Volltext Seite (XML)
für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für die Königl. Amtshauptmannschast zu Meißen, das Königl. Gerichtsamt und den Stadtrath zn Wilsdruff. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei mal, Dienstags u. Freitags und kostet pro Quartal 1 Mark. — Jnseratenannahme bis Montag rcsp. Donnerstag Mittag IS Uhr. 47. Tagcsgcschichtc. Mancher hohe oder untere Beamte würde vom Regen in die Traufe kommen, wenn er Urlaub nähme und so viel arbeiten müßte, wie Bismarck aus seinem Urlaube in Kissingen arbeitet. Er hat zwei Rälhe und Secrctäre bei sich, die vollauf beschäftigt sind; denn Lie orientalische und die französische Frage nehmen keine Rücksicht auf seinen Urlaub und er selber muß täglich viele Stunden arbeiten, um uur das Wichtigste zu erledigen und Nachts weckt ihn nicht selten der Telegraph. So gehts Einem, der im Mittelpunkt der Ereignisse steht wie der Kanzler des deutschen Reiches. Und doch ist er ziemlich munter und wohlauf und freut sich, daß er nicht so viele Besucher zu em pfangen braucht wie in Berlin. Man muß es dem Fcldmarschall Grasen Moltke lasten, daß er nicht nur Schlachten gewinnen, sondern auch die mit klarem Blick in sich ausgeuommenen Eindrücke frisch und lebendig auf die Außen welt zu übertragen versteht. In seinem Werke über den russisch türkischen Feldzug von 1828/29 entwirft er eine auch heute noch zu treffende Schilderung der Dobrudscha, des Landstrichs, welcher vor aussichtlich der erste Schauplatz wichtiger Kricgsereignisse an der Donau werden wird, wenn nicht noch ein hoher Friedensruf Halt gebietet und der russischen Armee die Aufgabe erspart, einen Ueber- gaug über den Fluß zu erzwingen. Nach Besiegung dieses Hemm nisses würde sich ihr bald ein zweites cnlgcgcnstellcn; denn sie be tritt ein Land der Armuth und des Elends ohne alle Hilfsmittel, das kaum einen Trunk Master und ein Stück Holz zur Feuerung darbietet. Der Unterhalt der Truppen würde nicht anders als durch einen un geheuren, ihnen nachzuführenden Verpflegungsapparat bestritten werden können. Hören wir, wie sich der berühmte Feldherr an einigen Stellen seines Buches über die dortigen Zustände äußerl: Ein für mich neuer und interessanter Tcrrainabschnitl war die Dobrudscha, das Land nämlich zwischen dem Schwarzen Meer und der Donau, wo sie nach so langem östlichen Lauf sich kurz vor ihrer Ausmündung plötzlich an 20 Meilen weit nördlich wendet. Dieses ganze, wohl 200 Quatrat- nieilen große Land zwischen dem Meere und einem schiffbaren Strome ist eine so trostlose Einöde, wie man sich nur vorstellen kann, und lch glaube nicht, daß es 20,000 Einwohner zählt. So weit das Auge trägt, siehst du nirgends einen Baum oder Strauch; die stark gewölbten Hügelrücken sind mit einem hohen, von der Sonne gelb- gebrannten Grase bedeckt, welches sich unter dem Winde wellenförmig schaukelt, und ganze Stunden lang reitest du über diese einförmige Wüste, bevor du ein elendes Dorf ohne Bäume oder Gärten in ir gend einem wasserlosen Thal entdeckst. Es ist als ob dies lebende Element in dem lockeren Boden versänke, denn in den Thälern sicht man keine Spur von dem trockenen Bett eines Baches; nur aus Brunnen wird an langen Bastseileu das Wasser aus dem Grunde der Erde gezogen. In der letzten Zeit hat der Krieg hier fürchter lich gehaust; gewiß ein Drittel der Dörfer, welche die Karten an- gcbcn, cxistiren gar nicht mehr; Hirsowa besteht aus 30 Häusern und Jsakischa und Tultscha sind um 1000 bis 5000 Schritt aus ihrer alten Lage gewichen. Nachdem der Mensch den Menschen aus dieser Region verscheucht, scheint das Reich dcn Thieren anheim gefallen zu sein. Niemals habe ich so Viele und mächtige Adler gesehen wie hier; sie waren so treist, daß wir sie fast mit unseren Hetzpeitschen erreichen konnten, und uur unwillig schwangen sie sich von ihrem Sitz auf allen Hünen-Hügeln einen Augenblick empor. Zahllose Völker von Rebhühnern stürzten laut schwirrend fast unter den Hufen unserer Pferde aus dem dürren Grase empor, wo gewöhnlich ein Habicht sie beobachtend umkreiste. Große Heerdcn von Trappen er hoben sich schwerfällig vom Boden, wenn wir uns näherten, während lange Züge von Kranichen und wilden Gänsen die Luft durchschnitten. Viele Tausende von Schafen und Ziegen kommen jährlich von Sieben bürgen und der Militärgrcnzc herüber, um hier zu weiden; für diese Erlaubniß wird eine Kleinigkeit entrichtet und das fünfzigste Stück Vieh. Jü den Pfützen an der Donau stecken die Büffel, eben nur mit der Nase hervorragend, und Wölfen ähnliche Hunde streifen herrenlos durch das Feld. Wir rillen an einer Donauinsel vorüber, auf welcher Mutterstuten weideten; als sie unsern Zug nahen sahen, fingen sie an zu wiehern, einige der Füllen stürzten sich ins Wasser, um hinüber zu schwimmen. Die Enten schreckten auf aus dem Schilf und eine Schaar wilder Schwäne, mit schwerem Fluge sich erhebend, schlug Reihen von Kreisen auf dem Spiegel des Wassers. Das Ganze glich einem Everding'schcn oder Ruisdael'schen Landschasts- gemälde." Acht russische Corps in der ungefähren Stärke von 250,000 stehen jetzt bis auf wenig Tagemärsche von den zu wählenden Uebergangs- punkten an der Donau konzentrirt, gleichzeitig krönt eine ungeheure Reihe mit den schwersten Kalibern besetzter Userbatlerien den linken Flußrand von dem Donaudelta bis zur kleinen Walachei; viele Hunderte von Torpedos sind in das Strombett versenkt und sperren das Fahrwasser. Die Aktion der türkischen Donauflotille ist dadurch so gut wie lahm gelegt und damit einer der für den Uebergag ge- 1877. jährlichsten Gegner beseitigt. Dem russischen Angriffshecr steht eine türkische Verthcidigungsarmee von ca. 180,000 Mann in 6 Corps und einer Reserve bei Schumla gegenüber. Vertheilt ist diese Macht zum Theil auf die großen Donausestungen, zum Theil auf die Do brudscha und auf eine Neserveausstellung im türkischen Festungsviereck für die Operationen im freien Felde nach beendetem Donauübergang. Die größten Masten sind bei Widdin (55 Bataillone), bei Rustschuk (45 Bataillone) und bei Schumla (41 Bataillone) konzentrirt. Auch die wiener Neue Freie Presse sieht die Lage der Türken in Armenien sehr düster an. Auf dem astatischen Kriegsschauplätze, schreibt sie, rückt die Entscheidung mit reißender Schnelligkeit heran. Der unglückliche Mukhtar Pascha konzentrirt bereits seine Truppen um Erzerum und erwartet dort sein Schicksal. Anstatt mit ganzer Macht über die noch durch hohe Gebirge von einander getrennten russischen Kolonnen herzufallen und sie vereinzelt zu schlagen, gestattet er denselben, sich aus dem Plateau von Erzerum zu vereinigen, wo sie dann nicht ermangeln werden, über die demoralisirte Armee Mukhtar's herzufallrn und sie wie Spreu in alle Richtungen der Windrose auseinanderzujagen. Erzerum kann sich, meint das Blatt, kaum längere Zeit halten, und so dürfte längstens bis Ende Juni der Feldzug in Armenien beendigt sein. Wien, 12. Juni. Die Pol. Corr, bringt ein Telegramm aus Cattarv vom 12. d., wo sich nach 55stündigen heftigen, größkentheils mit blanker Waffe geführtem Kampfe bei Krstac die Montenegriner bis nach Banjaui zurückgezogen. Verlust beiderseits mehre 1000 Mann. In Folge eines Einbruchs einer starken türkischen Abtheilung von Sienica in Vassojevic mußten sich die Montenegriner wegen numerischer Inferiorität zurückzichcn. Das Hauptquartier des Fürsten wurde von Planimca bet Nicsic nach Ostrog zurückverlegt. Dem „H. T. B." meldet man aus Petersburg vom 6. Juni: Die in den ausländischen Blättern austreienden Nachrichten über beabsichtigte Friedensverhandlungen, die in der gesammten russischen Presse einen Sturm des Unwillens erregt haben, werden in offiziellen Kreisen mit dem Zusatz dementirt, daß an einen Friedens- schluß vor gänzlicher Niederwerfung der Türkei nicht zu denken sei. — Ein kaiserlicher Ukas befiehlt, daß zur Komplctirung des Heeres und der Flotte eine neuen Rekrutirung von 218,000 Mann vor» genommen werden soll. — Die letzte Aushebung sand im Deccmber vorigen Jahres statt und führte der Armee 180,000 Mann zu. Wie man der „K. Z." aus Konstantinopel berichtet, ist bei der augenblicklichen Lage der Dinge an einen Personenwechsel im Großvezirat eben so wenig wie im Kriegsministerium zu denken. Die Türkei wird, selbst wenn die Russen ohne empfindliche Verluste die Donau würden überschritten haben, keinen Frieden schließen, der an der politischen Lage der Türkei etwas ändern würde. Man ist — wenigstens die gegenwärtigen Machthaber, das kann ich versichern, sind es entschieden — entschlossen, sich bis zum Aeußersten zu Ver theidigen. Der Grundgedanke, der von jetzt ab alle militärischen Maßnahmen der Türkei beherrschen wird, ist, den Krieg unter allen Umständen in die Länge zu ziehen. Und ein paar Jahre hofft man es selbst gegen die Uebermacht Rußlands, an die man allmählich zu glauben anfängt, aushallen zu können. Man hält es nicht für möglich, daß, wenn man sich wenigstens zwei Jahre lang im Felde behauptet, im Lause dieser Zeit die europäische Diplomatie eine Gestaltung an- nchmcn könnte, die der Türkei günstiger wäre, als die heutige, welche man übrigens gegen früher bereits für gebessert hält. Es ist also zu erwarten, daß die Türken auf den verschiedenen Kampfplätzen so opcriren werden, daß eine entscheidende Schlacht — wenn sie des Sieges nicht vollkommen sicher zu sein glauben — vermieden wird. Wie weit und wie lange das von den Türken abhängcn wird, ist freilich eine andere Frage: genug, das ist ihr Plan. Dem Hamburger „Freischütz" geht ein in großer Aufregung geschriebener Bericht aus Paris zu, in welchem eine von der Reaktion provozirte Straßcnschlacht in Aussicht gestellt wird. „Fremde, welche nicht grade dringend daselbst zu thun haben, bleiben besser fern von Paris, denn in diesem Gemetzel wird nicht Paß, nicht Nationalität gelten. Um Gotleswillen lasse sich aber Niemand von nun an ohne Legitimation betreffen, Lambessa wäre ihm als gelindestes Schicksal sicher. Zum Lobe des Mornh's, St. Arnaud's und Canrobert's sei schon heute gesagt, daß sie sich als „Stümper" erweisen werden. Viele Vorsichtige verlassen Frankreich; auf der Hut sei Jeder, denn der Eisen-Cyclon kann jeden Augenblick losbrcchen." Auch dem Schreiber brennt der Boden unter den Füßen und er schließt mit einem: „auf baldiges Wiedersehen an den Ufern der Elbe, in der Heimat des köstlichen Rauchfleisches, welches ich stets so sehr geliebt habe." Französische Blätter berichten, daß Frankreich gegenwärtig 128,000 Fabriken besitzt, welche 1,800,000 Arbeiter beschäftigen. Die in diesen Etablissements angewendete mechanische Kraft beträgt 502,009 Pferde- kräste. Paris fabrizirt jährlich für 1690 Mill. Franken Waarcn; die Seinestadt bringt ungefähr den fünften Theil der Produktion des ganzen Landes hervor. Die Umgebung der Stadt Lille fabrizirt Freitaq, den 15. Juni