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Wenn man einzelne Stimmungsbilder aus dem französischen Stadt- und Landleben, aus der Nationalversammlung, vor allem aber aus den Pariser Salon- und Volkskreisen mosarkartig zusammen stellt, um ein Gesammtbild der jenseitigen politischen Anschauungen für den Zeitpunkt zu gewinnen, wo das letzte deutsche Regiment mit Sang und Klang, geschmückt mit grünen Reisern, „den Boden Frankreichs verlassen haben wird, so tritt überall eine, im Schooße nationaler Eitelkeit großgezogene Gereiztheit in den Vordergrund, die etwas Krankhaftes und Unheimliches an sich hat, auch nicht durch die fieberhafte Hast, womit die Milliarden gezahlt werden, widerlegt wird, weil unter der äußeren conventionelleu Hülle der Gedanke und stille Wunsch jedes Franzosen als Pferdefuß hervorschaut, daß diese Summen, nebst den beiden verlorenen Provinzen, selbstverständlich, und je eher, je lieber, als ein unbequemes Darlehn mit reichlichen Zinsen wieder eiugezogen werden müssen. Erst dann, wenn die Ruhmessonne Frankreichs wieder in altem Glanze strahlt, Paris wieder der tonangebende Mittelpunkt der civilisirteu Welt geworden, werden die fühlbaren Lücken im Geschäftsverkehr, die traurigen Nach wehen der mit Blut und Petroleum besudelten Kommune verschwinden; alles ist eine Folge der Invasion deutscher Barbarenhorden, die sich mit Mord, Raub und Plünderung über den heiligen Boden Frank reichs ergossen, und — Solches läßt sich ein edles Volk nicht unge straft bieten! — Der kurze Zeitraum weniger Jahre hat ausgereicht, die Ursachen des frivolen Kriegs vollständig in Dunkel zu hüllen, den das wankende Kaiserreich nöthig hatte und in Siegeszuversicht als einen militärischen Spaziergang nach Berlin in Scene setzte; dafür, daß Deutschland nur als angegriffener Theil zum Schutz sür eigenen Herd und Familie aufstand und nach ehrlichem Siege, mit einer Mäßigung, welche die laute Befriedigung und stille Verwunder ung aller Nachbarvölker hervorrief, nur Maßregeln ergriff, sich vor ferneren Gelüsten des bösen Nachbars zu schützen, dafür giebt es keine Erinnerung mehr. Die jetzige Regierung bemüht sich ersichtlich, zu Tage tretende Revanchegcdanken für gehaltlose Seifenblasen zu erklären, ist auch zur Zeit noch gar nicht in der Lage anders zu handeln, doch giebt die übereifrige Reorganisation und Vermehrung der Armee einen bedenklichen Commentar, im Zusammenhalt mit der früheren Rede des Herrn Thiers, schlimmen Andenkens, worin er den Eroberungskrieg gegen Deutschland nicht für ungerechtfertigt, sondern nur für inopportun oder voreilig erklärte. Das in der Luft schwimmende dunkle Vorgefühl, Laß Thiers erst nach Erlangung günstiger Allianzen losschlagcn wolle, Gambetta aber auch ohne dieselben, kann wohl als des Pudels Kern gelten, ganz abgesehen davon, daß die Tage der jetzigen Regierung gezählt sind, und der Erbe nothwendig einen Blitzableiter haben muß, der das revolutionäre Fluidum der Partei interessen von der Pulvertonne im eigenen Lande ab- und nach außen wendet. Unter solchen Umständen dürften die warnenden Stimmen weniger Einsichtsvollen ungehört verhallen, kein Damm die in Fluß kommenden feindlichen Elemente mehr aufhalten, wohl aber sollte man bedenken, wenn man überhaupt das Denken noch nicht verlernt hat, daß Deutschland, sollte ihm das Ungeheuere eines nochmaligen Kampfes aufgezwungen werden, den Franzosen mit den wuchtigsten Schlägen deutscher Wehrkraft zu der Einsicht verhelfen muß und wird, daß eine neue Niederlage den Untergang Frankreichs bedeutet. Der Begriff staatsbürgerlicher Freiheit dringt in Spanien in immer tiefere Schichten der Bevölkerung ein. Schon verlangen die Einwohner eines Dorfes in der Provinz Caqeres allgemeine Guter- theilung und die Frage: Wozu hätten wir denn eine Republik, wenn wir nicht die Freiheit haben sollen, einem verhaßten Menschen einen Dolchstich zu versetzen? wird praktisch beantwortet. Die Carlisten da gegen bedienen sich in neuerer Zeit des Petroleums, nicht, um ihre wohlmeinenden Absichten damit zu beleuchten, sondern zum Anzündcn der Häuser. Womöglich noch schlimmergeht es in Cuba zu; Gräuel- scenen auf beiden Seiten, Gefangene, besonders Offiziere, werden mit den Füßen an einem Baum aufgehäugt, unter dem herabhäng- cnden Kopf ein Feuer angezündet und somit der Feind durch ein langsames Feuer geröstet. Das Commaudo „hinter die Front" be deutet nur, daß der Gefangene, zur Schonung von Pulver und Blei, mit „Machctes", einer Art Hirschfänger, zusammengchauen wird. (Eingesandt.) In den „Chemnitzer Nachrichten" fertigt eine Stimme aus dem Publikum den als reactionärmuckerisch bekannten „Pilger aus Sachsen" in folgender ebenso treffenden, wie drastischen Weise ab: „Der „Pilger aus Sachsen" freut sich, daß der Rector Gittermann wegen feines Unglaubens an die leibliche Himmelfahrt Jesu seines Amtes entsetzt worden ist. Eine solche Freude der Einfalt kann man wohl natürlich finden an einem eingefleischten Stubenhocker, der bei den einseitigen Anschauungen früherer Geschlechter stehen geblieben ist. Wenn aber ein Pilger, der doch auf seinen Reisen mit Leuten verschiedener Länder und Bildungsgrade zusammentrifft, eine so dumme Freude äußern kann, so mag er wohl auf seinen Reisen immer die Nebelkappe und das Scheuleder über Augen und Ohren gehabt haben, oder — dieser Pilger kann überhaupt nicht weit her sein. Er ist allerdings „aus Sachsen", dessen einstiger Fürst, um eitlen Glanzes willen, seine Religion abgeschworen, aus einem Lande, wo ein königlicher Hosprediger, trotz Landes- und Reichsgesetz, die Jesuiten in Schutz nimmt; wo man den Papst, trotz seiner Verfluchung der Protestanten, zum Gevatter nimmt, wo hohe Per sonen sich nicht scheuen, den Wundercuren - Schwindel zu unter stützen, wo Regierung und Erste Kammer sich bestreben, Volk und Schule in Religionssachcn an dem unfruchtbaren Buchstaben-Glauben möglichst festzuhalten, trotz dem Widerspruch der Wissenschaften und trotz den Forderungen der einsichtsvollsten Volksvertreter. Nun noch ein Wort, mein vielgereister Pilger, über die leibliche Himmel fahrt Jesu. Wissen Sie, welches der uns nächste Himmels-Körper ist? Das ist der Mond — 50,000 Meilen von unserer Erde entfernt. Ein Vogel, der täglick 100 deutsche Meilen fortflöge, brauchte bis zum Monde 500 Tage, also weit über ein Jahr. Ein Menschenleib würde den Raum schwerlich in kürzerer Zeit zurücklcgcn. Wie ver möchte ein natürlicher Leib (dessen Himmelfahrt Sie doch festhalten wollen) 500 Tage laug ohne Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu leben?! Es ist unnütz, die Folgerungen weiter fortzusetzen. Ein Kind sieht ein, wo der „Unsinn" liegt, und welchen Unsinn zu glauben man dem Laien zumuthet. Einem simplen Schäfer oder Köhler mag man solchen Glauben nicht verübeln, aber ein wissen schaftlich gebildeter Mann dürfte sich in diesem Falle nicht wundern, ein Dummkopf, ein Heucbler, oder Anwalt der Fiusterniß genannt zu werden. Wahrlich, es ist sehr traurig, daß wir noch soviel blinde, hierarchische Leiter haben! Solcher Humbug ist himmelweit entfernt von dem göttlichen Geiste unseres Erlösers uud dem ehrlichen Sinne des Predigers Sydow. Durch so grobsiuuliche und widernatürliche Lehren, wie von leiblicher Himmelfahrt rc., macht man die Leute weder fromm noch seelengut uud sittlich; aber man bewirkt, daß sich der gesunde Menschenverstand, der Wahrheitssinn ehrlicher Leute em pört gegen solches Thun und Treiben der Wölfe in Schafskleidern." Am Scheidewege. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Arthur warf sich voll Zärtlichkeit an die Brust seines Lehrers. Stahl hatte gefürchtet, den jungen Grafen völlig geknickt und ver zweifelt anzutreffen und er war nicht wenig erstaunt, mit welcher Ruhe Arthur sein Geschick ertrug. „Als mich Papa schlagen ließ, hab' ich nicht eine Thräne vergossen, denn ich sagte mir: Du darsst Herrn Stahl keine Schande machen, hat er Dich nicht stets gelehrt, daß die Tugend das höchste Gut und das Laster das einzige Uebel und daß wir zwar nicht gefühllos, aber unverwundbar sind, wenn wir der Tugend nachgestrebt." Die sonst so matten Augen des jungen Grafen leuchteten in seltsamen Glanze. Mochte Rudolph auch das Geschick bald hinweg schlendern, er mußte sich selbst sagen, die Saat, die er in den beiden jungen Herzen ausgestrcut, war aufgcgangcn und konnte nicht mehr völlig vernichtet werden. Im ruhigsten Gespräche btieben Beide noch lange zusammen, aber als Stahl jetzt seinem Schüler Lebewohl sagte, bedurfte er all' seiner Selbstbeherrschung, um ihm nicht zu verrathen, daß es ein Abschied auf immer sei. Er war nicht im Stande, sogleich sein Zimmer aufzusuchen. Die Sonne war im Untergehcn und ihre letzten Strahlen grüßten durch den im Abendschweigen ruhenden Park. Langsam wanderte Rudolph auf den alten, ihm lieb gewordenen Wegen dahin. Gelbe Blätter raschelten zu seinen Füßen — dieselben Blätter, die bei seiner Ankunft erst der Frühling hervorgezaubert. Jetzt hatten sie bereits den Kreislauf ihres Daseins beendet; er mußte an jenen sonnigen Lenztag denken, der damals die Entscheidung ge bracht, und nun trieb ihn das Schicksal von dannen. Schicksal!? Hatte der Leibjägcr wirklich Recht mit seiner bequemen Lebensphilo sophie? Nein, sein Geschick hielt er dennoch in eigner fester Hand. Was ihm hier feindselig entgegentrat, entsprang aus jenen ewigen Gesetzen, die stets Ursache uud Wirkung mit einander auf's Innigste verknüpfen. Wer thatkräftig in das Leben, umgestaltend in das Sein andrer Menschen einzugreifen wagt, der muß auf bedeutende Er schütterungen gefaßt sein, der kann mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß auf sein eigenes Leben ein Rückstoß erfolgt. — Der wunderbare Herbstabend nahm bald seine Sinne gefangen und löste den Ge- dankenknäuel seines Innern. In vollen Zügen athmete er den tiefen Frieden ein, der ihm aus dem Stillleben der Natur entgegendrang. Des Weges nicht achtend, wanderte er weiter. Aus einer Lichtung traten Hirsche und Rehe und er blieb stehen, um die Thiere nicht zu stören, die neugierig über den Wiesenplan schauten, als wollten sie sich einen erfrischenden Fernblick verschaffen, nachdem sie den ganzen Tag im dunklen Waldesdickicht zugebracht. O göttergleicher Tag, wo aus dem Waldeshag So still die Nehe lauschen, Wo Sorge, Noth und Plag, was auf dem Herzen lag, Im Waldeswehn verrauschen, schrieb er in sein Taschenbuch. Er mußte seine poetische Stimmung ausklingen lassen und gerade in seiner tiefen Ergriffenheit kamen ihm keine bessern Verse. In seiner Träumerei hatte er nicht bemerkt, daß ein Paar glänzende blaue Augen jede seiner Bewegungen verfolgten. Jetzt blickte er auf und eine klangvolle Weiche Stimme rief in nächster Nähe: „Rudolph!" Es war Wanda. „Verzeihen Sie, daß ich Sie so unsanft aus Ihrer Traumwelt aufgeschrcckt, aber ich muß Sie sprechen, mein ganzes Herz drängt mich zu Ihnen;" und wie jetzt Rudolph anfsah, bemerkte er wohl, in welcher Aufregung sich das junge Mädchen befand. „Wie konnten Sie wissen, daß Sie mich hier treffen würden?" fragte er verwundert. „Glauben Sic nicht an diesen Zug der Seele, der niemals