Volltext Seite (XML)
lS. Fortsetzung.) „Das alles ist vom Gesichtspunkte des Staatsbürgers und Staatsganzen aus gesehen, gut und richtig, vorausgesetzt, daß man für sich und sein Staatsganzes allein eintritt. Wenn man aber unter irgendeinem Deckmantel — in unserem Falle: Gerechtigkeit und Zivilisation — andere für sich sterben läßt, dann ist das unsittlich! Englands Gesicht ist Maske, sein Wort ist nicht immer wahr. Ich werde verbittert, Traute, wenn ich mich so mißbraucht sehe. Laß uns von anderem reden." Traute sah ihn mit leuchtenden Augen an, strich ihm lieb kosend übers Haar und schlug dann einen Spaziergang durch den Bois de Boulogne vor. Marow war gern einverstanden. Im Mondschein wandelten sie zu zweien. Am anderen Morgen beim Frühstück war Marow sehr traurig. Auch Traute war schweigsam. „Vom Himmel in die Hölle," sagte er leise und rührte mit dem kleinen goldenen Löffel in der blattdünnen Sevrestasse, „von hier in den Graben, aus dieser Kultur zu Ratten und Läusen, aus deiner Welt in die da draußen, wie ist das schwer!" „Es soll ja bald zu Ende sein," tröstete ihn Traute, aber Marow schüttelte den Kopf. „Man belügt euch und uns! Ich glaube, was ich sehe und weiß, was ich weiß." „Was siehst du, Lex und was weißt du?" Er lenkte ab und zeigte scherzend auf die Zeiger der antiken Standuhr neben der Kredenz. „Ich sehe, daß es neun ist und weiß, daß ich gehorchen muß. Die Trompeten blasen. Mein Glück geht schlafen." „Aber meine Seele begleitet dich. Liebster und meine Gedanken sind immer bei dir." Marow konnte nicht antworten. Ein letztes stummes Umarmen, ein ungewolltes leises Schluchzen, ein letzter Kuß, dann ging er. Kara fuhr ihn im Auto nach dem Gare de l'Este, von wo aus er nach der Front fuhr. So war der Tag, gelebt im Paradies — vorbei. 10. Sommerfrische! Ruhe, Frieden, sprossendes Grün, mächtige Buchen, schweigende Fichten und uralte Eichen, Vogelsang und fröh liche Gesichter empfingen Marow vor Paroches. Es ging denen gut, die hier waren. Sie hatten es sich beguem gemacht und litten keine Not. Beim Regiments-Kommandeur hatte er sich gemeldet, war als verbündeter Russe, der zudem die Medaille trug, mit sehr viel Freundlichkeit empfangen und gut bewirtet worden. Jetzt trottete er ein Stück weiter vor zum Bataillons- Kommandeur. Der stille nachdenkliche Mann, der die Gestalt eines Kriegs gottes besaß, aber das Gesicht eines Geistlichen, paßte nicht recht zu denen vom Regiment. Man sah ihn gern weitergehen. Das gleiche war der Fall auf dem Bataillons-Kommando. Auch da war man froh, als der Rittmeister, der ihnen im Range gleichgeordnet war, um die Führung einer Kom pagnie bat. „Die Front steht," hatte der Kommandeur gesagt, „wir werden lange hier aufgehalten sein. Ich möchte zu bedenken geben, daß Sie da vorn wenig Annehmlichkeiten finden." Aber Marow hatte sich nicht beirren lassen. Nun war er am Orte seiner Bestimmung. Die beiden Leutnants, von denen jeder einen Zug führte, panden stramm und meldeten. Marow winkte ab „Das möchte ich nicht," sagte er. „Wir sind Soldaten, einer wie der andere. Wir wollen Kameradschaft halten, möglichst gute und unsere Pflicht tun. Alles andere über- laffen wir dem Exerzierplatz." Den Leutnants war das nicht unangenehm und allen, denen er zum Führer gesetzt war, war er genehm. Wie schön sollte es werden hier draußen! Dis Leutnants hatten ein Gärtchen anlegen lassen, kaum größer als ein Zimmer. Er wollte Blumen hineinpslanzen und Blumen auch vor die Fenster des Unterstandes, wollte mit guten Büchern auf seine Leute wirken, ihnen die Einsam keit verkürzen und sie vergessen lassen, daß sie einige hundert Meter vom Feinde lagen. Gemütlich wollte er's machen, wie daheim, der siebe große Junge, der stundenlang in die Sterne sehen, stundenlang »eben dem Posten im Graben stehen, zu seinen Leuten von der Zukunft reden und im Kreise seiner engeren Kameraden Mane schmieden konnte, so anschaulich, daß man sie Wahr st werden sah, der sich ein Weib ersehnte, eine liebe kluge Frau, die nicht viel sprach aber geheimnisvoll lächelte und »ur gelbseidene bauschig weite Kleider trug, der Buben -oben wollte und Mädels, ein Häuschen weit draußen im Ecünen, wo niemand hinkam, und einen großen Garten, in ^welchem er mit feinen Kindern spielen konnte und in Hemd- <rr»etn arbeiten. . Er war ein sonderbarer Mann und so ganz anders als sie. Die ost sahen sie ihm zu, wenn er mit dem Spaten Hantierte, einen Strauch umsetzte als Deckung gegen Sicht, Mw» « WaHer schöpfte oder etwas zurechtstellte, was seiner ihrer Bequemlichkeit zu dienen bestimmt war Stand da nicht immer, wenn er „so für sich" war, schon jene liebe Frau im bauschigen Kleide neben ihm? Und spielten nicht Mädels und Buben, blauäugig und blond wie er, zu seinen Füßen? Er hatte sie hierher gezaubert in diese Trostlosigkeit, die liebe lächelnde Frau. Nun ging sie ungesehen um und lebte körperlos mit ihnen. Nach vierzehn Tagen war Marow abgelöst worden. „Hütet mir mein Gärtchen, Jungens," hatte er gesagt, „und bötet, was in eure Hand gegeben!" Damit war er gegangen. Und als er nach sechs Tagen wiederkam, da fand er nichts mehr vor von dem. was er verlassen und in die Hut der Leute gelegt hatte. Die Deutschen hatten gewütet und wüteten noch. Tausende von Granaten hatten sie herübcrgeschleudert und Tausends schleuderten sie noch herüber. Was hatten sie vor? Wollten sie die Spitze von Mihiel noch weiter vortreiben, durchbrechen, umbiegen zum Halbkreis um Verdun, um diese Feste auch von der Südflanke zu fassen? Wer wußte es! Sie taten weiter ihr Vernichtungswerk und taten es mit ihrer ganzen Wucht und allen ihren Mitteln. Die Wirkung war unerhört: Einschlag an Einschlag. Loch an Loch, Trichter an Trichter, zerfurcht die Erde und aufgemüblt wie von Riesenhänden, die nach Schätzen suchten, besät mit erschreckendem, zer rissenem Eisen, mit Splittern, Stückchen. Stücken. Brocken, Klötzen, silbrig glänzenden, tiefschwarzen und von Schwefe! gelb gefärbten! Mit Eisen von hunderttausend Granaten. Wo war der Stein, der da schon lag, als noch der Bauer seine Furche zog? Wo war auch nur ein einzig ganzes Haus noch in Paroches? Wo nur ein Baum, der nicht entlaubt, dessen Aeste sich nicht kahl zum Himmel streckten!! „Oede! Wüstenei! Unglaubhaft und unfaßbar dem. der sie nicht sah. Das Grauen faßt kein Menschenherz, kein Menschenhirn! Die Erde und dis Luft und alles, was ist. schrie im gellen den Kreischen: Vernichtung, Untergang, Krieg. Wie lange schon! * Es war am Morgen des fünften Tages. Milchigweiß kroch die Sonne empor und die Nebelschleier schwanden. Es war Rube — oder war nur Feuerpause? Da sprang Marow in den Graben. Graben? — Nein! Der war nicht mehr. Was einst ein Graben war war eine Erdrinne. Zwischen den Seinen bockte er nieder. Nur kurze Zeit. Nur zum verschnaufen Dann kroch er sein Grabenstück ab. Er hatte für jeden ein ermutigendes Wort und für jeden Zigaretten. „Was wird das, Herr Rittmeister." fragte ein Unteroffizier. „Was weiß ich, mein Lieber! Wenn sie drüben in zwei Stunden nicht wieder aufgedreht haben, schanzen wir. Wir müssen uns sichern." Und sie drehten auf. Schlag halb neun! Als ob die Erde bersten solle und der Himmel einstürzen, donnerte es los. aus der Ruhe heraus, mit einem Male, so unvermittelt, so urplötzlich, wie ein furchtbares Entsetzen, ein unerhörter Frevel am Frieden der Natur Vor und hinter ihnen krepierten die Geschoße, rechts und links schlug es ein, in den Lüften tanzten die Schrapnells. Haubitzen fauchten ihren Eisenhagel über die Köpfe hin und zwischen die Menschen hinein, und die Mörser mit ihren Einundzwanzigern donnerten dazwischen. Auf dem ganzen Abschnitt knallten die Feldkanonen. Hall und Widerhall! Ein grausiges Dröhnen, Stöhnen, Schreien, Lachen, Kreischen. Wahnsinn! Qualm vom tiefsten Dunkel zum lichtesten Hell, in Streifen Schwaden und Fetzen, walzte sich über die Gräben. Es war, als breite ein gütiger Gott einen Schleier über das Chaos. Der Tod schritt In weitem Gewände, und unter seinem Tritte erbebte die Erde. Die Soldaten — wo sie saßen, blieben sie sitzen. Teil nahmslos, gleichgültig — wie Schemen. Einer formte Kugeln aus Lehm und zerdrückte sie zwischen den Fingern. Ein anderer stocherte mit einem Hölzchen in der Erde. Ein dritter wog ein Sprengstück auf der Hand. Ein vierter rückte am Koppel, und ein fünfter fraß im blöden Hinstieren den zerketschten Stumpel seiner Zigarre. Alle taten sie etwas, und alle wußten sie nicht, was sie taten. Nur das tat keiner, was die in schönen Skizzen behaupten, die nie die Hölle um sich sahen — denken! Das war ausgeschaltet, restlos ausgelöscht! Plötzlich hob der Rittmeister den Kopf. Seine Züge strafften sich. Er lauschte. „Was — ist — das," sagte er stockend und seine Frage war mehr ein Ausruf des Schreckens. „Was meinen Sie. Herr Rittmeister?" „Hören sie nicht? — Flügelfeuer! Immer gleichmäßig von links nach rechts: Bum — bum — bum — bum." Sie hörten es und hörten es stundenlang. Plötzlich war es still. Abgerissen! Aus! „Handgranaten bereitlegen," schrie Marow und seins Worte liefen den Graben entlang. Sie reizten auf, schmetterten nieder, machten Hoffnung und Angst. Je nachdem. Aber sie lösten die Starre und weckten das Bewußtsein. Jetzt warteten sie nicht mehr. Jetzt erwarteten sie. Doch den sie erwarteten, der kam nicht. Die Deutschen traten zum Sturme nicht an. Noch nicht! Hatten nur die Maschine abgestellt. Kein Laut mehr. Still war es, grabesstill, niederdrückend und beängstigend und von jedem empfunden, weil die Sinne nicht mehr zerhämmert waren. Es war, als ob ihnen die Ruhe zuflüsterte: „Jetzt! — Jetzt! — Gebt acht! Etwas Furchtbares muß kommen: die Erde gerät ins Gleiten, saust und zerschmettert im All." Es getraute sich keiner zu reden. Da faßte sich der Leutnant ein Herz und fragte: „Was kommt nun, Herr Rittmeister?" Und der sagte: „Wenn sie verfahren wie jüngst bei Reims: ein kurzes Trommeln, ein ruckartiges Feuerverlegen nach hinten, das Aufflattern der Minen und entweder — Sieg oder Tod." Da war der Leutnant still und keiner fragte mehr. Wie Marow es gesagt hatte, so war es gekommen. Er hatte das Ende nicht gesehen. Er lag still auf dem Rücken, noch bevor der Sturm angriff abgewiesen und die Nacht heraufaedämmert war. Der Tag hatte Opfer gekostet. Der Tod hatte geerntet. Er hatte genommen, was er bekommen und hatte nicht gefragt, welchen Glaubens sie waren noch welcher Nation sie angehörten. Da sie Menschen waren, waren sie ihm alle gleich. Nur die ihm zuviel waren, hatte er den Aerzten überlassen. Auf den Verbandsplätzen, die an der Straße Paroches— Bar le Dux errichtet waren, lagen und standen sie herum zu Hunderten, die Verschmähten, mit ihren Wunden und Schmerzen, harrend der Hilfe und der Erlösung. Was für Bilder! Da einer mit dem Verband um Stirn und Augen, sonst bedeckt mit Schmutz und einer Kruste geronnenen Blutes. Dort einer mit einer Hand, an der die Finger fehlten. Wieder einer ohne Fuß. Ein anderer mit verbundenem Arm, aus dessen Ellbogen das Blut tropft, die Seite hinunter, in die Stiefel hinein. Ein fünfter mit zerschlagener Kinnlade, die berunterklappte, wenn die entkräftete Hand sie nicht mehr zu halten vermochte und noch andere, viele, viele einst lebens- frohe junge Männer. Und dann kamen andere im Dämmerscheln. Schweigend schritten sie daher, fünf Mann, von denen vier geschultert eine Bahre trugen. Darauf lag ihr stummer Freund, der ihr Führer war. Und der hieß: Marow. Aus dem Feuer heraus hatten sie ihn geschleppt, hierher gebracht, um ihm ein Grab zu graben unter frischem Grün und inmitten blühenden Lebens, wenn da nichts mehr zu retten sein sollte. Wie ein Zug altfranzösischer Krieger aus Galliens großen Tagen sah es aus. als sie im Mondschein durch die Nacht gezogen kamen mit ihrem erschlagenen Helden. Nach einer Stunde! Befund des Arztes: „Stirne zerschlagen. Auge entzwei. Lebt noch. Kann gerettet werden. Merci, Kameraden!" Zu mehr ist im Kriege nicht Zeit. 11. Wenige Tage später erhielt Mata Hari einen Brief. Der Umschlag trug den Stempel: Feldlazarett Vittel. Die Adresse stammte von einer ihr unbekannten Hand. Die großen, steilen, energischen Schriftzüge erinnerten an die ihrigen. Sie öffnete ihn und las: „Verehrte gnädige Frau! Ich schreibe Ihnen im Auftrage des Herrn Ritt meisters Marow, der vor kurzem hier als Verwunde ter eingeliefert wurde. Er bittet, wenn es Ihnen mög lich ist, um Ihren Besuch. Dieser Bitte schließt sich an - Schwester Josepha." Mata saß schweigend. Der Brief zitterte merklich in ihrer Hand. Ueber den großen schwarzen Augen lag de* langen Wimpern dunkler Schatten. Für Sekunden nur hatte sie sich verloren. Dan» klingelte sie Kara. „Den Wagen bitte! Ich muß ausfahren. Nach dem Kriegs ministerium." „Was ist Euch, Herrin," fragte der Inder, dem plötzliche Entschlüsse seiner Herrin unbekannt waren. Sie war ungeduldig. Da sie aber sein ernstbesorgtes Gesicht sah, sagte sie: „Herr Rittmeister Marow ist verwundet." „Die Götter strafen das Unrecht und die Gerechten leiden mit den Ungerechten." „Kara 1" verwies sie ihn. „Warum ging er von Euch, Herrin, da er Euch kaum erst gefunden hatte!" „Ec ist Soldat — er mußte!" „Mußte? — O diese Fremden! — Sie leben in der Welt und nicht im Geiste. Sie leben dem Körper und nicht der Seele. Sie leben dem Alltag und vergessen die Ewigkeit. Ich verstehe sie nicht! — An ihre Tempel schreiben sie: Liebst eure Feinde und sie töten sich untereinander. — Norma, bekehrt den Sahib mit dem reinen Gesicht zu unserem Glauben." Mata nickte. „Den Sahib mit dem reinen GeWt! Ja, das hat er. Ich will es versuchen Kara." » * (Fortsetzung in der Sonnabend-Nummer.