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laden. Die Staatskasse hat die Auslagen für die Zeugen zu ersetzen ? falls dieselben für die Ansklärung diensam waren. Der verur- theilte Angeklagte endlich kann, wenn er sich für unschuldig hält, in einer gegen das bisherige Verfahren außerordentlich erleichterten Weise bei Vorführung neuer Beweismittel die Wiederaufnahme des Verfahrens fordern und den Nachweis feiner Unschuld sichren. Gegen die Urtheile dec Schöffengerichte ist die Berufung an die Landgerichte gegeben. Wenn es sich nicht um Uebertrelunge» handelt, so ist auch über diese Berufungen von 5 Richtern abzuurtheilen. Dem freige- sprocheuen Beschuldigten kann das Gericht nach den Umständen des Falls den Ersatz der nothwendigen Auslagen aus der Staatskasse zusprechen. Diese und viele andere Bestimmungen haben den Zweck, neben einer ernsten und raschen Verfolgung des Verbrechens doch zugleich die nothwcndige Sicherheit für den Verfolgten und für die Ver- theidigung des vielleicht unschuldig Angeklagten zu gewähren. Fast überall in Deutschland werden hierdurch große Fortschritte gemacht, nirgend wird ein Rückschritt zugelassen. Selbst die heftigsten Gegner der Reformen haben dies nicht zu behaupten'gewagt. Auf Grund dieser großen Reichsgcsctzc wird in Zukunst in allen deutschen Landen von gleichmäßig und unabhängig besetzten Gerichten gleiches Recht für Alle gesprochen werden. Die gleichen Vorschriften über das Berfahren werden überall gelten. Nicht allein die rechts- gelchrlen Juristen werden die Gesetze verstehen, auch Jedermann aus dem Volke wird sie handhaben lernen. Dem Handel und Verkehr wird dadurch große Förderung zu Theil, Das bereits geschaffene einheitliche VerkehrSlcben wird erst durch das einheitliche Rechtsleben zur vollen Geltung gelangen. Erst jetzt ist die Herstellung eines ein heitlichen bürgerlichen Rechts, an welchem schon heute bewährte Kräfte der Nation im Auftrage des Reichs arbeiten, möglich. Alle deuschen Gerichte, auch wenn sie verschiedenen Staaten angehören, leisten sich gegenseitig Rechtshülfe und haben sich als Gerichte desselben Staats zu betrachten. Diese hier nur in aller Kürze gekennzeichneten Gesetze hat die Mehrheit des Reichlstags und insbesondere die national-liberale Partei in mühsam errungenem Einvcrständniß mit den Regierungen zu Stande gebracht, weil sie ihnen eine unerläßliche Nothwendigkcit für die Entwickelung des Reichs und den größten seit Jahrhunderten gemachten Fortschritt erblickte. (H. D.-Zlg) Irr der Sackgasse. Dorfgeschichte von Marie v. RoSkowska. (Fortsetzung.) . „So verklag sie bei der Regierung und schreib hinein, sie soll ihr einen ordentlichen Wischer geben, weil sie sich in Dinge mengt, die sie gar nichts angehen. Unterließ, bis sie ihn kriegt, laß nur ruhig losbauen. Kein Mensch kann Dich auf Deinem Grund und Boden daran hindern, wenn's Dein Geldbeutel erlaubt. Dummes Zeug überhaupt mit den Bankonsenscn. Wenn ich's Grundstück hab' und Geld dazu, kann's der Polizei ganz einerlei sein, ob ich mir ein Pa lais hinbaue oder einen Thurm, wie den zu Babel, oder sonst was. Gicbt sie denen denn was dazu, die selber nichts haben, in den jäm merlichsten, baufälligsten Kathen sitzen? Dann hätte das doch noch einen Sinn. So a'ber — wozu? Wir besorgen schon selber, was wir brauchen und wollen; die Polizei gehört nur für diejenigen, die das nicht können, oder für Spitzbuben und Herumstreicher." „Von Verklage», Mutter, ist keine Rede der Obrigkeit gegenüber," sägte er, sich des Golteslischrock entledigend, den er zur Gemeindever sammlung, in welcher der gnädige Herr selber erschienen, angelegt hatte. „Das ist blos bei Seinesgleichen staiuirt; über Behörden kann man sich nur bei der Vorgesetzen Behörde beschweren." „Dann beschwer' Dich, mein Sohn. Ob sie's so oder so heißen, die Sach' ist ja die nämliche. Und wenn an die Negierung schreibst, dann trag' es ihr gründlich vor. Und selbst wenn Du was sagst, wodrauf der gnädige Herr Dich bei Gericht belangt. Die Kosten und die Strafe für einen Jnjurienprozeß können wir gottlob bezahlen, aber so was auf uns sitzen lassen, das können wir nicht. Da muß man sich aus Leibeskräften gegen wehren. Schade, daß er links —" Sie verstummte, ehe sie den Namen Gießel aussprach. Der Name Gießel wurde im Hause nie mehr genannt. Die Großmutter halte sagen wollen, wenn der Nachbar seinen Rath und Beistand gäbe, würde die Sache nicht schlechter ausfallen, besann sich jedoch, daß es damit ja vorüber sei. Bei der langjährigen Gewohn heit vertrautesten Verkehrs zwischen beiden Familien vergaß sie gar oft und namentlich in jeder Erregung, daß der Verkehr zu Ende sei. Pärsch selbst war es auch oft genug so gegangen. Er dachte an die Geschichte überhaupt Viet öfter, als seine Mutter, vergrollte sich immer mehr. Gute Freund und getreue Nachbarn versäumten nicht, geschäftig hin- und herzutragen, was dec Eine oder der Andere gelegentlich gesagt hatte, wenn es geeignet war, den Zwist zu nähren. Zwist ist aller dings nicht das rechte Wort. VonPärschens, wie von Gießels wandte Jeder, wie auf Commando, den Kopf ab, wenn er Jemand aus der feindlichen "Familie erblickte. Selbst die Dienstleule nahmen Partei oder stellten sich so an, redeten nicht mehr mit einander. Und nun hatte Pärsch eine so herbe Kränkung erleben müssen, die ihm Gießel gegenüber eine doppelte und dreifache Demüthigung war. Die Abgebrannten halten nämlich die Pläne zu den von ihnen beab sichtigten Bauten sehr lange nicht genehmigt zurückerhalten. Auf Pärsch's und Gießels wiederholte Mahnung waren endlich sticht NUk die drei Betreffenden, sondern alle stimmfähigen Glieder der Gemeinde zusammenberufcn. Da legte ihnen denn der Landrath einen Plan vor, den er durch den Kreisbaumeistcr hatte entwerfen,Durch die Ne gierung bestätigen lassen. Darnach jollle die Sackgasse verbreitert werden, indem Gießel jein Hans nicht auf dem alten; Fndament her stellte, sondern es weiter zurückbauen ließ. Die^ Gemeinde hatte ihn für die erforderliche Abtretung des Bodens, wie für den Mehraufwand beim Bau zu entschädigen. Zugleich sollte dieser aber nicht allein weiter zurück, sondern, zur größern Feuersicherheit sürßden Nachbar hof zu seiner Linken, mehr nach rechts hin errichtet werden, den hier noch fehlenden Grund, natürlich auch gegen angemessene Vergütung, Pärsch hergeben. Ebenso war dessen anderem Nachbar ein Theil seines Eigcnlhums, die Hollunderecke, zur Vergrößerung wie zur weitern Entfernung der Scheune von seinen andern Baulichkeiten Angewiesen. Pärsch war zuerst stumm vor Ueberraschung, daß da, ohne ihn einmal zu fragen, über sein Besitzlhum verfügt wurde; dann verwahrte er sich auf das Entschiedenste gegen eine solche empörende Zumuthung. Der gnädige Herr fetzte ihm auseinander, die Bau- und Feuerpolizei habe zu ihrer Entscheidung so triftige Gründe, daß es dabei verbleiben müsse, verwies ihm dann ernstlich sein unziemliches Benehmen. Er, ein so getreuer Unlerthan, wie es kaum jemals einen zweiten gegeben hatte, wurde so behandelt! Und zwar in Gegenwart des überklugen Gießel, mit dem er sich grade darum überworfen hatte, daß er nicht geglaubt, es könne mit anständigen, das heißt wohlhabenden Leuten, so umgesprungen werden, wie es nun doch geschah! Wie mußte das den Rothen freuen! Das Blut stieg ihm siedendheiß zu Kopf, die Ader auf seiner viereckigen Stirn ouoll auf, wenn er daran dachte. „Und derselbe Mensch, der sonst so schwadronirte gegen die Be vormundung durch die Behörde und für die Selbstverwaltung, er sagte kein Wort dagegen!" ries er und machte seiner Erbitterung durcheilten dröhnenden Fausischlag auf den Tisch Lust. „Aber so sind sie Alle, die sich gern wollen Liberale schimpfen lasten! Sobald nur ein Vor- thcil für sic selbst absällt, sind sie mit den Behörden, die sonst immer bekrittelt werden, ganz zufrieden!" Die Mutter hatte ihn nicht recht verstanden. „Ja, wenn's nicht beim Alten bleiben soll, wie es doch so lange gut war, was theilen sie Len» nicht uns Stücke von den Nachbargrundstücken zu? Das wäre was Anderes, solche Aenderungen könnt man sich gefallen lassen. Aber ablretcn thuu wir nichts, das ist bei den Pärsch's nicht Brauch. Und es ist schändlich von dem links, daß er es aunehmen will." „Gradezu angenommen hat ec auch nicht — der Fuchs. Er sagte blos: über Dergleichen könne man nicht so rasch schlüssig werden, das müsse mau erst überlegen. Die Gemeinde sei ohnehin arm und belastet genug, daß ihr nicht noch neue Kosten aufgcbürdet werden sollten. Darauf sagte denn auch der Schulze: für feinet- und der Audernwegeu brauchle die Gasse nicht breiter zu werden. Das Feuer sei nun ja gewesen, werde also doch nicht wieder auskommen, zumal Alles massiv ausgcbaul werde. Die Andern meinten das auch und so wollte Keiner unterschreiben und wir gingen auseinander." Ec war zum Giebclfenster getreten und starrte mit düsterm Blick aus die Linde, die ihre kahlen, geschwärzten Aeste traurig, wie unglück weissagend, in die Luft streckle. So verlieft war er dabei in seine Gedanken, daß er den jungen Nachbar nicht bemerkte. „Wo ist denn nur die Else jetzt? Wohl wieder bei den Hühnern, mit denen sie sich ja fortwährend zu schaffen macht!" sagte die Groß mutter. „Christian, Du hättest ihr die Hühnerstiege nicht so weit hin machen sollen, wo ich sie gar nicht unter den Augen habe." „Was ist's mit der Else, was wollt oder braucht Ihr sie unter den Augen zu haben?" fuhr er jäh herum. (Fortsetzung folgt.) Wilsdruff, 15. Januar 1877. Bei der gestern in Tharandt stattgefundencn Auszählung der Stimmen ergab sich, daß im 6. Wahlkreise im Ganzen 11599 gültige Stimmen abgegeben worden sind; davon kommen auf Herrn Finanz- proeurator Hofrath Ackermann in Dresden 6979, auf Herrn Auer- Hamburg 3880 und auf Herrn Justizrath Schaffrath 676 Stimmen. Sonach ist Herr Ackermann wiederum zum Abgeordneten für den deutschen Reichstag erwählt worden. Welch ehrenden Antheil übrigens an der Wiederwahl Ackermann's unsere Stadt und unser Gerichtsamts bezirk hat, ist aus nachstehender Zusammenstellung zu ersehen: Summa: 1196 SS 41 Ackermann. Schaffrath . Auer. Ackermann. Schaffrath. Auer. Wilsdruff 191 16 25 Limbach 23 2 — Alttanneberg 48 — — Lotzen 13 — — Neutannebcrg 27 —- — Munzig 42 — — Birkenhain 21 — — Neukirchen 36 5 — Blankenstein 60 — — Niederwartha 20 .—' — Burkhardswalde 45 .— — Rothschönbcrg 12 — —- Groitzsch 38 —— — Röhrsdorf 74 — Grumbach 112 —- 8 Noitzsch 8 — — Helbigsdorf 24 — — Saäsdorf 39 — — Herzogswalde 55 — 1 Schmicdewalde 30 —— — Hühndorf 13 — — Sora 19 — —— Kausbach 43 — — Steinbach 27 — — Kesselsdorf 22 3 4 Steinbach 10 —— — Kleinschönberg 24 — — Unkersdorf 10 —— — Klipphausen 33 2 1 Weistropp 43 —— —— Lampersdorf 22 — — Wildberg 6 10 2