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- Erscheinungsdatum
- 1925-10-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192510010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19251001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19251001
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-10
- Tag 1925-10-01
-
Monat
1925-10
-
Jahr
1925
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Der Kupferpfenm'g. Wie spart man beim Einkauf? Wie von zuständiger Stelle in Berlin verlautet, hat das Reichswirtschaftsministerium sich bei den Beratungen mit den Ministerpräsidenten der Länder dahin geäußert, daß auch die G e b ü h r n i s s e der Länder und Gemeinden in bezug auf ihre Angemessenheit einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen seien, damit auch in dieser Richtung alles mögliche getan werde, um die not wendige Preissenkung zu fördern. Als neueste Phase in der so umstrittenen Preissen- kungsfrage ist die in Berliner Blättern aufgetauchte Meldung zu verzeichnen, daß die dortigen Fleischer mit der Absicht umgingen, gegen die nach ihrer Ansicht zu hohen Ge stehungspreise mit einem kurzen E i n k a u f s st r e i k zu demonstrieren. Ob eine solche Idee ausgeführt wird oder überhaupt ausführbar ist, bleibt eine andere Frage. Denn es könnte die Möglichkeit eintreten, daß nach dem Ein kaufsstreik die Anfuhr so gering und die Nachfrage so groß ist, um die Marktnotierung erst recht in die Höhe zu treiben. Anders aber liegt die Sache bei einem Streik der letzten Käufer. Daß alle Konsumenten in einen Streik eintreten, ist ausgeschlossen. Aber schon die Zurückhaltung eines Teiles der Käufer könnte unter Umständen so auf den Markt wirken, daß — z. B. beim Fleisch — die Nachfrage beim Ladenfleischer, dadurch auch beim Großhändler und Züchter nachläßt, womit selbstverständlich auf die Preise eingewirkt wird. Aus dem Reichswirtschaftsministerium hört man, daß man dort die Verhinderung weiteren Steigens einer ganzen Anzahl von Produkten und die Preisherabsetzung bei einigen Nahrungsmitteln, Textilien, Schuhen u. a., die bis 15A betragen soll, mit auf die Zu rückhaltung der Käufer zurückführt. Ohne Zweifel wäre es abwegig, einem Käuferstreik das Wort zu reden, denn die Verhältnisse sind heute ohne dies so schwer, und gerade für die zunächst betroffenen Kleinhändler, daß ein solcher Kriegszustand höchst uner wünscht ist. Nicht zu verdenken ist es aber dem Ver braucher, wenn er nach sorgfältiger Auswahl kauft. Die Inflationszeit hat die Kunst des Ein laufens völlig vergessen lassen. Man war damals froh, wenn man überhaupt etwas bekam, und beachtete weder den Preis noch die Qualität. Seit fast zwei Jahren ist aber der Warenmangel behoben und allgemach müßte die alte, bewährte Art des Einkaufens wieder zu Ehren kommen. Daß dies noch immer nicht der Fall ist, beweist die Be schwerde der N e i ch s b a nk, die ihre Kupfermünzen nicht loswerden kann. Das ist ganz allein die Schuld des Käufers, der mit durch nichts gerechtfertigter Nichtachtung auf die Kupferpfennige blickt und gar nicht daran denkt, daß der Verkäufer daraus berechtigt für sich den Schluß ziehen muß, seine Kunden verlangten von ihm keine Pfennigrechnung, weil sie selbst über den Pfennig hinwegsehen. Man denkt auch nicht daran, daß ein kluger Mann Pfennige zu Pfennigen legt und sich so den Vor teil verschafft, den die unvorsichtigen Käufer sich auch ver- schafsen könnten. In der Praxis kommt es doch oft so, daß ein Verkäufer um einen oder zwei Pfennige billiger Verkaufen könnte, aber nicht um fünf Pfennige. Er würde eine Ware gerne mit dreizehn statt mit fünfzehn Pfennigen weggeben, sein Nachbar würde dann, um ihn Zu unterbieten, zwölf oder els Pfennige nehmen, woraus der erste wieder auf zehn Pfennige heruntergehen würde. Da aber die Fünfpsennigspanne zu einem Sprung zu groß ist, unterbleibt ein solcher Konkurrenzkampf und die Kosten trägt der Käufer. Wenn weiter die Hausfrau Unbeguem- lichkeiten scheut, um eine geringe Ermäßigung wahrzn- nchmen, verhindert sie den Wettbewerb. Wir sind noch heute derart im Zahlendünkel befangen, daß wir noch immer nicht begriffen haben, wie notwendig die Pfennig- rechnung im Haushalt, die Rechnung mit Brüchen im Ge schäftsleben ist. Schädlich, wie übertriebene Sparsamkeit, die zwanzig Pfennig Fahrgeld ausgibt, um für fünfzehn Pfennig billigere Ware zu bekommen, ist der Kauf ohne Prüfung der Qualität. Das Ansehen deutscher Waren hat durch die hemmungslose Massenproduktion in der In flation einen starken Stoß erlitten und heute noch kämp fen die Pioniere des Handels gegen das hierdurch ver anlaßte Vorurteil. Auch hier kann der Käuser schnell und gründlich Wandel schassen, wenn er neben dem Preis auch die Qualität der Ware beachtet. Es ist eine Binsenwahrheit, daß billige, schlechte Ware weitaus teurer ist als gute, die etwas mehr Geld kostet. Aber die überall Vorhandenen Abweichungen bei gleich guten Qualitäten yerauszufinoen uns auszunutzen, diese Kunst der Groß mutter fehlt heute, weil die Kenntnis der Ware im Kriege und in der Inflationszeit dem Heranwachsenden GJokLecht verlorenging. Wir müssen es wieder lern-, zu nächst die Kunst des Einlaufens, dann aber auch dte Regel: Die Million fängt mit eins an. O. I. S. Spiet und Sport. 8p. Verein „Museum für Leibesübungen". Die erfreu liche Entwicklung auf allen Gebieten der Leibesübungen hat zu dem Gedanken geführt, ein Museum für Leibes übungen zu gründen, das einen überblick über die Ent wicklungsgeschichte der Leibesübungen, der sie pflegenden Vereine und Verbände, der Gestaltung der Turn- und Sportgeräte, der Übungsstätten sowie der Beziehungen von Kunst und Wissenschaft zu Turnen, Sport, Spiel und Wandern ermöglichen soll. Die Durchführung dieses Ge dankens hat sich der Verein „Museum für Leibesübungen E. V." zur Aufgabe gestellt, der seinen Sitz in Berlin hat. Eine gewisse Einflußnahme des Staates auf die Tätigkeit des Vereins ist dadurch gesichert, daß der preußische M i - Nister für Volkswohlfahr^- satzungsgemäß den Vorsitzenden des Vereins zu ernennen hat. Den Grundstock für das Museum bilden die Sammlungen von Sportgeräten, Kunstwerken, Bildern, Büchern, Plänen Modellen usw., die der Sportschriftsteller Mindtin sahre- langer Arbeit zusammengebracht und nunmehr dem Ver ein übertragen Lat. Vermischtes. . > Die Heirat der Zwölfjährigen. In Washington gibt es jetzt neben dem offiziellen Parlament der Männer, das die Gesetze für Amerika fabriziert, ein inoffizielles Frauen parlament, in dem dargelegt wird, wie die Gesetze gemacht werden müßten, damit auch die Frauen Gefallen daran finden könnten. Die Frauen behaupten nämlich, daß die Männer, zumal, was die Ehegesetze anginge, nur Pfusch arbeit lieferten. Das Frauenparlament hat sich dem Männerparlament als Konkurrenz direkt vor die Nase gesetzt, denn Mrs. Belmont, die es leitet, hat das dem Senatorenpalast gegenüberliegende alte Kapitol angekauft, und wenn die drüben ein neues Gesetz loslassen, beweisen die hüben an einem Beispiel, daß es Schund sei. Dieser Tage haben Mrs. Belmont und ihre Damen sich die Ehe gesetze von Rhode Island vorgenommen. In Rhode Island dürfen auf Grund eines Landesgesetzes Jungen von zierzehn und Mädel von zwölf Jahren fröhlich und wohlgemut heiraten, wenn der Vater damit einverstanden ist. Wohlverstanden: der Vater, nicht die Eltern. Das hat den Zorn derer um Mrs. Belmont erregt, und man kann nicht sagen, daß sie unrecht haben, wenn sie wünschen, daß auch die Mütter von Rhode Island bei der Ver heiratung der Bubis und der Kleinchen ein Wörtchen mit reden, denn schließlich weiß eine Mutter mit ihrer zwölf jährigen Tochter besser Bescheid als der Vater, der von Natur ein Taps ist. Man darf nun neugierig sein, ob Mrs. Belmont den Krieg gegen Rhode Island gewinnen wird. - Der sechste Erdteil? Zu den fünf Erdteilen, die man in der Schule lernt, werden wir in absehbarer Zeit noch einen sechsten bekommen. Ein amerikanischer Geologe, der sich die Beobachtung vulkanischer Erdbewegungen zur Spezialität gemacht hat, hat auf Grund eingehender Studien festgestellt, daß sich das Zentrum der vielen Erd- bewegungen der letzten Jahre in der Umgegend der Ha- waischen Inseln befindet. Er ist nun der Ansicht, daß sich im Laufe der nächsten Jahre die Hawaiinseln höher über den Ozean emporheben werden, und daß die Brücken- bildungen zwischen den einzelnen Inselgruppen sich noch weiter fortsetzen werden. Schon für die nächsten Jahre fei ein neuer zusammenhängender Landstrich etwa von der Größe Japans zu erwarten, und die Kontinentbildung werde dann noch weiter fortschreiten. Wenn alles fertig sein wird, werden endlich auch die vielen Erdbewegungen im Stillen Ozean zum Stillstand kommen. Der unheimliche Grippebazkllus. In London ist man einer Grippe, die es bis jetzt noch gar nicht gegeben hatte, auf die Spur gekommen. Man glaubte, schon alle Grippe möglichkeiten genau zu kennen, und nun tritt eine auf, die folgendermaßen aussicht: Starke Halsschmerzen, nicht minder starke Kopfschmerzen und eine Mattigkeit, die sich über den aanzen Körver erstreckt und kaum zu ertragen ist. Dabet' aber — und das ist das merkwürdige new Symptom — vollkommen normale Temperatur. Du Ärzte wissen weder ein noch aus und halten gerade diese« fieberlosen Zustand für das bedenkliche. Wenn der Patieni kein Fieber hat, warum ist er dann matt, so matt, daß er nicht selten in Ohnmacht fällt? Das ist unheimlich, und man vermutet dahinter einen noch unbekannten Bazillus, der zunächst den Hals angreist und von hier dann gegen das Zentralnervensystem vorstößt. Einige Ärzte wollen festgestellt haben, daß die neue Grippe eine gewisse Ähnlich keit mit der Diphtherie habe; die mikrostopischen Unter- suchungen haben jedoch ergeben, daß man es hier auf keinen Fall mit verkappter Diphtherie zu tun habe. Lustprobe in der Großstadt. An den verkehrsreichsten Straßenkreuzungen Newyorks sieht man neuerdings zu weilen einen Herrn stehen, der eine merkwürdige Beschäf tigung hat: er hält eine Flasche in der Hand und macht sich das Vergnügen, mit Hilfe einer kleinen Pumpe Straßen luft hineinzupumpen. Dieses Vergnügen hat aber einen ernsten wissenschaftlichen Hintergrund. Der Mann mit der Luftpumpe ist ein Angestellter des Newyorker Gesund heitsamtes, das sich mit großer Energie auf das Problem geworfen hat, wie man die von den Abgasen der Auto mobile verpestete Großstadtluft verbessern könnte. Ehe dieses Reformwerk in Angriff genommen werden kann, muß man feststellen, welche schädlichen Stoffe hier auf den menschlichen Organismus einwirken. Es werden darum der Luft der Verkehrszentren Proben entnommen und diese in einem komplizierten chemischen Verfahren auf ihre Bestandteile untersucht. Vor allem handelt es sich um die Feststellung, in welchem Grade die Luft von dem den Aus puffrohren des Autos entströmenden Kohlenoxydgas durchsetzt ist. Die Stadt Newyork hat für diese Unter suchungen ein besonderes Laboratorium eingerichtet. Die Apparate, mit denen die Luft geprüft wird, sind so fein, daß man noch den dreitausendsten Teil eines Prozents der gefährlichen Gasart registrieren kann. Ein Höylenwunder, von dem niemand etwas weist. Vor kurzem ging durch die Presse der ganzen Welt dis Nachricht, daß in den Südtiroler Dolomiten eine wissen schaftliche Expedition unter der Führung des Höhlen forschers Andreas Felizetti ein 6 Kilometer langes Höhlensystem entdeckt habe. Man sollte in der Riesen höhle gefunden haben: zwei Eisdome von gewaltigen Ausmaßen, einen unterirdischen See von bisher un ergründeter Tiefe und in diesem See augenlose Lurche mit rosafarbenem Schwanz. Wer die Schwierigkeiten der Höhlenforschung kennt, mußte sich von vornherein sagen, daß 6 Kilometer Höhlenarbeit nicht unbemerkt vor sich gehen können, daß also die Nachricht von einer so be deutungsvollen Entdeckung nicht plötzlich die Welt über raschen kann. Eifrige Nachforschungen, die ein Berliner Schriftsteller an Ort und Stelle vorgenommen hat, haben denn auch ergeben, daß irgendwer sich die Eishöhle mit den rosafarbenen Lurchen aus den Fingern gesogen zu haben scheint. In Südtirol wissen weder die Bergkletterer, noch die Geologen, noch die Leute von den Fremden verkehrszentralen, noch die Zeitungen irgend etwas von dem Höhlenwunder, und einen Höhlenforscher Felizetti kennt von Bozen bis zum Tschamintal kein Mensch. Geschäftliches. Singers Große Detektiv-Serie. Band 57: „Doppelleben" von L. Wells. Broschiert 2 Mk., Halbleinen 2,75 Mk. — Man kann dem „Kriminellen" in der Literatur nicht mehr zurückhaltend gegenüberstehen. Diese Art von Literatur hat ihre vollste Berechtigung, wie wiederum ganz klar aus diesem Roman erhellt. Keine Gruslichkeiten, keine Hintertreppe. Obwohl es sich um einen Mord handelt. Aber diese Tat ist nur der Grundstein zu einem Aufbau höchster und feinster Logik und psychologischer Forschung. — Band 58: „Die Abenteuer des Arsene Lupin" oder „D'e blonde Dame". Mit einer Einleitung von H. H. Ewers. Broschiert 2 Mk., Halbleinen 2,75 Mk. — Dieser Arsöne Lupin hat Kultur. Das ist es, was diesen Büchern seinen besonderen Reiz gibt. Er ist nicht jener übliche, verbrauchte Typ, besten Gentlemantum sich lediglich darin äußert, daß er in Lackschuhen und weißem Frackhemd „arbeitet", hinter dem sich fast immer der recht unkomplizierte Verbrecher verbirgt — nein, dieser Lupin ist Fleisch von unserem Fleische, und wir fühlen ganz instinktiv, daß er nicht in den Kaschemmen und Verbrecherkellern, sondern in den Salons der oberen Zehntausend „zu Hause" ist und sein Handwerk nicht als Ge schäft — für ihn hat das Geld keinen Reiz —, sondern aus Neigung, aus Liebhaberei und Sport treibt. — Arsene Lupin hat Humor, dämm gewinnt er im Sturm alle Herzen, und einem Kerl feines Schlages ver zeihen wir gern seine llntairn, denn es steckt doch in einem jeden von uns ein Stückchen von einem Rebellen. " - - — Vas Glücksarmbancl. Roman von Renttoh. - S4s Machdruck verboten.) Eine seltsame Nacht. Mein in ihrem Zimmer sitzend, blickte Christa Herton liu den Garten hinaus, der im Grau des Nachmittags vor Ihr lag, und dessen alte Bäume sich ächzend neigten indem auf breiten Schwingen von den Bergen in die Gassen, Höfe und Gärten der Millionenstadt sich niederstürzenden Wind. Es war ein seltsam ernstes Bild, das Stückchen zum Neuerwachen sich rüstende Natur inmitten der hohen Mauern, fensterloser Feuermauern, die zu neuen, schönen, großen Häusern gehörten, hier aber sich ausnahmen wie finstere Kerkerwände. Die Einsame seufzte leise. Ein Kerker war ja jetzt wirklich dieses Haus sür sie geworden, das ihr so lange eine stille, trauliche Heimat gewesen. Rings um sie her gab es nur spähende Augen und folgten ihr beobachtende Blicke. Doktor Robinson hatte richtig schon am Vorabend zwei sonst leerstehende Zimmer des weitläufigen Hauses bezogen, die, wie alle Räume, völlig möbliert, daher jeder zeit benutzbar waren. Sogar auf dem Schreibtisch stand alles bereit, als wären sie gestern erst benützt worden, denn die alte Frau Herton hatte immer selbst all die ver- blichenenSchätze in Ordnung gehalten, hatte poliert und jabgestaubt, Tinte in die Schreibzeugs gegossen und die Betten gelüftet. , »Hier wohnen noch immer die Toten" — hatte sie «oft mit einem seltsamen Lächeln gesagt, und Christa hatte es manchmal bei Anhören der Selbstgespräche der Groh- -mutter wie ein unheimlicher Schauer überlaufen. „So, das ist die Schreibtinte für den Herrn Vater, da liegt die Brille und da das Seidenschnupftuch, und hier ist die Tabakdose." Man kam sich selber schon fast wie gestorben vor in dieser Umgebung; au» allen Ecken und Winkeln schienen sich Hände zu strecken, die längst ausruhten von aller Tagesarbeit, und schienen Augen zu blicken, welche sich längst geschlossen für alle Zeit. Und nun saß an demselben Schreibtisch, den einst der Großmutter „gestrenger Herr Vater" benützte, der gewandte, redefreudige Doktor Robinson. Er hatte auch einige seiner eigenen Möbel herschaffen lassen, die jedoch wie an spruchsvolle Fremdlinge erschienen zwischen den bescheidenen Gebrauchsgegenstünden einer vergangenen Zeit. Oft schritt der Herr Doktor auch mit wichtiger Miene durch das ganze Haus, klopfte an die Mauern, unter suchte jede Tür und alle Fenster, und gerade jetzt tauchte er wieder im Garten auf, wo er zum zehnten Male das kleine Lusthaus umkreiste, in welchem Hans Norbert und Christa Herton die alte Frau ohnmächtig gefunden hatten. Christa lächelte mit leisem Spott. Mochte er doch suchen und schauen! Er fand sicher nichts mehr. Da steckte die Pflegeschwester, die der alte Doktor Robinson besorgt hatte, wieder einmal den Kopf mit dem weißen Häubchen zur Tür herein. Frau Kraus war eine ältliche unsympathische Person mit ziemlich gewöhn lichen Gesichtszügen, Witwe eines Dieners in einem Ministerium, der einst wegen einer nie ganz aufgeklärten Unterschlagungsgeschichte plötzlich entlassen worden war. Seither ging die Frau in Privathäuser „pflegen" und hatte sich bereits — man wußte eigentlich nicht, wie und wodurch — einen gewissen Ruf erworben; nebenbei aber wurde allgemein behauptet, daß sie mit einem bekannten Detektiv-Bureau in steter gutgezahlter Verbindung stebe, und daß sie mit Vorliebe zu Leuten als Pflegerin gesandt werde, die in irgendeiner Hinsicht die Aufmerksamkeit der Behörden erregt hatten. Die Pflegerin lächelte die unwillig den Kopf Wendende süß an. „Fräulein haben nicht gerufen?" fragte sie. „Nein!" lautete die knappe Antwort, eine Antwort wie sie Christa sehr oft am Tage geben mußte; sie durch schaute vollkommen die Gründe, die Frau Kraus immer wieder zu ihr trieben, wollte aber ruhig bleiben, wollte Geduld haben, um die anderen durch ihr Benehmen in Sorglosigkeit einzulullen. „Der Frau Großmama geht's besser," sagte Frau Kraus, die alle Lust zu einem längeren Gespräch zu haben schien, näher kommend und nach allen Seiten spähende Blicke werfend. — „Recht frisch ist sie. Ich glaub', jetzt dürft' der Herr Sohn sie schon sehen. Ich weiß auch gar nicht, warum Doktor Robinson den Herrn Herton nicht schon gestern hat zu der alten Frau hineinlassen! Ich find' das ganz überflüssig! Na ja — der Herr Doktor hat manchmal so besondere Sachen." Christa zuckte ungeduldig die Achseln; das Geschwätz interessierte sie nicht, und sie erkannte auch hier die Absicht: Man wollte sie durch das Gerede über den alten Arzt vertraulich stimmen, Frau Kraus sollte sie zum Sprechen bringen. Doch das war vergebliche Mühe, denn Christa war viel zu klug, um in eine solche plumpe Falle hinein zugehen. Die Frau stand unschlüssig da und sah mit einem Blick voll versteckter Bosheit auf die Schweigende. „Das Fräulein sollt' nicht so verschlossen sein" — sagte sie endlich. — „Wenn man denkt: So jung sein und schön und eigentlich keinen Menschen haben, der zu einem hält, das ist hart, recht hart ist's! Und mir tun Sie so leid, Fräulein! Das Beste wär' schbn —" Aber Christa Herton wollte offenbar gar nicht hören was das Beste für sie in den Augen der Frau Kraus wäre; denn sie stand plötzlich mit einer unmutigen Bewegung auf und trat in ihrer ganzen, schlanken Größe vor die beinahe erschrockene Frau. „Frau Kraus" — sagte sie anscheinend ganz ruhig, aber doch bebend in einem plötzlich aufwallenden Zornes- empfinden —, „ich glaube, in diesem meinem Zimmer hätte ich eigentlich das vollste Recht, einmal ungestört allein sein dürfen, und ich werde mir daher Ihre ewigen, ungebetenen Besuche nicht mehr gefallen lassen." (Fortsetzung folgt.)
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