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Der Festtag des britischen Weltreiches. Millionen jubeln dem englischen Königspaar zu seinem Ehrentage zu. Die Feierlichkeiten zu Ehren des silbernen Regierungsjubiläums des englischen Königs Georg V. erreichten am Montag, dem offiziellen Eröffnungstag der festlichen Veranstaltungen, einen seiner glanzvollen Höhepunkte. Ganz England prangte im Schmink der Landesfarben. Nicht nur die Hänserfassadcn und Straßendekorationcn, die Verkehrs mittel und die Obst- und Blumenstände strahlten in Blau- Weiß-Rot — auch jeder dieser Millionen Menschen, die durch die Straßen der Weltstadt bummelten, trug irgendein blauweißrotes Abzeichen. Am Montag früh war eine un beschreiblich dichte Menschenmenge in den Feststraßen zn- sammengeströmt, durch die die sieben Jubiläumszüge mit ihren goldenen Karossen zogen. In der Nacht vom Sonntag zum Montag feierte London so etwas wie eine Venezianische Nacht. Millionen und aber Millionen von Menschen zogen durch die Helligkeit dieser Nacht, um sich den Schmuck der Stadt anzusehen oder sich in den Parks häuslich niederzulassen. Denn wer nicht zu den auserwählten Hunderttausend ge hört, die sich für 100, 200 Mark einen Tribünensitz kaufen konnten, der mußte sich feinen Platz „e rstehe n". Um 10 Uhr vormittags. Musik tönte auf. Marschtritte dröhnten. Truppenabordnungen rückten mit klingendem Spiel vorbei. Die ganzen Straßen, durch die sich der königliche Festzug bewegte, waren mit einem GpaÜsr der bewaffneten Macht gesäumt. Marinetruppen, Infanterie, Artillerie, die An gehörigen der Luftmacht und Kavallerie in alten viktoria nischen oder gar in Tudoruniformen. Dann endlich war es soweit. Das Clarencetor des Buckinghampalastes öffnete sich. Der erste Festzug rollte auf seinen Weg. In sie ben reich mit Gold ausgelsgten Kutschen fuhren die regie renden Oberhäupter der Empiregliedstaaten vorüber. Es folgte der Zug des Lordkanzlers, des Vertreters des Ober hauses. Zu gleicher Zeit hatte der Lordmayor von London in seiner goldenen, reich mit Bildern geschmückten Karosse das Londoner Nathans verlassen. Vor dem Zug des Königs hatten dis Züge der königlichen Prinzen, die dem Thron am nächsten stehen, den Buckinghampalast verlassen. Dann kam der Höhepunkt: das Königspaar, begleitet von 300 Reitern aus Abordnungen sämtlicher englischer berittener Truppenteile, den Mitgliedern des Hofes. Sechs reich mit Gold verzierte Staats karossen umfaßte dieser Zug, der seinen besonderen Glanz außerdem durch die indischen Maharadschas erhielt, tue ihren Kaiser z« der Feier im Dom von London beglkeiteten. Die Begeisterung der Massen kannte keine grenzen mehr. Der König, der die blaugoldene Uniform eines Admirals der Flotte trug, grüßte immer wieder nach allen Seiten lächelnd und war sichtlich ergriffen von der Begeisterung und verchrungsvollen Liebe, die sich ihm darboten. Langsam rollte der Zug der goldglänzenden Karossen vorüber, überall dasselbe Bild und dasselbe überwältigende Erlebnis, überall dieselbe hemmungs lose Begeisterung der britischen Nation, der Millionen eines Weltreiches für ihren König, für das Symbol ihrer Einheit ihrer Macht und ihrer jahrhundcrtalten Tradi tion. überall erklang die feierliche Weife der National hymne. „ ... Gefolgt vom Londoner Oberbürgermeister, betrat dann das Königspaar die S t. - P a u l s - K a t h e d r a l e. wo sich die glänzendste Festgemeinde versammelt hatte, die dieser ehrwürdige Dom wohl jemals gesehen. 4000 ge ladene Teilnehmer waren dort erschienen, die Ritter der höchsten englischen Orden, die Angehörigen der Hofgesell schaft, die Vertreter der verschiedenen Waffen, die Abord nungen der Dominions, die indischen Fürsten, das Diplo matische Korps, die Vertreter von Kunst und Wissenschaft und der Weltpresse. Der Erzbischof von Canterbury zelebrierte einen kurzen Dankgottesdienst, der in den Segen für das königliche Haus und in den Vortrag altcnglischer Psalmen ausklang. Eine Stunde nur dauerte dieser Gottesdienst, der auf die halbe Welt durch Rundfunk über tragen wurde und die religiöse Dankesfeier des ganzen britischen Empire darstellte. . Dann fuhr der König mit seinem Gefolge durch eine Reihe anderer Straßenzüge wieder nach dem Palast zurück, und der erste Akt des großen Festspiels war vorüber. Englands großer Feiertag. Bildtelegramm von der Jubiläumsfeier des englischen Königspaares in London. Das Königspaar (rechts) bei dem Dankgottesdienst in der St.-Pauls-Kathedrale. Botschaft des englischen Königs. Das Königspaar war schon gegen 13 Uhr von seinem Triumphzug durch die Stadt wieder zurückgekehrt. Trotz dem harrte die Menschenmenge viele Stunden lang ge duldig vor dem Buckinghampalast aus. Immer wieder wurden Ruse nach dem König laut, der sich wiederholt auf dem Balkon zeigte. Auch das Erscheinen der Königin, des Prinzen von Wales und der übrigen Mitglieder dec kö niglichen Familie riefen begeisterte Huldigungen hervor. Nach Zeitungsmeldungen soll sich die Zahl der Zuschauer aus rund drei Millionen beziffert haben. Die Londoner Bevölkerung und mit ihr die 500 000 Fremden, teils Ausländer, teils Angehörige der Domi nions, feierten den Rest des Tages in festlich-fröhlicher Ausgelassenheit. Zu einem Volksfest gestaltete sich in den Abendstunden das Abbrennen eines gewaltigen Freuden feuers im Hhdepark. Die Regierungsgebäude, die Museen und der Buckingham-Palast erstrahlten in märchenhaftem Glanz. Eine Fülle von Glückwunschtelegrammen war im Laufe des Tages von allen Staatsoberhäuptern der Welt sowie von den Regierungen der Dominions, vom Vize könig von Indien und aus den Kolonien eingetroffen. In den Glückwünschen der Dominionsrcgierunaen wird (52. Fortsetzung.) Und hatte sie ihn durch ihr ganzes Verhalten vorhin nicht förmlich dazu veranlaßt, sich ihr zu offenbaren? Sie ließ den Brief Meyerheims achtlos zu Boden fallen und schloß ihre Hände ineinander, als forme sie sie zu einer Gebärde des Gebets. „Nicht so, Karl," sagte sie flehend. „Nein, nicht so... Es geht nicht an. Es kann nicht sein." Er verstand noch nicht. Fragte erregt zurück: „Was kann nicht sein?" Sie neigte sich ihm zu. Ihr Gesicht war dem seinen ganz nahe. „Daß ich dich so liebhabe, wie du mich." Er legte die Hände vor das Gesicht und sank in sich zusammen. „Ich dachte es anders ... mit meinem ganzen Leben habe ich es anders gedacht." Wie half sie ihm? Daß sie ihm ihr eigenes Leid in sein Herz legte? Ihm sagte: „Wir sind Menschen, denen ein Geschick gleicher Art die Seele zerreißt?" Und was zwang sie, sich ihm in einer Art schwester licher Zärtlichkeit, deren sie sich plötzlich als des für ihre ganze, ihm bisher bewiesene Art treibenden Gefühls klar bewußt wurde, zuzuneigen, um ihm über die- Bitterkeit dieser Stunde hinwegzuhelfen? Wirklich dieses aus wunderlichen Dunkelheiten sich zu klarem Empfinden emporringende Bewußtsein: Es ist etwas zwischen uns, das ein Band knüpft, das uns anein- andcrkettct! . . . Sie konnte nicht anders, cs war ein Zwang in ihr, es zu tun: Sie küßte sein Haar mit einer tiefen Hin gabe reiner Zärtlichkeit. Ein leises Erschauern rann durch sein Blut. Und das Erschauern blieb und vertiefte sich, als er ihr Sprechen vernahm — das nahm und gab. „Lange ehe ich von dir wußte, hatte ich einen anderen lieb. Und dann kam das, das mich von ihm riß. Keule, als cs so schien, als ob ich vor dir floh, bin ich zu ihm gefahren, um zum letzten Male bei ihm zu sein. Und nun werde ich ihn nie Wiedersehen. Das ist mein Los. Sieh, Karl, darum kann ich dich nicht so liebhaben, wie du mich. Aber doch bin ich dir aut. Doch habe ich dich gern. Vom ersten Tage an, an dem ich dich sah, habe ich dich gerngehabt. Wie eine Schwester den Bruder . . . Und diese Liebe wird dir immer gehören." „Aber ich will mehr als diese, Marie," stieß er leiden schaftlich hervor. Glitt von der Bank zu ihren Füßen nieder und preßte sein Gesicht in ihren Schoß. Sie beugte sich erschüttert zu ihm hinab, legte ihre Hände auf seinen Kopf und spürte, daß es ihr feucht in die Augen stieg ... Regungslos verharrten sie so. Der Zeit und dem Naum in Versunkenheit entrückt .. . Sie vernahmen nicht die Geräusche eines sich nähern den Wagens, nicht den bald darauf hörbaren Klang von Schritten vor dem Hause. Und leise, tastende im Flur. Und daß dann die Tür geöffnet wurde, kam nur Marie allein zum Bewußtsein. Sie schrak auf. Erblickte auf der Schwelle ihren Vater, der regungslos starrte. Wie sie selbst. Und kein Wort fand. Wie auch ihr der Mund verschlossen blieb . . . Aber ein Erinnern kam Friedrich Kröger. Ein Er innern an die Stunde, da er einst dort an derselben Stelle vor einer gekniet, sein Gesicht in einen Frauen schoß geschmiegt und Abschied genommen — wie nun dort sein Sohn vor seiner Tochter ... Eine warme, wunderliche Weiche ist Herrin in Fried rich Krögers Seele gewesen, die das, was er als Schuld in Unwissenheit bei seinen beiden Kindern vermutete, sich zu Lasten nahm. Eine Weiche, die auch zum Be kennen der eigenen Schuld den Mut fand und ihn nicht in falscher Scham ersticken ließ. Keine Rechenschaft, keine Erklärungen verlangend, wie es möglich gewesen, nur davon erfüllt, selbst Rechen schaft geben zu müssen, ist er in den Raum getreten und hat die Tür hinter sich geschlossen. Da ist auch Karl Boldt der Anwesenheit eines Dritten gewiß geworden. Hochfahrend, hat er Friedrich Kröger erblickt. Verstört hat er ihn angesehen. Verstört, aber ohne Furcht. Es ist vielmehr in Plötzlichkeit etwas Altes wieöergekehrt: Warme Zuneigung. „Steh auf, Karl Boldt," hat der Lehnschulze gesagt. „Du bist iu einem Irrtum, Karl . . . Auch du, Marie ... Seid gefaßt, laßt euer Herz nicht erschrecken. Ich muß es euch bekennen: Ihr seid Bruder und Schwester ... Denn du bist mein Sohn, Karl Boldt..." Sekunden des wilden Durcheinanders sich über stürzender Empfindungen, des Ringens nach Verstehen sind gefolgt. Sekunden, die zum Sturz brachten und zum Wiederaufrichten führten,.. Sekunden, die einem ausnahmslos die unveränderliche Treue und Anhängliche leit zur Krone zum Ausdruck gebracht. Auch der Oberste Rat der Mohammedaner von Palä stina hat dem König ein Glückwunschtelegramm gesandt. Gleichzeitig lenkte das Telegramm die Aufmerksamkeit des Königs auf die politischen Zustände in Palästina und ap pelliert „bei dieser großen Gelegenheit" an den Gerechtig keitssinn Seiner Majestät. Für die Einstellung der ärmeren Volksklassen in Eng land sind die Inschriften bezeichnend, die in den Arbeiter vierteln der englischen Hauptstadt zu lesen sind, und von denen eine lautet: „Arun, aber loyal." Abends richtete König Georg V. über den Rundfunk an seine Untertanen im englischen Weltreich eine Bot schaft, in der er für alle Ergebenheit und Liebe dankte, mit der ihm das Volk an diesem Tag und immer um geben habe. Mitten in den Freuden dieses Tages denke ich mit Trauer an die Zahl meiner Untertanen, die immer noch arbeitslos sind. Wir schulden ihnen alles Mitgefühl und alle Hilfe, die wir leisten können. Ich Hosse, daß alle, die cs können, während dieses Iubiläumsjahres ihr äußerstes tun werden, um ihnen Arbeit zu geben und Hoff nung zu bringen. Andere Besorgnisse mögen bcvorstehen. Aber ich bin überzeugt, daß sie mit Gottes Hilfe alle überstanden werden mögen, wenn wir ihnen mit Ver trauen, Mut und Einigkeit cntgcgentrcten. So sehe ich der Zukunft mit Glauben und Hoffnung entgegen. Die Botschaft des .Königs wurde nut einer Rede des englischen Ministerpräsidenten cingclcitet, in der Mac- dönald im Auftrag der Bevölkerung von England, Schottland, Wales und Nordirland die treue Ergebenheit und die aus, dem Herzen kommenden Glückwünsche und Danksagungen übermittelte. Rote Giömngsvsrsuche. Allerdings hat das Fest unter verschiedenen Störungs- versuchen von marxistischer Seite aus gelitten. So führten während des Jubiläumsumzuges kommunistische Elemente in ohnmächtigem Hatz einen Zwischenfall herbei: Ein Banner mit der Inschrift „Lange mögen sie regieren", das über der Feststraße gespannt war, wurde plötzlich überraschend und auf eine geheimnisvolle Weise gerade in dem Augenblick vertauscht, als der König ankam. Man sah das kommunistische Symbol von Hammer und Sichel sowie die Inschrift „Arbeiter aller Länder vereinigt euch". Eine Schar junger Burschen und Mädchen holte das kommunistische Banner sofort herunter und riß es unter dem Jubel der Menge in Stücke. Kreudenfeuer brannien in ganz England. Abends um 8 Uhr hielt der König seine Rundfunk ansprache vom Buckinghampalast aus an das britische Weltreich, die in allen Straßen Londons, in den Theatern und Restaurants durch Lautsprecherübertragung mit an gehört werden konnte. Um '/KO Uhr sand der Zapfen- streich der berittenen Garde statt. Vorher, um 9 Uhr, veranlaßte der König durch AuZD lösung einer automatischen Verbindung das Ent- flammen des Scheiterhaufens im Hhdepark. Das war das Signal für eine Kette von Leuchtfeuern, die sich von London bis hinaus nach dem äußersten Schottland erstreckten. Gleichzeitig wurde London wieder in eine Flut von Schcinwcrferlicht getaucht. Die Bevölkerung genoß eine „freie Nacht". Die Lichtspielhäuser schlossen erst in den Morgenstunden und wurden regelrecht gestürmt, weil sie schon die Bilder des Festzuges zeigten. Nach Schätzung der Polizei sind vier bis fü:-:f Millionen Menschen im Umkreis der Feststraßen ver sammelt gewesen. Fast ebenso viele werden es gewesen sein, die die Jubiläumsnacht durchfeierten. Mft dem Montag hat im übrigen eine Kette von Festlichkeiten begonnen, die sich fast ohne Unterbrechung nahezu ein Vierteljahr hinzieht und über ganz England ausgedehnt ist. stillen anderen Glück die ersten Schritte lehrten und ein zukünftiges Lächeln verhießen. So, Karl Boldt. Und Marie? Sie hat gewußt: Mein Gefühl hat mich nicht betrogen. Und sie ist einer stillen Freude nach gegangen .. . Aber auch Tote wollen ihr Rocht . . . Alles andere beiseiteschiebend, ist der Gedanke an die stille Schläferin im Hause der herrschende geworden ... Wie denn? Friedrich Kröger ist es gewesen, als wenn ein harter Stotz seine Brust getroffen. Er ist taumelnd zurück gewankt und hat einen Halt gesucht. Marie und Karl sind hinzugestürzt und haben ihn an den Händen ergriffen. „Laßt mich," hat er gesagt. „Laßt mich zu ihr. Ich will allein mit ihr sein. Daß sie sterben mußte, ohne datz ich Lei ihr warw Still, gebeugt, ist er zu ihr gegangen. Zum Abschied und zur Totenwacht. — Und wenige Minuten später ist auch ein anderer still gegangen. In den stillen Abend hinaus, dem stille Sterne zu Häuptern standen. Eine hat ihm, ihn an der Hand haltend, stilles Geleit bis vor das Haus gegeben. „Bruder," hat sie nur noch gesagt in zärtlicher Weiche, als seine Hand sich aus der ihren gelöst. Aber auf das Wort „Schivester" hat sie vergeblich als Resonanz seiner Seele gewartet. 17. John Meyerheim kam am nächsten Vormittag schon bei guter Zeit. Es war noch nicht neun Uhr, als er vor dem geschlossenen Tor des Krögerhofes, Einlaß be gehrend, hupte. Zuletzt in schneller Aufeinanderfolge, kurz und herrisch, so daß seine Ungeduld über das längs Wartenmüssen unschwer zu erkennen war. Ja, hupe, bis du schwarz bist! dachte Steinke, der längst festgestellt hatte, wer der Einlaßbegehrende war. Hupe dir meinetwegen des Teufels Großmutter 'ran. Mich kriegst du nicht zu. sehen. Kriech 'raus aus deiner Benzinkutsche und mach' dir das Tor selber auf. Meyerheim sah schließlich ein, daß ihm nichts weiter übrigbleiben würde. Er stieg aus und kam durch die Seitenpforte auf den Hof. Swinke stand breitbeinig vor der Pferdestatttür aufgepflanzt und schien sich lebhaft für Wolkcngebildc oder ähnliche Erscheinungen am Himmel zu interessieren: denn er starrte, den Kopf weit nach hintenüber gelegt, in die Höhe. .(Fortsetzung folgt.),