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und wissen für jedes lüsterne Vögelchen ein an deres Lockungslicd anzustimmen, dis sie es endlich ins Garn und auf die Ruthen locken. Die Raf- sinirtheit der Kunst geht neuerdings so weit, daß man Commanditen für das Spiel stiftet. Die hinterlistigen Capitalicn verbänden sich dazu und führen Krieg gegen die arglosen Capicalien. Die Actionaire zerstreuen sich in die besuchtesten Hotels, in die vornehmsten Stadtviertel, mit Pferden, Jok- keis, Lorgnetten und gelben Handschuhen, und machen Jagd auf die Fremden und Einheimischen aus dem goldnen Zeitalter. Sie besuchen die Schauspielhäuser, erscheinen bei den Wettrennen, «ssen in den frequentesten Speisehäusern, kurz an allen Orten, wo die junge, elegante Welt sich tum melt. Da die Gerichte die Spielschulden nickt anerkennen, so hat man diesen letztere» den schö nen alten Taufnamen der Ehrenschulden wieder- gegeben, den sie ehemals trugen, als Leute von Stand auf Ehrenwort blos um Das spielten, was sie zahlen konnten, und cs überdies nur mit glei chen StandcSpersonen tbatcn, die verlieren konn ten, was sic zufällig gewannen." „Jetzt spielt man mit dem Ersten Besten. Es gibt nickt mehr wie sonst die Spielpartie des Herrn Marquis oder des Herrn Generalpachtcrs, noch viel weniger die Spielpartie des Königs oder die Spielpartie der Königin, sondern es gibt nur noch das bloße nackte Spiel, ein ausgehungertes Scheu sal mit brutalen Sitten, räuberischen Gelüsten und eigennützigem Luxus. Was das jetzige Gesellschaft- spiel noch cckelhaftcr macht, ist, daß cs unter dein Anschein offenherzigster und freigebigster Gastfreund schaft auftritt. Der geladene Gast, der sich ein mal einen muntern Abend und eine fröhliche Nacht machen will, findet sich mit dein dienstfertigen und artigen Freunde aus der Bande besagter Actio naire, den er in guter Gesellschaft erworben hat, plötzlich in cinein feinen und eleganten Cirkel von Damen und Herren, die sich um die Wette beeisern, dein eitlen Jüngling oder dein erstaun ten Fremdling viel Schmeichelhaftes und Ver bindliches zu sagen. Man schwatzt einige Stun den angenehm hin, setzt sich an eine reiche Takel und genießt des trefflichen Weines und der süßen und freigebigen Blicke der reizenden Heben zur Fülle. Wie von ohngefähr wird ein Spiel vor- geschlagcn, nachdem das Gehirn von Wein und Liebe benebelt ist; die Schönen selbst sodcrn dazu auf; ein ganz kleines soll cs sein, blos zur Un terhaltung und zum Zeitvertreibe. Man ist so galant ihn allenfalls ein wcnig gewinnen zu lassen, trinkt und liebäugelt dabei fleißig, und cs müßte sehr unglücklich treffen, oder man müßte es mit einem alten Fuchs und Stock zu thun haben, wenn der entzückte und berauschte Gast nicht endlich bei .einem kleinen Lanzknecht zum Schluß Alles ver lieren, sich schlaftrunken heimfahren lassen und den folgenden Mocgen, spät erwacht, sich fragen sollte, wo er gestern gewesen und wo er seine schönen Louis dor gelassen. Gelingt dies nickt das erste Mal, oder soll cs das erste Mal nicht gelingen, weil man vielleicht feines Spiel nöthig hat, so muß der Lüsterne gewiß das zweite, drittes vierte Mal Haare lassen." „Uebrigens wird ein ähnliches Ausplündern oft in Häusern getrieben, wo inan cs nicht suchen sollte, doch unter dem Scheine der größten Frei heit. Man nennt jetzt mehre angesehene Männer, bei denen der schärfste Lanzknecht mit methodischem Betrüge getrieben wird, ohne daß ihre geladenen Gaste weiter etwas merken, als daß sic ihr Geld verlieren. So ging cs vormals bei manchem Due und Marquis, die für die deutschen Barone und englischen Mylords immer offene Tafel hielten und sich im Spiele mit ihnen bezahlt machten. Manche Dame machte für ihren hochgestellten Ge mahl die Spiclkupplcrin, und während die eitlen Fremdlinge oder Neulinge aus 'der Provinz mein ten, daß sie mit dem seidenen Fädchen der Liebe von ihr angezogcn würden, spann sic ein vulkanisches unsichtbares Netz des Betrugs um sic und theiltc la chend mit ihrem Gemahledas ,gewonnene Geld. Nach einer dreißigjährigen fetten Fricdcnszclt ist das Bienen schwärmen der Fremden um die Milcheimer der Weisheit und den Honigseim der Schönheit hier so laut und dicht, daher das Spiel so laut als je, und wird letzteres immer ärger werden, bis endlich cin muthiger Polizeipräfcct cs andouncrt, wie Ci. cero einst den Spieler und Wüstling Catilina an donnerte, wie lange er denn noch die Tborhcit des Publicums und die Langmuth der Polizei mißbrau chen wolle." Vermischtes. Daß der Fanatismus in unsern Tagen unglaubliche, nie geahnte Fortschritte macht, ist nur allzuwahr, und man kommt in Versuchung sich staunend zu fragen, ob wir denn wirklich die er ste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts fast überschrit ten haben. Hier ein neues Beispiel religiöser Un duldsamkeit. In einer kleinen Provinziolstadt Schle siens war in diesen Tagen cin römischer Katholik deutsch-katholisch geworden; zwei seiner vor einigen Jahren gestorbenen Kinder lagen auf dem katho lischen Kirchhofe begraben. Der römisch-karbolischc Priester des Orts, schon längst durch seinen Fana tismus gegen die Protestanten bekannt, ließ jetzt diese Kinder ausgrabcn, und an denjenigen Ort des GottcSackcrs beerdigen, wo die Selbstmörder liegen. Die unter den meist evangelischen Einwob- ncrn des Orts entstandene Gährung ist nun groß, und gegen den römischen Priester ist eine Erimi- naluntersuchung cingcleitet worden. Zur Beurtheilung der russi sch-poln is chen Zu- stande erzählt die Odcrzcitung die beiden nach-