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stimmter, aber unsicherer Signale an die Aussetzvorrichtung an der Hängebank, die durch das Aufsitzen des andern Gestelles auch ihr Seil- trum verschloß, angetrieben wurden, so daß ein Seilbruch erfolgte und sie in eine Tiefe von bezw. 340 und 374 w stürzten und zum Theil als Fragmente aufgehoben werden mußten. Bemerkenswerth ist, daß die Taschenuhr des Beckert noch erhalten war und noch ging. Hewonnen und verspielt. Erzählung von Ludwig Habicht. (Schluß.) Ottilie hatte sich an das Bett ihres Mannes gefetzt, nm feine ab gerissenen, leisen Reden zu verstehen, sie unterbrach ihn mit keinem Wort, nur je weiter ihr Gatte sprach, je tiefer senkte sich ihr schönes Haupt. Als er nicht weiter sprach, erhob sie es langsam: „Und?" fragte sie leise, während ihre thränenfeuchten Augen in banger Er wartung auf seinem Antlitz ruhten. Der Athem Tannbergs ging langsam nnd schwer. Ich bin ver loren," keuchte er endlich mühsam hervor, „ich habe alles auf das Spiel gesetzt — meine Stellung, meine Ehre, o, mein Gott!" — Er schlug die Hände vor's Gesicht und heiße Thränen rollten über feine Wangen. „Max, fasse Dich," sagte die junge Frau, die jetzt mitten in dem drohenden Unglück ihren Muth und ihre Selbstbeherrschung wieder gewann. „Wenn Du Schulden gemacht hast, um zu spekuliere», so müssen wir uns jetzt einschränken, alles Ueberflüfsige verkaufen, und glaube mir nur, bei Deinem hübschen Gehalt können wir mit Fleiß und Sparsamkeit nach und nach eine bedeutende Summe decken." „Nein, nein, Du weißt noch nicht alles!" brach es von den Lippen des völlig verzweifelten Mannes. „Ich habe mehrere Tausende meiner Kasse entnommen und heute ist Revision." — Er stieß dabei von neuem ein krampfhaftes Schluchzen aus. Einen Augenblick war es der jungen Frau, als wiche der Boden unter ihren Füßen und sie sänke plötzlich in einen Abgrund. . . Hatte sie den» recht gehört? — Ihr Mann, ihr einziger, theurer Max war zum Schurken, zum Diebe geworden und hatte sich an dem ihm an vertrauten Gute vergriffen?! O, dieser Schlag traf sie härter als alles. Ihr Herz drohte still zu stehen und ihre Gedanken begannen sich zu verwirren. Taniiberg wagte seine Frau nicht anzusehen und fuhr mit un sicherer Stimme in feiner Beichte fort: „Ich wollte noch einmal mein Glück versuchen und sehen, ob ich nicht im Spiel wieder gewinnen könnte, was ich an der Börse verloren. Ich kannte einen Ort, wo hoch gespielt wird und ging hin. — Anfangs kam auch wirklich mein altes Glück; aber es schlug plötzlich um, und nun ist alles aus. O, Ottilie, kannst Du mir verzeihen, daß ich Lich so unglücklich gemacht habe?!" Und er streckte in heftiger Selbstanklage verzweifelnd nach ihr die Arme aus. Die junge Frau erhob sich und trat einen Schritt zurück. Es war ihr unmöglich, in der Nähe ihres Mannes zu bleiben; sie em pfand Plötzlich gegen ihn eine Abneigung, die sie vergeblich zu beherr schen suchte. „Du wendest Dich von mir?! O, verlasse mich nicht, wenn ich nicht völlig verzweifeln soll!" bebte es von feinen zitternden Lippen. Dies Wort rief sie zu ihrer Pflicht zurück. Sie konnte ihn nicht mehr achten, aber sie durfte ihn jetzt nichtverlaffen, jetzt, wo er hoff nungslos und verzweifelnd die Arme ausstreckte. „Und ist Dir gar nicht mehr zu helfen? Ist nicht die Summe auf irgend eine Weise zu schaffen?" fragte sie langsam und zögernd. „Nein, nein, sie ist zu groß, es fehlen neuntausend Mark," stieß er heftig heraus. „Heute ist die Revision; Hartung wird glücklich fein, mich vernichten zu können," und mit einem düsteren Lächeln fetzte er hinzu: „Wie wird er sich freuen, daß er sich jetzt an dem glück lichen Nebenbuhler endlich rächen kann." „Traust Du ihm wirklich eine so unedle Gesinnung zu?" „Ich müßte die Menschen nicht kennen," war seine Antwort, indem er bitter auflachte. „Der hat längst auf eine solche Gelegenheit ge lauert, und nun muß mich das heimtückische Schicksal so verfolgen, daß ich ihm in die Hände falle." Ottilie mochte ihrem Manne nicht fagen, daß er sich ja sein Schicksal selbst geschaffen habe, nnd sie fragte nur: „Liegt denn die Revision allein in Hartungs Händen?" „Das gerade nicht," war die Antwort, „aber er ist der Einzige, der es damit genau nimmt. Die Anderen würden gar nichts merken, davon bin ich überzeugt, denn sie sind viel zu oberflächlich." „Wann ist die Kaffenrevision?" fragte sie ihn nach kurzem Sinnen weiter. „Um zwölf Uhr ist sie ungesagt." „Und willst Du heute nicht ins Bureau gehen?" „Was kann es helfen?! Doch Du hast Recht!" rief er plötzlich. „Ich will nicht feige fortbleiben, mag auch das Schlimmste über mich zusammenbrechen." Er erhob sich mit einem raschen Entschlusse und kleidete sich an. Zu feiner Verwunderung verließ Ottilie das Zimmer, ohne ein Wort zu entgegnen. Ihr frostiges Benehmen erschütterte ihn tief. — „Ich habe auch Ottilie verloren," dachte er schmerzlich ergriffe», „denn sie wird es mir nie verzeihen, daß ich fremde Gelder veruntreut habe, und doch ist es nur um ihretwillen geschehen." Seine Frau kam bald darauf mit dem Frühstück; aber sie blieb schweigsam uud hatte kein tröstendes, beruhigendes Wort für feine namenlose Qual. Er fragte nach feinem Kinde. „Es schläft noch," war ihre Antwort, und doch wußte er, daß sie nicht die Wahrheit sagte, daß sie ihn nur von seinem Kinde fern halten wollte und ihn nicht mehr für würdig hielt, es zu sehen und es an seine Brust zu drücke» ... In wilder Verzweiflung stürzte er fort, ohne das Früh stück zu berühren. An der Thüre wandte er sich noch einmal um, einen flehenden Blick auf feine Gattin werfend. Sie verharrte regungslos — in ihrem blassen Antlitz war nicht die geringste Spur von Mitleid und Theilnahme zu bemerken. „Lebe wohl," sagte er leise. „Lebe wohl . . ." entgegnete sie ruhig, ohne sich von der Stelle zu rühren. Wie ein Verzweifelter stürmte er hinaus. — Ottilie sah ihrem Manne wie in geistiger Erstarrung nach, plötz lich kam in sie wieder Leben und Bewegung. Sie warf einen Mantel über und eilte nun ebenfalls aus dem Hause. Eine Droschke trug sie rasch an ihr Ziel. Sie hatte wie aus einem mächtigen dunklen An- triebe gehandelt; erst jetzt, als sie vor der Thür stand, die ein Schild mit dem cinsachen Namen „Hartung" trug, kam sie zur Besinnung Was wollte sie denn eigentlich?! —- Bei demjenigen uni Gnade bitten, den sie damals entschieden zurückgewiesen. — Sollte sie sich wirklich dieser tiefsten Demüthigung anssetze»? — Aber durfte sie zögern, wo es galt, ihre» Mann, de» Vater ihres Kiades, vor Schimpf und Schande, vor dem Zuchthanse zu retten!? — Ohne Zögern zog sie an der Klingel. Eine alte Fran öffnete, und auf ihre Frage nach dem Herrn Direktor wurde sie in ei» sehr einfaches Zimmer mit dem Bedeuten geführt, Herr Hartung werde so gleich erscheinen. 4 Schon die Einrichtung dieses Vorgemachs bewies, daß dem jetzigen Bankdirektor sein Glück nicht zu Kopfe gestiegen war. Hier herrschte die größte Einfachheit, auch konnte er keine großen Räume bewohne», denn er hatte nur die Hälfte des ersten Stockwerkes inne, und das alterthümliche, unansehnliche Haus war ziemlich schmal. Ach warum hatte ihr Mann sich nicht ebenfalls damit begnügt, in einfachen schlichten Verhältnissen zu bleibe»?! Jetzt ging schon die Thüre auf und Herr Hartung erschien auf der Schwelle. Er hatte sich nicht im Mindesten verändert, seine Hal tung, lein ganzes Auftreten war noch immer so kühl und eckig wie sonst. War sein Herz von seiner damaligen Schwärnierei für Ottilie längst geheilt, oder wußte er sich völlig zu beherrschen? — In seinem Antlitz zeigte sich kaum die leiseste Bewegung, und ihren Gruß höflich erwidernd, bat er sie, ihm in fein Empfangszimmer zu folgen und fragte nach der Ursache ihres Besuches. I» der förmlichsten Weise ersuchte er sie dann, Platz zu nehmen. Selbst ihr langes Schweige», ihre sichtbar hervortreteiide Aufregung schien ihn nicht zu befremden. Ruhig wiederholte er seine Einladung, Platz zu nehmen und setzte daun in seiner nüchternen, zurückhaltenden Weise Hinz»: „Womit kau» ich dienen?" Ottilie athmete noch einmal tief auf, dann begann sie leife mit bebende» Lippen: „Ich komme als Bittende zu Ihnen. Sic allein können uns retten." Ihre Augen suchten dabei die Hartungs, doch er senkte die seinen zu Boden, als wolle er doch ihre» Blicken ängstlich ausweichen. Der Direktor war mitte» im Zimmer stehen geblieben und ant wortete nicht. Auch sei» Gesicht blieb unverändert. In fliegender Hast, kaum ihrer Thräueu mächtig, bekannte sie ihm jetzt alles ... Er hörte ihr ruhig mit untergeschlagenen Armen zu und sagte jetzt fv kühl und nüchtern wie immer: „Ja, das ist schlimm. Da läßt sich nichts thun!" „O, Sie allein können meinen Mann retten, Max sagte es mir. In ihren Händen wäre sein Schicksal." „Das wüßte ich nicht. — Ich vermag gar nichts." „Neben Sie Barmherzigkeit! Und wenn Sie je ein wärmeres Gefühl für mich gehabt, dann retten Sie meinen Mann, den Vater meines Kindes, vor Schimpf und ewiger Schande!" Sie wollte vor ihm auf die Knie sinken; aber er kam ihr mit einer hastigen Bewegung zuvor und in seine hagere, trockene Gestalt trat ein wenig Leben. „Ich bedaurc wirklich — doch ich vermag da nichts zu thun — meine Pflicht, mein Amt —" Weiter kam er nicht. „Nein, nein, Sie dürfen mich in meiner grenzenlofen Verzweiflung nicht zurückweifen. Seien Sie großmüthig und erbarmen Sie sich meiner und ich werde bis zum letzte» Aihcm- zuge Ihr Andenken segnen." „Ich muß als Revisor meine Pflicht erfüllen, jo traurig sie ist," entgegnete Hartung achselzuckend. „Aber wie hoch beläuft sich die Summe?" „Max sagte, es fehlen neuntausend Mark." „Hm, das ist viel," murmelte Hartung. „Es ihut mir aufrichtig leid. Sie werden hoffentlich meine Lage begreifen. Ich darf mich doch nicht zum Mitschuldigen der Unterschlagung stempeln? —" Dies Wort verfehlte auf Ottilie nicht seine Wirkung. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht, und wie von einem heftigen Schlage be rührt, zuckte sie zusammen: „Sie Haven Recht," sagte sie unter her- vorbrechcnden Thermen. „Verzeihen Sic mir, daß ich Ihnen eine solche Zumuthnng zu machen wagte, aber ich hatte nur den einen Gedanken, meinen Mann zu retten, und nun sehe ich wohl, daß wir dem Unter gänge geweiht sind. Leben Sie wohl! . . ." Und völlig gebrochen eilte sie hinweg. Hartung sah ihr mit trübem, schmerzliche» Lächeln nach, aber er machte nicht die leiseste Bewegung, sie zurückzuhalten. Wenige Stunden später erfolgte die Kassenrevision. Tannberg hatte wenigstens feine Fassung soweit wieder gewonnen, daß er alles dazu vvrbereiten konnte. Der Defekt war nicht zu verbergen — das wußte er. Die peinliche Gewissenhaftigkeit Hartungs mußte ihn rafch und sicher entdecken und jetzt erschien schon der Herr Direktor mit sei- nein Kollegen. Er war so kühl und nüchtern wie immer. Dem Kassirer flirrte cs vor den Augen; er wußte kaum noch, was er sprach und that. — War es nicht das Beste, hinauszustürmen und sich wenigstens der augenblicklichen Verhaftung zu entziehen? — In wenigen Augenblicken war ja doch alles entdeckt! Aber was konnte ihm eine Flucht noch helfen? — Er wollte auf feinem Platze ver harre» und ruhig seine Erklärung abgeben, nm den Becher bis auf die Hefe zu leeren ... In völliger Klarheit stand es Plötzlich vor seiner Seele, daß er sein Schicksal verdient habe. Die Bücher wurden vorgclegt und jetzt ging es an die Revision der Kassenbestände. Hartung allein unterzog sich dieser Ausgabe, fein Kollege wanderte müßig und gelangweilt durch das Zimmer nnd über ließ alles dem eifrigen Direktor, dessen Umsicht und Scharfblick ja be kannt war. Ein Gedanke blitzte durch das Hirn Tannbergs. — Wen» er sich dem ehemaligen Freunde entdeckte, ihm zuflüsterte, welche Schuld er auf sich geladen? — Vielleicht bemühte sich Hartung, ihn zu retten? Aber von diesem kühlen, gleichgiltigen Gesicht war eine solche Groß- muth nicht zu erwarten. — Wie sorgsam prüfte der Mann alles. — Jedes Päckchen Banknoten wurde aufmerkfam gezählt, jede Geldrollc in der Hand gewogen und dann angebrochen, um zu prüfen, ob sie auch wirklich Gold enthielt. Hartung nickte mehrmals befriedigt mit dem Kopfe, dann wandte er sich plötzlich an Tannberg und sagte in seiner leisen, gedämpften Stimme: „Es ist alles in Ordnung bis auf neuntausend Mark," und feine grauen Augen ruhten dabei fragend auf dem ehemaligen Kollegen, als erwarte er hierüber Aufschluß. Dem jungen Kassirer wirbelte es vor den Augen; er wollte spre chen und konnte nicht, er fühlle nur die forschenden Blicke des Anderen auf sich gerichtet und es war ihm, als bohrten sie sich in seine innerste Seele ... Die Kniee drohten im zusammenzubrechen; er wollte laut aufschreien und doch kam kein Laut über seine bebenden Lippen . .