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- Erscheinungsdatum
- 1926-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192606233
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19260623
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19260623
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-06
- Tag 1926-06-23
-
Monat
1926-06
-
Jahr
1926
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SS»»«»»»»»»»»»»»»»«»«»»»»»»«»»»"»»»»»»»»»»»,» : » » s 3 « r « » u Um Iieimileden Iierc! UntervsItungsbeNsge rum ..AHsanMei' Lagebistt" — Amtsblatt. Aus -er Geschichte -er Perleniischerei. Von Dora Z a n t n e r - B u s ch - München. Die inländischen, also deutschen Perlen, — Gebilde der Flußperlmuschel — klein wie Hanfkörner, oder größer, einer Erbse ähnlich, kommen in bläulich-rötlicher, ins graue, zuweilen ins bräunliche spielender Farbe vor. Die wertvollsten — vollkom men rund — werden Perlentropsen, auch Perleuaugen genannt, andere, die mehr zerdrückt und unansehnlicher sind, kommen als „Barockperlen" in den Handel. Die Perlmuschel findet sich in möglichst kalkarmen Gebirgs bächen, mehr aber der Mündung derselben zu, wo das Wasser langsamer zu fließen beginnt. Bayern, Sachsen, auch ein Teil >der östlichen Lüneburger Heide sind die Gegenden Deutschlands, in denen sie gesunden werden. Am reichsten ist Bayern, die -Bäche des bayrischen Waldes, besonders der Regen und die Ilz mit diesen Muscheln besetzt. Dann die Gewässer des Obermains, das Fichtelgebirge überhaupt, wo die Flußbette an einigen Orten wie gepflastert mit diesen Muscheln erscheinen. Die Ausbeute der Perlen, die wir doch eigentlich mehr aus -Ost- und West-Indien zu beziehen gewohnt sind, war seit Jahr hunderten schon unter staatlicher Aufsicht. Naturforscher frü herer Zeit glaubten, das Muscheltier selbst sei die Veranlassung zur Entstehung der kostbaren, zartschimm'ernden „Frucht", indem ! die Sekretion, der Saft, den das Tier ausspritzt, oder auch aus schwitzt, sich nach und nach verhärtet und allmahlig so zur Perle 'wird. — Das Reine, Durchscheinende der fremdländischen, besonders -der orientalischen Perlen, fehlt den inländischen Stücken wohl Meist, trotzdem kommen Einzelexemplare deutscher Ernte jenen -an Glanz, Schönheit und Schmelz des Farbenspieles ziemlich jnahe. Betrüblich ist nur, daß unter tausenden von Muscheln - kaum eine ist, die eine einigermaßen schöne Perle enthält. Im Obermainkreis wurden früher durchschnittlich jährlich -10—60 Stück kleinere und mittlere Perlen gefunden, im Regen- und Donaukreis nicht viel mehr. Unvernunft und Habgier haben auch hier durch Raubbau schwer gesündigt. Ein hervorragend schönes, größeres Exemplar zu erhaschen, galt immer als Glück, das denn auch allgemein unter den Perlen fischern großen Jubel auslöste und die Arbeit für diesen Tag -sofort beschloß. 1687 ward in der Ilz eine Perle gehoben, die »oamals aus 2000 Reichstaler geschätzt wurde, eine recht respek table Summe in jener Zeit. 1616—19 erließ man eigene staat liche Verordnungen über die Perlenfischerei, um dem Raubbau zu begegnen, und die Uebeltäter, die sich unterfingen, dagegen zu handeln, wurden u. a. mit dem sog. „Schnellgalgen" gestraft, also ziemlich derb und unter allerlei entehrendem Beiwerk ins Wasser getaucht. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts erin nerten noch am Gschwellbach bei Wörth a. D. einige „Schnell- galgen"-Reste an diese radikale Rechtsvollstreckung. Alle sieben Jahre, solange schätzte man der Perlfrucht Reife damals, wurden in Gegenwart staatlicher Kommissare die Perlen bäche abgegangen: in den Obermaingewässern, wo man übrigens erst gegen das 18. Jahrhundert aus das Vorkommen von Perlen »aufmerksam wurde, aber öfters. Dabei wateten die Fischer die .Bäche und Flüsse hinauf bis zur Grenze des Mufchelvorhommens überhaupt, nahmen die Muscheln, die sie nach Aussehen und Größe für „befruchtet" hielten, heraus und öffneten sie mit einer breiten Gabel. Die Perle ist meist am Rande angewachsen, oder sie ist am Tiere selbst frei liegend. — Muscheln, die eine Vertiefung, eine Furche oder einen Höcker hatten, im Aussehen also abweichend waren, fanden die besonders liebevolle Auf merksamkeit der Fischer. — Im großen und ganzen war die inländische Perlenfischerei nie sehr rentabel. Die schönsten und wertvollsten Funde wurden für den landessürstlichen Hof bestimmt, das Uebrige verkauft. Bereits im 18. Jahrhundert waren in Münchener Zeitungen zu weilen Versteigerungen bayerischer Perlen angekündigt. Heute weiß man auch bei uns — den Chinesen scheint dies schon im Altertum bekannt gewesen zu sein, — daß die Perle eine ungewöhnlich reiche, eigentlich krankhafte Absonderung von -Perlmutt ist, und zwar an der Stelle der Muschel, an welcher etwa durch einen eingedrungenen Fremdkörper, Algen, Würmer, Steinchen usw. ein besonderer, dem Tiere offenbar lästiger Reiz ausgeübt wird. Worte in -er Nacht. Skizze von Werner Schulz- Oliva. Wie ein weicher, dunkler Schleier war die Nacht über Anda- ! lusien gekommen und hatte die Türme Sevillas versinken lassen s in ihrem unendlichen Schatten. Marchenselig stieg der Traum !aus tiefen Versunkenheiten, und die Erde sang aus stillen 'Bronnen. In den Gassen der Stadt und den weilen Aileen erwachten lausend und abertausend bunte Lichter, wurden Kranz und Kette, wanderten weiter und weiter, liefen durcheinander und wurden am Ende ein einziges Leuchten, ein Meer in Farbe und Glut. 'Die Seele des Südens ward glückliche Offenbarung. Ich war abseits gegangen von Straße und Stadt, und die Einsamkeit der Murillogärten nahm mich warm und wundersam auf: zwischen Baum und Busch stand eine weihe Bank in kühlem - Stein. Ganz fern und leise war der Lärm der Menschen gewor- - den, eine unbewußte Melodie nur noch, von der man nicht weiß, i woher sie stammt, und die müde macht, sehr müde. Ich schloß die Augen und sah doch silberne Sterne zwischen den gesplitterten iZweigen der Palmen, die sich manchmal ganz ruhig hoben und senkten. Ich glaubte zu schlafen, aber immer träumte ich von dem Klang des Abends, der so weit fort war, daß er in dem feinen Rinnen des springenden Brunnens ertrank. Schwer und süß war ringsum der Duft von Rosen und Glyzinien. Sehr lange muh ich so gesessen haben. Es war, als ob ich aus langem Schlaf erwachte, als ich die Lider hob. Immer noch kam der Lärm der Straßen gedämpft her, und die bunten Lichter ketten flossen wie endlose Ströme durch den Schatten der Büsche und Bäume. Hin und ivieder schien es, als ob der Schlag von Kastagnetten in buntem Tanz im weichen Nachtwind war. Als ich aufstehen wollte, sah ich auf einer zweiten ganz ver borgenen Bank mir gegenüber dunkel und schattenhaft eine Ge- s statt. In gleichmäßigen Abständen glühte der kleine rote Funke seiner Zigarette auf und sank, langsam blaß werdend, jedesmal ! wieder herab, bis er endlich tief im Busch zitternd verglühte. ' Die Gestalt aber regte sich nicht, düster und unheimlich schatteten , ihre Umrisse wie ein Schicksal, vor dem man sich fürchtet. Etwas I Unbegreifliches war darum, wie es in seltsamen Stunden unseres Lebens aussteigt aus zeitlosen Verlorenheiten, Dinge, die wir nicht erkennen. Eine ganze Zeit blieb ich regungslos im Bann dieser frem- ' den Gestalt, dann atmete ich hörbar einige Male. Der Andere - blieb still, als wäre jede Bewegung in ihm tot. Ich tat, als ob ich mich bequemer setzte, und pfiff zwei, drei Takte eines alten , Liedes. Immer noch war der Schatten drüben in seiner gleichen, wie es schien, lauernden, leicht geduckten Haltung. Ich weiß nicht, was es war, ich war willenlos, wollte aufstehen, aber es war unmöglich. Meine Gedanken kreisten um das Geschehen des Augenblicks. , Im 18. Jahrhundert scheint man in deutschen Perlengebieten noch nicht im Besitz des LinnSschen Geheimnisses gewesen zu sein, Perlen in der Myamargaritisera beliebig erzeugen zu können, also künstlich echte Perlen zu erzielen. Der große schwedische Naturforscher — auch Schweden liefert Flußperlen — hatte im 18. Jahrhundert fein Geheimnis streng bewahrt, es sogar im schwedischen Reichsarchiv hinterlegt. Er riet, die Muschel an verschiedenen, oder auch nur an einer Stelle an zubohren, und ein Steinchen in das Innere einzuschieben. Das Beschwerliche und Ungewohnte des Fremdkörpers sollte das Tier reizen, es zu besonderer Schleimabsonderung, damit wieder zu Zer Tag. Noch ruht er in den schattenschweren Dlunven Die tief in Mitternacht versunken liegen. Ob er auch ungezählt schon durfte siegen, Fühlt er sich enger stets dem Licht verbunden. Und plötzlich hebt er seine starken Schwingen, Daß fern im Wald die Vögel horchend wachen. Und die Natur kann er lebendig machen, Wenn feine Stimme tönt wie Glockenklingen. Er weckt auch dich aus deinem dunkeln Träumen Und heißt dich nach der gold'nen Sonne schauen, Die grüßend spendet wundertiefen Segen: Er will kein Ziel und keinen Weg versäumen, — Um lichtweit Land und Meer zu überbauen Rauscht er der letzten Dunkelheit entgegen. Franz Cingia. Umhüllung des Fremdkörpers mit der glänzenden Perlmutt substanz veranlassen, wodurch das Entstehen der „Frucht" — wenn dies nicht vielmehr als Erkrankung anzusprechen ist — bewirkt wird. Die Perle ist ja nichts anderes, als ein Aus wuchs der inneren Schale. Uebrigens erwies sich diese Linnssche Theorie in der Praxis glänzend. Denn der schwedischen Königin, deren Leibarzt Linns gewesen, wurde durch sein Forschungsergebnis ein kostbarer Per- lenschmuck aus den Bächen ihres Landes angeschafft, der ihm selbst, dem großen Gelehrten, den ehrenvollen Orden des Polar sternes eintrug. Bei der durchschnittenen Perle natürlichen Vorkommens, — auch bei den wertvollsten indischen, — ist sehr oft der Kern, also der die Perlenbildung anregende Fremdkörper wahrzunehmen. Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts befaßten sich baye rische Forscher eingehend mit der inländischen Perlenfischerei, ihrer Hebung und dergl., allem Anschein nach ohne nennens werten Erfolg. — Die inländischen Perlen begegnen uns in Museen vielfach auf den prachtvollen altdeutschen Schmuckstücken, finden natür lich auch heute noch ähnliche Verwendung, und sie gereichen all diesen Schmuckjachen zu einer in der Tat herrlichen Zierde. Aphorismen. Von M. A. v. Lütgendorff. In jedem Leben kommt eine Stunde, in der man fühlt: nun geht es abwärts. Aber daraus kommt es an, wie man diese Stunde erlebt. Manche Menschen sind uns treu wie unser Schatten, denn sie sind bei uns, solange die Sonne leuchtet, und verschwinden schnell, sobald es dunkel um uns wird. Wenn wir bewußt gütig sind, find wir es nur halb. Wer allem Schein mißtraut, sieht schließlich auch kein Licht mehr. Ciegsrie-s Amboß. Eine heitere Theatererinnerung von vr. Wilhelm Hagen. Mit dem Vornamen hieß er Karlchen und war, bevor er die bayrische Haupt- und Residenzstadt um einen Gesangslehrer vermehrte. Heldentenor. Ueber seinen Familiennamen und die hauptsächlichsten Stätten seines Wirkens wollen wir den Mantel . christlicher Nächstenliebe breiten und nur verraten, daß feine - Stimme groß, feine Einbildung noch größer und seine Ansprüche am größten waren. Er war ein Jahr an der Wiener Hosoper engagiert, und als er die österreichische Kaiserstadt wieder ver ließ, nahm er den ganzen Wiener Größenwahn, der in den Ge wölben dkeses Kunstinstituts besonders für Tenöre gezüchtet wird, mit aus seine Künstlersahrten. Karlchen reiste. Er sang die bekanntesten und beliebtesten Wagnerpartien, ohne irgendwo festen Fuß fassen zu können, und gastierte damit, teils aus Anstellung, teils als Aushilfe in einer Unzahl deutscher Städte. Und so geschah es, daß er auch ein mal als Jung-Siegfried an die Hamburger Oper berufen wurden, an der gerade wieder einmal der Ring gespielt werden sollte. Karlchen traf so spät in der berühmten Hansastadt ein, daß der Regisseur eben noch soviel Zeit hatte, dem großen Gast not dürftig die Bühne zu erklären: denn Proben brauchte Karlchen, nach feiner übrigens alleinstehenden Ueberzeugung, nicht, und so genügte es ihm, wenn ihm der Regisseur, so schnell das eben ging, die in Hamburg üblichen Stellungen erklärte. „Sie können sich auf der ganzen Bühne frei bewegen, Herr Kammersänger," dozierte der Spielleiter, „nur hier hinter dem Amboß ist die Sprungfeder für den Aktschluß! Auf die dürfen Sie erst treten, wenn Sie singen: „So schneidet Siegfrieds Schwert!" Dann schlagen Sie mit dem Schwert auf den Amboß, und dann fällt dieser auch sofort auseinander." Karlchen nickte verständnisinnig, verbeugte sich und ent- schwand in seine Garderobe, um sich anzuziehen. Bereits in der ersten Szene mit Mime aber tollte er wie ein wildgewordenes Kaninchen auf der Bühne herum, hopste dabei aus die Sprung- feder, und der Amboß fiel mitten im Akt ohne jeden ersichtlichen Grund auseinander. Auf der Bühne herrschte größte Bestürzung. Der Re gisseur überlegte bereits, ob er den Vorhang fallen lassen sollte, da sprach der Darsteller des Mime seitwärts in die Kulissen hinein: „Das mach ich schon wieder gut." Und richtig spielte sich der routinierte Sänger mit den typi schen Buffobewegungen unauffällig an den Amboß heran, um faßte ihn rückwärts mit beiden Händen und drückte ihn zu sammen. Der Amboß war wieder in Ordnung. Alles freute sich, der Regisseur strahlte. Da stieß ihn plötzlich der Inspizient an und flüsterte entsetzt: „Da muß etwas passiert sein!" „Wo?" fragte der Spielleiter und starrte wie gebannt auf die Bühne. „Dort!" antwortete der Inspizient und deutete auf den Amboß. „Sehen Sie nur: der Mime kommt ja nicht mehr von dem Amboß los!" Und tatsächlich hatte sich der Darsteller des Mimen bei der gefährlichen Prozedur des Amboßzusammendrückens icin Mime hemd in den Amboß eingeklemmt und hing nun fest. V-riuneN-lt Überlegte der Megisseur, was zu tun wäre. Schließlich gab er dem Darsteller des Wanderer, der die nächste Szene hatte, den Auftrag, noch einmal auf die Sprungfeder zu treten, damit der Amboß wieder auseinanderfiele und Mime frei würde. Prompt entledigte sich der Heldenbariton dieses unge wohnten Auftrages: der Amboß klaffte zum zweiten Mal mitten » im Akt auseinander, und Mime war frei. ... Aber nun war der Amboß wieder nicht in Ordnung, und es , dtteb somit nichts übrig, als daß Mime sich noch einmal an! den Amboß heranwagts, „w zusammen zu drücken. Das Wagnis gelang. Mun- sogar diesmal sein Hemd nicht wieder ein. Als aber dann Aktschluß kam und Karlchen brüllte: „So schneidet Siegfrieds "«'»t - ha streikte der Amboß. So sehr Karlchen auch sang und mit oem Schwert auf den Amboß schlug —, der Amboß war nicht aus einander zu bringen. Karlchens Stimme überschlug sich, das Schwert sprang in Stücke, aber der Amboß blieb unerschüttert stehen. Und Karlchen wurde wieder einmal nicht engagiert. Da war es, als ob die fremde Gestalt sich etwas aufrichtete, und ganz langsam, fast traumgesprochen, kamen Worte zu mir, Worte in reinem, säst singendem Deutsch: „Fürchten Sie sich vor mir oder ist es die Nacht, die auf Sie einwirkt?" Und ohne eine Antwort abzuwarten, sprach der Fremde weiter: „Sie wer den es nicht begreifen, warum ich deutsch zu Ihnen spreche, aber Sie kamen dicht an mir vorüber, und ich wußte, daß Sie nichts anderes sein könnten. Wenn man nichts mehr von feiner Heimat weiß, hört man tiefer die Wunder ihrer Ferne und sieht die Menschen der Heimat mit anderem Blick. Wissen Sie, was es bedeutet, ohne Heimat zu sein, zwischen den Zeiten zu stehen in leerem Raum? Sprechen Sie nicht. Worte tun mir weh, stehen Sie auf und setzen Sie sich auf meine Bank. Sie sehen dann den Stern besser, den ich liebe. Glauben Sie, daß er mich kennt? Er spricht manchmal zu mir. Ganz seltsam ist das, Sie werden es nicht verstehen. Kommen Sie, ich bin sehr müde, es könnte sein, daß ich Ihnen meine Geschichte erzähle." Ganz gleichmäßig, tonlos, ohne jeden Kräng' hatte er die Worte gesprochen. Aber hinter ihrer Klanglosigkeit standen Schreie, brannte Verzweiflung und schauerte lichtlose Nacht. Als ob ich einem unwiderruflichen Befehl nachkam, erhob ich mich und trat zu ihm. Die Bank war schmal und ließ uns keinen Zwischenraum. Der Fremde hatte seine großen eckigen Hände um die Kniee gelegt, sein Gesicht war von irgend einem Licht weiß beleuchtet, nur unter seinen Augen dunkelten tiefe Schatten. Wirr und strähnig hing sein Haar über die eingefurchte Stirn. Steil und weit ragte leine Nase darunter hervor. Am Tage muß er sehr häßlich sein, kam es mir in den Sinn, die Nacht jedoch gab ihm seltsame Feierlichkeit. Eine Zeitlang saßen wir ganz still. Nur die Palmen über uns hoben und senkten zackige Zweige. Dann begann der Fremde, während er sich langsam eine Zigarette rollte, in seiner gleichmäßigen Tonlosigkeit zu erzählen. Von Deutschland sprach er, von irgend einer kleinen Stadt zwischen Wiesen und Wäldern, von Kim-erträumen und Knabenspielen. Und Bäumerauschen und Bacheswandern war in seinen Worten. Schuljahre kamen, auf den Wegen im Land waren Mädchenlieder und wie ein unbe- grifsenes Wunder offenbarte sich ihm die Kunst. Zuerst waren es Striche, eine Birke am Fluß, ein Bauernhaus mit schiefem Dach. Dann spielten bunte Farben darin, Wolken und Himmel. Wo er war, malte er das Lied seiner Jugend. Freunde vergöt terten, blonde Mädchen lächelten selige Verheißung und eine gütige Mutter strich weiches Knabenhaar. Da glaubte er die Welt offen zu sehen mit goldenem Tor und verheißungsvollem Weg. So ging er zur Akademie, ein Wissender, ein Kommen der, und lächelte über die, die da lernten. Kunst ist Seele, und seine Seele war lodernde Glut. Niemand aber stand neben ihm und strich seine Stirn. In der kleinen Stadt starb eine alie Frau, die Freunde waren weit fort, irgendwo im Kreis des Lebens, nur die Mäd ¬ chen noch sangen in Straßen und Gassen und Schenken. Was waren die Menschen, diese Bauern und Bürger, dumpf rannen ihre Tage und eng grenzten ihre Hirne. Er aber war Gott, war Schöpfer und Künder. Und die Mädchen in Schenken hoben die Gläser und lachten und tranken. Tage, Wochen und Jahre wurden und starben. Abseits von allen stand er allein und fand den Steig nicht zur Tat und zur Wahrheit, der ewige Fluch des eitlen Glaubens. Und er ließ die Heimat und ging in die Ferne. Den letzten Willen in ihm verbrannte der Süden. Der Fremde fchwieg, seine Stimme schien heiser, er strich sein strähniges Haar aus den Augen und lachte bitter. „Haben Sie schon einmal ein buntes Heiligenbild hier gesehen oder be malte Kastagnetten und Tamburins, die die Fremden sich kaufen, wenn sie aus dem Alkazar kommen und durch die Gassen schlen dern, darüber der Giralda steht? Haben Sie schon einmal ge sehen? Wenn nicht, dann suchen Sie morgen danach, und Kausen Sie etwas davon. Das male ich jetzt. Tag für Tag. O, ich habe eine Fertigkeit darin wie kein Anderer. Ich habe sogar feste Verträge." Ein unterdrücktes Lachen stieß sich an seinen Zähnen, häßlich und wie eine bittere Wildheit war es. „Das ist meine Geschichte. Sie werden sagen, daß sie sehr alltäglich sei. Das stimmt alles, aber ich sterbe daran, ich blute meine Seele in den Tod. Vor zwei Wochen wurde ich fünfunddreißig, wer mich sieht, meint, ich sei sechzig, und ich selber glaube, ich bin schon lange gestorben, schon sehr lange, vor vielen vergessenen Jahren." „Hören Sie, wie es drüben in der Stadt lärmt?" Der Fremde richtete sich horchend auf. „Ich hasse diese glücklichen Menschen, ich hasse überhaupt alle Menschen, und doch sehne ich mich sonach ihnen. Manchmal gehe ich in der Nacht durch ganz einsame Gassen, bis ich ein Mädchen finde, dann nehme ich sie in irgend einen Garten mit und erzähle ihr meine Geschichte. Sie versteht nichts davon und hört auf die Brunnen und die Nachtigallen, aber ich muß sprechen, ich kann es nicht anders, ich verbrenne in mir". Seine Hände hingen schlaff herab. Wieder schwiegen wir eine lange Zeit. Plötzlich sprang er aus. „Es ist spät, ich mutz fort! Leben Sie wohl, und vergessen Sie nicht die Bilder, die Sie kaufen sollen. Dicht neben dem Alkazar ist ein Ge schäft, es ist das größte. Sie finden es schon. Am Plaza del Triunfo! Merken Sie es, sich. Vielleicht Können Sie die Bilder loben. Es ist ganz gut für mich. Oder nein, lassen Sie es lieber sein, ja lassen Sie es sein, es ist besser. Denken Sie an meine Erzählung: sie wird Sie schlecht unterhalten haben, aber ich danke Ihnen, daß Sie mich anhörten." Ehe ich ein Wort sagen konnte, war er durch die engen Büsche in die Tiefe des Parkes geschritten. Ich wollte ihm nach, zu ihm sprechen, die Dunkelheit warf Schatten über mich, und ich stand allein in ihrer Grenzenlosigkeit. Sinter Busch und Baum sana ein andalusisches Lied.
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