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mit Zündnadeln gesiegt und müssen jetzt doch bessere Gewehre an schaffen, um wieder zu siegen. So ist es mit den Kreistagen; dem Fortschritt der Zeit gegenüber müssen wir Besseres einführen, die Krcisordnung. Wir geben damit nicht den liberalen Parteien nach, sondern Anschauungen, die sich in einer Zeit gebildet haben, in der die Weltgeschichte ein ganz anders Gesicht bekommen hat. Wir sind nicht liberal, sondern konservativ, indem wir nothwendige Ver besserungen zur rechten Zeil einführen. Die Franzosen fahren fort, in der gemeinsten Weise auf die Deutschen zu schmähen und ihren Nachegcdanken freien Lauf zu lassen. Nur hie und da wird eine Stimme laut, welche sich den Muth nimmt, den Großmäulern reinen Wein eiuzuschenken. So lauge das Volk so unwissend, so abergläubig, so sittlich herabgekommen, könne es nicht daran denken, gegen das deutsche Volk sich noch einmal zu er heben, da müsse erst das jetzige Geschlecht aussterben und eine neue Generation von tüchtiger Bildung und Manneskraft heranwachsen. Die Engländer find zwar ein Volk von Krämern, aber es darf nicht geläugnet werden, daß ein großer Theil unter ihnen von ihren Schätzen ancrkennenswerthen Gebrauch zu machen weiß. In vergangener Woche allein haben acht Personen, die nicht genannt sein wollen, Schenkungen von je 1000 Pfd. St. an Londoner mild- thätige Anstalten gemacht. Im Laufe des Jahres 1872 sind 42 solcher Gaben st 1000 Pfd. St. von unbekannten Wvhlthätern, außerdem eines Anonymus von 10,000 Pfd. St. gemacht worden. Bedenkt man nun, daß der bei weitem größere Theil der Geber genannt wird und genannt sein will, und außerdem, daß London nur eine, wenn auch große Stadt in England ist, daß ferner eine ungeheure Anzahl Gaben von geringerem Werth als 1000 Pfd. St. gemacht werden, so wird man sich vorstellen können, wie viel alljährlich aus den Taschen der Neichen zu gemeinnützigen Zwecken in Großbritannien verwendet wird. Venedig hat Canäle statt der Straßen und man fährt in Gondeln. In solcher Gondel fuhren neulich Abends die Wechsler Masiero und Pensa von der Stadt heim zu ihrer Insel Giudeccai sie führten mit sich ihre Kasse mit 100,000 fl. baar und 40,000 fl. in Papieren, ihre Commis und vier Ruderer. Im großen Canal fuhr ein kleies Fahrzeug (eine Vipera) pfeilschnell an sie heran, im Nu war cs mit ihnen zusammengestoßen, die Ruderer fielen über Bord, die Männer der Vipera waren plötzlich in der Gondel und entführten die Kasse. Pfeilschnell, wie gekommen, war das Fahrzeug auch verschwunden und in dem Gewirre der Canäle der inneren Stadt jede Spur verloren. Die Kasse fand andern Tags die Polizei fammt den Papieren, das baare Geld war fort. Niemand hat eine Ahnung, wer die Lagunen-Räuber sind. (Die Vipera ist ein langes fchmalcs Fahrzeug mit eiserner Spitze, das dreimal so schnell führt als andere.) Das Medaillon. Novelle von Ludwig H»dicht. (Fortsetzung.) „Sehen Sie," begann der Graf, das hervorgeholte Medaillon noch einmal aufmerksam betrachtend, „mein Gott,' da wird ja auf einmal daS Rärhsel gelöst, hier in der Ecke ist in minutiöser Schrift ein Name eiugravirl; mau kann an etwas tagelang herumforschen, ohne es zu entdecken und der Hellblick einer glücklichen Minute bringt es an's Licht!" Er begann mühsam zu entziffern: „Anast —" „Lassen Sie sehen, Herr Graf!" sagte erbleichend und plötzlich aufspringend die Gehcimräthin, „ich habe scharfe Augen!" — und sic griff mit fieberhafter Hast darnach — zu spät. „Ich danke!" entgegnete kalt und verbindlich der Graf und ein bitter melancholischer Zug, als sei ihm eine herrlich aufgebaute Mar- morwclt in Trümmer gefallen, zuckte über sein männlich-schönes Antlitz: „Auch meine Augen waren noch scharf genug, diese in Gold eingegrabcne und doch so jämmerlich die beklagenswertheste Heuchler- Seele verratheude Schrift zu entziffern!" Und sein großes durch dringendes Auge ruhte vernichtend auf der Entlarvten. Sic wollte ihm zu Füßen sinken, er wandte sich hinweg und ging schweigend hinaus. Der Graf war am andern Morgen der Erste auf dem Platze, er hatte ohnehin nicht geschlafen und ging unruhig auf und ab, seinen Gegner und das Duell erwartend. Es war ein köstlicher, wunderschöner Morgen. Eine kühle Luft wehte; die Wolkeuschleier ballten sich phantastisch zusammen, der Sonne harrend, die endlich ihrem chaotischen Treiben Form und Gestalt geben würde — und jetzt eben blitzte ihr erster Strahl mit wunderbarer Zauberkraft herauf und sank wie ein feuchter reiner Blick der Liebe auf die dämmernde Erde. Auch selbst in das gebrochene wild klopfende Herz des Grafen senkte dieser Strahl seinen milden Zauber. Er schlug das Auge auf nach der höher heraufperleudcu Lichtwelt und sog die Lichtwellen mit hastigen Zügen ein. Der Graf fürchtete nicht den Tod; er hatte schon ost ruhigen festen Auges den Gegner erwartet, — aber doch für eine bessere Sache. Jetzt stand er hier, die Ehre Derjenigen zu vcrthei- digen, die doch so elend und erbärmlich war; doch nein, nicht ihre Ehre, seine eigene war es, für die er sein Leben einsetzte; er hatte einen Ehrenmann auf das Tiefste beleidigt und das konnte nach seinen Begriffen von Ehre nur durch Blut abgewaschen und wieder gut ge macht werden. Und doch bedurfte es nur eines einzigen Wortes, er durfte nur 2 sagen: „Ich bin getäuscht worden, schmählich und bitter getäuscht. Sie hatten Recht, verzeihen Sie meine Uebereilung!" Aber nicht ein Gedanke davon durchzuckte sein Herz. Warum hatte er auch, der sonst so Kalte, Ueberlegende, wieder einmal den Heißsporn gespielt; warum hatte der so bitter Getäuschte doch wieder von Neuem einem elenden Weibe getraut! Ein bitteres ironisches Lächeln flog um seine Lippen: „Mir ist der Tod will kommen," murmelte er vor sich hin, „das ist eine Züchtigung, die ich wohl verdient habe." Der Graf sah nach der Uhr; seine Ungeduld hatte ihn einige Minuten zu früh herbeigeführt, jetzt erst rückte der'Zeiger auf Fünf und in diesem Augenblicke trat auch schon der Gegner aus einer Biegung des Weges auf den bestimmten Platz. Man grüßte sich kalt und höflich. Die Pistolen wurden alsdann geladen. „Sie sind der Beleidigte, Herr Graf !" bemerkte ruhig der Major. „Sie haben den ersten Schuß, denn mein Schreiben schon —" „Durchaus nicht!" unterbrach ihn der Graf; „die erste Beleidig ung fiel von meiner Seite. Sie schießen zuerst!" „Aber schon mein Brief war eine Beleidigung," demonstrirte nochmals der Major. „Lassen wir das!" entgegnete entschieden der Graf, „ich warte." Und mit einer bezeichnenden Handbewegung forderte er den Major zum Schüsse auf. In diesem kämpften die mannigfachsten Empfindungen auf und nieder; er hatte die feste, unerschütterliche Ueberzeugung, daß der Graf einer Coquette halber in den Tod gehe und doch noch den letzten Abend gehört, daß der Graf ein edler, trcufester Charakter sei. Er hätte AÜeS darum gegeben, dem Gegner die Decke von den geblendeten Augen wegzuzichen und ihm den unumstößlich sesten Beweis zu liefern, daß seine Anklage wahr und gerecht; doch was würden Worte über den Stolzen, Hochfahrenden und grenzenlos Vertrauenden vermögen? die Würfel waren gefallen! Er mußte ihn schonen, mochte es gehen wie es wolle, selbst auf die Gefahr hin, daß die Kugel des Gegners besser ihr Ziel treffe und dann war ja seine Schuld gegen den durch seine Unbesonnenheit hingcopfcrtcn Freund am besten gesühnt. Mit ruhig-festem Auge legte er auf die Brust des Gegners an. Er mußte ihm das Herz durchbohren, wenn der Lauf in dieser Richtung blieb; aber ein leiser Ruck im Momente des Abdrückens und die Kugel streifte so hart die Achsel des Grafe«, daß sie den Nock eben noch berührte. „Schade," bemerkte lakonisch der Graf und blickte in das Auge des Gegners, der nicht zuckte, sondern gelassen und ruhig die besser treffende Kugel des Grafen erwartete. Dieser erheb jetzt den Arm und legte den Finger an den Drücker. Noch ein wunderbar eigener Blick aus feinen Angcn auf den Major und die Pistole flog aus seiner Hand und er selbst mit offenen Armen auf den, über diesen sonderbaren Auftritt stutzenden Gegner zu. „Vergeben Sie," sagte der Graf mit der ganzen hinreißenden Wärme seines Herzens, „daß ich Sie so tief und rücksichtslos gekränkt habe, ich konnte Ihnen keine andere Genugthuung geben, als Ihnen meine Brust entgegen halten. Sie haben diese Rache verschmäht; ich habe es wohl gefühlt, und so erhallen Sie denn eine andere Genug- lhnung, die Sie vielleicht für Ihren Edelmuth entschädigen wird. Sic haben Recht! Anastasia ist eine Schlange und — ich bin ent täuscht!" „War es möglich?" rief der Major jubelnd aus — und setzte dann gleich, das Unschickliche seiner Freuden-Aeußerung fühlend, mit Theilnahme hinzu: „Sie haben also doch erfahren, daß Sie getäuscht worden und kennen jetzt diese erbärmliche Coquette?" „Ich kenne sie, mein Theurer;" entgegnete der Graf mit bitterm schmerzlichen Lächeln. „Und Sie stellten sich mir doch gegenüber und wollten für dies elende Weib Ihr Blut verspritzen? Sie konnten schweigen und mich zum Mörder machen, wenn ich —" „Wenn Sie nicht edel genug vorbeigeschossen, Sie trefflicher Schütze und doch wußte ich, daß Sie ein Virtuose im Pistolenschießen und niemals gefehlt, ich wußte es; aber das mußte ich thun, uicht für dies Weib, für uns Beide und wir sind nun versöhnt und nicht nur dies, sondern auch Freunde!" Er drückte den Major dabei warm und innig an seine Brust. „Aber Sie legten doch noch auf mich an!" bemerkte der Major lächelnd, „Das alte, sonst immer so schön gepflegte Mißtrauen, mein Freund! Sie konnten ja doch einmal gefehlt haben — auch die sicherste Hand kann dies — aber daun sah ich Sie ruhig bewegten Auges und da mußt' ich, daß Sie tausendmal edler und besser sind als ich und ich mußte mich ruhig an Ihre Brust werfen." „So hab' ich dennoch nicht fehlgeschossen, Herr Gras!" meinte der Major und fuhr dann warm und herzlich fort: „Sie verzeihen meine Freude über ein Ereigniß, das für Sie so schmerzliche Saiten angeschlagen, aber das Treiben dieses Weibes hat mein Herz auf doppelte Weise vergiftet." (Schluß folgt.) Vermischtes. Kaiserslautern, 10. Octvbcr. Gestern spielte sich ein Stück mittelalterlichen Rechtsverfahrens auf dem hiesigen Marktplatze ab, indem daselbst der Schandpfahl aufgerichtet und an demselben das