke, als den eigentlichen Vertreter des deutschen Heeres, hochleben. Damit war der Politische Theil des Kommerses erschöpft. — Mitten im Thüringer Bahnhof in Leipzig wurde am Sonn abend Abend ein 4 Centner schwerer Bär erlegt. Das Thier war für den Leipziger Thierhändler Bode bestimmt und kam von Mainz in einem Gepäckwagen an. Telegraphisch war aber schon von Mainz aus gemeldet worden, daß der Bär sich aus seinem Behälter frei gemacht habe, im Ge päckwagen frei herumlaufe und sehr bösartig sei, sodaß er bei der Ankunft in Leipzig unschädlich gemacht werden müsse. Herr Bode war also mit der geladenen Büchse erschienen, um den „theuern" Petz — der Noth ge horchend, nicht dem eigenen Triebe — vom Leben zum Tode zu bringen. Es wurde auf dem Güterwagen, in dessen Innern der ungeschlachte Fahr gast unterwegs eine Rolle Läuferteppiche zu seiner Unterhaltung zerzaust und zerfetzt hatte, eine kleine Spalte der Thür geöffnet und rohes Fleisch ! dahin gehalten. Als das von der Reise hungrige Thier schleunigst an der Spalte sichtbar wurde, drangen zwei wvhlgezielte Kugeln in seinen Kops und — dieser Bär brummt nie mehr! Der Empfang, der dem ahnungs losen Thier bereitet werden sollte oder mußte, hatte sich doch schon vorher umhergesprochcn, und so hatten sich auf dem Bahnhofe zahlreiche Menschen zu dem Bärenschießen eingefundcn. — Eine ärztliche Honorar-Rechnung kam kürzlich zur Ent scheidung des Reichsgerichts. In Hamburg hatte ein Arzt einen an Ner vosität leidenden Patienten nicht weniger als 445 Mal galvanisirt, ohne den gewünschten Erfolg zu erzielen. Der Arzt beanspruchte für jeden Fall 5 Mk. Honorar, also 2225 Mk. Das war dem Patienten, einem Kaufmann, zu viel. Das Landgericht entschied nach einem Gutachten des Medizinal-Kollegiums, daß jedenfalls nach 50 Sitzungen der Arzt den i Kranken hätte fragen sollen, ob die zweifelhafte Kur fortgesetzt werden solle. Das Reichsgericht war jedoch anderer Ansicht, nämlich, daß es Sache - des Patienten gewesen, die Fortsetzung der Galvanisirung bei seinem Arzte abzubestellen, und fand die Höhe der Rechnung in Ordnung. — Chemnitz, 18. Januar. Der wegen Mordes an dem Fuhr mann Naumann aus Frohburg zum Tode verurthcilte Handarbeiter Chr. Friedrich Schroth aus Großrückerswalde ist heute Morgen halb 8 Uhr, nachdem das Allerhöchsten Ortes eingereichte Begnadigungsgesuch abschläg- lich beschieden worden ist, im Beisein der geladenen Zeugen und einer Anzahl Personen, denen durch Karten der Zutritt gestattet war, mittelst Fallschwerws hingerichtet worden. Trotzdem die Beweise erdrückend waren, leugnete Schroth jederzeit, an dem Morde des unglücklichen Naumann schuldig zu sein. Seinen letzten Stunden sah er nach der Urtheilsver- kündigung ohne besondere Aufregung entgegen und machte seitdem von den den Todeskandidaten gewährten üblichen Vergünstigungen betreffs Speise und Trank ausgedehnten Gebrauch. Die Tröstungen seines Seelsorgers nahm er ohne Gemüthsaufregung hin und auch bei dem Besuche des Scharfrichters behielt er seine Fassung vollstänvig. Mit einer gewissen Sehnsucht erwartete der Verbrecher den Abschiedsbesuch seines Bruders, der aber nicht erschien, und nach seiner, meist im Schlaf verbrachten letzten Nacht, trat er kurz vor halb 8 Uhr, geführt von zwei Dienern und be gleitet vom Arresthausdirektor, sowie dem Geistlichen und seinem Verthei- diger, Herrn Rechtsanwalt Justizrath von Stern, aus der Zelle den ver hängnißvollen Gang an. Am Fuße des Schaffots befanden sich die Mit glieder des Gerichtshofes, der Oberstaatsanwalt, die gesetzlich vorgeschriebe nen 12 Hinrichtungszeugen, die Vertreter der Presse und noch etwa 160