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Tagesgeschichte. Das Jahr blüht ab, schon zeigen sich Vorboten des nahenden Winters, und noch immer ist die Lösung der orientalischen Frage dieses „Wurms, der nicht stirbt," um keinen Zoll breit weiter vorge rückt. Der kranke Mann, von allen politischen Acrzten bereits als hoffnungslos aufgegebcn, hat sich aufgcraffl und wehrt sich seiner Haut, daß ihm das staunende Europa seine Achtung nicht versagen kann. Wenn der russische Koloß der kaum ebenbürtig zu nennenden Gegner mit seiner Uebermacht endlich doch noch erdrückt, so wird er selbst aus Wunden bluten, über deren Heilung ein Menschenalter vergeht. Doch kehren wir zu den Ereignissen des Tages zurück. — London, 14. September. Die „Times" bringt über die Kämpfe vor Plewna folgendes ausführliche Telegramm aus Radischewovom 12. d.: Nach einer viertägigen Kanonade griffen die Russen und Rumänen gestern Plewna von der Südseite an. Die Rumänen standen rechts unweit Äriviza, das 9. Korps des Generals Krüdener bildete das Centrum, auf der äußersten Linken standen das 4. Korps des Generals Zoloff und 20,000 Mann unter den Generalen Jmeritinskh und Skobeteff. Die Türken hielten 14 starke Redouten, die durch Schutzgräben mit einander verbunden waren, besetzt. General Skobelcff wurde, als er gegen eine die Straße von Sofia beherrschende Redoute vorrückte, von den Türken angegriffen, welche einen Ausfall aus ihren Verschanzungen machten, er schlug dieselben zurück und ging dann selber zum Angriff vor, konnte aber bei dem von den Türken aus den Erdwcrken unter haltenen furchtbaren Gewehrfeuer zwei Stunden hindurch keine Fort schritte machen. Ein erneuerter Angriff blieb erfolglos, Skobeteff konnte keinen Boden gewinnen. Kurz vor ein Uhr griff eine Brigade des General Zotoff, von anderen Truppcnthcilen unterstützt, die Cen- tral-Redoute an. Dieselbe wurde zurückgcworfen. Ein erneuerter An griff mit 12 frischen russischen Bataillonen wurde nach einstünvigem furchtbaren Blutbad von den Türken abermals abgewicjen. Gleich zeitig machten die Rumänen einen dreimaligen, aber vergeblichen Sturmangriff auf eine weiter unten gelegene Redoule. Um 5 Uhr war der Angriff längs der ganzen Linie mißglückt. Der Corrc- spondent der „Times" hatte bis dahin als Augenzeuge den Kämpfen beigewohnt und referirt dann weiter: Kaiser Alexander kehrte spät Abends nach dem Hauptquartier zurück. Heule früh überbrachte ihm ein Adjutant die Meldung, daß gestern Abend 7 Uhr 2 frische russische Brigaden die Rcdoutcn, von welcher die Rumänen am Nachmittag zurückgcworscn worden waren, genommen und nach einem Gegenangriff der Türken auch die nächste Nedoute (Griviza) erstürmt hätten. Die Großthat wurde vom Regiment Archangel vollbracht, die'erstürmle Redoule Griviza beherrscht lheilweise die übrigen Redoutcn. Der Corrcspondent der „Times" fügt hinzu, weitere Angriffe müßten im Wege einer regelrechten Belagerung erfolgen, die letzten russischen Reserven seien engagirt gewesen, der muthmaßliche Verlust der Russen beträgt 5000—6000 Todte und Verwundete. Von Interesse und Wichtigkeit sind die Nachrichten aus Mon tenegro. Dieselben berichten wiederholt von einem Siege dcrCzer- nagorzen unweit Kolaschins, bez. Jesero. Beide türkischen Orte liegen an bez. östlich der Tara, welche zu der in die Save sich ergießenden Drina fließt. Jesero, wo das Gefecht slallfaud, liegt am Fuße des ungeheuren Bergstockes Domitor. Nach den betreffenden Nachrichten sollen die Montenegriner die Türken auf türkischem Gebiete geschlagen und sie sich anschicken, in der Richtung aus Sienitza vorzurücken; es scheint also eine Kooperation mit den serbischen Truppen, an der es im vorjährigen Feldzuge fehlte, ernstlich beschlossen zu sein. Die Mit- theilungen aus Serbien selbst lassen kaum Zweifel daran, daß man dort den noch nicht sechsmonaltichen Frieden mit der Türkei wieder aufheben und von Neuem das Kricgsglück versuchen will. Zu er wähnen ist übrigens, daß lürkischerseils die montenegrinische Sieges kunde bestritten und eine Niederlage der Montenegriner gemeldet wird. Solche Widersprüche ist man gewohnt; wer die Wahrheit meldet, kann man erst nachträglich auf der Landkarte an dem Vor- oder Rückwärlsgehen der Streitkräfte erkennen. In Adrian opel — schreibt ein Corrcspondent der türkcnfrcund- lichcn „K. Z." — knüpft man täglich ein Dutzend Bulgaren auf und schon fangen die Stricke an, fetten und theuer zu werden. Wien, 15. September. Telegramme der „Presse" vom 14. Sept. Die Aktion bei Plewna ist zum Stillstände gekommen. Die Russen begnügen sich mit den bisher gewonnenen Positionen und warten die Angriffe Osman Paschas und ihre eigenen Verstärkungen ab, welche in 'erwartetem Maße erst in 14 Tagen eintreffcn dürsten. Nach Berichten aus Russisch-Polen haben alle im Radomer, Lub liner und Plotzker Militärbezirke garnisonieendcn Truppen den Befehl erhalten, sich zum Abmarsche nach dem Kriegsschauplätze in Bereit schaft zu setzen. Die Verluste der türkischen Truppen im Schipkapaß giebl die türkische Negierung jetzt selbst auf 12,000 Mann an. Die Klagen über die Schandthalen eines großen Theils der türkischen irregulären Truppen nehmen kein Ende. Das Gesindel hält sich vom eigentlichen Kampfplätze fern und nützt der eigenen Armee sehr wenig, raubt, brennt und mordet dagegen unter der unbewaff neten Bevölkerung nach Herzenslust, ohne dabei immcr einen Unter schied zwischen Christen und Muselmanen zu machen. Ein besonders nichtswürdiger Streich wird aus Adrianvpel telegraphirt, von woher nämlich gemeldet wird, daß eine Bande Baschibozuks einen unter der Obhut englischer Aerzle vom Schipkapasse kommenden Verwundctcn- transport angehalten und die Aerztc wie die Verwundeten völlig aus geplündert hatte. Vom asiatischen Kriegsschauplätze liegt ein Telegramm der „H. T. B." ans Petersburg, 13. Sepiembcr, vor, demzufolge der heute daselbst eiugetrvffene „Kawkas" offiziell meldet: General Al- chasow hat Suchum-Kaleh besetzt. Dem Feinde wurden bei der Einschiffung noch enorme Verluste bcigebracht. Der Ausstand der Ab chasen ist vollständig beendet. Im Terekgebicte liefern die meisten In surgenten infolge einer neuen Niederlage die Waffen aus. Der todte Thiers reicht seinen Parteigenossen noch aus dem Jenseits die Hand zur Unterstützung bei den bevorstehenden Wahlen; er hat ein vollständig von seiner Hand niedcrgeschricbcncs Wahl- manifest hinterlassen. Am Montag, den 3. Sept., erschien Gambetta, dem es der Verfasser vorlesen wollte, auf Einladung in der Thiers'schen Wohnung in Paris; dieser wartete aber vergeblich, weil Thiers während derselben Stunde in St. Germain im Sterben lag. Als letztes Vermächlniß des Verstorbenen wird das Manifest am Vorabend vor den Wahlen veröffentlicht werden und bei der Nation mit umso größerer Wucht in die Wagschale fallen. — Der Wittwe drohen, wie in so vielen Fällen, glücklicher Weise keine Nahrungssorgen. Das von Thiers hinterlassene Vermögen besteht in seinen Haupttheilen aus dem Hotel an der Place Saint-Georges, 3 anderen Häusern in der Nachbarschaft derselben, bedeutendem Grundbesitz in der Nähe der Avenue de l'Jmperatrice, seinem Antheil an Bergwerken von Auzin und an dem Aclienunlernehmen von Grand Comte, aus einem starken Posten französischer Eisenbahn-Obligationen und endlich aus französischer russischer und amerikanischer Rente, wozu dann noch die höchst werth- volle Kunstsammlung und die übrigens keine literarischen Seltenheiten bietende Bibliothek treten. Das ganze Vermögen wird auf 13 bis 14 Mill. Francs geschätzt. Oertliches und Sächsisches. Wilsdruff. Unsere stets so belebte, von auswärts stark besuchte Kirmes ist uns dieses Jahr nicht allein durch die eingctretene Landes trauer verpfuscht, sondern gestern auch tüchtig cingcweicht worden. Das Schützcndircctorium hat in richtiger Würdigung der Verhältnisse auch von jedweder Festlichkeit abgesehen und erläßt in heutiger Nummer dieses Blattes eine neue Einladung zur Feier des Festes auf den 23. und 24. dieses Monats; wir verfehlen nicht, ganz besonders das aus wärtige Publikum darauf hinzuweisen und die Bitte hinznzufügen, an den genannten Tagen uns recht zahlreich zu besuchen; wir wünschen dies namentlich im Interesse aller der Geschäftsleute von hier und auswärts, die Schau- und Verkaufsbuden auf unserer Festwiese aus gestellt haben und durch die eingetretenen Verhältnisse schwer ge schädigt werden. Dresden. Ihre Majestät Königin-Wittwe Maria ist am 13. d. M. Abends Uhr auf dem königlichen Wein berg zu Wachwitz verschieden. Königin Maria Leopoldine Anna Wilhelmine, geb. 27. Januar 1805, gest. 13. September 1877, war eine Tochter des Königs Maximilian I. Joseph von Bayern zweiter Ehe mit Karoline, des Erbprinzen Karl Ludwig von Baden Tochter, und Zmillingsschwestcr der Prinzessin Sophie, Gemahlin des Erz herzogs Franz Karl von Oesterreich. Die hohe Verstorbene vermählte sich am 24. Aprli 1833 mit dem damaligen Prinz-Regent Friedrich August von Sachsen, welcher am 6. Juni 1836 den sächsischen Königs thron bestieg. Königin Maria war auch eine Schwester des Zwillings schwesternpaares Amalie Augusta, der Gemahlin des hochseligen Königs Johann, und der am 14. Decembcr 1873 verstorbenen Gemahlin des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Elisabeth. Königin Maria lebte mit ihrem am 9. August 1854 in Tirol verschiedenen Gemahl in ungetrübter glücklichster Ehe und leuchtete als Königin im Verein mit demselben dem Lande als Muster weiser Wohlthätigkeit voran. Wohlthun war es, wodurch die hohe Verewigte sich äus- zeichncle, in engerem privaten Kreise, wie in weiteren Kreisen. Es sei hier nur an die so wohlthätig wirkenden Frauenvercinc erinnert, welche im Jahre 1836 durch die Milde der Königin Maria inS Leben ge rufen wurden und bis an ihren Tod unter ihrer Protektion standen. Außerdem sind von ihr noch viele Barmhcrzigkeitsanstallen in der Residenz und an anderen Orlen unterstützt worden und hat durch ihre Wohlthätigkeit die vom Geiste wahrhaft christlicher Liebe durchdrungene Fürstin sich in den Herzen ihrer früheren Unlerlhancn ein dauerndes Denkmal errichtet. Falkenstein. In der Nacht zum Montag wurden der Weber und Hausbesitzer Weller und sein Schwiegersohn Hartenstein aus Siebenhitz bei Schönau von sünf jungen Männern aus Zobes abge lauert, überfallen und mit Stockschlägen und Messerstichen traktirt, so daß Ersterer leicht und Letzterer lebensgefährlich verwundet ist. Der Arzt zweifelt am Aufkommen Hartensteins. Jene sünf im Alter von 16 bis 26 Jahren wurden gestern verhaftet und der Staatsanwalt schaft eingeliesert. Schneeberg, 13. September. Mit immer größerer Deutlichkeit zeigt es sich, daß wir in diesem Jahre eine außerordentliche Obst ernte zu erwarten haben. Ueberall in den geschützten Gebirgsthälcrn sieht man die Gärten voll des reichsten Obstsegens und die Aeste ge stützt unter der süßen Last. Die „Chemnitzer Freie Presse" berichtet unter dem 1. September: „Heute Mittag, während einige nationalliberale Spießbürger sich da mit beschäftigten, dem Schlachtfest zu Liebe ihre Häuser mit bunten Lappen zu schmücken, reiste unser Vahlteich nach Zwickau, um dem Spruch unserer Feinde, der sächsischen Richter, Genüge zu leisten und anderthalb Jahre zu „büßen" sür eine Rede, in welcher er die Preß freiheit verlhcidigle. Es ist ein schweres Opfer, welches die Socialisten dem deutschen Volke (?) bringen, indem sie einen ihrer Besten wegen Verthcidigung eines deutschen Grundrechtes aus so lange Zeit in die Hand des Feindes geben; cs ist ein noch viel schwereres Opfer für den Mann, der gewohnt war, an der Spitze der Proletarierbewegung zu kämpfen, nun zur Unlhätigkeit fick verdammt zu sehen. Doch: „die Besten müssen springen in den Riß der Zeit," schreibt in der „Tagwacht" (Zürich) ein Freund bezüglich dieser Verurthcilung — und er hat Recht. Aber derartige Ereignisse schüren und mehren den Haß in der Brust jedes treuen Socialisten gegen das herrschende System und seine Träger, und dieser Haß wird seine Früchte tragen. Am 19. Sept, ist Landlagswahl, dann sei die Losung: Vergeltung für den 1. September!" Der Wahchluch des Herzens. Erzählung von E. Heinrichs. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Ich danke Ihnen, Herr Overstedt," unterbrach Meta ihn so ruhig wie zuvor, doch werde ich dieses Opfer von Ihrer Seite eben sowenig annchmen, als ich mich jemals um schnödes Geld verkaufen könnte. Sollte der Nachlaß meines armen Vaters nicht hinreichcn zur Deckung, dann werde ich Tag und Nacht arbeiten, um das Fehlende zu erstatten." „Der gute Wille ist in solchen Fällen stets das Meiste," lächelte der Apotheker, „Ihre Hände haben das wirkliche Arbeiten niemals versucht. Doch ich will Sie nicht drängen, liebe Meta, denken Sie über meinen Vorschlag nach und vergessen Sie dabei keinen Augen blick, daß ich Sie innig liebe und der Wunsch Ihres so grausam hin- geopferten Vaters mir das Recht zu diesem Vorschläge gegeben. Be denken Sie ferner, daß derjenige, dem Ihr Herz gehört, so wie fo für Sie verloren ist durch das Gesetz und wenn dieses ihn selbst frci- sprechen sollte, durch die Kluft, welche der Tod des Vaters zwischen