Volltext Seite (XML)
"Mimischen Ausstand in Constantinopel gegen die europäischen Colo nien hervorzurufen. England widerstrebt einer Flottendrohung. Das Rundschreiben Gortschakoffs beantragt ein Vorgehen wie 1860 bei dem syrischen Ausstande. Die meisten türkischen Journale, wie Vassiret, Vakit, Jttihad und Jstikbal melden übereinstimmend aus den letzten Tagen der ver flossenen Woche die Ablehnung der Friedenspropositionen der Mächte Seitens der Pforte und Details über die beschlossenen konstitutionellen Reformen. In ihren Besprechungen der Sachlage betonen sie, daß sie die öffentliche Meinung vertretenund die treuen Dolmetscher des wahren Gedankens der Osmanli's seien. Sie sprechen sich entrüstet über das Treiben der Diplomatie, namentlich aber gegen Rußland aus, welches sie anklagen, die treibende Macht aller Zetteleien gegen die Türkei zu sein. Die Türkei, sagen sie, werde sich zu vertheidigen wissen. Da der Sultan sich nöthigen lassen will oder muß, um die Friedensbedingungen anzunehmen, so wollen ihm die Mächte den Ge fallen thun und ihn nöthigen. Ihre Botschafter werden daher wie Ein Mann zu ihm kommen und ihm den Frieden aufdringcn und der Sultan wird seinen Türken sagen: seht, der Bien' muß! — Das ist die eine Lesart. Die andere lautet, daß die Panzerflotten der Großmächte nach Constantinopel fahren werden, um dem guten Willen der Türken nachzuhelfen und, wenn nöthig, die Christen von einer Schlächterei zu schützen, wenn die Türken wüthend werden. Die dritte Lesart (aus Paris) berichtet von einem Congreß der Großmächte, nm die Händel beizulegeu. Mit dem Türken wäre man sicher längst fertig, aber dem Russen will man nicht auf das Hühnerauge treten, obwohl er wenigstens einen der berühmten Menschikoff'schen Wasser stiefeln bereits an hat. Da liegts. Die Nachrichten wirbeln durch einander und wiedereinander wie Schneeflocken und zerfließen wie diese auf der Hand. Das Beste ist, daß im Morawa-Thale thal- sächlich Waffenruhe eingetreten ist. Petersburg, 7. October. Die internationale Telegraphenagentur bringt eine Depesche aus Ragusa vom 6. October, welche bestä tigt, daß Montenegro die Verlängerung der Waffenruhe bis zum Ab schluß eines Waffenstillstandes bewilligte. Die Pforte acceptirte nach viertägigem Zaudern die Bedingungen Montenegro's, daß die Pro- viantirnng der cernirten türkischen Forts und Truppen nur unter Controls Montenegro's geschehen dürfe. Somit herrscht zwischen Montenegro und der Pforte neuerdings Waffenruhe auf unbestimmte Zeit. Dämonisch. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Schein und Sein." „Am Genfer See." (Fortsetzung und Schluß.) Hugo ließ sich davon nicht einschüchtern; er begann jetzt wieder an seine Erzählung Betrachtungen zu knüpfen und sich in die Ab gründe der menschlichen Seele zu vertiefen und gerieth immer mehr auf ein so düsteres Gebiet, daß es den beiden Frauen unheimlich wurde und sie sich bald darauf in einer nervösen Aufregung zurück zogen. Auch Berthold folgte ihrem Beispiel. Die beiden Schwäger waren allein. Schönwald hatte erklärt, daß er mit Leberecht ein gemeinschaftliches Zimmer beziehen wolle; — er wünsche einmal mit dem alten Freunde wieder eine Nacht zusammenzuschlafen — und Hartung hatte gegen diesen Vorschlag keinen Widerspruch erhoben. Er war wie geistig gelähmt, und als jetzt sein Schwager eine-Flasche Wein befohlen hatte, und ihn zum Trinken in der heitersten Laune aufforderte, rührte er sich-nicht von seinem Stuhle, sondern starrte gedankenlos vor sich hin. „So trink doch, alter Freund!" drängte Hugo und reichte ihm ein Glas. Leberecht blieb regungslos sitzen, hatte die Hände Übereinander gelegt und schien die Aufforderung seines Schwagers nicht zu hören. Dieser zog einen Stuhl näher und begann so kühl und unbe fangen zu plaudern, als handle es sich um die unbedeutendsten Dinge von der Welt. „Es ist heute wieder eine Nacht wie vor drei Jahren; derselbe heftige Regen schlägt an das Fenster, nur das'Gewitter fehlt. Weißt Du Dich noch auf jene Nacht zu besinnen und auf den Opiumrausch, den Du damals gehabt?" Jetzt ruhten die blauen, ehrlichen Augen des Barons mit einem seltsam forschenden Ausdruck aus dem Antlitze Leberechts, der bei diesen Worten, wie von einem ermunternden Schlage getroffen, aus seinem Hinbrüten emporfuhr. Er starrte wild und unruhig seinen Schwager an, wie ein Raubthier, das ans seinem letzten Zufluchts ort aufgespürt worden. „Nein, Dir sind die Phantasien gewiß nicht Mehr erinnerlich, mit denen Du mich damals erschreckt," fuhr Hugo ruhig fort. „Wir können ohnehin noch nicht schlafen. Soll ich sie Dir erzählen? Ich weiß noch jedes Wort." „Verschone mich damit," stotterte endlich Dr. Hartung mühsam heraus. Es war das letzte Aufflackern seiner Kraft und schon weit unsicherer setzte er hinzu: „Kannst Du noch immer nicht das tolle Zeug vergessen, das ich Dir damals vorgeschwatzt?" „Nein, es war zu toll," entgegnete der Baron, und obwohl sein Schwager eine abwehrende Handbewcgung machte, begann er von Meuem mit seltsamer Betonung: ,>Jch muß es Dir ins -Gedächtniß rufen: Hugo, ich bin ein Mörder... ich habe keine Ruhe mehr, bis ich nicht wenigstens meine Brust von diesem furchtbaren Geheim niß entlastet.... Das waren Deine ersten Worte," fuhr Schönwald mit eisiger Ruhe fort, ohne auf seine» Schwager zu achten, der sich aus feinem Stuhle wand, wie von furchtbaren Folterqualen gemar tert — unverständliche Worte vor sich hinmurmelnd. „Und nun erzähltest Du mir, wie Du aus wilder Mordlust Dein Weib vergiftet, — Dein eigenes Kind, — wie Du keine Ruhe ge habt, bis die finstre That vollsührt und dann plötzlich die Reue ge kommen sei und wie, seitdem in der Nacht die finsteren Schatten Dich verfolgten, Dn mit aller Philosophie und Vcrstandsschärfe die Regungen Deines Gewissens nickt ersticken konntest." Weiter kam der Baron nicht. Wie von Furien gepeitscht, war Leberecht aufgesprungen und rief verzweifelnd: „Halt ein! Willst Du mich vollends zum Wahnsinn treiben?" „Weißt Du nicht, daß Du es bereits bist?" fragte Hugo mit eisiger Ruhe. „Hast Du als Arzt nicht einmal so viel Selbstbe obachtung, daß Du Deine Krankheit kennst. Du leidest an partiellem Wahnsinn, oder ist Deine unwiderstehliche Mordlust etwas Anderes?! Oder hast Du nicht heute schon den Versuch gemacht, und willst Du nicht mit der erwachten Mvrdlust der Hyäne auch meine arme Schwä gerin aus der Welt schaffen?!" „Barmherzigkeit!" stöhnte jetzt Hartung und seine Augen irrten jetzt wirklich wie die eines Wahnsinnigen zu seinem gesürchteten Wärter, zu Hugo hinüber. „Nein!" fuhr Schönwald unerbittlick fort, „Raubthiere wie Du, dürfen nicht frei herumlaufen und das Furchtbarste ist, daß Deinen Wahnsinn die Welt nicht eher als Wahnsinn erkennt, bis Du Ver brechen auf Verbrechen gehäuft, denn wer soll es ahnen, welche Ab gründe in Deiner Seele ruhen!" „Hugo, rette mich vor mir selbst"... rief Leberecht und rang die Hände. „Das ist unmöglich. Die Rettung ist bei Dir!" „Was soll ich thun?" murmelte Hartung willenlos wie ein Kind. „Du mußt Dich selbst aus der Welt bringen, um nicht zum Mörder zu werden!" erklärte Hugo mit unerschütterlicher Ruhe. Du magst immer mit Deinem Dämon ringen, er wird endlich doch den Sieg gewinnen und dann werden erst die furchtbarsten Höllenqualen Dich verfolgen, wenn das Raubthier in Dir auch diejenige gemor det, die Du noch immer zärtlich liebst. Solche Menschen, die grade den Theuersten und Liebsten gefährlich werden, haben kein Recht zu sein." Dr. Hartung warf sich wie gebrochen in den Lehnsessel zurück, senkte den Kopf und starrte lange vor fick hin. Endlich erhob er das Haupt. Sein Gesicht war todtenblaß, aber der wahnsinnige wilde Ausdruck daraus verschwunden. Er reichte mit einem seltsamen Lächeln seinem Schwager die Hand: „Ich danke Dir, alter Freund, daß Du mir den Abgrund gezeigt, der in meiner Seele ausklafft," begann er, und seine sonst feste, zuweilen sogar harte Stimme hatte einen ungewöhnlich weichen Klang. „Du hast durch Deine Erzählung und jetzt durch deine Worte Alles in mir aufgewühlt und mir ist's, als hättest Du in meinem Inneren gelesen. Ja, ein Dämon treibt mich vorwärts, ich kämpfe mit ihm — bisher hielt ich mich stärker, denn ich liebe Armgard unsagbar und doch fühle ich, daß ich zuletzt unterliegen werde.... Es ist Wahnsinn — auch das ist mir nun völlig klar und auch das weiß ich, daß Niemand in mir den Geistes kranken — nur den Mörder sehen wird. Du hast Recht — ich muß meinem Leben ein Ende machen, ehe ich daS ihre gefährde!".... Er blickte bei den letzten Worten unsicher auf seinen Freund, als schwanke er noch in seinem Entschlusse und wartete nur auf dessen Entscheidung. „Dir bleibt kein anderer Ausweg," sagte Hugo, und sein Ge sicht blieb unbeweglich, obwohl sein Herz bebte über den vcrhäng- nißvollen Worten, die er soeben ausgesprochen. Leberecht erhob sich, sah, ohne ein Wort zu sprechen, mit einem seltsamen Ausdruck dem Freunde noch einmal in's Antlitz und als dasselbe völlig regungslos blieb, murmelte er tonlos: „Lebe wohl!" Dann schritt er langsam hinaus. Wie erstarrt blieb der Baron mitten im Zimmer stehen; er wollte die Lippen öffne», ihn zurückrufcn, aber er klammerte sich krampf haft an den Tisch an, als wolle er sich selbst vor jeder Schwäche schützen. Plötzlich öffnete sich die Seitenthür und Armgard stürzte im Nachtgewande herein. „Wo ist Leberecht!" rief sie in furchtbarer Aufregung und als sie ihn nicht mehr im Zimmer gewahrte, wollte sie ihm nachstürzen. Hugo hielt sie gewaltsam zurück. „Entweder er oder Du! Lasse ihn sein Verhängniß suchen." Die Schwägerin verstand ihn. Mit einem dumpfen Schmerzenston sank sie zusammen. Am andern Morgen wurde die Leiche Dr. Hartung's aufgefunden. Der Verlust des hervorragenden, interessanten Mannes wurde allge mein betrauert. Auffallend blieb es, daß seine Frau, die doch ihren Mann so unendlich geliebt, jetzt keine Thräne für ihn hatte... Auch Schönwald nahm die unerwartete Todesnachricht des alten Freundes mit seltsamer Kälte auf. Adolfine konnte ihre Verwunderung über Beider Benehmen nicht unterdrücken und erst nachdem das Herz Armgards etwas ruhiger geworden, erhielt sie von der Schwester den Schlüssel zu den düsteren Vorgängen jener Nacht. Von einer unerklärlicher Unruhe getrieben, hatte Armgard -ihren Gatten noch einmal sprechen wollen. Als sie das Nebenzimmer betrat, hörte sie laute Reden und ihre Schritte blieben wie gebannt. — Nun wußte sie Alles — ein Abgrund, that