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Wilsdruffer Tagevlatt 2. Blatt Nr. 2 — Donnerstag, den 3. Januar 1933 Tagesspruch. Die Liebe ist ein Blütensegen, der heilig in der Seele ruht, ein Röslein ists, das von den Wegen man pflückt in seinen Wanderhut. Otto Roquette. Ser Glückwunsch austausch mitdemMrer Anläßlich des Jahreswechsels haben zahlreiche Staatsoberhäupter mit dem Führer und Reichs kanzler drahtlich Glückwünsche ausgctauscht. So fand ein Tclegrammwechsel statt mit den Königen von Bulgarien, Dänemark, England, Südslawien, Norwegen und Schwe den, ferner mit dem österreichischen Bundespräsidenten und dem Reichsverweser des Königreiches Ungarn. Außerdem haben Glückwünsche übersandt der Kaiser von Abessinien, der König von Afghanistan und der Schah von Persien. Ebenso sind dem Führer und Reichskanzler Glück wünsche von den Reichsstatthaltern, den Mitgliedern der Landesregierungen, dem Reichsbischof, dem Präsidenten des Reichsgerichts und dem Oberreichsanwalt und anderen obersten Reichs- und Landesbehörden, von Ober bürgermeistern und Bürgermeistern deutscher Städte, den Organisationen und Gliederungen der NSDAP., von Ver bänden und Vereinigungen sowie von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, von Deutschen und deutschen Ver einigungen im Auslande und von Privatpersonen des In- und Auslandes zugegangen. Besonders herzlich waren die Glückwünscheausdem Saargebiet, wo Verbände, Vereine und viele Einzelpersonen ans allen Kreisen der deutschen Volksgenossen an der Saar des Führers in Treue und Zuversicht gedachten. Zn Notwehr zwei Personen erschossen. Furchtbare Bluttat in Dortmund. In Dortmund wurden am Ncujahrstage in einem Hanse in der RoMraste ein Paul Laudin und eine Frau Wicht erschossen aufgefunden. Als Täter kommt ein Bruno Lachmann in Frage, der festgenommen werden konnte. Zu der furchtbaren Bluttat erfährt man folgende Einzelheiten: Am Neujahrstage befand sich in der Woh nung der Frau Wicht ein gewisser Bruno Lachmann. Gegen 8 Uhr forderte ein Bekannter der Frau Wicht, Paul Laudin, in offenbar angetrunkenem Zu stande Einlaß in die Wohnung, der ihm jedoch ver weigert wurde. Zwei Stunden später kam Laudin mit drei Begleitern wieder zurück. Als ihm auch jetzt nicht geöffnet wurde, zertrümmerte er die Fenster scheiben der Wohnung und verschaffte sich gewaltsam Zutritt. Laudin und die drei Männer in seiner Gesell schaft schienen völlig betrunken. Als Lachmann mit einem offenen Messer bedroht wurde, gab er zwei Schreckschüsse aus seiner Pistole ab. Als man weiter auf ihn eindrang, schoß er scharf. Die Folgen dieses Schusses waren verhängnisvoll. Die Kugel durchschlug den Hals der Frau Wicht und drang Laudin in die Brust. Beide starben aus der Stelle. Lachmann nimmt für sich in Anspruch, in Notwehrgehandelt zu haben, eine Bekundung, die durch die bisherigen Ermittlimgen der Polizei be stätigt wird. Er ist Inhaber eines Waffenscheines und wird dem Richter vorgeführt werden. * In Gelsenkirchen kam es zu einer folgen schweren Auseinandersetzung zwischen dem Invaliden Müller und seinem Kostgänger Gibkes. Müller versetzte seinem Gegner einen so wuchtigen Stich in den Oberschenkel, daß die Schlagader getroffen wurde. Gibkes starb kurz nach der Einlieferung ins Krankenhaus. Müller wurde festgenonnnen. 10 Tage vor der Abstimmung Vlutige SeparatisienübeWe im Saargebiet. Auf Mitglieder der Deutschen Front. In den Morgenstunden des Ncujahrstages kam es in Saarbrücken und in Dudweilcr zu blutigen separatisti- scheu Überfällen auf Mitglieder der Deutschen Front. Vier Mitglieder der Deutschen Front wurden hierbei schwer verletzt. Der Zustand des einen Schwerverletzten ist lebensgefährlich. Der erste überfall ereignete sich in Saarbrücken. Als am Neujahrstage früh 6 Uhr einige Mitglieder der Deutschen Front eine Wirtschaft besuchen wollten, wurden sie von 20—25 meist auswärtigen 8tatus-quo-Anhängern mit Gummiknüppeln, Eifenstangen und Revolver schüssen empfangen. Das Miiglied der Deutschen Front, Hans Loch, erhielt einen Bauchschuß, zwei andere Mit glieder der Deutschen Front wurden durch einen schweren Beinschuß bzw. einen Streifschuß verletzt. Das Überfall kommando verhaftete drei Kommunisten. Zu weiteren schweren separatistischen Terrorfällen kam es in Dudweilcr. Hier wurden auf die Wohnung der Frauenschaftsleiterin Frau Sander neun Schüsse abgegeben. Ein Mitglied der Deutschen Front wurde von einer Anzahl Emigramen überfallen. Mit einem Pickel wurde ihm der rechte Oberarm durch schlagen. Auf dem St.-Johanna-Markt in Saarbrücken verbrannten Kommunisten ein.e Hakenkreuzfalme. die sie vorher mit Petroleum übergossen hatten. Als bak> darauf die Polizei erschien, waren die Täter bereits geflüchtet. Tas Hakenkreuz darf im deutschen Saarland wcht gezeigt werden. Auf Grund des Verbots von Flaggen und politischen Abzeichen während der Zeit der Vorbereitungen auf die Volksabstimmung im Saargebiet muß am Torschild der Deutschen Front kn Saarbrücken das Hakenkreuz schwarz verhängt werden. Bessere Aussichten für Lehrer. 29W Anwärter können ausgenommen werden. Seit der nationalsozialistischen Revolution bessern sich auch die Berufsaussichten für die Volksschullehrer, vor allem aus evangelischer Seite. Diese Lage gestattet es, Ostern 1935 etwa 2000 Studierende an den preußischen Hoch schulen für Lehrerbildung aufzunehmcn. In erster Linie iverden Abiturienten <-innen> das Jahrganges 1931 berück sichtigt, die ihrer studentischen Arbeitsvienstpslichi genügt haben. Darüber hinaus wird aber auch bereits der Jahrgang 1935 aufgerusen Voraussetzung für das Studium an den Hochschulen für Lehrerbildung ist wiederum die Erlangung der Hochschulreife. Drei Todesopfer durch leichtfertiges Hantieren mit der Waffe. Den Bruder bei der Berlobungsfeier erschossen. Einen tragischen Ausgang nahm eine Silvester- und Berlobungsfeier in Berlin-Charlottenburg im Hause Dankelmannstraße 48. Der 24 Jahre alte Hans Weigmann war vom Arbeitsdienstlager Golßen auf Urlaub in das elterliche Heim gekommen, um sich dort zu verloben. In der Silvesternacht wurde im Familien kreise die Verlobung bekanntgegeben und gefeiert. Der Bruder des Bräutigams, der 20 Jahre alte Werner W., richtete, als die allgemeine Fröhlichkeit aus dem Höhepunkt war, im Scherz einen Trommelrevolver auf seinen Bruder. Ein Schuß löste sich und traf Hans Weigmann in die rechte Schläfe. Der sofort herbeigeholte Arzt konnte nur noch den T o d des jungen Mannes fest stellen. Der unglückselige Schütze wurde von der Polizei in Haft genommen. Beim Neujahrsschießen verunglückt. Als im Heim der Kameradschaft der Hitler-Jugend in Landsberg a. d. W. ein Junge mit einem ge ladenen Tesching, den er zum NeujahrsslWßen mit gebracht hatte, hantierte, entlud sich plötzlich ein Schuß. Hierbei wurde der Hitlerjunge Heinz Lamprecht durch einen Kopfschutz getötet. Beim Neujahrsschießen schoß in Gelsenkirchen ein 16jähriger junger Mann mit einer Flobertbüchse seinem Alterskameraden in den Unterleib. I" boff- nun gslo sein Zustand wurde der Unglückliche ms Krankenhaus übcrgeführt. — In München-Glad bach kam ein 22jähriger Mann, der sich mü emem Tesching auf den Hof begeben hatte, um Katzen zu schießen, nach wenigen Augenblicken wieder zurück und brachtotzusammen. Man stellte fest, daß er durch einen Herzschuß verwundet war. Offenbar handelt es sich nm einen Fehlschuß aus der rigenen Waffe. Ein merkwürdiger Unfall Ein Kaufmann aus Gladbeck wurde das Opfer eines seltsamen Unfalls. Nach der im Auto erfolgten Rückkehr von der Jagd sprang der Hund gegen das im Wagen stehende noch geladene Gewehr, so daß sich ein Schuß löste. Die Schrotladung vrang dem Kaufmann in den Leib. Er wurde lebensgefährlichverletzt dem Krankenhaus zugeführt. Fernlastzug gegen Straßenbahnwagen Eine Tote, zwei Verletzte Im Stadtteil Bockenheim in Frankfurt am Main ge riet ein Fernlastzug aus Osnabrück beim Ueberholen eines Pferdefuhrwerkes zu weit auf die linke Straßenseite. Der Anhänger des Lastzuges fuhr mit voller Wucht gegen den Triebwagen einer aus entgegengesetzter Richtung kommen den Straßenbahn. Dabei wurde der Triebwagen an der Seite aufgerissen. Ein weiblicher Fahrgast wurde getötet, zwei Personen erlitten leichte Verletzungen. In Neunkirchen an der Saar ereignete sich am Oberen Markt ein schweres Kraftwagenunglück. Ein schwer- beladener Lieferwagen, der vor einer Schlächterei stand, geriet nach rückwärts immer schneller in Bewegung und sauste die abschüssige Straße hin ab. Dabei wurde ein sechsjähriges Kind über fahren; es war ans der Stelle tot. Der Wagen fuhr dann gegen ein Schaufenster, an dem eine Mutter mit ihrem vierjährigen Kind stand; dieses Kind wurde schwer verletzt, und die Mutter fiel ihn Ohnmacht. Ein Mann, der die Bremsen anziehen wollte, wurde ebenfalls schwer verletzt; er und das vierjährige Kind schweben in Lebensgefahr. f34 »I« Ordnung ?" klang eine leise, erregte Männer stimme. „In Ordnung...!" antwortete der Herangekommene. „Aber beinahe wäre es schief gegangen." „Wieso schief gegangen? Hat der Wächter Sie ge sehen? Der h<ü doch gerade heute an der anderen Seite mit dem Stechen der Uhr begonnen." „Nein, aber der Direktor kam unerwartet." „Wer? Herman?" .Ja!" „Was wollte er?" „Die Schriftstücke über die Farbcnfilmverhandlungen!" „Waren Sie mit der Kostis schon fertig?" „Jal Ich konnte mich gerade noch ins Nebenzimmer flüchte«, als er kam. Ein Glück, daß er so anderweitig be schäftigt war." „Anderweitig?" Ein höhnisches Lachen in der Dunkelheit. „Wenn Sie jetzt schnell einmal mit dem Wagen in oie Weinstuben Kuntze fahren, dann werden Sie Herrn Direktor Herman mit seiner Sekretärin sehen. Habe mir schon lange gedacht, daß sie sich den auch kapern wird. Wenn ich auspacken wollte...!" „Los!" klang es aus dem Dunkel des Autos. „Kommen Sie, wir fahren jetzt zu Kuntze; ich setze Sie vorher ab. Und wenn das wahr ist, Mensch, was Sie mir da erzählt habe«, dann lege ich noch einen Hunderter auf Ihr Honorar drauf." * * * Die Fahrt neben Robby Herman war für Edelgard wie «« Traum. Der Wagen war ein rassiger Sport- zweisitzer, schlank gebaut und von neuester Konstruktion. Er flog förmlich, wie von aller Erdenschwere befreit, über die nächtliche Chaussee. Rechts und links flogen die Häuser vorbei, entlaubte Bäume standen wie seltsame Zeich nungen, wenn das Licht des Scheinwerfers sie traf. Edelgard faß sehr still da, sah wie traumverloren auf das Profil des Mannes neben ihr. Er schaute aufmerksam aufs Steuer, seine Hände in den Hellen Lederhandschuhen hielten das Lenkrad mit Kraft und doch mit Leichtigkeit. Wundersam geborgen sühlte sie sich, so geborgen wie nie mehr, seitdem Vater und Bruder heimgegangen. Von diesem Tage an war die Verantwortung für die Mutter und sie doch eigentlich auf ihre Schultern gelegt. Ost war es ihr schwer gewesen, zu schwer. Aber sie kannte es ja nicht mehr anders. Heute, hier in dem warmen dahinsausenden Gefährt, den Augen und den Händen des heimlich geliebten Mannes anvertraut, dachte sie: Wie mußte es gut sein, einmal nicht selbst für sich alles allein wissen und Können — einmal in der Obhut eines kraftvollen Herzens sein... „Sie sind ja so still, Fräulein von Dönitz?! Was dachten Sie denn eben?" Er hatte sich unvermutet zu ihr gewandt. „Ich — ich bin Wohl doch sehr müde", stotterte sie. Sie konnte ihm doch nicht sagen, was für törichte Träume sie soeben gehabt. „Sie Arme, es tut mir wirklich leid, daß ich Sie nicht direkt heimfahren kann." „Oh, das macht ja nichts!" wehrte Edelgard schnell ab. Sie war ja in Wahrheit nicht müde; für sie hätte diese Fahrt neben dem geliebten Manne stundenlang dauern können. Und dann schwiegen sie beide wieder. Eine süße, schwere Stille legte sich zwischen sie, Unausgesprochenes schwang im Raum — aber keiner der beiden Menschen wagte dem anderen etwas von seinen wirklichen Gedanken und Empfindungen zu zeigen. Run belebten sich die Straßen. Lichter von Restaurants, Kinos tauchlen auf, aus dsn Untergrundbahnen kamen plaudernde Menschen. Geschäfte, die auch des Nachts ihre Auslagen lockend zeigen wollten, strahlten in tageshellem Licht. Nun ein großer Platz. Robby umfuhr ihn in einem eleganten Bogen und hielt gleich darauf in der Ecke. „Hier ist das Restaurant, Fräulein von Dönitz! Bitte!" Edelgard stieg zögernd aus, am liebsten wäre sie ja im Wagen geblieben und hätte gewartet. So im Bürokleid in dies elegante Lokal zu gehen... Aber sie mochte nichts mehr sagen. Direktor Herman war so unberechenbar. Sie war glücklich, daß er im Augenblick so warm und gütig war. Mechanisch strich sie über das weiche Haar, das unter dem kleinen schwarzen Hütchen hervorkam, zog den Mantel glatt. Hütte sie doch wenigstens den Pelzmantel angehabt, den sie noch aus den guten Zeiten des Reich tums besaß. Aber sie mußte diese Kleidungsstücke sehr, sehr schonen; sie würde sich kaum jemals wieder etwas Derartiges anschasfen können. So trug sie für das Büro nur ihren braunen Ulster. Robby schien zu fühlen, was in ihr vorging. „Sie brauchen sich nicht die geringste Sorge zu machen, Fräulein von Dönitz — Sie können mit den anderen Gästen des Lokals durchaus konkurrieren." Von dem Portier mit einer ehrerbietigen Verneigung begrüßt, gingen die beiden nun durch das Portal in das Restaurant. Kein Mensch hätte Edelgard jetzt irgendeine Verlegenheit anmerken können. Sie ging, ganz große Dame, sicher und mit einem etwas hochmütigen Gesicht dahin. Sie übersah die bewundernden Blicke, die ihr folgten. Aber wenn sie auch nichts zu bemerken schien, Robby Herman spürte die versteckte Bewunderung sehr wohl. Und plötzlich verglich er Edelgard mit Margaret. Wenn Edel gard einmal Kleider tragen würde wie einst Margaret — cs würde nicht viele Frauen geben, die mit ihr dann würden wetteifern können. Sie war ja schöner, viel schöner noch — alles edler, durch lange Kultur und durch Generationen von Gcicklechtern aekormt und verfeinert. (Fortsetzung folgt.)