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zu ^7 24 des' M ochen- K Amtsblattes für Freitaq den 22. März 1877. M Das Haus des Unfriedens. Erzählung von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Fritz hatte wirklich ein sehr gefälliges Wesen und war im Grunde eine gutmüthige, nur etwas leichtsinnige Natur, die, bei Zeiten gezügelt und in die richtige Bahn gelenkt, sich zu einem tüchtigen und schätzens- werthen Menschen entwickelt hätte. Die Art seiner Erziehung, die eben gar keine war, mußte freilich für ihn verhängnißvoll werden. Die Liebe des Vaters zu seinem jüngsten Sohne äußerte sich dahin, daß er ihn weit weniger zur Arbeit anhielt wie Wilhelm. „Der Fritz ist noch so jung und schwächlich, den müssen wir schonen," sagte er dann wohl zu seiner eigenen Beschönigung, wenn er dem Jüngsten sein müßiges Herumschwärmen gestattete, und der Junge wurde nie mals zu ausdauernder Arbeit ungehalten. Daß aus seinem Fritz ein leichtsinniger Taugenichts werden könne, siel dem alten Jordan nicht ein; denn Folgen dieses Müßigganges blieben ihm unbekannt. Wenn der junge Bursche Geld brauchte, — und er brauchte nur zu viel, als er heranwucks, — hütete er sich Wohl, seinem Vater darum anzugehcn; denn er wußte recht gut, daß er damit dessen ver wundbarste Stelle treffen würde; er wartete vielmehr den günstigen Augenblick ab, wenn seine Mutter im Laden allein war, dann wußte er ihr durch seine herzgewinnende Zärtlichkeit so viel abzuschmeicheln, als er grade bedurfte. Die Mutter war stolz auf den hübschen, schlank gewachsenen Burschen, von dem die Leute sagten, er sei ihr Ebenbild. War doch die Gattin Jordans noch jetzt eine stattliche Frau, deren volle, blühende Körpersorm noch immer Spuren von Schönheit aufwiescn. Und der Fritz überragte sie trotzdem beinah um einen Kopf. Da Meister Jordan von seinem Jüngsten nie um Geld gequält wurde, so sah er in dem sorglosen Müßiggänge seines Fritz weiter keine Gefahr, ja er blickte auf den Jungen mit väterlichem Stolz und war der Hoffnung, an ihm wenigstens noch viel Freude zu erleben. Der Fritz war freilich auch das einzige der Jordan'schen Kinder, das noch zu diesen Hoffnungen berechtigte; denn die noch vorhandene Tochter konnte den Eltern wenig Freude machen. Sie war ein Jahr jünger als Wilhelm, aber litt an einer Geistesschwäche, die beinahe Blödsinn genannt werden mußte. Auch körperlich hatte sich Sophie wenig ent wickelt; sie war schwächlich geblieben und hatte als Kind noch dazu das Unglück gehabt, durch einen Fall ein lahnics Bein zu behalten. Die Kleine zeigte sich jedoch lenksam und gutmüthig, nur durste sie nicht allzusehr gereizt werden; dann konnte sie in den heftigsten, blin desten Zorn gerathen und wer beinah gefährlich. Für ihren jüngsten Bruder bewies Sophie eine wahrhaft rührende Anhänglichkeit. Sie hatte sich ja weder an den Vater noch an die Muller anschließen können; sie fühlte wohl instinctartig, daß sie von Beiden nicht geliebt wurde; um so inniger und wärmer umfaßte ihr Herz den jüngsten Bruder, der sie nach Laune wie sein Spielzeug behandelte, bald zärt lich gegen sie war, bald sie gelangweilt bei Seite warf; aber die Kleine bewahrte ihm mit der größten Treue ihre Zuneigung. Er vermochte Alles über sie, und das zuweilen höchst störrische und eigen sinnige Geschöpf ließ sich von ihm willig lenken. Die stumpfen Züge ihres Gesichtes belebten sich stets, die gedankenlos umherschwcifendcn Augen erhielten einen höhern Glanz, sobald Sophie ihres Bruders ansichtig wurde. Auch als die Geschwister heranwuchsen, blieb das zärtliche, innige Verhältniß, und Fritz war zu gutmülhig, um nicht von dieser Anhänglichkeit gerührt zu werden. Er war der Einzige im Elternhause, der die Kleine freundlich behandelte und sie gegen die Willkür der Andern in Schutz nahm. Meister Jordan kümmerte sich nicht viel um seine Tochter. Am liebsten hätte er wohl gesehen, sie wäre gestorben; aber da dieser Fall trotz der Schwächlichkeit Sophiens nicht eintrat, so war er sehr froh, wenn er an die An wesenheit derselben nicht erinnert wurde. Die Mutter empfand eine wahre Abneigung gegen ihre Tochter. Sie selbst war, wie erwähnt, eine kräftige, hochgewachsene, fast im- ponirende Gestalt, sie schätzte deshalb auch körperliche Vorzüge über Alles, und nun war zu ihrem größten Leidwesen Sophie eine kleine, unansehnliche Person geblieben, auf die sie nicht ein Bischen stolz sein konnte. Die hervörtretende Geistesschwäche hätte ste ihr ja ver ziehen; nach ihrer Meinung brauchte ein Mädchen ohnehin nicht viel Verstand zu haben, und bei ihrem großen Vermögen hätten sich trotz dem eine Menge Freier gefunden. Wie gern hätte Frau Jordan ihre Tochter prächtig gekleidet und mit ihr den größten Luxus getrieben; das wäre ihr höchster Ehrgeiz gewesen, die Kleine wie eine Puppte auszuputzen, um der Welt zu be weisen, daß sie es dazu hatten; aber mit Sophie ließ sich in dieser Hinsicht nichts aufstellen. Sie ging am liebsten ganz einfach und zog nur widerwillig elegante Kleider an, und, was für die Mutter noch empfindlicher war, sie mußte bemerken, daß ihre Tochter niemals häß licher aussah als in prächtiger Toilette; denn alsdann zeigte sich erst recht die Unbedeutenheit ihrer Figur, und dabei verstand es Sophie nicht einmal, sich in solcher Kleidung zu bewegen. Je älter das arme Mädchen wurde, desto mehr trat seine geringe Begabung hervor, und es zog sich immer scheuer von der Well zurück. — Sophie saß am liebsten zu Hause und vertrieb sich die Zeit mit allerhand Spielereien. Für alle geistige Thäligkeit hatte sie sich un fähig gezeigt, in der Schule war sie aus den untersten Classen nicht herausgekommcn, und sie hatte nur nothdürflig lesen find schreiben gelernt. Ebe» so ungeschickt zeigte sie sich für alle weiblichen Arbeiten; sie war zu nichts zu gebrauche»; dagegen verrieih sie etwas musica- lisches Talent, und da auch Fritz eine große Neigung für Musik hatte, so war endlich ei» Clavier i»s Haus gekommen, und Sophie durfte einige Stunden nehme», freilich erst nach harten Kämpfen; denn solche Geldausgabe kostete Meister Jordan eine» schwere» Entschluß. Nur das beständige Drängen seines Lieblings halte ihn endlich dazu ver mocht, sich von einer solchen Summe zu trennen und ei» Instrument anzuschaffen. Für Sophie erwies sich dies Hinneigen zur Musik sehr wohl- thuend. Wenn sie auch dadurch nicht geistig geweckter wurde, verlor sie dennoch viel von ihrer krankhafte» Reizbarkeit, mit der sie früher den Ihrigen lästig gefalle» war. Für die Jordan'schen Kinder bot das Leben im elterlichen Hause wenig Annehmlichkeiten. Wilhelm wurde vom Valer wie ei» Knecht behandelt, und der im Grunde höchst träge Mensch verrichtete all' seine Arbeiten nur brummend und widerwillig. Er schmachtete nach dem Augenblick, wo er endlich wie sei» Stiefbruder der väterliche» Botmäßigkeit entrinnen konnte. Sophie war wohl zu schwachköpfig, um das Traurige ihrer Lage vollkommen zu fühlen, aber glücklich war sie jedenfalls nicht. Eine gedrückte Stimmung schien stets auf ihr zu ruhen, und je älter sie wurde, je scheuer und zurückhaltender zeigte sie sich. Auch Fritz, obwohl er der Liebling von Vater und Mutter war, empfand zu Hause kein rechtes Behagen. Er schwärmte gern müßig umher, besuchte sehr früh öffentliche Locale und spielte mit 18 Jahre» schon den vornehmen Herrn. Er sehnte sich ebenfalls nach größerer Selbstständigkeit, weil sein wilder, unbändiger Sin» am liebsten schon jetzt jede Schranke übersprungen hätte. Nun starb plötzlich der Vater, und anstatt die tiefste Trauer über diesen unerwarteten Verlust in der Familie hcrvorzurufen, weckte der Todesfall in den Herzen der Kinder nur zu bald unbestimmte Hoffnungen. Jetzt mußte sich ja Alles anders und weit günstiger für sie gestalten. Meister Jordan hatte schon vor Jahren mit seiner Gatlin ein wechselseitiges Testament errichtet, worin bestimmt war, daß derUeber- lebende im unbeschränkten Nießbrauch des sämnttlichen Vermögens blieb, und erst nach dem Tode des Andern den Kindern Alles Zufällen solle. Nur im Fall einer nochmaligen Verheiralhung eines der Ehe gatten War eine vorherige Auseinandersetzung mit den Kindern fest gesetzt. Dem Sohn ans erster Ehe war als mütterliches Erblheil die Summe von 3000 Thlr. bewilligt worden. Das Testament stammte aus einer Zeit, in der Jordan noch nicht völlig von seiner Leidenschaft beherrscht wurde. Er hatte »ach dein Tode der ersten Frau seinem Soh» »ur 1200 Thlr. bewilligt; aber er wollte sich großmüthig zeige» und hatte daher von selbst den da mals angegebenen Betrag erhöht; kam er doch erst nach seinem Tode zur Auszahlung. August war trotzdem mit diesem Testament höchst unzufrieden und darüber ganz empört. Kaum hatte er davon Kenntniß erhalten, als er sogleich zu seiner Stiefmutter eilte. Er hatte seit mehreren Jahren das elterliche Haus nicht mehr betreten und sich bei seinem jetzigen Besuche vorher einen Rausch angetrunken, um in der „rechten Stimmung" zu sein. Frau Jordan empfing ihren Stiefsohn mit einer gewissen ge dämpften Freundlichkeit, wie sie ihrer Lage geziemte. Sie befand sich gerade in ihrem Putzzimmer, das freilich einfach genug war. Da der Mann erst gestern beerdigt worden, fand sie es nicht schicklich, schon heut im Lade» zu erscheinen, obwohl sie kaum ihre große Unruhe unterdrücken konnte; denn es quälte sie der Gedanke, wie nur der Ge selle und die Magd wirlhschafleii, und wie viel Schaden sie aurichtcn mochten. August brachte kaum einen kurzen Gruß hervor. — Da stand er endlich einmal seiner Stiefmutter gegenüber und konnte ihr die Wahrheit sagen. Er wohnte in einem ganz andern Stadtviertel und halte sie seit seinem Zerwürfniß immer nur sehr flüchtig und in Ge genwart von Fremden gesehen. Die Fleischerfrau war auf ihrem Zimmer nicht so rasch und be weglich wie im Laden. Dann machte sie es sich gern bequem und rührte sich am liebsten nicht von der Stelle. Sie erhob sich deshalb auch niche beim Anblick des seltene» Gastes, sondern sagte nur: „Nun, das freut mich, daß Du kommst. Aber warum warft Du nicht beim Begräbniß?" (Fortsetzung folgt.)