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AWng im Winter. Eine Silvestergeschichte von WilhelmineBaltinester. Ein unglaublich Wariner, geradezu österlich Heller Nach mittag am letzten Tage des Jahres. Föhnartiges Wehen über 0en sonnenblitzenden Dächern. In dieser unnatürlichen Wärme sollte man in Ballsäle gehen, tanzen, das Winter vergnügen einer Silvesterredoute genießen? Wie liebkosende Rivieralust wehte es vom Flusse heraus, als Heinrich Elvers neben der lungen Liane Ruth über die Brücke ging. Er begleitete sie auf ihren kleinen Besorgungs gängen und trug ihr wie ein junger Verliebter die vielen zier lichen Pakete. Trotz seiner weißen Haare. Unter diesen« ver frühten, würdigen Silberweiß strahlte ein noch vollkommen faltenloses, jugendfrisches Gesicht, das einem Dreißigjährigen gehören konnte. Gerade an dem Tage, als er dies Alter er reichte, hatte die süße Liane Ruth mit ihrem reizenden Näs chen zum ersten Male die Luft dieser Welt eingesogen. Acht undvierzig war er nun und sie achtzehn. Er liebte sie trotz dem närrisch. Daß es Wahnsinn war, wußte er, aber desto trunkener verbiß er sich in den gefährlichen, erregenden Rausch dieser aufwühlenden Leidenschaft. Sie blieben vor dem Hause stehen, in dem Liane Ruth, die junge Witwe, wohnte. „Kommen Sie heute abend zu mir!" sagte sie mit dem weichen Kinderlächeln ihrer Grübchen- Wangen. „Wir werden ganz allein sein. Oder ist es Ihnen zu langweilig: Silversterpunsch zu Zweien?" Seine Augen gaben beredt Antwort, während er ihre Hand bis zum zarten Gelenk hinauf küßte. Ueber die großen Glastafeln der Haustür, die hinter ihr zugesallen war, tanzten wie bunte Gaukelträume die Regen bogenfarben des goldenen Scheinfrühlingstages. Ueberall wilder Lenzföhn, starkes Licht, unbändiges Drängen und Sausen. Durch diesen falschen Frühling, den sich das Jahr für seinen letzten Tag geborgt hatte, ging Elvers nach Hause. Und alles zusammen: dieser aufreizend warme Tag; diese ge liebte kleine Frau; diese vernunftlose Leidenschaft berauschte ihn mehr als der herbste Silvesterpunsch in großer Gesellschaft oder in kleinen Boudoirs ihn je hätte berauschen können. In seinem Heim stand Elvers gedankenvoll vor seinen drei Smokings. Er wollte denjenigen nehmen, der ihm am jugendlichsten saß. Alle drei stammten von ersten Schneidern. Trotzdem fiel ihm heute die Wahl schwer. Alles, sogar der Kragen, war ihm nicht jugendlich genug. Ihn fröstelte. Hier in der stillen Flucht seiner Zimmer hatte der Frühling, der sich draußen so unwiderstehlich ausbreitete, keine Macht. Hier lauerte noch die dumpfe, greisenhafte Kühle des Winters. Und der liebe, tolle Junge, der Föhn, der heute draußen aus der Straße lärmte und in brausender Jugendkraft den Körper Peitschte und das Blut jagte, hier sank er zu einem kläglich am Fenster verrinnenden Winseln herab, welches das Gefühl peinlicher Einsamkeit verschärfte. Die Sonne verblaßte; es wurde Abend. Immer noch tollte der Föhn durch die Stadt. Elvers ging zu Liane Ruth. Seine Stirn war grübelnd gesenkt. Wenn es mitten im Winter Frühling werden konnte, worum sollte es nicht mög lich sein, daß ihn das junge Weib liebte? Hatte er nicht den Vorzug, heute, am Silvesterabend, ihr einziger Gast zu sein! Jetzt stand er vor ihr. Sie nahm feine Hand zwischen ihre beiden kleinen Streichelpfötchen. „Ich bin so gern mit Ihnen allein! Sie sind so lieb und gescheit!" lächelte sie zu ihm aus. Da suhlte er, wie die kalten, ermüdenden Zweifel ihre langen Krallen von seinem Herzen lösten, daß er wieder frei atmen konnte Sie liebte ihn! Zwischen ihnen dampfte der Punsch; die Lüster flammten. Liane Ruths Porzellanzartes Gesichtchen war ihm atemnah. Heute mußte es gesagt werden! Lianes roter Kindermund spaltete sich zu einem Seufzer. Die verträumten Augen waren auf das vom Abend ver- Sunkelte Fenster gerichtet, wo eine Riesenpalme 'mit feierlich aufragender Krone stand. „An der Riviera sind auch Pal men ..." träumte ihre Stimme mit girrender Zärtlichkeit. „Denkt die kleine Frau jetzt an die Riviera?" fragte er, sich zu ihr neigend, und nahm sich vor, dort die Flitterwochen mit ihr zu verbringen. Sie holte ihren blauen Blick aus tiefer Versonnenheit zurück, sah den Freund an und sagte bittend: „Sie Guter! Ick muß Sie etwas fragen. Aber raten Sie mir ganz ehrlich, ia? Wissen Sie, van Gook, der Maler, liebt mich. Aber ich be fürchte, daß sein wildes Temperament zuviel Gewalt über seinen Charakter bekommen könnte. Ich weiß nicht, was ich iun soll! Da ich mit meinem Jawort so lange zögerte, ist er böse geworden und an die Riviera abgereist!" plötzlich aufweinend, sank sie dem totenblassen Elvers an sie Schulter. „Bitte, geben Sie mir einen Rat. Ich — bin — ,a so ver—zwei—felt! Soll ich ihm nachfahren? Ich )ab' ihn doch — so lieb!" Eine neue Salome. Aus Indien wird berichtet, daß vor kurzem dort das Gericht die wunderschöne Tänzerin Hadime aus Java zum Tode verurteilt habe, und zwar aus einem Grunde, der in vielem an die biblische Salomegeschichte erinnert innert. Seit einem Jahre, heißt es, waren zahlreiche vor nehme junge Männer Kalkuttas in Hadime verliebt. Sie pflegte nur in den Häusern der Adligen zu tanzen. Sie drückte durch ihre Tänze indische Poesie aus. Auch hatte sie keinen Geliebten. Umsonst versuchten oft reiche und vor nehme Jünglinge, durch kostbare Geschenke ihr Herz zu gewinnen. Die Tänzerin aber wies sie alle ab. Mau nannte sie den „marmornen Götzen". Vor kurzem nahm nun sich einer ihrer Verehrer aus Verzweiflung das Le- ben, nachdem er einen Brief an Hadime gerichtet hatte, tu dem er sagte, es lohne überhaupt nicht, ohne sie zu leben. Dessenungeachtet tanzte Hadime am selben Abend. Es geschah aber, daß endlich auch sie selbst sich in einen adligen Inder verliebte. Aber umsonst bemühte sie sich, ihn zu Überzeugen, daß gerade er ihr Auserkorener wäre Der junge Hindu hatte für sie nur Verachtung und wollte nie mit ihr zusammenkommen. Eines Abends br gehrte sie, machtlos über sich selbst, den Jüngling zu küssen. Der Inder stieß sie von sich. Darauf leistete Hadime einen Eid, sich zu rächen. Einige Tage später erschien ein reicher Jüngling be ihr und bat sie um ihre Hand. Hadime willigte ein, jedock unter der Bedingung, daß er ihr als Geschenk den Kop' des jungen Mannes brächte, den sie jetzt haßte. Der Jüng> ling, blind in seiner Liebe, ließ durch gedungene Mörder den Mann töten, ihm das Haupt- abschneiden und es der Hadime bringen. Am selben Abend legte sie das Haupt auf die Erde und fing an, weinend und zitternd im Kreist darum zu tanzen. Beim Tanzen redete sie das mit Mn« befleckte Haupt an, sprach liebevolle und zarte, zuwe'lev aber auch Schimpfworte zu ihm. Dann drückte sie den Kops an ihre Brust, schaute in die halboffenen Augen und fing an, von ihrer Liebe zu singen, bis sie bewußtlos zur Erde siel. Vor Gericht bereute sie gar nicht. Sie fand ihre Rache natürlich. Als die Richter ihr sagten, daß auch sie sich oft ihren Verehrern gegenüber unbarmherzig verhalten hätte, zuckte Hadime höhnisch die Achseln. Dr. Ä. Das Lahr im Sprichwort. Der Abschluß eines Jahres erschien den Menschen immer als ein wichtiges Ereignis und so sind denn auch Sprichwörter über das Jahr entstanden, von denen nur einige hier angeführt werden sollen. In einem noch »ns der mittelalterlichen Zeit stammenden Sprichwort heißt es: Wer vor zwanzig Jahren nicht hübsch wird Und vor dreißig Jahren nicht stark, Vor vierzig Jahren nicht witzig, Vor fünfzig Jahren nicht reich, An dem ist alle Hoffnung verloren. In einem anderen Spruch heißt es: Gleich vollen Segeln flieh'n die Jahre Mit ihren Augenblicken fort. ^on Grabbe stammt der Spruch: Das Jahr ist kurz und lang die Stunde Von Goethe stammt der Sinnspruch: Hat einer dreißig Jahr' vorüber. So ist cr schon so gut wie tot. Am besten wär's. euch zeitig Ein Spruch heißt: Jahre lehren mehr als Bücher und ein anderer: Das Jahr hat ein weites Maul und einen großen Mage«. Rüssel, Pranke und Tatze. Don Arthur Berkun-Wulfen. Wenn man in einem Zirkus der Vorführung von Bären oder Elefanten beiwohnt, so mag man oft den Eindruck ge winnen, daß es vielleicht sehr schwierig ist, den Tieren die staunenerregenden Kunststücke beizubringen, die Lösung die ser Aufgabe aber doch verhältnismäßig ungefährlich und harmlos sein mag. Bären und Elefanten werden nämlich landläufiger Weise immer zu den Gemütsathleten der Tier welt gerechnet, und doch geben gerade diese beiden dem Dres seur, oder besser gesagt dem Tierlehrer viel schwierigere psy chologische Rätsel auf wie z. B. Löwe und Tiger. — Großkatzen lassen ihre Seelenstimmung viel leichter er kennen. Ein tüchtiger Tierpsychologe vermag in ihrem Gemüt zu lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. Trotzdem ent stehen im Umgang mit diesen lieben Tieren bisweilen ganz verteufelt prekäre Situationen. Besonders heftig ist das Temperament des Tigers, wäh rend der Löwe erheblich phlegmatischer ist. — In der Art an zugreifen sind aber diese beiden vollkommen verschieden. Der Löwe pflegt mit großer Heftigkeit anzugreifen und meint seinen Angriff auch stets ernst. Dabei ignoriert er für ge wöhnlich Abwehrmittel seines Lehrers — Stange, Revolver vnd Peitsche — und attackiert den Menschen selbst. Leichter erregbar ist der Tiger. Blitzschnell geht er um kleiner Ursache willen zum Angriff über, aber ebenso schnell wie er entstanden, ist in den meisten Fällen sein Zorn auch verraucht. Ein heftig aufbrüllendes Fauchen, ein wuchtiger Schlag nach der vorgehaltenen Stange vermag ihm sein see lisches Gleichgewicht wiederzugeben, auch richtet er im Gegen satz zum Löwen seinen Angriff gegen die vorgehaltene Waffe. Er ist ein rasch aufbrausender, aber dafür auch schnell be- schwigtigter Choleriker, im Grunde seines Wesens aber ist er ein anschmiegsames, liebesuchendes Geschöpf. Das mag wohl etwas sonderbar klingen, denn man ist immer geneigt, Raubtiere für eine Art „Schwerverbrecher der Tierwelt" zu halten. Ausgesprochene „Derbrechernaturen" sind aber beim Raubtier ebenso selten wie z. B. bei Pferd oder Hund. Natürlich bleibt trotzdem ein Raubtier immer ein solches, selbst wenn es sich bereits seit Generationen in Gefangenschaft befindet. Und gerade das in Gefangenschaft geborene Tier wird viel leichter „aufsässig" als das eingefangene, denn der Wildfang hat von Natur aus einen größeren Respekt vor den Menschen, wie das in Gefangenschaft geborene Tier, dem der Umgang mit Menschen nichts Außergewöhnliches und Achtunggebietendes bedeutet. Unendlich viel Liebe und Geduld gehört dazu, sich dem Tiere verständlich zu machen. Mit Gewalt oder mit Roheit ist nichts zu erreichen und das Großraubtier ist sich seiner Kraft auch viel zu bewußt, um sich eine derartige Behandlung gefallen zu lassen. Bedeutend schwieriger zu verstehen als die der Groß katze ist die Gemütsart von Bär und Elefant. Der junge Braunbär, der richtige läppische „Teddy", ist verhältnismäßig harmlos und gutmütig, je älter und größer er aber wird, um so gefährlicher wird der Umgang mit ihm. Umgekehrt ist es beim Eisbären, hier ist es das Jungtier, das sich durch ganz außerordentliche Bissigkeit und Angriffslust auszeichnet, wäh rend der ausgewachsene Polarbär ein ruhiges und ausge glichenes Temperament hat. Der Angriff eines Bären bedeutet für den Menschen allerhöchste Gefahr und geschieht zumeist ohne erklärbare Ur sache wie ein Blitz aus heiterem Himmel, dabei von einer spontanen Heftigkeit und Schnelligkeit, daß es dem Dompteur nur in den seltensten Fällen gelingt, ihn abzuwehren oder sich in Sicherheit zu bringen. Wie aus der Kanone abgeschos- sen stürzte sich der noch eben bestgelaunte Bär auf den Men schen. Der Angriff richtet sich stets gegen die Beine des Fein des, um ihn durch Bisse von unten nach oben zu Fall zu bringen. Niemals greift der Bär aus aufrechter Stellung an, wie es häufig in Abenteuerergeschichten geschildert wird. Kaum eines Tieres (abgesehen vom Elefanten) Angriffs lust ist so schwer zu brechen, wie die des Bären, und ledig lich ein bis zur halben oder völligen Bewußtlosigkeit sühren- der Hieb auf das Nasenbein bildet eine geeignete Abwehr. Es gehören aber Kraft und Geschicklichkeit dazu, ihn aus zuführen, und in den meisten Fällen wird es dem angegrif fenen Dompteur nicht mehr möglich sein, sich des Angreifers zu erwehren, so daß Bärenangrfffe gewöhnlich außerordent liche Verletzungen — wenn nicht gar den Tod des Angegrif fenen zur Folge haben. Ueber die eigenartige Seele des Elefanten weiß am fes selndsten Hans Stosch-Sarrasani, der populärste und in der ganzen Welt bekannte Zirkusmann zn berichten, und wohl selten hat es einen Forscher gegeben, der tiefer und lie bevoller in die wahrhaft geheimnisvolle Psyche dieser Urwald riesen eingedrungen ist. Stosch-Sarrasani ist einer von den ganz wenigen, der lebend den Füßen eines wütenden Elefanten entkam. — Allerdings wurde auch er zum Entsetzen des anwesenden vieltausendköpfigen Publikums fast zu Tode verletzt und erst nach langem schwerem Krankenlager wieder genesen. Urplötzlich, ohne jedes vorangegangene Zeichen einer Mißstimmung, stürzte sich das gewaltigste seiner Tiere wäh rend der Vorführung auf ihn, hob ihn mit dem Rüffel in die Höhe und schleuderte ihn etwa sechs Meter weit über den Rand der Manegenumrandung. Sarrasani fühlte sofort den stechenden Schmerz eines Schulterblattbruches, und ehe « noch den Versuch machen konnte, sich in Sicherheit zu bringe», hatte sich der Angreifer seiner wieder bemächtigt und zog ih* am Bein in die Manege zurück, wo er ihn mit Rüffel und Füßen zu bearbeiten begann. Beim Schwinden des Bewußtseins sah Sarrasani noch den gewaltigen Fuß des Dickhäuters wenige Zentimeter über seinem Haupte zum Stoß bereit. Ader oft genug hatte er dem Unheil und dem Leben mit seinem harten Schädel getrotzt — eine letzte verzweifelte Bewegung, Millimeter nur, aber sie genügte, daß der furchtbare Tritt nicht tödlich wirkte. — Aber wieder wandte ver graue Koloß, der genau merkte, daß sein Werk noch nicht vollendet war, sich seinem Opfer zu. Ge lähmt vor Entsetzen stehen selbst die mutigsten Leute Sarr«- sanis, ohne tatkräftige Hilfe zu leisten, — da im allerletzten Augenblick wirft sich eine hohe Frauengestalt dem rasenden Untier entgegen, und ein mit der Kraft der Verzweiflung geführter Hieb mit dem schweren Elefantenhaken wider die Stirn des rasenden Tieres läßt es einen Augenblick stutzen, um sich dem neuen Angreifer zuzuwenden, — ein Augenblick, der den anderen genügt, Sarrasani in Sicherheit zu bringen. Nur größte Hingabe und Liebe vermag Menschengeist diesen Mut und diese sekundenschnelle Tatkraft vermag Men schenhand solche gigantische Kraft zu verleihen. Maria Stosch- Sarrasani hatte ihrem Gatten das Leben gerettet! — Und seltsam aber typisch für die Eigenart der Elefanten — einen Augenblick steht das Tier noch mit hocherhobenem Rüffel furcht- und grauenerregend in seiner sinnlosen Wut, dann schüttelt es sich ein klein wenig, so als ob es eine peinliche Er innerung aotun wolle und ist wieder so brav und so freund lich wie ein Lämmchen. Seltener, unvergleich viel seltener als beim Groß-Raub tier geschieht bei Bären und Elefanten Wutausbruch und An griff gegen den Menschen, dann aber mit verheerender Hef tigkeit. Und der Prozentsatz der Elefantendreffeure, die an ihren Tieren zugrunde gehen, ist ein weitaus höherer, als der durch ihre Tiere getöteten Raubtierdreffeure, wenn auch deren Körper zumeist eine ganze Landkarte an Narben von allerhand mehr oder minder schweren Zusammenstößen mit ihren (trotz allem) Lieblingen ausweist.