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230 freut mich, daß ich den letzten Rest eine- alten VoruttheilS nicdergckämpft und Ihnen meine eigent- liche Beschäftigung genannt habe. In neuerer Zeil", fuhr er mit der Miene großer Selbstzufriedenheit sorr, „ltgte ich die Pappschachteln bei Seite und warf mich auf Mützenschirm«, weil dieser Zweig einträglicher ist." „Aber Ihre Patienten", rief Otto außer sich. „Wenn diese erfahren, daß ihr Arzt Mützenschirme schneidet, so werden sie vcrmuthlich —" „Sich dadurch in keiner Weise beunruhigen lassen", siel Thormann ein, „sondern im Gegen- thrile sagen: „time is monev"; der Mann ver- werthet seine Zeit. Ich muß gestehen, daß ich mich in diesem ungezwungenen Leben äußerst wohl und glücklich fühle; wohler und glücklicher wie als schlecht besoldeter Prosector, als welcher ich noch meinem Stande gemäß austreten und quasi repräsentiren mußte." „Ich begreife ober nicht, weshalb das hiesige Publicum sich nicht an die deutschen Aerzte wendet, da es doch als feststehend angenommen wird, daß im Allgemeinen die amerikanischen Hochschulen jäm merliche Medicincr ausbilden", fragte Otto, der sich nach dem Vorhergegangenen ziemlich gedrückt fühlte. „Hier in Amerika müssen Sie vor Allem Auf sehen erregen, wenn Sie schnell Erhebliches errei chen wollen", entgegnete Thormann. „Sie müssen beispielsweise als Arzt ein höchst elegantes Quartier im Broadway oder in der feuchten Avenue sdem Hauptquartier unserer Geldmänner) miethen und stattlich einrichten. Dann müssen Sie in einem höchst feinen Fuhrwerke, mit Ihrem Namen am Kutschenschlage täglich mehrere Stunden spazieren fahren, damit den Leuten ihre Equipage immer vor Augen ist und Sie so für einen vielbeschäftig ten Arzt gehalten werden. Dann müssen Sie un geheure Zettel an den Straßenecken anschlagen las sen, müssen ganze Spalten der Tagesblätter mit Anpreisungen Ihrer Fertigkeiten füllen, und wenn Sic Alles dieses ein oder zwei Jahre lang durch führen können, haben Sie sichere Aussicht, ein vicl- beschäftigrer Arzt und ein reicher Mann zu werden." „Das ist ja eine sehr traurige Aussicht, die Sie mir da eröffnen", antwortete Otto. „Unter solchen Umständen ist es ja für einen unbemittelten Menschen unmöglich, sich hier eine Praxis zu verschaffen." „Die Concurrcnz erschwert dies allerdings er heblich", meinte Thormann, „allein es giebl auch eine Anzahl namentlich deutscher Aerzte, welche all- mählig ohne allen Humbug zu bedeutendem Ver mögen gelangt sind und auch ich boffe allmählig mir Bahn zu brechen. Vorläufig müssen allerdings die Mützenschirme forthelfen. Man muß sich eben den Landessilten fügen und wenn man sich nur wohl und einigermaßen zufrieden dabei fühlt, so ist das ja Alles, was man billigerweise vom Leben verlangen kann." Otto spülte »ine Klage über gescheiterte Hoff nungen mit einem Glase Wein hinunter, blies ein« lange Dampfwclke aus seiner Cigarre vor sich hin und hüllte sich in olympisches Schweigen. Noch eine Weile bemühte sich Thormann dem jungen Manne frischen Lebensmntd einzufiößen, als er ober sah, daß dieser in seinem Herzen die rosigen Hoffnungen begrub, mit welchen er, wie die meisten Deutschen, in die Republik gekommen war, stand der Er-Proscctor auf, reichte Berger die Hand und bat ihn unter Ueberrcichung der Adresse um einen Besuch in den nächsten Tagen, um alsdann der Zukunft die beste Seite abzugewinnen. Acht Tage waren nach dieser Unterredung ver gangen. Otto war bei Thormann gewesen und dieser hatte ihm allen Ernstes den Vorschlag ge macht, ebenfalls sich den Mützenschirmen bis auf Weiteres zu widmen. Berger hatte sich Bedenkzeit ausgebeten. Abermals stand er nun, mißmutdig auf den Scheiben trommelnd, am Fenster. Wo waren die Hoffnungen und Träume? Die nackte, rauhe Wirklichkeit hatte sie alle mit unsanfter Hand abgestreift und dagegen grinste ihm von allen Seiten die Nothwendigkeit entgegen, auf eine, wie er meinte, seiner unwürdige Weise zum niedrigen Broderwerd zu greifen. Wo blieb da die segensreiche Thätigkeit als Arzt, in welcher er sich als Helfer aller Kranken gedacht hatte? — Unwillkührlich fiel ihm der ehe mals so elegante Prosector ein, der Liebling aller Damen, welcher es jetzt der Ueberlegung für werth erachtete, ob er Pappschachteln oder Mützenschirme schneiden sollte. Und doch schien sich dieser Mann mit den ge reiften Lebensanschauungen so recht wohl und still glücklich in seiner Lage zu fühlen, daß es Otto ganz verwirrte; er wurde an seinen Gefühlen und Em pfindungen ganz und gar irr«. Es schi«n ibm, als wenn es eigentlich nicht gar so etwas Trauriges sei, durch eine ganz anständig«, mechanische Hand arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen. Doch wieder gedachte er seiner Träume, die sich eben als solche erwiesen hatten, und unwillig über das Scheitern dieser schönen Hoffnungen wünschte er wieder in Deutschland zu sein, oder doch we nigstens dir Metropole deS Humbugs zu- verlassen. Am anziehendsten war für ibn der Westen — die großen Seen, die Zeugen aller Thaten Lederstrumpfs und dessen Gefährten. Dorthin hatte es ibn ja auch eigentlich gezogen. „Nach dem Westen denn! Nach dem Westen!" rief er entschlossen und wandte sich, um Thormann diesen Entschluß mitzutheilen. In dem Augenblicke aber, als unser Held daS Zimmer verlassen wollte, um seinen lobenswertben Vorsatz zur Ausführung zu bringen, trat ihm Thor mann entgegen. „Wohin so eilig, Berehrtester?" rief dieser Berger entgegen. „Wenn nicht etwa ein schwer kranker Patient — eh", fügte er mit einer spötti schen Verbeugung hinzu, „so möchte ich wohl um einige Minuten Gehör bitten. Ich bringe gute Mahr." „Danke, mit den Patienten geht es", meinte Otto lächelnd. „Doch nun zur guten Mähr. Haben Sie »ine Bestellung auf Pappschachteln für mich? "