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Lache» zu hören glaubte; die drei Herren empfingen ihn mit so traurige» Gesichtern, daß er nicht annehmen konnte, sie hätten eben gelacht. Schmidt und Boysen entfernten sich »ach kurzer, auffallend kühler Begrüßung und Peter nötigte ihn mit betrübtem Gesicht, Platz zu nehmen. „Was ist geschehen?" fragte Jens ganz bestürzt ob des »»gewohnten Benehmens der ihm sonst wohl gesinnten Herren. „Habe ich Euch gestern etwa in meinem Rausch gekränkt? Ich komme eben, um Dich zu fragen, was gestern eigentlich passiert ist. Euer Likör hatte mich ja sinnlos betrunken gemacht; wie durstet Ihr, die Ihr das Teufelsgetrank doch kanntet, mir nur soviel davon geben." „Wir Dir geben?" rief Peter zornig ans. „Du hast wohl keine Ahnung mehr von dem, was sich zu- gctragen hat?" „Nein keine Ahnung," sagte Jens. „Um des Himmclswillcn sprich, was habe ich den» getan. Mir ahnt Schlimmes." „Du hast Dich allerdings nicht betragen, wie cs sich geziemt," sagte Peter in strengem Tone. „Ich möchlc Dir einen Rat geben, Jens: Nimm nie wieder in Deinem Leben eine Karte in die Hand und trinke nie wieder einen Tropfen Alkohol. Du könntest Dich sonst in ei» fnrchlbarcs Unglück stürze». Nu» laß Dir erzählen, was gestern geschehen ist. Dn kamst hierher, ich nötigte Dich, unseren kostbaren Likör z» probieren und Du tatest das auch. Nachdem Du vier Gläser getrunken hattest, wolltest Du trotz unseres Abraicns durchaus noch mehr trinken, obwohl Du nicht mehr nüchtern warst, weißt Du das noch?" „Nein, ich bin sehr überrascht, das weiß ich nicht mehr. Mir ist es, als ob Ihr mich beständig nötigte, mehr zu trinken." „Allerdings nötigte ich Dich bei de» drei ersten Gläsern, doch dann nahm ich die Karaffe vom Tisch. Du holtest sic aber wieder und trankst sie fast leer. Dann bekamen wir allerlei zu hören, das nicht gerade schmeichelhaft war. Dn wolltest durchaus spielen und »ns beweisen, daß Du uns in wenigen Minuten tausend Kronen abgcwinncn könntest. Nur um Dich zn be ruhigen, willigten wir ein. Und da verlorst Du drei hundert Kronen. Darüber wurdest Du zornig und gebärdetest Dich wie ein wildes Tier. Die fünfzig Kronen, die Du an Schmidt und Boyse» verlorst, bezahlte ich statt Deiner sofort. Die zwcihnndertund- sünszig Kronen, die ich gewann, schenkte ich Dir. Du schuldest mir also alles in allem jetzt hundertundfünfzig Kronen." „Lieber Freund," stammelte Jens ganz zerknirscht, „vergib mir, ich war eben sinnlos betrunken. ES tut mir unendlich leid, daß ich Dich und die beiden andere» Herren gekränkt habe. Niemals in meinem Leben will ich mich wieder betrinken und zum Tier werden. Oh, wen» Dn in mein Herz schauen könntest, so würdest Du sehen, wie betrübt ich bin." „Laß das, Jens," sagte Peter mit unveränderter ernster Miene. „Gerade in der Trunkenheit zeigt sich ein Mensch, wie er ist. Du hast mich gestern in Dein Herz schaue» lassen, heute will ich cs nicht zum zweiten Mal tun. Nun, ich zürne Dir nicht weiter, Dein gestriges Betragen ist nicht der einzige Grund meines KnmmerS. Glaube nur, ein Geschäftsmann kann Sorgen haben, von denen ihr Fischer Euch nichts träumen laßt. Komm mit heraus, ich will Dir etwas erzählen, das außer meinen beiden Freunde» nur Du wissen sollst. Dn kannst daraus ersehen, daß ich Dir trotz Deines gestrigen Bcnchmens noch Vertraue» schenke. Ich weiß, Du wirst z» keinem Mensche» ei» Sterbcnswörlicin von dem sagen, was ich Dir er öffnen werde." Jens folgte dem Freunde vor das Haus, und dort erzählte ihm derselbe: „Etwas Schreckliches steht mir bevor. Nur ei» Wunder des Himmels kan» es von mir abwcndcn. In einer Spekulation, Uber die ich Dir nichts Näheres sage» will, da Dn es nicht verstehen würdest, habe ich Unglück gehabt. Mein ganzes Vermögen steht auf dem Spiel. Ich bin morgen vielleicht ein bettelarmer Mann." Der Eindruck, den diese Worte auf Jens »ach des schlauen Spitzbubcnkönigs Berechnung machen sollte, entsprach nun doch nicht ganz seinen Erwartungen. Jens machte ja wohl ein recht erstauntes und mitleidiges Gesicht, aber er schüttelte doch mit dem Kopf und sagte: „Es wird gewiß nicht fo schlimm werden, wie Dn meinst, Peter. Ich verstehe zwar wenig von Eure» Spekulationen, aber ich weiß nicht — „Ha, ha, ha, Du meinst, ich hätte Lust, über so ernste Dinge mit Dir zu scherzen?" rief Peter mit spöttischen, Lachen. „Du irrst Dich, Freund. Heute Nacht trifft der entscheidende Brief ans Kopenhagen ein. Aber laß uns jetzt nicht weiter davon sprechen, dort acht Ove Ontzcn, er soll uns hier nicht sehen, Dn ahnst nicht, wie mißtrauisch er ist. Daß er nur in» Himmclswille» nichts von gestern erfährt, denn sonst bekommst Du Hansine nicht. Adieu l" Damit machte Peter kurz kehrt und ließ Jens allein. „Das sind Lüg-n," sagte der Fischer jetzt zu sich selber. „Ich glaube, ich habe mich i» Peter furchtbar getäuscht. Er kommt mir wieder gerade so vor, wie vor zehn Jahren, als wir noch auf der Schulbank saßen. Damals war er ein ganz verlogener Junge. Er konnte sich alles.mögliche ausdenken und es, ohne zu erröten, als wirklich Erlebtes erzählen. Gerade solch ernsthaftes Gesicht wie jetzt eben machte er dann auch. Ich sollte die Karaffe niit Gewalt an mich gerissen und ausgetrunken haben, während ich vorher nur auf großes Drängen mein Glas wieder füllen ließ? Dreihundert Krone» sollte ich verloren haben? Das kann ich nicht glauben. Auch mit der Spekulation stimmt es nicht. — Zu deutlich hörte ich das Lachen vorhin. Die Traurigkeit muß erheuchelt sein." Nu» war Ove Outze» herangckomme». Auf Jens' Gruß nickte er nur ein wenig mit dem Kopse und dann sagte er barsch: „Was stehst Du denn hier herum, Jens? Ist Dein Tagewerk schon vollbracht? Höre, ich habe ein ernstes Wort mit Dir zu reden, Du willst ja wohl auch zum Dorse, da können wir schön Zusammengehen." Klopfenden Herzens schritt der junge Fischer neben dem strenge» Vater seiner Geliebten einher. „Sage es mir offen heraus, Jens," sprach dieser, hast Du noch ernstliche Absichten aus meine Tochter, oder hast Du sie nicht. Das Mädchen liebt Dich und hat wohl Anspruch darauf, daß Du cs auch liebst." „Aber wie sprichst Du nur," erwiderte Jens ver legen. „Ich sollte Hansine nicht mehr lieben?" „Nein, Du liebst sic nicht, wie cs sich gehört," fuhr Outzen sort. „Als Ich Bräutigam war, da arbeitete ich Tag und Nacht, doppelt soviel als vorher, um einige Schillinge für den neuen Hausstand zu ersparen. Du aber wirst ja mit jedem Tage sanier. Da läufst Du mit diesen Tagedieben vom „schnellen Segel" spazieren und verschwatzest die Zeit, während alle andere» Fischer sich noch aus der See quälen. Heute morgen war es acht Uhr, als Du absegeltcst. Was denkst Du Dir eigentlich? Hansine ist jetzt kein armes Fischcrmädchen mehr. Sie ist durchaus nicht auf Dich angewiesen. Will Dir nur offen alles sagen, Du weißt, daß das meine Art ist. Hansine braucht nur die Hand auszustrccken, so hat sie sofort an jedem Finger einen Mann. Und was für Männer! Keine Faulpelze und Dummköpfc. Da ist zunächst der reiche Peter Lund, der sie über alles gern leide» mag. Dann könnte sie, wenn sie wollte, den reichen Maler, der bei uns wohnt, bekommen. Der ist rein vernarrt in sie. Er hat es mir selber eingcstanden. Sage, kannst Du es mir unter solchen Umstande» übelnehmcn, daß ich Dich einmal im Ernst frage, wie Du über die Heirat denkst?" Hätte Jens ei» reines Gewissen gehabt, so würde er ganz bestimmt nicht um eine paffende Antwort verlege» gewesen sein. So aber brachte er nur zögernd hervor: „Hansine weiß, wie sehr ich sie liebe. Sie wird weder den Peter Lund, »och den reichen Maler heiraten. Keine Macht der Erde kann sic dazu zwingen. Daß ich Dir zuwider bin, habe ich längst gemerkt. Seitdem Du reich geworden, denkst Du eben wie die meisten reichen Leute." „Ach was," rief Outzen ärgerlich aus, „schwatze doch nicht so unsinniges Zeug vom Reichtum. Das wird mir niemand nachsagcn wolle», daß mich das Geld verändert hat. Ich sage ja gar nicht, daß Hansine dazu gezwungen werden soll, den Lund oder den Maler zu heiraten. Ich weiß wohl, daß sic Dir treu bis in den Tod bleiben wird. Ich weiß ja auch, daß Du sonst ein braver, ehrlicher Mensch bist, aber Du bist mir nicht strebsam genug. Nur deshalb sagte ich Dir das eben." Jens tat einen tiefen Seufzer und schritt still schweigend neben Outzen her, der ihm jetzt noch so mancherlei sagte, das nicht schön zu hören war, aber leider der Wahrheit entsprach. „Sich," dachte der junge Fischer mit dem schuld beladenen Gewissen, „wenn er wüßte, daß die Faul heit, die ihn schon so sehr aufbringt, noch das letzte von meinen vielen Lastern ist, was würde er sagen! Ohne Zweifel würde Hansine mich dann nicht mehr lieben können und dürfen." * » * IX. Als Jens am nächsten Morgen in aller Frühe das Haus verlieb, um an die Arbeit zu gehe», sah er zu seiner nicht geringen Verwunderung Peter Nielsen in der Nähe seines Fahrzeuges unruhig aus und nieder schreiten. Das mußte ja etwas ganz besonderes zu bedeuten haben, daß der junge Herr schon vor Sonnen aufgang am Strande war. Jetzt sah er Jens. Händeringend und mit ver zweifeltem Gesicht eilte er auf ihn zu und sagte mit tränenerstickter Stimme: „Freund, es ist eingetroffen, was ich befürchtet habe. Ich bin ein Bettler geworden. O Gott, o Gott, wie ist das jetzt I Alles ist verloren, alles, alles. Hier in den kühlen Fluten wollte ich meinen Jammer vergesse». Wärest Du wenige Minuten später gekommen, so weilte ich jetzt nicht mehr unter den Lebenden." Jens sah Peter forschend an. Das Benehmen des Freundes kam ihm doch zusehr erkünstelt vor, er konnte nicht an die Wahrheit dieser Worte glauben. Aber vielleicht irrte er sich, vielleicht war Peter kein Komödiant. Was sollte das Verstellen den» auch eigentlich bezwecken? In winselndem Tone fuhr der Spitzbubenkönig nun sort: „O, lieber Freund, Du mußt mir helfen in meiner Not. Du kannst es, wenn Dn willst. Ich hätte Dir die kleine Summe von hundcrtnndsünfzig Kronen so gerne geschenkt, aber jetzt kann ich cs nicht. Ich muß Dich bitten, mir das Geld auszuzahle», ich brauche es für die Reise nach Kopenhagen und Flens burg. Schmidt und Boysen sind ebenfalls ruiniert, sie waren mit bei der Spekulation beteiligt, sie können mir also nicht helfe». Besorge mir das Geld, ich denke, daß ich, so Gott will, bald wieder in der Lage sein werde, mich Dir dankbar zu erweisen." „Grober Gott im Himmel, das ist cS also! Das ist der Zweck der Komödie!" schoß es Jens jetzt durch den Kops. Was nun? Er sollte 150 Kronen bezahlen? lieber solche Zumutung hätte er lache» mögen, wenn der bittere Ernst der Situation ihn das Lachen nicht hätte vergessen lasse». „Aber Peter," brachte er hervor, nachdem er einige Minuten wie versteinert dagcstanden hatte, „wo soll ich das Geld den» so urplötzlich anftreiben? Es ist ja ein Ding der llnmöglichkeit, daß ich Dir 150 Krone» auf einmal auszahlcn kann." „Ein Ding der llnmöglichkeit?" sagte der Spitz bubenkönig mit gehässigem Blick. „Dir ein Ding der Unmöglichkeit? Ich danke, das ist Dein Ernst nicht. Du wirst einen alten Freund doch nicht so schmählich im Stiche lassen wollen?" „Wohl weiß ich, daß cs Dir kleine Unannehmlich keiten mache» wird, wenn Du zu Deinem reichen Schwiegervater Ove Outzen gehen sollst, um ihn »ui das Geld zu bitten, aber was sind den» die gering fügigen Unannehmlichkeiten im Vergleich zu mcincin furchtbaren Unglück?" „Aber Peter," sprach Jens mit tonloser Stimme, „Du weißt selber, wie Ontzen von mir denkt, wie gerne er seine Tochter einem Andere» zur Frau geben möchte. Wenn ich ihm nun von meinem leichtsinnigen Spiel erzähle» wollte, so würde er mir ohne Zweifel die Tür weisen, und Hansine könnte mich nicht mehr lieben." „Pappcrlapap, würde ihm garnicht einfallcn, Dir die Tür wegen einer solchen Lapalie zu weisen. D» kannst ihm ganz genau auseinandcrsetzen, wie die Sache gekommen ist. Ich gehe mit und gebe ihm ebenfalls die nötigen Erklärungen. Was meinst Dn?" „Eher nehme ich mir das Leben, als daß ich zu Ontzen ginge," sagte Jens, bleich wie ein Toter. Peter schlug sich verzweifelt an die Stirn und lamentierte: „Das ist Freundschaft, das ist Dankbarkeit! Alles hat mich verlassen, alles, alles!" „Nun, »nd wenn Du durchaus nicht zu Ontzen gehen willst," sprach er dann, „so weiß ich eine» anderen Rat: Gehe zu dem alten Einsiedler, Deinem Onkel Stcff-.n. Der ist ein Man», dem man wohl ein Geheimnis anvertrauen darf. Er hat in der eisernen Kiste, die« unter seinem Bette steht, viele Tausende. Er wird helfen." „Stein, nein," sagte Jens, immer verzweifelnder werdend, „der wird nicht helfen, einem leichtsinnigen Spieler Hilst niemand. O, Du kannst Dir nicht denken, wie hier die Leute urteilen. Keiner darf erfahren, was ich getan habe. Grober Gott, mir steht der Verstand fast still, wenn ich nur daran denke. — Meine guten Eltern würden vor Gram sterben, wenn sie wüßten, was aus ihrem Sohne geworden ist." ' Onkel Steffen denkt genau wie sie und wie Ontzen. Unerhört würde es ihnen allen erscheinen, wenn ich ihnen sagen würde, daß ich 150 Kronen im Karten spiel verloren habe. Alle Leute in Overby würde» mit Finger» auf mich weisen, ich müßte verhungern, denn niemand würde mir ein Stück trockenes Brot gönnen. Forisctzmig folgt. Lr kommt! Skizze nach dem Leben gezeichnet von B. Wiesen. Jung war sie, schön und reich, seit ihren Kinder tagen vom Glück umschmeichelt, von Elternliebe ge tragen, mit Freuden überschüttet. Für sie war das Leben ein einziger großer Festtag, die ganze Welt voll Sonnenschein, dessen Abglanz in ihren lachenden Blauaugen widerstrahlte. Wer das fröhliche Kind durch die Buchengänge des väterlichen Schloßgartens stürmen sah und dann wieder im eifrigen Zwiegespräch mit ihren Puppen oder zur Seite des großen, alten Hofhundes, dessen Hals sie zärtlich schmeichelnd umschlungen hielt, der mußte den glücklichen Eltern recht geben, die sic ihr „Sonnenkind" nannten. War es doch, als hätten gütige Feen den Lebenspfad des jungen Geschöpfes mit unzähligen Blumen geschmückt, daß cs jubelnd und jauchzend ihn durchschreite, nicht einmal ahnend, was Leid und Kummer sei. Selige Kinderzeit I Kan» es etwas Schöneres geben? Ja, es gibt noch etwas Schöneres, Herr-