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W Ml MttLöLKKLcNISLMUl'r VUttOtt V3^k ^5I8ILir ^/5K0^U L/^ l10. Fortsetzung.) „Und wenn ich dann von dir gehen müßte?" „Dann müßte ich es tragen, Trautlieb, wie ich es zwanzig Jahre getragen habe. Es könnte nur dein Körper gehen, deine Seele ist in mir. Du bist so vollkommen eins mit mir, daß ich dich nie verlieren kann. Und wenn uns Welten trennen, immer bist du bei mir." „So will ich es tun," antwortete Traute aus tiefem Herzen heraus und Marow antwortete: „Und ich will dir allzeit dafür danken." Und Mata schrieb noch am gleichen Tage an ihren deutschen Freund in Amsterdam, der dort Spionagechef war. Sie schrieb nichts vom Krieg und nicht über den Krieg sondern nahm lediglich eine alte Verbindung wieder auf. Die Korrespondenz ging durch dis Pariser holländische Gesandtschaft. So war sie unverfänglich und gab zu Deutungen keinen Anlaß. — 12. Mata Hari gönnte sich keine ruhige Minute mehr. Ueberall war sie, überall knüpfte sie Bekanntschaften an. alles interessierte sie und überall fragte sie Die Teilnahme und Anteilnahme, die sie jedem gegenüber bekundete, ließ ihre Fragen als das natürlichste von der Welt erscheinen und die Antworten ebenso. Sie wurden rückhalt los gegeben. Ihre besonderen Freunde waren die Flieger. Die sahen am meisten. Deren Karten waren am genauesten und wur den täglich ergänzt. Und Mata ergänzte danach die ihrige. Sie kannte die Fliegerstaffeln und -Stationen bis zu den Engländern hin auf und wußte, wo jeweils neue errichtet wurden. Durch die frisch eingelieferten Verwundeten, an deren Pflege sie sich ebenfalls beteiligte und die von allen Teilen der Front kamen, war sie über den Standort der Regimenter und ihre Verluste unterrichtet. Durch ihren Verkehr mit den höchsten Offizieren erfuhr sie jede wesentliche Veränderung im Kommando. Sie war die erste Frau Frankreichs, die über die Ankunft der englischen Tanks unterrichtet war, und wußte auch, daß diese neuartigen Kampfmaschinen in der Frühjahrsoffen- sive an der Somme erstmalig verwendet werden sollten. Also wußte sie auch, wo diese Offensive geplant war. Sie kannte ferner Bestückung und Bemannung der Tanks, kannte auch ihre angreifbaren Stellen. In ihren Aufzeichnungen stand: „Panzerplatten nicht stark. Können durch Punktschießen der Maschinengewehre durchschlagen werden." Sie beobachtete genau, was um sie herum vorging Sie stellte fest, daß mehr Regimenter aus dem Abschnitt Mihiel— vt. Di6 und weiter südlich herausgezogen als wieder ein gesetzt wurden. Alle Abkommandierungen von Fliegern aus dem Vitteler Bereich erfolgten nach Norden, alle Versetzungen von Schwestern und Pflegepersonal auch. So war sie über alles und jedes restlos unterrichtet. „Morgen tu' ich den ersten Schritt, Lex," konnte sie Marow endlich berichten. „Ich bin so weit." „Dann gehe mit Gott, Trautlieb," hatte er geantwortet. „Er führe dich wieder zu mir." So hatten sie sich getrennt und Mata war für kurze Zeit verreist. In Paris hatte sie sich nur eine Nacht aufgehalten. Ihr Weg ging über England nach Holland, wo sie un behelligt und wohlbehalten eintraf. Nach einem kurzen Besuch bei Vater und Tochter, die beide im Haag wohnten, fuhr sie nach Amsterdam, ihre Mis sion zu erfüllen. Das deutsche Spionagebüro hatte sich Im Victoria-Hotel am Damrak etabliert. Dort stieg auch Mata Hari ab. Un klugerweisel Der Chef des Büros, Hauptmann Richters, saß gerade im Vestibül dieses Hotels, als sie im Eingang erschien. Die reizvolle fremde braune Frau erregte allgemeines Aufsehen. Alle Köpfe wendeten sich ihr zu. Die Herren tuschelten. Der Hauptmann rührte sich nicht von der Stelle. Sein Gesicht verbarg die Zeitung, die in seinen Händen knisterte. Er lauschte. Schweigend legte Mata Hari ihre Karte auf die Tafel, i „Meine Zimmer?" fragte sie. „Sehr wohl, Mevrouw. — Einundvierzig, zweiundvierzig," sagte der Geschäftsführer zum Boy und Mata fuhr im List nach dem zweiten Stock. „Formalitäten erledigen wir dann," hatte sie im Weg gehen gesagt. Der Geschäftsführer dienerte hinter ihr drein. „Wer war das?" bestürmten ihn einige Neugierige. „Frau Mac Leod aus dem Haag," gab er Bescheid und wendete sich seiner laufenden Beschäftigung zu. Die Neugierigen gaben sich kopfschüttelnd zufrieden, nur ein Herr, bartlos und schwarz, offenbar Franzose, der teil nahmslos wie Richters in seinem Sessel saß, stand auf, ging hinaus und schlenderte den Damrak hinunter, den Rokin ent lang, bog links über die Brücke und verschwand im Doelen- Hotel. Dort war die Entente zu Hause. Wenige Minuten nach dem Weggang des Fremden und wenige Minuten nachdem sich Mata im Zimmer befand, wurde eine Visitenkarte unter den Fußspalt ihrer Tür geschoben. Sie hob sie auf und las: „Herzlich willkommen in A. — Hier äußerste Vorsicht geboten, falls Sie an Rückreise denken. Bitte um Unter redung fünf Uhr Magazin de Bijenkorf. R." Sie lächelte. „Vorsichtig ist der gute Hauptmann," dachte sie, „und auf dem Quivive ist er auch. In einem Warenhaus wird uns kein Mensch vermuten." Pünktlich war sie zur Stelle. Der Hauptmann saß schon dort. Er hatte sich ein winziges Tischchen gewählt, das nur Platz bot für zwei. Also war man durch dritte nicht gestört. Er empfing die schöne Frau klopfenden Herzens und strahlenden Auges, aber äußerlich wie eine Fremde. Vorsicht war überall und auch hier geboten. „Wie lieb, daß Sie kommen, Mata," sagte er. „Meine sonderbare Begrüßung und Einladung bitte ich der Um stände wegen zu entschuldigen." „Sie wird nötig gewesen sein. Im anderen Falle hätten Sie mir kaum die Hand unter der Tür hin gereicht." „Sie verzeihen mir, Mata?" „Unter alten Freunden ist das selbstverständlich." „Es geht hier toll zu. meine Liebe. Bei Ihrer Ankunft saß einer von drüben im Vestibül. Er ging sofort nach Ihnen weg. Ich bin überzeugt, daß die im Doelen-Hotel vom Ein treffen der in Paris ansässigen Künstlerin jetzt schon unter richtet sind." „Mögen siel — Ich bin ja Holländerin und habe Ver wandte im Haag und anderswo." „Daß wir uns kennen, brauchen sie ja nicht unbedingt zu wissen. Heute ist alles möglich, am möglichsten der Verdacht Ich bin der bestgehaßteste Gegner jener Herrschaften. Wei mit mir zusammengesehen wird, muß in ihren Augen un bedingt ein Spion sein. Und in diesen Verdacht möchte ich gerade Sie nicht kommen lassen, falls Sie wieder hinüber wollen." „Ich muß sogar wieder hinüber. Mein Freynd Marow erwartet mich." „Sie schrieben von ihm. Wie geht es ihm?" „Blind sür immer." „Soldatenlos! — Nun grollt er uns?" „Nein, dazu ist er zu groß, zu gerecht und zu sehr Offizier." „Seltsam." „Noch seltsamer aber dürfte die Tatsache sein, daß er seinen Verbündeten grollt. Besonders den Engländern, denen er die Schuld am Kriege beimißt und von denen er sich miß braucht fühlt." "Psssssssst," machte der Hauptmann. „Still davon, so interessant es ist. Hier haben die Wände Ohren, und wo scheinbar niemand ist, wird doch gehört." „Ich muß ungestört mit Ihnen sprechen können, denn ich habe Ihnen Wichtiges zu sagen." „Nur zu Ihrer Sicherheit mahne ich zur Vorsicht, Mata. Sie wissen, wie gern ich mit Ihnen " „Lassen Sie das, Richters. Darum geht es jetzt nicht. Cs handelt sich um mehr. „Also treffen wir uns morgen in Marken, wenn es Ihnen recht ist. In irgendeiner Fischerhütte werden wir ungestört sein und gewiß auch nicht verstanden werden, wenn wir französisch reden." „Einverstanden! cka serai üs 8nita a vntro 6i8position ^ckion, rnonsionr." ,,^u ravoirs, maciams." Damit trennten sie sich. Aufsehen hatte diese gleichsam zufälligem Begegnen ent sprungene Unterredung nicht gemacht. Auch im Hotel merkte niemand, daß sie sich kannten. Sie übersahen und mieden sich- Anderntags fand ihr Zusammentreffen in Marken statt. Auf dieser kleinen, zur Saison allerdings lebhaft besuchten Fischerinsel waren sie wirklich ungestört. Im Hotel de Jong einzukehren, hatten sie keine Lust, hielten es auch nicht sür zweckmäßig, sondern knüpften die Bekanntschaft eines alten Mütterchens an, das für Geld und gute Worte gern bereit war, ihnen einen altholländischen Kaffeetisch zu decken. Dort machte Mata ihre Eröffnungen. Sie begann mit der Frage: „Wie sieht es in Deutschland aus?" Der Hauptmann schwieg. Da stellte sich die gefürchtete Falte ein auf der Stirn Matas und die Hände spielten nervös mit der zierlichen Perlenkette, die aus dem Ausschnitt ihres Kleides leuchtete. „Wenn Sie mir nicht mit Vertrauen begegnen können, mein Lieber, dann wollen wir schnell unseren Kaffee trinken und abreisen. Ich bin nicht zum Vergnügen hier." Richters lenkte ein. „Sie mißdeuten mein Schweigen, Mata. Ich weiß nur nicht, wie ich Ihre Frage richtig beantworten soll." „Offen und ehrlich, wie es sich für einen Mann gehört, dann ist sie richtig beantwortet. Offiziere, die zu Diplomaten werden, sind schlechte Offiziere. Sie haben das an Ihrem Kanzler Caprivi gesehen. Wenn er geblieben wär, was er war, dann hätten Sie heute ganz gewiß keinen Krieg mit Rußland. Ihre Reserve mir gegenüber ist zum mindesten deplaciert. — Was bieten Sie mir, mon cher? Ihre kostbare Gesellschaft, das ist gewiß schätzenswert aber — entschuldigen Sie meine Offenheit — auch nicht mehr als eben nur schätzenswert. — Was biete ich Ihnen, mein Herr? — Alles!" „Alles? — Wie soll ich das verstehen?" „Sie sind doch nicht zum Spaß hierher gesetzt, nur um möglichst weit vom Schuß zu sein?" „Das nicht." „Und Ihr Staat verlangt Leistungen von Ihnen." „Ja!" „Na also. — Wollen Sie nun antworten oder wollen Sie nicht?" „Wenn Sie so diktatorisch kommen, muß ich schon," sagte Richters scherzend und fuhr ernst antwortend fort: „Wenig erfreulich sieht es in Deutschland aus, Mata. Wir leiden Mangel. Not noch nicht. Sie wird aber nicht ausbleiben. Die Soldaten tuen ihre Pflicht, die daheim Lun sie auch. In allen aber ist ein tiefes Friedenssehnen." „Dank, Richters, für dieses offene Wort. — Und wann wird Frieden?" „Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Wir müssen aushalten, sind eingekreist, auf uns allein angewiesen und müssen kämpfen bis zum Weißbluten, wenn wir unser Vaterland heil und ganz erhalten und nach diesem gräßlichen Ringen nicht Jahrzehnte ausschließlich für unsere Gegner frohnen wollen. Unsere Kinder und Kindeskinder noch wer den unter diesem Kriege leiden müssen, wenn wir ihn nicht zu einem anständigen Ende bringen." „Und was erwarten Sie für die nächsten Monate?" „Einen erhöhten Kräfteaufwand der Gegner " „An welcher Stelle?" „Ist uns leider nicht bekannt." „Mir aber." „Matal" „Still! — Ich will euch helfen um des Friedens willen und auch um eurer Kinder willen." Sie zog ein dickes Kuvert aus der inneren Manteltasche. „Hier drinn finden Sie alles Wesentliche über die gegnerischen Maßnahmen. Umgruppierungen, Frontent blößungen. Fliegerstaffeln. Tanks, kurz — alles Wissens werte. Ihr Material wird kaum halb so vollständig sein wie dieses. Mag es einem baldigen Ende dienen." Der Hauptmann nahm den Brief an sich, wie man etwas sehr Kostbares an sich nimmt. „Wie soll ich Ihnen danken. Mata," sagte er, „wie könnte ich Ihnen danken?" „Gar nicht sollen Sie danken. Ich erweise diesen Dienst letzten Endes allen. Freunden und Feinden." „Wohl richtig. Zunächst aber doch uns, denn auf meins Kameraden prasselt das Wetter nieder." Mata nickte gedankenvoll. „Ein wildes Wetter! Eines, wie es die Armen noch nicht betroffen hat." Dann sagte sie unvermittelt: „Da fällt mir ein: Es werden in dieser Offensive außer den Tanks zum ersten Male Gasgeschosse in großen Mengen ver wendet. die mit Phosgen gefüllt sind. Ich erfuhr das erst kurz vor meiner Abreise. Vielleicht notieren Sie es." Der Hauptmann tat es. „So," sagte sie, „nun könnten wir heimsahren." Richters war sofort dabei, denn ihn brannte der Umschlag mit seinem wichtigen Inhalt in der Tasche. Er lohnte das Mütterchen ab. Dann gingen sie und fuhren nach Amster dam zurück. „Unsere gemeinsamen Freunde interessieren Sie wohl gar nicht mehr," fragte er beim Abschied „Kaum! -- Warum?" „Weil Sie sich nach keinem erkundigten." „Können Sie mir von einem Erfreuliches berichten?" „Grüße, meine Liebe, und zwar vom kleinen Eckerts." „Schau, schau! Denkt er noch an mich?" „In jedem Brief beauftragte er Grüße. Ich gab sie nur nicht weiter, weil er den gleichen Posten wie ich in Spanien bekleidet und es — will's der Teufel — unangenehm auf fallen könnte, wenn eine Pariser Dame die zweifelhafte Ehre genießt, gleich mit zwei Spionagechefs der Gegner bekannt zu sein." „Sie sind wirklich umsichtig, Richters, und besorgt um meinen Ruf." „Ich bin Ihr Freund, Mata und von heute ab Ihr Schuld ner." „Das nehme ich ad notam." „Tun Sie es, Mata. Ich bitte darum. Auch der Reichste kann einmal in die Verlegenheit kommen, sich seiner Schuld ner erinnern zu müssen." „Na schön. — Wo übrigens befindet sich Eckerts?" „Madrid, Ritzhotel." „Grüßen Sie ihn bitte, wenn Sie schreiben." „Er wird sich freuen, Mata." „Und wie verbleiben wir nun weiter, mein Lieber?" «Wenn Sie wieder nach Frankreich wollen . .." „Morgen schon!" „Dann meiden wir uns besser auch heute noch." „Gut! — Dann trennen sich jetzt unsere Wege. — Leben Sie wohl, lieber Richters. Auf Wiedersehn im baldigen Frieden." Sie winkte ein Auto herbei. Richters konnte nicht antworten. Er drückte ihr stumm die Hand, war ihr beim Einsteigen behilflich und winkte der Scheidenden, die ihm und seinem Vaterlande soeben einen unschätzbaren Dienst erwiesen, ein letztes Lebewohl zu. Er sollte die schöne und mutige Frau nie wieder sehen. Als Mata Hari am anderen Morgen die Kabine des Dampfers betrat, der sie nach England bringen sollte, standen zwei Sträuße auf dem bescheidenen Klapptischchen am Bullauge. Ein sehr großer und ein ganz kleiner. Flieder der große und Veilchen der kleine. Sie wußte, von wem der Fliederstrauß war, trotzdem kein Name den Spender auswies. Ihn konnte nur Richters ge schickt haben. Aber das Veilchensträußchen? Da fand Mata unter der Vase ein kleines Kuvert. Auf dem inliegenden Kärtchen stand: „Bescheiden — den geleisteten Diensten entsprechend. — T.6 Gsiok cks la spionaAS kranoai86." Einen Augenblick stand Mata bleich und starr. Aber nur einen Augenblick. Dann öffnete sie das kleine kreisrunde Fenster und warf den Beilchenstrauß ins Wasser. (Fortsetzung in der Sonnabend-Nummer.