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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für die König!. Amtshauptmannschast zu Meißen, das König!. Gerichtsamt und den Stadtrath zu Wilsdruff. Achtunddreißigster Jahrgang. Dieser Blatt erscheint wöchentlich zweimal (Dienstag u. Freitag) und kostet vierteljährlich 1 Mark. — Annoncen-Annahme bis Montag resp. Donnerstag Mittag 12 Uhr. 30. Freitag, den 12. April 1878. Lire URKKOUKUNG« Die Glocke ruft — auch dir! Mit ehrnem Munde Verkündet sie die ahnungsvolle Zeit, Wo du bekennen sollst die frohe Kunde, Welch frommen Glauben sich dein Herz geweiht. O laß mich heut', tief aus der Seele Grunde, Ein Wort dir sagen treuer Zärtlichkeit; Worin sich alle Herzen heut verbünden, Die stummen Wünsche laß mich laut dir künden! Der sel'gen Kindheit sollst du nicht entsagen! Der Perle gleich in stummer Meeresfluth Sollst du sie fest in treuer Seele tragen, Den liebsten Schatz, des Lebens höchstes Gut; Verkünden wird es deines Busens Schlagen, Verkünden wird's der Wange Rosengluth, Ja, in dein Auge deutlich wird sich's schreiben: Du warst ein Kind, und kindlich wirst du bleiben. Das ist die Jugend, welche nie veraltet, Die Schönheit ist es, welche nie verweht, Das ist die Liebe, welche nie erkaltet. Die süße Hoffnung, welche treu besteht. Dann sei getrost, wie auch das Schicksal waltet, Auf welchen Pfaden einst dein Fuß auch geht: Was bangst du noch, blieb nur der Jugend Blüthe Dir unverwelkt im innersten Gemüthe? So tritt denn fröhlich und getrost in's Leben; Sei dir's ein Maitag, sonnenhell und rein! Kein Sehnen quäle dich, kein eitles Streben, Nie nage dich des Zweifels bange Pein! Ein Engel Gottes möge dich umschweben, Dir ewig hülfreich, ewig nah' zu sein! Doch über Alles sei dir Gottes Frieden; Wem Friede ward, ward Köstliches beschieden. Robert Prutz. Tagesgeschichte. Es gab eine Zeit, da glaubte Jedermann an das Testament Peter des Großen. Seitdem hat Rußland dafür gesorgt, daß Viele über dieses Testament als eine Erfindung lächeln. Und doch war der Verfasser jenes Testaments ein kluger Mann und ein guter Nationalrusse. Man sehe sich doch die angebliche Erfindung heut einmal wieder an. Wie vieles ist erreicht worden, was Peter da mals als russische Politik hinstellte! — Rußland, steht in dem Testa ment, muß immer kriegsfertig sein und nur auf Frieden halten, um Finanzen und Armee herzustellen. — So geschehen. — Rußland muß sich die besten Militär- uud Civilkräfte aus dem gebildeten Europa verschaffen. So geschehen. — Polen muß getheilt werden; den mißvergnügten Nachbarn giebt man eine Zeitlang einen Fetzen, der später wieder eingebracht wird. Theilweise geschehen, der Rest Vorbehalten. — Von Schweden so viel nehmen als möglich, Schwe den und Dänemark uneins machen. Geschehen. — Den Engländern brav Holz verkaufen und dafür ihr Gold nehmen. Gefchehen. — Immer nach der Ostsee und dem Mittelmeer streben. Geschehen, so eben handgreiflich. — Nach Conftantinopel und Ostindien vorrücken. Wer in Conftantinopel herrscht, ist der wahre Herr der Welt. Da her immer Krieg anfachen, bald mit der Türkei, bald mit Persien, Werften und Stapelplätze am Schwarzen Meere errichten, in den Persischen Golf vorrücken, den alten östlichen Handel durch Syrien zurückführen, in Indien einziehen, zur Schatzkammer der Welt. Sind wir einmal da, fo brauchen wir Englands Gold nicht mehr. — Ist oder soll geschehen. — Oesterreich mit Preußen verhetzen, so daß beide Hülfe bei Rußland suchen. Geschehen. — Der 11te Artikel gilt Oesterreich. „Wir müssen das Haus Oesterreich bei der Vertreibung der Türken aus Europa interessiren und seine Eifersucht lähmen, in dem wir die alten Staaten Europas zu einem Kriege gegen Oesterreich Hetzen, wenn Conftantinopel erorbert ist, oder indem man Oesterreich einen Theil der Eroberung überläßt, um ihn ihm später wieder abzunehmen." So soll's geschehen ekM jetzt und so warnt die „A. A. Z." Der Russe Jgnatieff hatte mit dem Frieden von Stefano den Bogen bis zum Springen gespannt, nicht nur gegen die Türkei, sondern gegen das ganze betheiligte Europa. Das war ein Fehler: denn der abgeschossene Pfeil ist auf den Schützen zurückgeprallt, auf Rußland: es wird wohl oder übel zurückweichen müssen, da'es Europa gegen sich hat. Nach England und Oesterreich hat auch Deutsch land gesprochen und zwar sehr deutlich. Wie schon die „freiwillig gouvernementale" Post in Berlin neulich erklärte, Jgnatieff war zu schlau, er wollte alle anführen und hat alle mißtrauisch gemacht und ihnen die Augen geöffnet über die Herrschsucht Rußlands; so erklärte die Berliner „Oberoffiziöse", die Nordd. Allgem. Zeitung in einem Leitarkel vom 5. April: „Der russische Vertrag von San Stefano überschreitet die Grenze, welche das Interesse Europa einzuhalten gebietet, der russische Einfluß ans der Balkan-Halbinsel hat eine Aus dehnung erfahren, wie sie weiter kaum gedacht werden kann." „Es ist", schließt sie, „für Deutschland nicht gleichgültig, ob Rußland durch seine Ansprüche zu andern mit Deutschland ebenfalls befreundeten Staaten in einen Gegenfatz tritt, in dessen weiterer Entwickelung die Gefahr eines europäischen Krieges liegt." Das ist endlich einmal deutlich und wird in Petersburg verstanden werden. Rumänien war der treueste Bundesgenosse Rußlands, es hat ungeheuere Opfer gebracht und den Russen zu Plewna verhalfen. Zum Dank soll es Bessarabien abtreten und die Dobrudscha in Tausch nehmen. Als der rumänische Gesandte protestirte, antwortete Gortscha- koff: Gehorcht oder wir besetzen euer Land und entwaffnen eure Armee! — Fürst Karl von Rumänien gab seinem Gesandten folgende Er klärung: Sagen Sie dem Fürsten Gortschakoff, daß die rumänische Armee zermalmt werden kann; so lang ich aber am Leben bin wird sie nie entwaffnet werden! Die französische Regierung wird, wie man der „K. Z." aus Paris schreibt, nicht gestatten, daß die Industrieausstellung in Paris zum Vorwand für die Abhaltung eines internationalen Ärbeiterkon- gresses benutzt werde. Man muß gestehen, daß der gerade jetzt in Frankreich wieder stärker hervortretende Hang zu Arbeitseinstellungen in recht unliebsamer Weise an das Wiedererwachen socialistischer In stinkte erinnert. Oertliche und sächsische Angelegenheiten. Wilsdruff, 11. April. Leider haben wir heute abermals einen Selbstmord zu melden. In der Nacht von Dienstag zur Mittwoch hat sich der 53 Jahr alte Schuhmachermeister Ernst Gottlob Andrä in seiner Wohnstube mittelst Strickes entleibt. Andrä war seit mehreren Wochen krank und scheint er infolge eines Anfalls von Lebensüberdruß diese That begangen zu haben, wenigstens liegen keine andern Gründe vor. Tharandt. Einer zum Glück selten vorkommenden Hartherzig keit hat sich ein Deubener Hausbesitzer schuldig gemacht. Am Don nerstag hat man gefunden, daß derselbe seiner 77jährigen alters- und geistesschwachen Mutter eine Lagerstätte im dunstigen Kohlen schuppen angewiesen hatte. Der Raum in demselben ist so klein, daß neben dem Bette, welches Strohsack und Zudecke enthielt, nur noch ein kleiner Platz vorhanden war. Von einem in jetziger Zeit nöthigen Ofen gab's keine Spur; auch wurde die arme alte Frau des Nachts eingeschlossen. Leipzig, 6. April. Nach mehrmonatlichen Verhandlungen ist nunmehr der Verkauf der sächsisch - böhmischen Verbindungsbahn Annaberg - Weipert an den königl. sächsischen Staatsfiskus, selbst verständlich vorbehaltlich der Genehmigung der Stände, einerseits und der Generalversammlung andererseits erfolgt. Die Bahn soll am 1. Juli d. I. der königlich sächsischen Staatsregierung übergeben werden. Der Kaufpreis beträgt nach Wahl der königlich sächsischen Staats regierung entweder 1,600,OM Mark baar oder 2,222,000 Mark in Zproz. sächsischer Rente. Es gehen also die Aktionäre dieser Bahn vollständig leer aus, wogegen die Inhaber der Prioritätsobligationen und die Inhaber der schwebenden Schuld circa 75 und 76 Prozent aus der Liquidationsmasse erhalten werden. Wenn dieser Kauf, wie erwartet werden kann, ebenso die Genehmigung der Stände als der Generalversammlung der ^Aktionäre erhält, wird der Kaufpreis seitens der sächsischen Regierung gezahlt werden, nachdem der königlich sächsisch Staatsfiskus als Eigenthümer der sämmtlichen Immobilien der Ge sellschaft eingetragen worden sein wird. Das Leipziger Hülfscomitee für die Nothleidenden im Voigtlande ist in der glücklichen Lage, bereits über eine Summe von 16,000 Mark qnittiren zu können. Die Vertheilung der Gaben geschieht durch die ölsuitzer Amtshauptmannschaft uud zwar dadurch, daß den Nothleidenden zunächst Arbeit und Lebensmittel verschafft werden. Auch in anderen Städten des Landes hat das in Leipzig gegebene Beispiel Anklang gefunden und gleichfalls zur Bildung vonSammel- stcllen geführt. Die diesjährigen Wollmärkte in Sachsen fallen in Bautzen auf den 14. Juni, in Dresden auf den 15. Juni, in Leipzig aus den 17. und 18. Juni.