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scheMM für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Tiebculcyii und die Umgegeudc«. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 86. Freitag den 3. November 1871. Tagesgeschichte. Leipzig, 28. October. Eine wichtige und interessante Mit- thcilnng (vorausgesetzt, daß sie sich bestätigt) ist folgende vom Dresdner Anzeiger gebrachte, wie er schreibt, „ans officivse Quellen zurückführende" Notiz über die beabsichtigte Neugestaltung der Verwaltungsbehörden. Es heißt dort: Mit der von den Ständen wiederholt beantragten, von der Regierung zugesichcrten Reorganisation der Mittlern und untern Verwaltungsbehörden scheint es nunmehr ernst werden zu wollen. Wie man hört, hat der dies falls von dem Ministerium des Innern ausgearbcitete Entwurf be reits der Berathnng im Gesammtministerium unterlegen und wird der nach Schluß des Reichstags voraussichtlich noch im November zusammcntrctendcn Ständeversammlnng zur verfassungsmäßigen Be- rathung und Beschlußfassung zugehe». Nach dein Entwürfe, wenn dieser die allseitige Zustimmung erlangt, sollen, wie verlautet, die vielfach angefochtenen Kreisdirectivnen aufgehoben werden, an deren Stelle Krcishanptleute, denen eine nach dem Umfang der Geschäfte zu bemessende Anzahl Hülfsarbeiter stündig beigegeben wird, treten. Die Kreishauptleute entscheiden in zweiter Instanz und zwar in ge wissen vom Gesetze bestimmten Fällen unter Zuziehung eines Ans schusses Voit Friedensrichtern (?) und Vertrauensmännern, welche dieses Amt als Ehrenamt unentgeltlich verwalten. Den Gerichts ämtern und Städten mit Ausnahme der Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz werden die von ihnen zcither besorgten Verwaltungs- gcschäfte größtentheils (unter andern verbleiben ihnen die gcrichls- polizeilichcn Erörterungen und die das Brandvcrsichcrungswesen be treffenden Angelegenheiten) entzogen und gehen, soweit sie nicht den Gemeinden zugewicsen werden, auf die Amtshanptleute, denen auch die Consistorialgeschäste übertragen werden, über. Die Grenzen der AmlShauptmannschaften werden enger gezogen und wir würden künftig statt der jetzigen 14 vielleicht doppelt so viel haben. Den Amtshauptlcuten werden vom Staat nuzustellende Secretäre beige geben und sie haben in wichtiger» Fällen (z. B. wo es sich uni einen öffentlichen Weg handelt) sich mit einem ihnen beizuvrdilenden Aus schuß von Friedensrichtern (?) collegialisch zu bcrathcn. Auch wird ihnen ein gewisses Aufsichtsrecht über die städtische Verwaltung ver liehe». Dies die ungefähren Hauptgrundzüge der Vorlage. Das „Dr. I." berichtet aus Dresden: Vorige» Sonnabend, den 29. October, fand in der Ccntralhalle eine von den hiesigen Socialdemokraten einberufene Volksversammlung statt, welche überaus zahlreich besucht war. Herr Otto Walster rcferirte über den erste» Punkt der Tagesordnung: „die Maßregelung der socialdemokratische» Partei im Königreich Sachsen," nnd schlug zuletzt, nachdem er die Üfert'sche Ausweisung speciell bericht, eine Nesolutivii vor, welche also lautet: „Die Versammlung erklärt, daß sie von den Maß regelungen, welche der socialdemokratischen Partei im Königreich Sachse» zu Theil geworden sind, in Unwillen versetzt worden ist und dieselbe» entschiede» mißbilligt. Ferner: Tie Versammlung traut weder dem Bundesrathe den Willen, noch dem Reichstage die Macht zu, solchen Vorgänge» entschieden entgegenzutrete», sie erblickt also das einzige Heil in der engen Vereinigung aller Arbeiter, und hält es für Ehrenpsticht eines Jede», in dieselbe cinzutreten, das Uebrige ruhig der Zukunft überlassend." Diese Resolution fand beinahe ein stimmige Annahme. Falkenstein, 27. Octvber. Die eigenthümliche Erscheinung der versuchten Selbstauslösung eines Stadtverordneten-Collegiums, welche sich vor drei Jahren in Adorf zeigte, ist kürzlich auch in Falkenstein ausgetreten. Hi^ wie damals dort sind die Stadtverordneten mit einer langen Reihe von angeblichen Beschwerden über den Stadt- rath ausgetreten, welche aber süminllich von der königl. Kreisdirection als unbegründet zurückgewicsen worden sind. Ebenso sind jene ver suchte Selbstauslösung wie der Antrag auf Auslösung des Stadtralhs von der Aufsichtsbehörde als unausführbar bezeichnet worden. Stollberg, I. Nov., Morgens 3 Uhr. Bald nach l Uhr er scholl Feuerruf und die ganze Stadt war erleuchtet. Noch brennt es hell, doch scheint das Feuer seine Grenze erreicht zu haben. Im un tern Theile der Stadt sind bis jetzt vier Gebäude der Schiefermühle, sowie zwei gegenüberstehende Häuser theils verbrannt, theils einge rissen. Gerettet konnte wenig werden, doch bewährte sich unsere Feuerwehr auf das Trefflichste. Dem Vernehmen nach hat das neue Uniformsreglcmcnt der deut schen Reichspostbeamten nunmehr die Bestätigung des Kaisers er fahren und ist in diesen Tagen durch das Postamtsblalt veröffentlicht worden. Ein Preßgesetz wird dem Reichstag erst im Frühjahr vorge legt werden. Der Vundesrath hat aber einstweilen schon dem Ge setzentwurf, der die Cautionspflicht und da« Recht der Concessions- entzichuiig aufgehoben wissen will, seine Zustimmung verweigert. Aus München vom 29. Octobcr berichtet man der „A. A.Z.": Der Bischof von Senestreh von Regensburg hat, aus Aulaß der Verfolgung der Gesellschaft Jesu in Deutschland, am gestrigen Tage eine eingehende Erklärung zu Gunsten derselben erlassen, in welcher er, im Anschluß an die Erklärungen der Bischöfe von Limburg und Paderborn, seinem tiefsten Schmerz und seiner gerechtesten Entrüstung über die Verfolgung der ans die unverantwortlichste Weise vcrläum- deten Mitglieder des Jesuiten-Ordens offenen Ausdruck zu geben sich verpflichtet fühlt. Aus Kiesfelden vom 29. Oct. berichtet man derselben Zeitung: Heute Vormittags wurde die Excomnnmication über Pfarrer Anton Bernard von Kiefersfelden vom Erzbischof von München in derOtto- capelle vollzogen. Ein darauf folgender öffentlicher Protest des Pfarrers wurde von den Versammelten mit großem Beifall ausge nommen. Der Erzbischof entfernte sich, nachdem er die Rede des Pfarrers vergebens zu unterbrechen gesucht hatte, von nur wenigen Landleutcn begleitet. Die Deutschen haben Dijon verlaffen. Der dortige Präfect kündigt dies dem Präsidenten der Republik mit folgender Depesche an: Dank Ihrer patriotischen Bemühuiig hat Dijon die letzten deut schen Soldaten, die es besetzt hielten, abziehe» sehe». Die Bevölker- »»g hat eine sehr große Würde gezeigt, kein Ruf wurde ausgestoßen. Alan zieht in Massen den fkanzösifchen Truppen entgegen, die im Anzüge sind. Die Stadt schmückt sich mit Fahnen, sie wird heute Abend erleuchtet. Aus Paris vom 27. Octobcr wird berichtet: Die Auswander ung der Pariser Arbeiter dauert fort. Dieselben gehen jetzt nicht allein nach Amerika und England, sondern auch nach Rußland. Vor zwei Tagen zogen fünfzig Broncearbeiter dorthin ab. Die Elsässer Arbeiter, welche in der neuesten Zeit nach Paris und dem übrigen Frankreich gekommen sind, sollen im Ganze» nicht zufrieden sein. Manche Leute reden nicht oft, aber dann wenigstens deutlich. Zn ihnen gehört der franz. Unterrichtsministcr, JuleS Simon. Seine Rede in der Akademie zu Paris bildet jetzt das Tagesgespräch. „Bekenntnisse einer schönen Seele" könnten wir sie nennen; schön ist sie freilich nur, weil sie offen bekennt. Wir haben, sagt er, mora lische Ruinen zu beklagen. Wir rühmten selbst die schlechten Sitte», schufen den verlorene» Frane» ei» Königreich, füllte» unsere Augen mit ihrem Luxus, unsere Ohren mit den Berichten ihrer Orgie», unseren Geist mit ihrem Blödsinn, unsere Herzen mit ihren leeren Leidenschaften. Wir klatschten den öffentlichen Spitzbuben Beifall. Wir verschwendeten Alles, spottete» der Moral, liebten nur das Vergnüge», verehrten die brutale Gewalt, sprachen, ehe wir dachte», errichtete» ein System der Verleumdung und machten aus der Lüge eine Staatseinrichtung. Wir waren lange vor Scvan be siegt, wir trugen die Ursache der Nirderlage in uns! — Der Mann sollte die Geschichte des franz. Kaiserreichs schreiben nnd Madame Eugenie ein Exxmplar »ach Chiselhurst schicken. Die Bonapartisten in Paris fangen an, gegen die Regierung des Herr» Thiers Front zu machen. Die Feindseligkeiten haben be reits begonnen. In den Kaffeehäusern verlangt man nnr bonapar- tistische Blätter zu lesen, die ändern werden gar nicht beachtet. Die Franzosen bleiben eben ein wandelbares Volk, das nie zur Ruhe kommt, und wenn der geschickteste Arzt käme, sie wollen von ihren Wunden nicht geheilt sein.