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„Alte!" unterbrach sie Herr Schneider, listig lächelnd mit dem Finger drohend. „Na, ist er's etwa nicht?" — fuhr die Frau eifrig fon, „er müßte heirathen, — ich hab's der Willing schon oft gesagt und sie hätte wahrhaftig nichts dagegen, wenn er nur die Rechte wählte." „Habt wohl schon eine ausgesucht für ihn —" „Ja, das haben wir," nickte Frau Schneider, energisch ihre Strick nadeln schwingend. „Der arme Doktor!" „Ach, Andreas, schwatze mir nicht drein, — Ihr Männer seit es sammt und sonders nicht werth, eine gute Frau zu besitzen, — da Ihr nun und nimmer ihren Werth erkennt und wunder meint, tyran- nisirt zu werden, wenn die Frau auch einmal einen Willen für sich beansprucht. Ihr nehmt die Rechte für Euch vorweg und überlaßt uns gar zu gern die Pflichten; Dank dem Himmel, daß er mir nur Knaben und kein Mädchen gegeben, die doch nur zum Märtyrerthum auf Erden bestimmt sind." Herr Schneider schmunzelte still vor sich hin und hüllte sich in eine dichte Rauchwolke, er kannte die Vorzüge seiner herzensguten Frau und hörte ihre Strafpredigten stets mit bewunderungswürdiger Gelassenheit an. „Ja, aber, liebe Johanna!" meinte er endlich, als sie eine Pause machte, „wenn die Männer denn nun einmal so gründlich schlecht sein sollen, so kann es sich doch mit Deiner Gerechtigkeitsliebe platterdings nicht vereinen, ein armes Mädchen durch eine Heirath mit unserem Doktor Altmann für ihr ganzes Leben unglücklich und zu einer Sela- vin eines solchen Despoten machen zu wollen." „Na ja, — wahr ist's freilich," erwiderte Frau Johanna etwas verlegen, wobei ihr einige Maschen entfielen, „aber, — es ist ja leider nun einmal unser Loos, dem wir nicht entrinnen können. — Und was unseren Doktor anbetrifst, so hoffe ich, da er die langen Abende doch im Hause zwischen seinen Büchern und dem unvernünftigen Vieh zu bringt, also kein Wirthshausfreund und so dergleichen ist —" Herr Andreas Schneider bekam in diesem Augenblick einen be denklichen Hustenanfall, zumal ihn der Blick seiner Ehehälfte bei den letzten Worten sehr anzüglich streifte. — „Daß unsere Elisabeth Hemberg justement die rechte Frau für ihn wäre," fuhr Frau Johanna energisch fort. „Fräulein Heinberg?" rief der hustende Gatte, erstaunt seine Pfeife sinken lassend, „die wollt ihr mit dem Doktor verkuppeln?—" „Verkuppeln! — ich verbitte mir ernstlich dieses häßliche Wort, Andreas! Was ist denn so Staunenswerthes dabei? — Ist Elisabeth etwa zu schlecht für Deinen Brummbär von Doktor? — O, viel zu gut, sag ich Dir, — und wäre ich nicht davon überzeugt, daß er neben bei ein wirklich guter Mensch, und zu einem recht häuslichen Gatten geschaffen sei, ich würde kein Wort darüber verlieren, da das liebe Kind ja ganz glücklich sich fühlt und keinen Mann braucht. Denn das sage ich Dir, Andreas! hätte ich Mädchen, sie sollten mir alle- sammt was Tüchtiges extra lernen, nm sich selbst ernähren zu können, das halte ich für das beste Mittel, die Männerwelt zur Raison und auf einen andern Standpunkt zu bringen." „Gewiß, Kind, gewiß!" nickte Herr Schneider in seiner gemüth- lichen Weise, „eben deshalb will mir Dein Heirathsprojekt durchaus nicht einleuchten, da Fräulein Heinberg jedenfalls ihre Unabhängig keit nicht eintauschen würde für die goldenen Ketten einer solchen Ehe. — Oder — weiß sie von diesem Plane?" „Was fällt Dir ein, Andreas! — nicht die blasse Idee hat sie davon, — na, dann könnten wir nur einpacken." „Gut, wäre mir auch nicht lieb gewesen, da ich für dieses Mäd chen die größte Hochachtung empfinde. — Sie hat mit eisernem Fleiße gelernt, hat auf alle Jugendfreuden, selbst auf die Heirath, verzichtet, um ihren alten Eltern ein erträgliches Alter zu schaffen, da ein Volks schullehrer sich wenig oder nichts erübrigen kann und die Pension nirgends ausreicht. Die alten Heinbergs besitzen einen Schatz an dieser Tochter, die bei dem täglichen Unterrichten kleiner, halsstarriger Kin der sich den heitern Muth bewahrt hat. Man sollte die Elisabeth für ein zwanzigjähriges Mädchen halten, obwohl sie die Dreißig schon überschritten hat." — „Nicht mar, Alter?" rief Frau Johanna eifrig, „das kommt ein zig von der inneren Zufriedenheit, die in der treuen Pflichterfüllung liegt, — das bringt den Menschen ins rechte Gleichgewicht und er hält die Jugend. Wer sieht einem solchen Mädchen die Jahre an? Aber placken muß sich die Arme zum Erbarmen und wenn man dann diesen reichen Hagestolz ansieht, der seine Tage mit nutzlosem Stu- diren vertrödelt, he, Alter, da meine ich, läge ein solcher Gedanke gar nicht so abseits vom Wege." „Will Dir auch keinen Vorwurf daraus machen, — indessen —" „Indessen brauchst Du mich nicht „Alte" zu nennen, Andreas!" fiel Frau Johanna ärgerlich ein. „Hm — wie Du mir, so ich Dir, mein Kind!" „Na, lassen wir das, Männchen!" lachte die Frau, ihm die Hand reichend, „trink nur schnell Deine Tasse aus, damit Stine abräumen kann; unsere Kinder werden nicht lange mehr ausbleiben, fürchte ich, und es ist noch viel zu schaffen auf den heiligen Abend." „Wo der Karl nur bleibt," bemerkte Herr Schneider, rasch seinen Kaffee schlürfend, „ich wollte, Frau, wir hätten den Sausewind erst verheirathet, — ihm fehlt der rechte Zügel." „Ach, geh doch, der Junge ist erst fünfundzwanzig Jahre, viel zu früh zum Heirathen; wäre die Elisabeth zehn Jahre jünger, weiß der Himmel, wenn ich sie mir nicht zur Schwiegertochter wünschte." „Ja, wäre mir auch ganz recht, aber so gehts nicht; — was ich noch sagen wollte, — da ist Kaufmann Müllers Lina, mit der er auf dem letzten Balle viel getanzt haben soll, was meinst Du zu dem Mädchen? Recht hübsch und wohl erzogen, und dazu einzige Tochter, — Müller ist reich, könnte der Junge sich warm hinsetzen, gleich als Compagnon ins Geschäft eintreten. Der Alle warf gestern im Casino so einige kleine Bemerkungen hin — würde keinen Korb bekommen." Frau Johanna hatte wider ihre Gewöhnung den Gatten ruhig aussprechen lassen und saß selbst dann noch eine Weile schweigend da, was Herrn Schneider nicht wenig zu beunruhigen schien. „Ballvekanntschaften haben selten eine glückliche Ehe gestiftet," versetzte sie endlich langsam, „nur im Hause kann man die guten und schlimmen Eigenschaften eines jungen Mädchens beurtheilen. Was Lina Müller aubetrifft, so weiß ich recht gut, daß sie großen Staat macht —" „Na, lieber Gott, die Jugend putzt sich gern und der Vater ist reich —unterbrach sie Herr Andreas eifrig. „Sie läßt sich gar zu gerne die Königin der Bälle nennen," fuhr Frau Johanna unbeirrt fort, „und nimmt die Huldigung aller Män ner entgegen, sie rührt im Hause nichts an und betrachtet die Dienst boten wie Sclaven, — mit einer solchen Frau kann unser Karl nun und nimmer glücklich werden. Lieber möchte er mir ein ganz armes Mädchen als Schwiegertochter bringen, wenn es die Eigenschaften von Elisabeth Heinberg besäße." „Der Begriff des Glücks ist ein sehr verschiedener, liebe Johan na!" versetzte Herr Schneider achselzuckend, „unser Karl liebte von je her das Glänzende und würde sich mit einer solchen Fran sicherlich ganz glücklich fühlen. Der Neichlhum ist nicht zu verachte» „Macht nicht glücklich, Andreas!" fiel Fran Johanna rasch ein, „ohne die rechte Liebe ist eine glückliche Ehe gar nicht denkbar. — Oder sprich, Mann! hättest Du mich weniger lieb gehabt, wenn ich arm gewesen wäre?" „Um des Himmels willen nur nicht solche Erörterungen, meine beste Johanna?" sprach Herr Schneider ernst, „ob ich Dich oder Dein Geld geliebt, diese Frage mag Dir Dein eignes Herz beantworten. Lassen wir die Sache auf sich beruhen, und de» heiligen Abend nicht mit Groll und Uneinigkeit, was Gott verhüten möge, verleben. Un sere beiden ältesten Söhne sind ja mit wohlhabenden Frauen recht glücklich und Schwiegertöchter sowohl als die Enkelchen, für welche wir Alten heute schon vereint den Tannenbaum geschmückt, die Herz- blättchen der Großmama geworden. — Und horch, da kommt der Karl, kein Wort von unserem Gespräch, Mutter, gieb mir einen Ver söhnungskuß wie einst in der Jugend goldenen Tagen!" Sie legte gerührt beide Arme um den Hals des Gatten Und küßte ihn zärtlich wie eine junge Frau. „Ja unsere Ehe war immer noch eine der glücklichsten, — An dreas!" sagte sie leise. „Trotzdem ich gern meinen Schoppen in Gesellschaft trinke und zu den schlechten Mannsbildern gehöre, Du altes, gutes Herz!" lachte Andreas schelmisch. „Ach ja," seufzte Frau Johanna, „das thatest Du früher «sicht und deshalb —" „Guten Abend!" rief eine fröhliche Männerstimme von der Thür her, „träumt ihr im Dunkeln, liebe Eltern?" „Ja, Karl, wir träumten von vergangenen Tagen, wo das Bier mir noch zu bitter war", sprach der Vater, „die gute Mutter , will durchaus eine Biersteuer haben, und erwägt dabei nicht, daß das Ge bräu dann noch viel besser munden würde." „Ach schweig davon," rief Frau Johanna, rasch das Zimmer verlassend, um im nächsten Augenblicke schon mit der Magd und mit der Lampe zurück zu kehren. „Andreas und Johannes werden bald mit ihren Familien erscheinen", fuhr Karl lachend fort, „ich komme soeben von ihnen, die kleine Welt läßt sich nicht mehr länger halten. — Apropos, Mütterchen! werdet Ihr nicht Heinbergs einladen?" „Elisabeth hat die Freundin zu Gaste, da bleiben sie wohl lieber oben." „Wer ist das?" fragte Karl, ein hübscher junger Mann mit kecken lustigen Augen, weiter. „Na, die mußt Du hier doch schon gesehen haben?" rief der Vater, seine Pfeife stopfend, verwundert aus, sie ist eine Waise, lebt bei ihrer Tante, einem alten Drachen, unterrichtet in einer Töchter schule, gleich wie Fräulein Heinberg, und nennt sich Fräulein von Steindorf. Uebrigens ein liebes, fröhliches Mädchen, daß den Son, nenschein in das trübste Wetter zu bringen vermag." „Du scheinst Dich ja gewaltig für das kleine, adelige Fräulein zu interessiren, Vater!" lachte Karl, einen drolligen Seitenblick auf die Mutter werfend. „Ach, das Mädchen ist auch recht niedlich", meinte diese dem Sohne zunickend, obgleich sie unserer Elisabeth nicht das Wasser reicht." „Ja, dazu gehört auch unmenschlich viel, Mutter! ich muß Dir gestehen, daß ich eine solche vollkommene Frau gar nicht möchte, — meine Zukünftige muß ihre Schwächen haben, damit wir gegenseitige Geduld üben können, und lustig, immer lustig sein. Uebrigens könnt ihr die kleine Adelige ja mit einladen, je mehr Gäste, desto mehr frohe Augen für die Weihnachtslichter." „Nein, sie ist mir fremd," entschied Frau Johanna ernst, und überhaupt mir nicht symphatisch; wenn man für sein Brod arbeiten muß, kann man den Adel daheim lassen, der schickt sich nur für die wirklich Reichen und Vornehmen." „Pah, die kleine Toni thäte es gern," sprach der Vater, „aber die Tante wills nicht leiden und die Töchterschule ist auch stolz darauf." „Davon abgesehen," bemerkte Karl, „so halte ich es auch für thöricht, ein Jota an seinem Namen zu ändern, wenn man demselben keine Schande macht. Ich vermag in diesem Falle meine kluge, auf geklärte Mutter wirklich nicht zu begreifen." „Na, laßt es gut sein, Kinder, und helft mir lieber den Weih nachtstisch ordnen," versetzte Frau Johanna lächelnd, „wo ein hübsches Mädchen in Frage kommt, nehmen die Männer, alt oder jung, sogleich Partei." Vater und Sohn folgten lachend in'S Nebenzimmer, wo der präch- Weihnachtsbaum nur noch des Lichterglanzes harrte. — (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. Ein hübscher Zug. Eine in Berlin wohnende arme Wittwe, die sich mit ihren drei Kindern recht kümmerlich durch die Welt schlägt, hat unter ihren Kmdern einen kaum 11jährigen, aber lebhaften und ge weckten Knaben, der mit großer Liebe an seiner Mutter hängt. Eines Tages hörte er, wie die Mutter klagte, daß, wenn sie eine Nähmaschine besäße, sie lohnendere Arbeit finden würde und sie und die Kinder nicht so oft zu hungern brauchten. Wenige Tage darauf stand der kleine Kerl in der Filiale einer auswärtigen Nähmaschinenfirma, und trug dem Inhaber derselben eine so naive Bitte vor, daß er dem Herrn ein heiteres Lachen entlockte. In beweglichen Worten bat er darauf, seiner Mutter zu ihrem bevorstehenden Geburtstage eine alte oder eine von den vielen im Laden „umherstehenden" Maschinen zu schicken, er werde bald eingesegnet und verspreche dann mit Heller und Pfennig Alles zu bezahlen. Auf den Rath des Filialisten wandte sich der Knabe brieflich an den Chef der Firma und die Bitte des Kindes fiel aus guten Boden. Am vergangene» Freitag, einen Tag vor den« von dem Knabe«« angegebenen Geburtstag der Mutter, erkundigte sich ein Herr im Hause derselbe«« in diskretester Weise nach ihren Verhältnissen, und als die Wittwe am andern Morgen die Augen öffnete, nahm der vor Freude fast verklärte Knabe die Mutter bei der Hand und vor deren staunenden Augen stand eine prächtige, ganz neue Nähmaschine ausgerüstet mit allen dazu gehörigen Apparaten. Aber auch den Knaben hatte der freundliche Geber nicht vergessen; unter der Nadel der Maschine, gleichsam als hätte diese eben den letzten Stich daran vollendet, lag ein hübscher neuer vollständiger Knabenanzug, der dem kleinen Burschen ersichtlich eben so viel Freude machte, wie die neue eiserne „Nähmamsell."