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Wochenblatt für ilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebentel)» und die Umgegenden. Amtsblatt nr die Köliigl. Amtshauptmannschaft zu Meißen, das Königl. Gerichtsamt und den Stadtrath zn Wilsdruff. Diese? Blatt erscheint wöchentlich zwei mal, Dienstags u. Freitags und kostet pro Quartal 1 Mark. — Jnseratcnannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittag 12 Uhr. ^31. Freitag, den 29. Juni 1877. Tagesgeschichte. Mit dem deutschen Reiche muh es gar nicht so übel stehen, man überläßt es wochenlang gleichsam sich selbst und den patriotischen Zeitungen, die doppelt wachsam auf dem Posten stehen. Fast alle die Häupter und Führer des Reichs sind auf Urlaub, auf Reisen und in Bädern. Kaiser Wilhelm ist in Bad Ems, Reichskanzler Bismarck in Bad Kissingea; Hofmann, der Präsident des Reichs kanzleramts, der Staasssccretär v. Bülow, Camphausen der Finanz minister und Vicepräsident, Falk und Leonhard, die Minister des Cultus und der Gerechtigkeit gehen alle dieser Tage auf Urlaub und Reisen. Wir andern müssen uns also doppelt zusammennehmcn. Fürst Bismarck, der in wenigen Tagen Kissingen verläßt, wird seine Rückkehr nach Berlin wahrscheinlich über Ems machen, um mit dem Kaiser zu konferiren. Herr Hofmann, der Präsident des Reichskanzleramts, hat sich vor einigen Tagen nach Kissingen begeben. Fürst Bismarck wird sich vor seiner Abreise nach Varzin mehrere Tage in Berlin aufhaltcn, und es scheinen für diese Zeit dort wichtige diplomatische Verhandlungen bevorzustehcn, da — wie man heute aus London telegraphier — der Berliner Botschafter, Lord Odo Russel, der noch einige Zeit in England zu verweilen beabsichtigte, sich unverzüglich auf seinen Posten zurückbegeben wird. Unsere junge deutsche Kriegsflotte liegt nicht faul im Hafen, sondern lernt famos schwimmen in allen Wassern und Meeren. Ab gesehen von den Wachschiffen in den Häfen von Kiel, wo die Damps- korvelte „Arcona" jetzt zn diesem Zwecke dient, und von Wilhclms- basen, befinden sich in der Ost- und Nordsee als Schul- und Uebungs- schiffe für die Seecadetten, Maschinisten und Schiffsjungen die Segcl- sregatte „Riobe", die Segclbriggs, „Muskilo" und „Rover" und die Damvikorvctte „Medusa". Im Mittelmeer, oder doch schon auf dem Wege dahin, sind die schweren Panzerfregattcn „Kaiser", „Deutschland", "Puuz Friedrich Karl", die große Dampskorvette „Gazelle ist vor Smyrna, die Dampskorvette „Victoria" vor Port Said, bas Kanonenboot „Komet" vor Constantinopcl, der Aviso „Pommerania" ebendaselbst und der Dampfaviso „Falke" auf der Fahrt nach Malta, zusammen also 8 Dampfer, darunter 4-Panzer- schisfe. Die große Dampskorvette „Elisabeth" ist auf ihrer Reise um die Welt gegenwärtig in den japanischen Gewässern, die Dampf- korvctte „Vineta" aus der Fahrt um das Cap der guten Hoffnung nach Brasilien, die Dampskorvetten „Hertha" und „Augusta" sind in den australischen Gewässern, die Dampskorvette „Louise" im Rothen Meer auf dem Rückwege von China nach Europa, die Dampskorvette „Nymphe" kreuzt in Westindien umher, das große Dampskanoncnboot „Nautilus" macht Fahrten im Ostindischen Archipel und das Dampf- kanonenbool „Cyklop" ankert vor Shanghai, so daß sechs deutsche Kriegsschiffe im Großen Ocean und Rothen Meere und zwei im At lantischen Ocean fahren, überhaupt 20 Fahrzeuge jetzt ausgerüstet in See sich befinden. Das Deutsche Panzergeschwader im Mittelmeere kehrt im Herbste nicht heim, wie die offiziösen Zeitungen ausdrücklich er klären. Hm! Mit der Auflösung der Kammer in Frankreich sind die Würfel zunächst gefallen. Es wird an die Wahlen des Volks, an das Land appellirt: Mac Mahon oder Thiers! Persönliches Regiment, unter stützt von den Bonapartistcn, Orleanistcn und Bourbons, von denen jede Partei auf den Augenblick lauert, um ihre Leute, Napoleon IV. und Grafen v. Paris oder Henri V., zur Herrschaft zu bringen — oder parlamentarische Regierung und Erhaltung der Republik. Auf der einen Seite alle Feinde der Republik, alle Reactionäre und der Bund von Bonapartisten, Orleanisten und Legitimisten, einzig zu- sammengehallen durch die Pfaffen und den Haß gegen die Republik. Der Kamps bei den Wahlen wird furchtbar werden, die Zeit der Wahlmanöver, der Knebelung der Presse, der Einschüchterung der Wähler und des Hochdrucks der ungeheuren Verwaltuugsmaschine vom Minister und Präfekten bis herunter zum Wald- und Feldhüter beginnt. Wir können Wunderbares erleben. Die „moralische Ordnung" wird in Frankreich hcrgcstcllt. So nenncn's die neuen Minister, ein schöner Name für eine bedenkliche Sache. Das Hauptquartier für diesen Feldzug wider die Republik ist das Elysee, die Residenz Mac Mahons in Paris. Die Macher sind die Fran Marschall MacMahon, Erzbischof Dupanloup von Orleans, ihr Beichtvater und Hausfreund, der päpstliche Jnternuntius oder Ge sandte und der Ministerpräsident Herzog von Broglie; nach ihnen erst kommt Mac Mahon. Eine kundige und seine Künstlerhand in der A. Ä- Zeitung entwirft die Brustbilder dieser Macher, die Bilder sind nicht schmeichelhaft, machen aber den Eindruck großer Treue und Lcbenswahrheit. Vom Morgen bis zum Abend in der von Jntriguen und Jesuitismus geschwängerten Luft seines Hauses lebend, wie hätte Mac Mahon, der ebensowenig von Politik wie von Strategie verstiht, sich nicht als williges Werkzeug der „moralischen Ordnung" hingcben sollen? Der Marschall ist wie im Kriegs- so auch im Staatswesen ein schwacher Character, ohne eigenen Willen und den ihn umringenden Einflüssen zugänglich. Eines nur steht fest in diesem sonst ziemlich verschlossenen Kopfe: die blinde Unterwerfung unter die vom Vatikan in Rom ausströmenden Vorschriften. Die alten algerischen Soldaten, die mit ihm die Kämpfe gegen die Kabylen und aufständischen Araber stämme mitgcmacht haben, erinnern sich noch des Auftretens des da maligen Oberstlieutenants Mac Mahon, den man früh Morgens, den Rosenkranz in der Hand und das Gebetbuch unter dem Arm, jeden Tag aus seinem Zelt heraustreten sah, um sich mit dem geistlichen Almosenier zu unterhalten. Hier liegt die Schranke, über welche hinaus sich der jetzige Präsident der französischen Republik auch keinen Fuß breit wagen wird. Sein Beichtvater ist sein Gebieter, wie der Gebieter seiner Gemahlin, der Herzogin, deren barsches, soldatenhaftcs Wesen seinen Willen beherrscht. Wer diesen Hebel ansetzen kann, ist Meister über Frankreichs Präsidenten — und diesen Hebel setzten, gegen das französische Volk, der Bischof von Orleans, der Herzog von Broglie und hinter ihnen der päpstliche Nuntius an. Mit dem am 2l. Juni erfolgten Ucbergange eines größeren russischen Corps über die Donau bei Braila tritt der Krieg im Orient nicht ganz zwei Monate nach dem Tage seines Beginnens in das entscheidende Stadium. Die Forcirung des Donauüberganges, der bei dem noch immer hohen Wasscrstande des Stromes als ein mit großem Geschick durchgesübrtcs Unternehmen bezeichnet werden muß, erfolgte fast an derselben Stelle, wie im Jahre 1854; man kann jetzt wohl mit Bestimmtheit annchmen, daß dieser ersten gelungenen Operation auf der ganzen Donaulinie ähnliche weitere folgen werden, wie dies auch durch Nachrichten aus Bukarest angcdeutet ist, denen zufolge bis zum 30. Juni die TrnppcnübergLnge vollzogen sein solle», da die verschiedenen russischen Corps in ihren Positionen bereits voll ständig konzentrirt sind und das Material zum Brückenbau angehäuft ist. Im allgemeinen Gang der Operationen aber bleibt dieser Vor stoß wohl nur eine Diversion auf die Flanke der türkischen Ausstellung Es wird von der Art, in der die türkische Kricgsleitung denselben be- urtheilen wird, und von den Kräften, die sie zu seiner Abwehr von ihrem Centrum abznlciten für nöthig erachten wird, abhängen, ob dieser Flankenangriff im späteren Fortgange des Krieges an Be deutung gewinnen wird, oder ob er nur ein vereinzelter Angriff auf die Eisenbahnlinie Küstendsche-Czernawoda und auf die türkische Auf stellung in Hirsova bleibt. Durch die Ueberschreitung der Donau zwischen Braila und Galatz und in der Gegend von Hirsova, sind die Russen mit einem Schlage Herren der Dobrudscha geworden. Sie standen am 2l. d. M. mit einer Armee-Division bei Jsmail-Kilia, mit einem komplclen Armee- Korps bei Galatz und Braila, endlich mit einer Armee-Division gegen über Hirsova und verfügen demnach auf dieser Donaustrccke über 60 bis 70,000Mann. Ein weiteres Armee-Korps, über dessen Be stimmung außer dem russischen Armee-Kommando wohl Niemand sonst Kenntniß haben kann, ist aus dem Inneren Rußlands im Anzüge. Sollten es die Umstände erheischen, daß dieses Korps an die untere Donanstrecke dirigirl werde, so würde die russische Truppenstärke da selbst auf ca. 100,000 Mann steigen, eine Macht, welcher die Türken in dieser Gegend schwerlich eine ebenbürtige entgegenstellen können. Die Türken haben in der Dobrudscha nur circa 15,000 Mann, von denen ein großer Theil in den festen Plätzen und Positionen an der Donau vertheilt war und der Rest in der Gegend von Babadag in Reserve stand. Ihre Haupikraft befindet sich in den Festungen Nust- schuk, Silistria, Schumla, Verna und dem durch diese Festungen be grenzten Raume (dem sogenannten Festungs-Vierecke.) Von den hier konzentrirten Truppen wird aber kaum etwas gegen die Dobrudscha in Verwendung kommen können, da mittlerweile die russische Haupt- krasl an anderen Punkten den Donau-Uebcrgang bewerkstelligt und das Gros der türkischen Armee auf sich gezogen haben dürfte, — falls cs die Türken überhaupt angezeigt finden, dem Feinde in offener Feld» schlacht entgegenzutretcn. Ueber die Todeszuckungen Montenegros berichtet ein Telegramm aus dem montenegrinischen Hauptquartier Celtinje, 23. Juni, 10 Uhr Nachts: Heute ist der siebente Tag, daß ein wülhender Kampf am linken Ufer der Zeta und des Drim geführt wird. Von heule Morgens bis 7 Uhr Abends dauerte der erbitterte Kamps ununltrbrochen zwischen den Dörfern Sanaici und Ninici fort. Der Verlust der Türken be trägt über 3000 Mann; die Montenegriner verloren eine beträchtliche Zahl an Todten und Verwundeten. Sinds nicht die Philosophen, denen's vor Allem um Ermittelung der Wahrheit zu thun ist? Dann sollten sie die Preisaufgabe stellen: Wer lügt mehr, die Russen oder die Türken? — Man kommt täg lich in Verlegenheit, wem man glauben soll. In Asien z. B. ist eine Schlacht zwischen den Russen und den Türken unter Mukhtar Pascha vorgefallcn und beide Theile schreiben sich einen ungeheuren Sieg zu und zwar mit allen Einzelheiten. Man sagt, die russischen Militärs hätten von der deutschen Kriegführung mancherlei gelernt, I hätten sie doch auch das Schreiben der Kriegsdcpeschen von ihnen l gelernt: so knapp und klar und wahr!