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MsdmfferTageblatt Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts, gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft/ v«, .Wilsdruffer Tageblatt' erscheint an allen Werktagen nachmittags s Uhr. Bezugspreis: Bei Abholung in der »eschllftsftclle ilnb ben Ausgabestellen 2 AM. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,30 AM., der Postdeftellung 2 RM.-uzügttch Abtrag. .. . gebühr. Einzelnummern lbApsg.AllePostanstallen Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Postboten und un,er-«us. Bilger und lSeschäslsstellen ! —' , ?^men zu :cder,;en Be ¬ stellungen entgegen. 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So bestimmt es die nach langen Wirren voll zogene Vereinbarung der sechs großen Mächte im Haag. Die Widerstände türmten sich gleich zu Anfang der Ver handlungen bedrohlich auf, wuchsen bei dem in Szene ge setzten zeitraubenden Feilschen der Gläubigerstaaten untereinander derartig gigantisch, daß es tagelang den Anschein gewann, jede Anstrengung der deutschen Ver tretung müsse ins Wesenlose verpuffen; wie Shylock würden die Gegner auf ihrem ungerechten Schein bestehen, um das Würgeeisen am Halse Deutschlands so lange enger zu schrauben, bis der letzte Blutstropfen dem gequälten Volkskörper entwichen sei. Bis er zusammen brechen würde und in Zukunft nur noch als geographischer Begriff dem Schalten und Walten der ausländischen Herren ausgeliefert wäre. Wenn diese keinen Trost in sich bergende Gefahr jetzt gewichen ist, so gibt immerhin die Haager Entscheidung der deutschen Staats- und Sittengemeinschaft wieder die Möglichkeit, ihre Schritte der Belebung von Wirtschaft und Zivilisation, von Wissenschaft und Kunst, von sozialer Empfindung und bürgerlichem Wohlsein, mit einem Worte der Steigerung menschlicher Kultur, wieder zuzulenken. Das ist der Gewinn, den wir im Haag errangen, obwohl gewiß kein Anlaß vorhanden ist, in lauten Jubel auszubrechen und ein Gesicht voller Zufriedenheit aufzusetzen, die durchaus unrichtiger Be wertung entsprängen. Die entgegengesetzten Kräfte machten es den Deutschen wahrlich nicht leicht, ihr Jawort zu den Abmachungen zu sprechen, denn die anderen forderten Entgelt, dessen Berechtigung bestritten wurde und bestritten werden mußte. Es war weder angemessen noch entsprach es dem angeblichen Willen zu rückhaltloser Versöhnung. Wir wurden abermals mit Opfern belastet, die zwar noch nicht in jeder Einzelheit klargestellt sind, die jedoch in dem sich an das politische Übereinkommen anschließenden finanziellen in ihrer Schwere deutlich hervortreten. * Deutschland ist genötigt, zu v e r z i ch t e n auf die 306 Millionen, die aus dem Übergang des Dawes- in den Noung-Plan an diesem 1. September als Überschuß ver bleiben. Wir wollten sie verwenden zur Abdeckung der uns auferlegten V c s e tz u n g s k o st e n. Zu einer von allen Beteiligten zum gleichen Zweck zu bildenden Kasse für die noch erwachsenden Unkosten der Besetzung tragen wir außerdem einmalig 30 Millionen bei, streichen ferner als Anerkennung für die beschleunigte Räumung bis 1. Juli 1930 — Wir hatten sie mindestens einViertel- jahr früher gewünscht — die Vergütung der Besetzungsschäden, auf die wir begründeten An spruch besaßen. Dann ist die Lösung der Saarfrage, die eine deutsche Lebensbedingung bildet, kaum in Angriff genommen. England nahm keinen ernsthaften Anlauf, die aus der Beschlagnahme deutschen Eigentums er zielten Erlöse herauszugeben. Schließlich bringen wir statt der im ursprünglichen Noung-Plan festgelegten 660 Millionen ungeschützter Zahlungen, für die weder Aufschub noch Stundung nachgesucht werden kann, 700,5 Millionen in den ersten zwanzig Jahren auf. Später sinken allerdings die Zahlen entsprechend, aber es ist natürlich ein anderes Ding, ob ein erschöpfter Schuldner härtere Schröpfungen bei Beginn der Tilgung oder später zu ertragen hat, wenn er wieder etwas zu Kräften ge kommen ist. * Doch Tatsachen kann man nicht aus der Welt schaffen. Diese Tatsachen brachten vor zehn Jahren das Verdikt von Versailles, bei dem genau so wie einstens zu Zeiten des Brennus das Schwert in der Wagschals lag. Im Haag trat der Einfluß der militärischen Gewalt haber weniger in die Erscheinung und diesem Umstand hat man es vielleicht zuzuschreiben, wenn die deutsche Vertretung das Gespenst einer wieder auszurichtenden fremden Kontrolle im Rheinland, in die sich Briandin der Furcht vor seiner heimischen Delegierten kammer leidenschaftlich verbiß, in die Flucht schlagen konnte. Es bleibt bei dem jetzigen Zustand der gegen seitigen Schlichtungskommission mit Frankreich und Bel gien, im Falle der Nichteinigung bei der Anrufung des Völkerbundes. Freilich wäre es naiv, anzunehmen, Diplo maten seien unter allen Umständen weicher als die Militärs. So stellte es sich bald als ^lluston heraus, ins Engländer hätten ihre eigenen materiellen Interessen um ideeller Ziele willen zurückgestellt. Sie sollten beab sichtigt haben, sich unabhängig zu erklären vom fran zösischen Einfluß auf dem Kontinent, sie waren genergff etwa um unserer schönen Augen halber mehr nachzugeben, als es ihren Kassenberechnungen entspräche. Das Illusionäre solcher Vorstellungen wird klar bet Wur- drgung des oben geschilderten finanziellen Resultats, vu dem England genau so mitwirkte wie die übrigen Gläu biger, um ein Handelsgeschäft zuungunsten Deutschlands abzuschlietzen. vom vswes- 2UM ^oungplsn Gchlußarbeiten im Haag. Ein goldener Füllfederhalter. Freitag mittag 12 Uhr erfolgte in feierlicher Form die Unterzeichnung der gegenseitigen Briefe, in denen die Abmachungen bestätigt werden, durch die Delegierten der sechs einladenden Mächte, und zwar unter Benutzung eines besonders bereit gestellten goldenen Füllfederhalters. Der Austausch der Dokumente über die politische Einigung und die Unterzeichnung begannen um 10 Uhr und waren um 12f4 Uhr beendet. Der Konferenzvorsitzende, Jaspar, hatte die Verhandlungen eröffnet. Dann wiederholte der englische Außenminister Henderson als Vorsitzender des politischen Komitees dessen bereits be kannten Bericht über die geschehene Vereinbarung, betonte die Einstimmigkeit des Beschlusses und verlas den von den Besetzungsmächten an den Reichsautzenministcr Dr. Stresemann gerichteten Vestätigungsbrics. Ebenso wurden die Anlagen verlesen zur Feststellung der Einzel heiten bei der Räumung und bezüglich einer Amnestie wie bei der Räumung der ersten Zone. Dr. Stresemann verlas die deutsche Antwort, die das Einverständnis der deutschen Vertretung erklärte. Nach der Unterzeichnung beglückwünschten sich die einzelnen Hauptdclegierten durch Händedruck. Ebenfalls unterzeichnet wurde das von Henderson ver lesene Protokoll, in dem die Bestimmungen über dieVer - gleichskom Missionen festgelegt werden. Der belgische Vorsitzende Jaspar erhielt als Andenken den benutzten goldenen Füllfederhalter und betonte dabei die symbolische Bedeutung dieses Vorganges. Die in Aus sicht genommene Sitzung des Finanzkomitees wurde mit Rücksicht auf die Verzögerung des Unterzeichnungsaktes auf nachmittags vertagt. Deutsche Verlautbarung. Die deutsche Abordnung im Haag gab eine amtlich« Verlautbarung bekannt, die folgenden wesentlichen In halt hat: Die in der heutigen Sitzung der Haager Konferenz übergebenen gemeinsamen Schreiben der Besetzungs Mächte enthält als hauptsächlichstes Ergebnis der lang wierigen Verhandlungen die förmliche Verkündigung der Räumung. Mit der Räumung soll bereits im Monat September begonnen werden. Die Befreiung der zweiten Zone wird spätestens binnen drei Monaten beendet sein In gleicher Frist verlassen die englischen Truppen, die be kanntlich nur einen Abschnitt der dritten Zone besetzt halten, endgültig das Rheinland. Auch die in der zweiten Zone nntergcbrachten belgischen Truppen rücken innerhalb dieses Zeitraumes ab. Die französischen Truppen, dic dann noch ausschließlich die dritte Zone besetzt halten, wer den mit der Räumung dieses Abschnittes sofort nach der Ratifikation des Uoung-Planes durch das deutsche und das französische Parlament und nach der Ingangsetzung dieses Planes beginnen. Die letzten französischen Truppen werden den deutschen Boden innerhalb der hierauf folgen den acht Monate, spätestens aber Ende Juni 1930, ver lassen. Weiter wird von deutscher amtlicher Seite darauf hin gewiesen, daß Deutschland im ganzen 424 Jahre Vorver legung der Räumungsfrist gefordert und 4^ Jahre erreich! hat. Ferner habe Deutschland erzielt die völlige politische und finanzielle Souveränität. Der Noung-Plan sei nur in bezug auf die ungeschützten Zahlungen verändert worden, in denen die Ansangszahlungen erhöht und die End zahlungen erniedrigt worden sind. Die Durchschnitts zahlung, die ursprünglich auf 660 Millionen beziffert war, beträgt nach der neuen Regelung 654 Millionen. Wenn auch der deutsche Standpunkt bezüglich der 300 Millionen Überschüsse aus der Überschneidung oes Noung-Planes und des Dawes-Planes nicht durchgedrungen sei, könnten wir doch mit dem Ergebnis der Verhandlungen zufrieden sein, das politisch und wirtschaftlich Deutschland wieder frei mache. Die Besetzungsmächte hätten durch die Bil dung eines besonderen Fonds für die Besctzungskosten, zu dem Deutschland 30 Millionen beisteuere und von dem das übrige von den anderen Mächten getragen werden mutz, schon aus finanziellen Gründen selbst ein Interesse an einer beschleunigten Räumung, da weiter entstehende Kosten von ihnen selbst getragen werden müssen. Dr. Wirth über die Vergleichskommission. Reichsminister Dr. Wirth gab in der Sitzung der Politischen Kommission, in der die Entschließung über die Vergleichskommission im Rheinland angenommen wurde, folgende in französischer Sprache abgefaßte Erklärung zu Protokoll. „In dem Augenblick, in dein die Politische Kommission sich über diese Entschließung geeinigt hat, lege ich Wert darauf, besonders zur Aufklärung der deutschen öffent lichen Meinung scstzustellcu, daß die Herren Briand, Hen derson, Hymans, Stresemann und Wirth darin einig ge wesen sind, daß der letzte Satz des Vorschlags Hendersons in dem Sinne aufzufassen sei, daß Deutschland gleichfalls das Recht har, zu jeder Zeit den Rat des Völker bundes gemäß dem Rheinpakt zu befassen, selbst wenn ein Vergleichsverfahren schon im Gange ist. Ich lege Werl daraus, daß diese Erklärung in das Sitzungsprotokoll aus genommen wird." Auf diese Erklärung Dr. Wirths hin hat Briand fest gestellt, daß Deutschland zweifellos das Recht besitze, auf Grund der getroffenen Vereinbarungen jederzeit an den Völkerbund zu appellieren. Die abschließende Sitzung der Konferenz wird wahrscheinlich Sonnabend vor sich gehen. Die deutsche Delegation hat noch keine endgültigen Dis positionen für die Abreise nach der bevorstehenden Schluß sitzung getroffen. Voraussichtlich wird Reichsminister des Äußern Dr. Stresemann und ein Teil der Delegation am Montag wieder in Berlin eintreffeu, während unter Führung des Staatssekretärs von Schubert die übrigen deutschen Delegierten sich vom Haag unmittelbar nach Genf begeben werden. Jie Regelung der Mergangszeit nm Jauer- zum Jaungpla«. Haag, 30. August. In der Sitzung des Finanzausschusses am Freitag kam zwischen Deutschland und den fünf Gläubiger mächten eine grundsätzliche Regelung für die Uebergangszeit vom Dawes- zum Houngplan zustande. Der Inhalt dieses Abkommens ist folgender: 1. Die Gläubigermächte werden für die Uebergangszeit ab 1. September nicht mehr deutsche Zahlungen verlangen, als sie nach dem Houngplan zu erhalten haben; d. h. die fünf Mäch te verzichten auf die Transferierung desjenigen Teiles der Dawesannuitälen, der über die Hvungplanannuitäten hin ausgeht. Alles in allem: Deutschland stand wieder wie im Kriege allein in der Welt, aber der oft prophezeite gänzliche Zusammenbruch aller Hoffnungen ist vermieden worden, gewiß nicht ohne neue Opfer, jedoch das bittere Ende eines gänzlichen Zusammenbruches, dessen Wirkung auf unsere inneren Verhältnisse kaum abzusehen wäre, ist nicht eingetreten. Nun ist der Augenblick da, die Zähne abermals aufeinanderzubeißen, und eines wird uns dabei helfen, die in die Nähe gerückte Wirklichkeit der endgültigen Befreiung deutschen Bodens, das Bewußt sein der Herstellung unserer Souveränität im eigener Hause. Wir dürfen ungehemmt auf der uns nach dem Kriege verbliebenen Wohnstätte die Bruderhände inein anderlegen mit dem Gelöbnis: Nun laßt uns gemeinsam arbeiten für Deutschlands Gesundung! 7—es. Deutsche preffestimmen. Die Aufnahme, welche die Haager Abmachungen bei den verschiedenen Richtungen angehörenden führenden deutschen Müttern gefunden haben, ist erkennbar aus einigen Kommen taren, die wir nachstehend im Auszug wiedergeben: Berliner Lokalanzeiger: „Das ist die „Lösung", gegen die es nur eines gibt: Kampf! Harten, unerbittlichen Kampf; Kampf mit allen Mitteln; Kampf im Namen unserer söhne, unserer Enkel — Kampf im Namen unseres ganzen i-olkes, das einst stolz und groß war und nicht in würgender sklcwenfron zu elender Zukunft dahinsiechen soll und dars." Isi Deutsche Tageszeitung: „So kann man wenig- pens hoffen, daß die Souveränität Deutschlands im gesamten Reichsgebiet in höchstens zehn Monaten wiederhergestellt fein wird. Die deutschen Vertreter haben immerbin nach den rabl- losen Enttäuschungen der letzten Jahre gelernt, sich" in solchen Fragen nicht mehr mit vagen Versprechungen zufrieden zu geben, wie Briand es auch diesmal wieder versucht hat." — Deutsche Allgemeine Zeitung: „Das Spiel ist zu Ende. Die deutsche Delegation hat den beiden finanziellen Bedingungen der Snowden-Lösung zugestimml. Wir haben den Noung-Plan mit seiner Belastung für zwei Generationen, feiner Entlastung für die nächsten paar Jahre. Wir müssen sein Inkrafttreten teurer bezahlen, als es bei geschickterer Ver- handlungslaktik und ohne die Vorbelastung durch die deutsche Demarche nötig gewesen wäre." — Germania: „Wir lieben den Young-Plan nicht, aber wir ziehen ihn als das kleinere Übel vor und als das Mittel, Deutschlands territoriale und finanzielle Souveränität wiederherzustellen und dadurch aus dem Wege zur Konsolidierung Europas und zur Wiederher stellung der Gleichberechtigung Deutschlands einen grotzen Schritt vorwärts zu tun. In diesem Sinne und mit diesem Vorbehalt begrüßen wir das Haager Ergebnis, als einen opferreichen, enifagungsvouen, aver positiven Scyrin zum Frieden." — Berliner Tageblatt: „Das politische und finanzielle Ergebnis der Haager Konferenz, wie es jetzt vor liegt, Wird auch vou denen, die dem Young-Plan als dem kleineren Übel zustimmen, mit nicht ungetrübter Befriedigung aufgenommcn werden. Unbestreitbar ist der politische Erfolg, daß das Rheinland nunmehr bedingungslos geräumt wird/ - .Vorwärts: „Der Young-Plau wird in Kraft treten Dadurch werden lästige, mit der Souveränität Deutschlands schwer zu vereinbarende Kontrollen beseitigt — ein Ergebnis, das gerade von „nationalen" Kreisen eigentlich aufs freudigste begrüßt werden müßte. Denn eine Möglichkeit, durch Kioge und Bankerottankttndigungen die Verhandlungen w flusscn und den zu zahlenden Betrag herabzudruckcn, existiert nicht mehr. Bankeroltankündigungen sind nichts als wir schaftlicher Landesverrat."