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verbindlich werden sollen, wenn die Subseriptionen mindestens 500 Millionen erreicht hätte. Regierung und Kammer sind in der Sache noch zu keinem Entschlusse gekommen. Die Deutschen in Siam gelten jetzt mehr als der Weiße Ele- phant, der doch dort ein halber Heiliger ist. Zum erstenmal, seits einen Thronsaal in Siam giebt, wurde dort deutsch gesprochen, der deutsche Consul wars, der dem Kaiser seine Aufwartung machte und glänzend ausgenommen wurde. Eine besondere Freude machte der siamesische Kaiser sich und dem Consul, daß er ihm seinen Palast zeigte; da hingen in dem schönsten Zimmer die Bilder des deutschen Kaisers und der deutschen Heerführer von 1870 und das größte Bild stellte Napoleon dar, wie er dem König Wilhelm seinen Degen übergiebt. Cin halb Jahrhundert, oder: Allstund aufrecht. Von Marie von Noskowska. (Fortsetzung.) „Und dabei den einzigen Blutsverwandten draußen zu wissen auf dem Felde zwischen den beiden kämpfenden Theilen!" „Ich bedaure es so lebhaft, daß ich ihn nicht zurückbehielt! Aber wer konnte denn ahnen, daß selbst die Waisenkinder nicht durch gelassen würden durch die russische Vorpostenkelte?" „Es ist eine entsetzliche Grausamkeit." „Die Stadt soll dadurch gezwungen werden, ihre Angehörigen wieder aufzunehmen, damit der Mundvorrath schneller verzehrt, die Uebergabe möglichst beschleunigt werde. Aus demselben Grunde weigert sich der Gouverneur, den Unglücklichen die Thore öffnen zu lassen. Vergebens sind Bitten und Vorstellungen. — Bei uns hätte der Knabe freilich auch kein Wohlleben. Es schneidet mir in die Seele, daß ich Dir keinen guten Wein verschaffen kann. Jetzt bietet sich indeß Gelegenheit —" „Ich suhle mich schon viel besser, werde mich bald ganz erholen. Aber woher jetzt das Wasser?" „Vielleicht ist dies die Dominiksfluth, die dieses Jahr ja aus- blieb. Heftige Regengüsse in den Gebirgen mögen das Hochwasser vermebrt Haden. Dazu kommt, daß der Damm von den Franzosen halb durchbrochen wurde, um die Niederung gegen die Belagerer ge legentlich schnell unter Wasser setzen zu können. An dieser Stelle nun ist die Fluth durchgebrochcn. Großer Schaden ist dadurch an- gerichtet — im Werder schauen nur die Dächer der Häuser aus den Wellen. Von unseren Holzhöfen sind viele tausend Haufen Holz fortgeschwcmmt und das Gouvernement wird doch wieder große Lie ferungen von der Stadt verlangen, um die zerstörten Werke auszu- beffern. Ich wünschte von ganzem Herzen, Sie und die Kruder wären in Sicherheit. Jetzt bietet sich Gelegenheit aus der Stadt zu kommen — zu Wasser. Natürlich muß vorher ein russischer Paß besorgt werden, es giebt indeß Leute, die aus Herbeischaffung von Pässen ein Gewerbe zu machen beginnen." „Gewiß ein einträgliches. Woher das Geld dazu nehmen zu der Flucht und dann zu dem Leben in der Fremde? Von Allmoscn leben — es kommt Unserelnem schwer an. Aber was hast Du aus dem Herzen, Adolph? Sage mir Alles. Du weißt, mein Geist ist bei weitem weniger schwach, als jetzt die gebrechliche Hülle, sonst hätte der selige Baler mir nicht sein unbedingtes Vertrauen geschenkt. Da rum weiß ich aber auch, wie es mit unserem Hause steht, obwohl Du es mir möglichst zu verbergen suchst. Dank für Deine gutge meinte liebevolle Schonung, mein Sohn. Glaube indeß, es lhut mir besser, wenn ich Alles weiß, als wenn ich cs ahne, erralhe, ver- mnihe. Die Männer in Deiner Familie haben sich stets Lebensge fährtinnen gewählt, die fähig waren, auch im Leid neben ihnen zu stehen — Allstund aufrecht. So Schweres, wie Dich getroffen hat und nun noch treffen wird, kam freilich über Keinen des allen Hauses. Doch glaube mir, ich werde mich nichl schwach erweisen, werde mich wenigstens bemühen, dieser harten Probe Deiner Standhaftigkeit nicht noch eine Bürde beizufügen. Also Offenheit, mein Erstgeborner; Muth und Standhaftigkeit darf ich Dir nicht erst predigen — Du bist ein Hcrwhn!" „So sei es denn und ohne Umschweife. Es handelt sich für mich um die Lebensgefährtin, Mutter." Er hielt dennoch wieder inne. Ueberrascht schaute sie auf. „Jetzt Adolph? Doch Wen Du mir auch als Tochter zuführen mögest, sie soll willkommen sein und zu jeder Zstt, obwohl ich mit Dir darüber einig zu sein glaubte, diese Zeit eigne sich nicht zur Brautwerbung." Er nickie zustimmend. „Andre sind andrer Meinung. Brandt hat mir seine Tochter ziemlich unverblümt angelragen, obwohl er die Verhältnisse unseres Hauses kennt, ich ihm dieselben grade nach seiicen ersten Andeutungen offen darlegte. Er wollte mir auch zu gleich hinreichendes Kapital überweisen, um die jetzigen Verlegen heiten zu beseitigen!" Wieder hielt er inne, tief Achem schöpfend. Die Mutter wartete eine Weile, daß er fort fahre. Da es nicht geschah, fragte sie: „Und was hast Du ihm erwidert? Abge lehnt oder Bedenkzeit verlangt? Du schüttelst den Kopf? Also hast Du eingewilligt? Sage nein, Adolf, mir ist der Gedanke unertrüg- Er zuckte zusammen. „Verkaufen — nein Mutter, verkaufen nicht." „So liebst Du Emmeline Brandt? Das ahnte ich nicht. Und sie erwidert Deine Neigung? Freilich, «he ihr Vater das Haus in der Joppengasse kaufte, als sie uns noch gegenüber wohnten, oder vielmehr wir ihnen Im vorigen Jahre hörte ich jedoch, sie habe ein Verhältniß mit einem französischen Offizier, der später in Rußland fiel. Wenigstens sagten es die Leute." „Die Leute reden viel, doch hier hoffentlich nichts Ehrenrühriges, was natürlich jeden Gedanken an eine Verbindung im Keim zer stören müßte. Sonst — der Mann ist todt, ich könnte, wenn sie ihm wirklich geneigt war, nur dann eifersüchtig sein, wenn ich sie liebte. Da ich sie nickt liebe, glaube ich kein Recht zu haben, nach einer früheren Beziehung zu fragen; diese kümmert mich nicht. Den noch habe ich diese Nacht viel mit mir gekämpft, bin aber schließlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß ich Recht hatte in dem, was ich Brandt gleich gestern gesagt. Einen Vorschuß lehnte ich entschieden ab — kann mich, wie Du sagtest, nicht verkaufen. Denn Aussicht, das Geld bald zu erstatten, habe ich nicht. Ist diese Verlegenheit gehoben, so kann ich täglich in eine neue kommen und dadurch gezwungen sein, immer wieder zu Brandt und seiner Casse Zuflucht zu nehmen. Abgesehen davon, daß ich mir Verbind lichkeiten aufbürdete, zu deren Tilgung vorläufig und bis nicht eine gründliche Umgestaltung der Verhältnisse erfolgte, keine Hoffnung ist; ich würde sogar ihm und seinen Ansichten dienstbar werden; er er hielte ein Recht, sich einzumischen in meine Angelegenheiten, oder doch zu verlangen, daß ich seinem Rathe, seiner Ansicht folge. Und das kann ich nicht, dazu gehen unsere Grundsätze zu weit auseinander. Verwerfen darf ich ihm eigentlich nichts, oder müßte zugleich einen großen Theil unsrer Mitbürger verdammen. Er ist ein lebenskluger Mann, der es versteht, aus allem Vortheil zu ziehen — unter allen Verhältnissen „vorwärts zu kommen", wie das die Leute nennen, d. h. Geld zu erwerben, reicher zu werden. Ich — nun, Sie wissen, der selige Vater kam in den letzten Jahren nicht „vorwärts" und ich — ich bin sein echter Sohn." „Gottlob!" sagte die Mutter und reichte ihm die abgezehrte Hand. Er küßte sie warm und sprach weiter: „Um mich vor dem Konkurs zu bewahren, kann ich also Brandls Beistand nicht anueh- men, das sagte ich ihm. Wollte er aber des ungeachtet eine Ver bindung zwischen seiner Tochter und mir, io sei ich einer solchen nicht abgeneigt, vorausgesetzt, daß wir erst Gelegenheit gehabt hätten, uns kennen zu lernen und zu prüfen, ob unsere Charaktere für ein ander paßten. Er ging daraus lebhaft ein, meinte: die passendste Gelegenheit sei, daß wir gemeinschaftlich die Stadt verlassen, so lange, bis die Franzosen Danzig übergeben hätten. Er selder könne nicht fort — seine Geldangelegenheiten fesselten ihn hier. Aber Frau und Tochter würde er gern unter männlichem Schutz hinaussenden. Da er wisse, daß ich meine Familie je eher, je lieber in Sicherheit brächte, da nach einer Auseinandersetzung mit meinen Gläubigern meine Anwesenheit hier nicht erforderlich sei, so könnten wir mit seiner Familie zusammen Danzig verlassen. Für Passe und alle» Erforderliche werde er sorgen. Wir sind also übereiugekommen, daß, falls Emmeline und ich uns gegenseitig zusagen, wir die Verbindung nach Abzug der Franzosen schließen und ich das Geschäft mit ihrer Mitgift wieder eröffne." Er sprach ruhig, gemessen, wie von einem Geschäft, nickt von einer Herzensangelegenheit, die es ja auch nicht war. Nur das Be ben der Unterlippe verrielh, daß er innerlich nicht jo gefaßt, ja un beweglich sei, wie er sich äußerlich den Anschein gab. Die Mutter verstand ihn. „Das geschieht nur unsertwegen, Adolph! Um Deiner selbst willen wärst Du nicht darauf eiugc- gangen." „Nein, das gestehe ich offen, hätte mich lieber durch meine eigene Kraft durchzuschlagen versucht. Vcrheiralhetc ich mich um meinet willen aus Rücksicht auf die Mitgift, ich könnte keinem Menschen mehr frei ins Auge sehen. Aber wie ich es einfach, gleich dem Vater, für Ihre Pflicht hielt, daß Sie ihr Eingebrachtes, wie Ihr Witthum Hingaben, um den Fall des Hauses aufzuhalten, wenn schon nicht zu hindern, so erkenne ich es auch als meine Schuldigkeit ohne Rücksicht auf etwaige eigene Wünsche für Sie und die Ge schwister zu sorgen, durch alle Mittel, welche mir mein Gewissen und meine Ehre gestatten. Durch diese Verbindung hoffe ich, gegen un sern Wahlspruch nicht zu verstoßen, mcin Haupt dennoch allstund aufrecht erhallen zu können." „Aber Dein Glück? Ich sage nicht daS Eurige, denn mein Sohn wird seine Gattin unter allen Umständen geziemend halten und ehren." „DaS will ich wenigstens. Und ich selber —?" Er lächelte trübe. „Ihre mütterliche Liebe wünscht natürlick für mich ein Glück, wie es Dichter besingen. Wir armen Sterblichen müssen aber schon niit einem geringen Grade desselben zufrieden sein. Ich halte Emmeline für herzensgut und bildungsfähig. Manches in ihrem Wesen wird sich in anderen Verhältnissen ändern. Anderes werden wir mit Milde beurtheilen. Mutter — wer bedürfte denn nicht zu weilen der Nachsicht? Ich gewiß. Und das Bewußtsein erfüllter Pflicht ist an und für sich selber schon Glück. Dieses wird mir Nichts und Niemand rauben. Jedenfalls werden Sic mich, wird mich Jedermann als einen Hcrwhn finden — Allstund aufrecht!