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scheidung, ob solche in Sachsen oder Preußen erfolgt, zum Nachtheil der Gesellschaft ausfallen dürfte. Wider den Postsecretär Stuhlmacher aus Reichenbach ist we gen Unterschlagung von Cassengeldern und Werthpapiercn die Ein leitung der Untersuchung beschlossen. Da er aber in der Nacht vom 1. zum 2. October flüchtig ^geworden, (er scheint von Reichenbach aus den Weg über Eger, München nach Italien oder der Schweiz genommen zu haben), so wird er jetzt steckbrieflich verfolgt. Sollte man glauben, daß es möglich ist? — Jedermann weiß es, daß, wenn man am Fuße eines hohen Thurmes steht und die Wolken eilends über ihn dahinziehen, es Einem vorkommt, als ob der Thurm cinfalle, sowie es, wenn man auf einer Brücke steht und in den vor überfließenden Strom hineinblickt, Einem vorkommt, als ob die Brücke davon eile. Es ist dies eine optische Täuschung. Daran dachten aber gewiß die braven Einwohner des im Voigtlande gelegenen Städtchens Falkenstein nicht, als am 3. October in demselben Au genblicke, wo der Baumeister dem Geistlichen zu der neuen Kirche, die eben eingeweiht werden sollte, den Schlüssel darreichte, unter den Tausenden von Menschen, welche sich am Portale versammelt hatten, der laute Ruf gehört wurde: „Ach Gott, der Thurm fällt ein!" Der Ruf wirkte wie ein Zauberschlag oder ein Tarantelstich, denn im Nu entstand eine allgemeine Flucht, Alles stürzte durch und über einan der, die Herren Geistlichen in ihren Priesterröcken, mit Ausnahme des einen, der unter dem Portale stehend, den Schlüssel in Empfang nehmen sollte; die Turner, Schützen und wer sonst noch dem Fest zuge sich eingereiht hatte, auch viele festlich geschmückte Frauen und Jungfrauen, besonders aber viele Kinder ergriffen die Flucht, und obschon die Scene im Freien sich ereignete, gab es doch mehrere Beinbrüche und viele arge Verwundungen; Einer soll auch durch ein eingeschlagenes Brillenglas ein Auge verloren haben. Daß durch diesen tragikomischen Vorfall die nachfolgende Feier der Einweihung sehr gestört werden mußte, läßt sich leicht denken. Referent, der sich als Fremder unter der Volksmenge befand und mir ihr die Flucht ergreifen mußte, wenn er nicht auch wie hundert Andere zu Boden geworfen und mit Füßen getreten sein wollte, hörte noch in dersel ben Stunde, da dies geschah, daß eine Art von Somnambule in Falkenstein wohne, welche den vor mehreren Jahren zu Falkenstein slattgefundenen großen Brand mit Bestimmtheit vorhergesagt und vor Kurzem auch geäußert hätte, daß bei der Einweihung der Kirche der Thurm einstürzen werde. Möglich, daß diese Vorhersage zu dem schauerlichen Vorgänge etwas beigetragen hat. Die Braut, welche vei der kirchlichen Feier getraut werden sollte, kam leider bei der allgemeinen Flucht auch zu Falle und mußte sich erst umkleiden, ehe die Trauung vollzogen werden konnte. Daß auch der Baumeister, dem übrigens der Neubau alle Ehre macht, bei dem Rufe: „der Thurm stürzt ein," ebenfalls die Flucht ergriffen habe, wurde wohl gesagt, ist aber jedenfalls nicht wahr. Am 6. October wurde der preußische Landtag vom König eröffnet. Die Thronrede kündigt zur Herstellung des Gleichgewichts in den Finanzen einen Steuerzuschlag an, ferner eine Kreisordnnng und ein Unterrichtsgesetz. Von der auswärtigen Politik hegt der König die Zuversicht, daß sie wie bisher zur Förderung friedlicher Beziehungen zu allen auswärtigen Staaten, zur Entwicklung des Verkehrs und Wahrung des Ansehens und der Unabhängigkeit Deut schlands führen werde. Königsberg i. P. 7. Oelober. Der durch den gestrigen Brand der Flachswaage entstandene Schaden beläuft sich auf 500,000 Thlr., doch ist der ganze Betrag versichert. Infolge des Brandes sind 100 Arbeiter brodlos geworden, lieber die Entstehung desselben ist noch nichts ermittelt. Nach der 7. vergeblichen Präsidentenwahl ist der bayersche Landtag augelöst worden. Mit Edelweiß auf dem Hute ziehen die Abgeordneten heim. Aus München, 7. October berichtet man der A. A. Z.: Die Wahlversammlungen werden in unserer Stadt bereits morgen Abend ihren Ansang nehmen; die Fortschrittspartei wird sich aus Einladung der ihr angehörenden in München wohnenden Abgeordneten im Saale der Eentralhalle versammeln, whrend der Ausschuß der pa triotischen Partei zu einer Versammlung im Glasgarten einladet. Die 56 Abgeordneten der Fortschrittspartei haben eine Erklärung an ihre Wähler beschlossen, in welcher sie ihr Verfahren in der Präsi dentenfrage darlegen. Beachtenswerth ist die Rolle, die Baden in den deutschen Hän deln spielt. Wie es in den 30er und 40er Jahren unsers Jahrhun derts der politische Vorkämpfer in Deutschland war, so ist es jetzt der Vorkämpfer für den Nordbund oder besser für die nationale Ei nigung. Weder Regierung noch Landtag machen eilt Gehcimniß da raus, daß sie alles vorbereiten, nm in den Bund einzutrelen, sobald die Stunde gekommen sein wird. Die Bildung eines Südbundes ist ganz aufgcgeben. Als Graf von Berlichingeu einen Lüdbund drin gend empfahl, antwortete ihm Minister von Frchdorf ziemlich iro nisch: Ich bitte den Herrn Grafen, mir zu sagen, mit wem ich inS Vcr ehmen treten soll, nachdem sowvlfl der leitende bayersche als auch der württembergische Staatsminister sich vor ihren Ständen mit sehr guter Begründung Hegen den Südbund ausgesprochen und ihn für eine Unmöglichkeit erklärt haben. Er schilderte dann, wie allenfalls der Art. 1 einer solchen SüdbundSverfasjung, welcher die viertehalb fürstlichen Theilnehmer mit ihren Titeln aufzählt, zu Stande zu bringen, aber schon bei Alt. 2 werde man stecken bleiben. Weder über die Gegenstände der Gemeinsamkeit, noch über die Vormacht, noch über die Verhältnisse des zweiaetheilten Hessens sei eine Ver ständigung möglich. Es habe noch Niemand einen greifbaren Plan -ines Südbundes geliefert, außer dem Stuttgarter Beobachter, wel cher erklärte, sein Recept sei sehr einfach und wohlfeil, es koste nur einige Kronen. Amerikansche Agenten reisen in Deutschland umher, um Leute für die srühern Sclavenstaaten anzuwerben. Einer von ihnen, Schütz, soll 50,000 Köpfe zu liefern versprochen haben. Die Verträge lauten günstig, nur muß man zusehen, ob nicht Schwindel hinter dem ge duldigen Papier steckt. Die Times beschäftigt sich in längeren Artikeln mit der Concil- Angelegenheit, und freut sich der Haltung Deutschlands. „Diese Deutschen!" ruft sic. „So oft sic aus ihren Wäldern hervonracen, haben sie sich immer als gefährliche Feinde Roms bewährt — von Varus bis auf Luther. Und auch sitzt rücken sie gegen Rom vor, und bieten ihm Trotz mit seinen eigenen Decretalen — denselben Decretalen, über welchen, wie Tante klagt, der Papst und die Car- dinäle daS Evangelium, Nazareth und die Kirchenväter vergaßen." Bordeaux, 7. October. Gestern Nacht hat ein Brand aus der hiesigen Schiffswerfte statlgefunden, der einen Schaden von etwa 1 Mill. Fr. verursacht hat. Die in Bordeaux lebenden Deutschen haben sich sehr lebhaft an den Sammlungen für die Hinterbliebenen der im Plauenschen Grunde Verunglückten betheiligt. Die dortigen Kaufleute haben auf der vom Wiener Comitee in Umlauf gebrachten Liste eine Summe von ca. 5000 Frs. gezeichnet, und außerdem Hal der deutsche Verein Germania 650 Frs. gesammelt und direct nach Leipzig abgesandt. Die Unkosten, welche dem Sultan aus der Anwesenheit der Kaiserin von Frankreich entstehen, müssen ganz kolossal sein. Der selbe hat bei der pariser „Societc Generäle" allein 29 Millionen ausgenommen, um dieselben bestreiten zu können. Kein H l ü ck. Eine Erzählung von Ludwig Habicht. Drittes Kapitel. (Fortsetzung.) Endlich begann dieser wieder: „Mit meiner Tochter floh mir der liebe Engel und — das Glück. Ein Freund betrog mich, dem ich ein unbegrenztes Vertrauen geschenkt und der auch schon meinen Schwiegersohn hintergangen, ohne daß ich dessen Versicherung von der Falschheit des Freundes Glauben geschenkt hatte. Ein Unglück folgte dem andern, Schlag aus Schlag; ich muhte alle Hüttenwerke bis auf eins verkaufen; da verlor ich plötzlich durch den Tod einen Mann, der mir durch seine Fertigkeit unentbehrlich geworden war, und das wurde das letzte empfindlichste Unglück. Es war mein Emaillirmeister, dessen im tiefsten GAwimniß zubcreitete Emaille mein Eisengeschirre zu dem gesuchtesten weit und breit machte. Ich bot ihm Tausende für sein Geheimniß; er schwankte nvch^, da starb er plötzlich und nahm sein Geheimniß mit der Emaille-Bereitung mit in das Grab. Er soll seinem Kinde das Geheimniß vermacht haben; aber ich habe nie erfahren, wohin er das Kind gebracht hat. — Ich hatte mich immer gern mit Chemie beschäftigt; ich glaubte, ich müsse ebenso glatte und weiße Emaille erzeugen, wie mein Meister, der nur ein ganz schlichter, einfacher Mann war und das kostbare Gehcimniß von Frankreich hereingebracht haben soll, — vergebens blieben alle meine Anstrengungen, ich verschwendete Hunderte, ohne ans Ziel zu gelangen, und suchte mit um so fieberhafterer Hast nach dem ent schwundenen Geheimniß; aber meine Töpfe wurden immer schlechter und schmutzig-grauer, daß sie zuletzt Niemand kaufen mochte. Ich vernachlässigie darüber mein Geschäft, bis ich auch dieses aufgeben und mit den Trümmern meines Vermögens mich hierher retten mußte. Aber der Gedanke, dies Geheimniß zu ergründen, Hai mich noch n cht verlassen, ich mnß cs sinden, denn mit ihm kann mein Lebensgluck wiederkehren. „Ich muß es entdecken!" fuhr er eifrig und sich gänz lich vergessend fort, „dies vielleicht ganz winzige Geheimnitz/dem ich meinen letzten Besitz geopfert, und ich alhme nicht eher auf, bis icy am Ziele bin." „Und wenn Sie es gefunden?" fragte der Pfarrer. „Dann bin ich glücklich, dann habe ich das treulose Glück wie der, das mir so hartnäckig die Fersen gezeigt, und ich will eS sest- halten und nimmer von mir lassen, denn es ist von höchster Bedeu tung; diese Masse ist einzig in ihrer Art und mit ihr will ich aus dem kleinsten Hüttenwerk eine Golkonda schaffen. „Und Ihre Kinder — die Sie —" der Pfarrer stockte. „Ins Elend gestoßen, vollenden Lsie nur — ja, das ist bittere Ironie des Schicksals, die Launenhaftigkeit des Glücks, die mich zur Verzweiflung bringt. Mit einer grausamen That war der Zauber gebrochen; sie arbeiteten sich aus der größten Armuth empor und sie sind reich — reicher vls ich je war!" „Und sie haben jetzt ihren Vater vergessen?" fragte der Pfarrer herzlich. „O, hätten sie das!" entgegnete der Commerzienrath mit schmerz lich zuckenden Lippen, „aber ihre Liebe peitscht mein Herz tausendmal blutiger. Sie haben mich gebeten, mich bestürmt, wieder zu ihnen zurückzukchren, heiß und verlangend ihre Arme nach mir ansgesireckt" — und dec alte hartgcprüfte Mann breitete ebenfalls, wie in Sehn sucht, seine Arme aus und rief klagend: „Meine Kinder, meine Kin der, o wie sehne ich mich nach ihnen, wie gern wollt ich das müde Haupt an ihrer Brust ausruhen. „Es liegt ja nur an Ihnen, sonderbarer Mann," erwicderte der Pfarrer. „Ich darf es nicht — ich habe kein Glück!" war die einzige