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Der alte Schulmeister Treuinann am letzten Abende im Jahre. .(Schluß.) Jin frommen Eifer hatte der alte Treuinann so gesprochen, blickte sich um und ergriff ein anderes Buch, welches die Namen Aller ent hielt, die er während seiner jahrcrcichen Amtsführung seine Zöglinge genannt hatte. Abermals wurde sein Auge feucht und ein gemischtes Gefühl von Freude und Schmerz bewegte schneller den Pulsschlag seines Herzen. Wie Viele waren dnrch die Psorte seine-Schulhauses ein- und auSgewandert! wie Viele waren nicht in dem engen Naum des Dörsleins geblieben, sondern nach Morgen und Abend hatte sie ihr Weg geführt, und nun wucherten sie mit dem von Treumanns Hand gestreueten Samen anch in der Ferne! Wie Viele aber suchte Treumanns Auge vergebens unter den Lebenden; denn des Todes Hand hatte sie als die hoffnungsreichsten Blüthen, oder als unreife Früchte vom Lebensbaume gebrochen. Lange konnte Vater Treumann nicht schweigen, unwillkürlich lösten sich die Fesseln der Zunge: „Namen von Vätern und Müttern, deren Söhne und Töchter ich schon vor Jahren wieder aus meiner Planzstätte entließ! Namen von Männern und Frauen, die hier oder dort als des Hauses Stützen, des Dörsleins Zierden, des Staates glückliche Unterthanen, der Welt nützliche Bürgen wirken! Namen von Jünglingen und Jungfrauen, die dem kommenden Geschlechte zur Weisheit bildende Väter und zur stillen Tugend er ziehende Mütter sein werden! Aber auch Namen, die im Erdenhause verklungen und aus dem Buche der Lebendigen ausgcstrichen sind! Namen von Schülern, von denen ich dachte, daß sie mein Grablied mir singen würden, ich nicht ihnen!" Mit diesen Worten verstummte der Mund des Alten, und willenlos blätterte seine Hand in dem auf geschlagenen Buche. Zu stark war die Kraft der Erinnerung geworden und halte der Lippe das Wort genommen. Nach einer langen Pause öffnete das volle Herz gewaltsam seine verschlossene Thür und Treu mann begann: „Ach, könntet ihr Alle, die ihr einst an dieser Aus saatstätte meinem Auge begegnetet, könntet ihr Alle heute, amJahrcs- abende, noch einmal um mich treten; ihr, die ihr im Schatten fried licher Dörfer wohnet, oder auf den geräuschvollen Marktplätzen der Städte euch beweget, ihr, deren Lebenssonne schon die Mittagshöhe erreicht hat, oder auf deren Wange des Lebens Morgenroth noch wieder glänzt; — ja erwachtet ihr selbst in euern Schlaskammern auf dem Friedhöfe dort und trätet in der Gestalt der Gräberbewohner heute zu mir, würde mein Herz ruhig fortschlagen, oder fiebcrhast sich bewegen?- würde meine vom zehrenden Alter und vom Hauche des nah^n Todes gebleichte Wange errölhen oder unverändert bleiben? Seid ihr durch .mich unglücklich oder glücklich geworden? Drücket meinen Nacken die Schuld eurer Sünden, oder zieret meine Schläfe der ehren volle Kranz eurer Tugenden? — Verdammen würde mich wohl Keiner von euch Allen, die ihr einst, von mir zu lernen, um mich saßet. — Hier sehe ich den Namen Hartherz. — Habe lange arbeiten und manchen Versuch machen müssen, ehe ich dich sür das Gute gewinnen und sür das Heilige empfänglich machen konnte! Doch der Mühe sei vergessen — war sie doch nicht vergeblich! Noch segne ich den Augen blick, da du an jenem Sonnabende, nachdem ich mit dir in das Gericht gegangen war, die Hand mir reichtest mit dem Worte: Ich will bester werden! Und du hast Wort gehalten." So laS der alte Schulmeister noch. Viele Namen, an die sich eine freudige Erinnerung kettete, als nnerHaktel fein Auge den Namen Bosmann erblickte, und schnell sich wieder wegwendete. „Meine Ahnung ist Erfüllung geworden! Die Kelten des Strafhauscs hallen dich jetzt, weil du in deiner Jugend die Bande der Sinncnlust nicht mit der Kraft deines Willens zer sprengen konntest. So bist du auf der Leiter der Laster von einer Stufe zur andern gestiegen, bis du endlich dem Auge und dem Arme der wachenden Gerechtigkeit nicht mehr zu entgehen vermochtest. Furchtbar, wenn der Fluch deiner Sünde auch mein müdes Haupt, dessen Haar die Farbe der Unschuld angenommen hat, noch träfe! Furchtbar, wenn das Blut, mit welchem du den Namen „Mörder" an deine Stirne dir geschrieben, auch mich verklagte! —- Doch — du bist der Einzige von den Hunderten, die mich Lehrer nannten, besten Nacken die Schärfe dcS Richlerschwerls trifft. Wäre meine Lehre nur Giftsamen gewesen, — hätte sie in andern Herzen nicht gute Frucht bringen können. Wie ost suchte ich in dir die den Herzens boden vertrocknende und das gute Blut aus deu Adern saugende Glutflamme der Sünde zu dämpfen und auszulöschen; aber das Aelternhaus war die Gistquelle, aus welcher ihr immer neue Nahrung zufloß. — Doch ich will nicht richten. — Aber das Zeugniß darf ich mir geben, nach meinen Kräften habe ich auch dich von der schänd lichsten Sclaverci zu befreien gesucht; und waren noch Wege, die aus dem Sündenthal dich führen konnten, so hat sie mein schwaches Menschenauge nicht erspähet-, oder mein Arm war nicht lang und stark genug, dich auf ihnen dem Pestkreise der Sünde zu entführen. — Wenige Tage noch, und das Abendroth schimmert über dem von deinem Blute roth gefärbten Boden. Möchte auch dir dann der Abendstern ein Bote sein, der dir zur Frcnde die Pforte des Vater hauses öffnete! — Nun, ob häufiger Wohl, als ein frommes Gebet, einen verwünschenden Fluch über mich einst dein Mund aussprach! ich will nicht vergessen, was wir ost beten: wie wir vergeben unsern Schuldnern; ich will auch für dich zum Allerbarmer flehen." Treumann brach ab; denn sein fühlendes Herz wurde zu heftig bewegt, weil seine Einbildungskraft daS Bild seines liefgefallenen Schülers mit den schrecklichsten Farben gezeichnet halte, so daß daS Geistesauge vor solchem Schreckbilde zurückschauderle. — Ein langes Stillschweigen war erfolgt, da fing es wieder an, in dem bewegten Innern stiller zu werden, und daS pochende Herz des Alten schlug wieder langsamer. Treuinann sah, daß der Zeiger an der Uhr bald die Stunde hcrbcisühre, die zur Lagerstätte den Müden rief, und vollendete seine Sclbstbetrachtung also: „Wieder einmal Rechnung ge halten am JahreSabende! Schuldner bin ich wohl nicht geblieben nach meinen Haushaltungsbüchern. Ich kann also wohl auch heule ruhig meine Augen schließen, selbst wenn ich sie nicht wieder öffnen sollte. Wohl ist es freilich möglich, daß ich mehr säen, reichlicher pflanzen, sorgfältiger pflegen konnte in dem mir anvcrtraulen Garten. Aber nur e i n vollkommner Menschenlehrer ist über die Erde gegangen. Nach dir, mein göttlicher Meister! habe ich immer hingcblickt; aber Lu standest viel zu hoch, als daß ich deine Höhe hätte erglimmen können! — Und der Mensch kann ja kein Engel sein, es nur werden! DaS irdische Leben ist nur Anfang, das himmlische Vollendung, die Erde nur Aussaatsflur, der Himmel Aernteseld. Ach! vielleicht ehe der heutige Tag wicderkehrt, thust du dich mir auf, Himmel! und ich trete vor den lichtumflossenen Richterthron meines Vaters. Darum schon heute: Herr, gehe nicht mit mir in dein Gericht! denn vor dir ist Keiner gerecht, ob er auch treu arbeitete in deinem Weinberge! Doch ich hoffe — deine Liebe und Gnade war an jedem Morgen meines Erdcnlebeus neu, — erneuen, doppelt erneuen wirst du sie anch, wenn ich die erste Äorgenrölhe meines himmlischen Lebens auf- gchcn sehe! Ich hoffe, bis das Auge bricht, und hoffend komme ich zu dir, Vater, wenn du auch rufst!" Der Hammer der Glocke störte den betenden Treuinann, der nun dem wachenden Schutzgeiste über den zahllosen Kerzen des Nachthimmels sich vertrauet?. Was Treumann am Jahresabende geahnet, dessen Erfüllung führte das kommende Jahr herbei. Der September färbte die Blätter der Bäume wieder gelb, der Hecbstwind strich über die leere Flur unt ließ die Blumen der Wiesen sterben, da fühlte Vater Treuinann, das seine Knie immer wankender wurden, und das ganze Gebäude seines Körpers der Zerstörung nahe sei. Treu auch mit schwacher Kraf hatte er eine Woche vollendet und der Vorabend des Sabbaths war gekommen. Müde saß Treumann in seinem Lehnstuhle und die scheidende Abendsonne warf noch einige freundliche Strahlen aus sein bleiches Angesicht. Endlich war die Sonne untergegangen, und Treu mann schloß mit ihren letzten Strahlen seine Äugen, die irdische Sonne nie wieder zu sehen, und in dem himmlischen Vaterhause einen schöucrn Sabbath zu feiern im Bunde mit seligen Geistern, mit den seligen Geistern vorangegangcner Schüler. — Die zurückgebliebenen Schüler aber begruben die theueru Ueberreste ihres unvergeßlichen Lehrers, sammelten Blumen, welche der Herbst noch geschont hatte, und streueteN sie auf das Grab. Bald auch bedeckte ein Stein den Hügel, und der Liebe Hand grub in ihn das Wort, welches die Thräne der Erinnerung immer wieder auffrischte: Er hat sein Tag'werk treu vollbracht, Und ruht vom Säen aus; Die Liebe segnet ihn im Grab Und drob'n im Vaterhaus. Tagesgeschichte. Wer macht das Programm für das Jahr 1878? Der Kaiser Wilhelm? der Kaiser Alexander? oder der Fürst Bismarck? oder drüben in der neuen Welt irgend ein Bekannter oder Unbekannter? Wir denken Der, der es gemacht hat, seit die Welt steht und der ihr Gesetze gegeben hat und von dem auch die „unerwarteten Er eignisse", vor denen so manches menschliche Programm umgeworfen wird, nicht« Unerwartetes, Unverständliches und Störendes habe» Die Well wird nach ewigen Gesetzen regiert und die Menschen, anch die mächtigsten, sind nur ihre Exckutvre». Das wird auch Kaiser Alexander wissen, der nach seiner Heimkehr nach Petersburg eine Art von Kriegs- und Friedens-Programm für das nächste Jahr auf- gestellt hat. Seinen Generalen sagt er: Mau zwingt mich, den Krieg über den Balkan zu tragen! Seinen Diplomaten sagte er beim Em pfang: Europa ist uns mit Vertrauen gefolgt, nur England scheint einen Druck auf die Freiheit unseres Handelns ausüben zu wollen. Sie wissen aber, meine Herren, auf eine Mediation (Vermittlung) werden wir nicht cingchcn und gegen eine Intervention (Einschreiten) sind wir gerüstet. Als Fürst Bismarck im April d. Js. dem Kaiser Wilhelm sein Abschiedsgesuch übersandte, schrieb der Kaiser ein einziges Wort an den Rand und dieses Wort lautete: Niemals! — Später fügte er mündlich hinzu: Wir müssen zusammen aushallen! — Allem Anschein nach wird dieses Wort in der gegenwärtigen Kanzlerkrisis zu Ehren kommen: Bismarck wird Kanzler bleiben und spätestens zur Eröffnung des Reichstages nach Berlin zurückkehren. Der eine Mann wiegt offenbar viele Leute auf und vor allem viele von der langen und kurzen Robe. England möchte ein kleines oder großes Gewitter zu- sammcnbrauen. Den Franzosen ruft es die Erinnerung an das „glorreiche" Vündniß im Krimkriege ins Gedächtniß, den Oesterreichern singt es Sirenenlieder eines Revanche-Bündnisses mit Frankreich und England, den Türken klimperts mit einem Sack voll Goldstücken vor dem Ohr ; aber Franzosen und Oesterreicher haben sich die Ohren vor diesen Sirenenliedern verstopft und Bismarck braucht Niemand an den Mastbaum zu binden, um ihn vor der Versuchung zu behüten. Er hat ein besseres Mittel, das Gewitter zu beschwören: er wird die Russen im Orient vor Uebermuth behüten und ihnen sagen, daß es auch noch andere Leute in der Welt gibt, er wird dafür sorgen, daß die Donau ein deutscher und österreichischer Strom bleibt und daß sich die Russen in Asien ihren Lohn holen. Dort mögen die Eng länder mit ihnen ihre Grenzstreitigkeiicn über den Weg nach Indien ausmachen und daran denken, daß sie den Franzosen im Jahre 1870 Kanonen, Gewehre, Pulver und Blei geliefert haben zum Kriege gegen uns Deutsche. Ganz Frankreich weiß jetzt, daß es am 13. Dec. am Vor abend eines blutigen Staatsstreiches gestanden hat. Am 13. Dec. waren an alle Truppenführer in der Nähe von Paris Befehle er gangen, sofort nach Empfang eines Regierungstelegramms zu marschiren. Die Truppen in Versailles hatten bereits Lagerzelte, Mund- und Schießbcdarf für zwei Tage erhalten. Die Depesche blieb aber auS, weil Mac Mahon am 14. Dec. sich dem Rechte Frankreichs untelwarf. General Ducrot soll die Seele des geplanten Staatsstreiches gewesen sein. Zwei Offiziere in Limoges, General Brestolle und Major La- bordore hatten gegen die betr. Befehle als verfassungswidrig protestirt und wurden kalt gestellt. „Daily. News" erhalten von ihren Correspondentcn im Lager des Generals Gurko einen nachträglichen Bericht über den Zustand von Plew na nach der Uebergabe. Nach den Schilderungen des Korrespondenten gehl das entsetzliche Elend, das sich auf dem engen Raum des Platzes zusammendrängte, über alle Begriffe. Seit den Tagen der Pest in vergangenen Jahrhunderten seien solche Schrecknisse nicht erlebt worden. Osman Pascha, so scheint es, hat für die Tausende von Verwundeten und Kranken, als er seinen Ausfall machte, keine Fürsorge getroffen und die Russen konnten erst am Morgen des dritten Tages einige Hülfe schaffen. Dann wurden die Todten von den Lebenden gesondert und Letzteren NahrungSmitel gereicht. Viele jedoch starben, während sie zu essen suchten. Für die Wegschaffung der Todten waren nur drei Wagen und eine geringe Anzahl von Leuten verwendbar. Die Rohheit, mit der chiese traurige Arbeit aus geführt ward, wird als schrecklich geschildert. Der Korrespondent tadelt die Russen wegen ihres Mangels an Vorbereitung und ist der