Suche löschen...
- Erscheinungsdatum
- 1921-08-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192108133
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19210813
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19210813
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1921
-
Monat
1921-08
- Tag 1921-08-13
-
Monat
1921-08
-
Jahr
1921
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Das Ergebnis der Pariser Konferenz ist noch in keiner Weise in seinen Einzelheiten vorauszusehen. Die Methode der Verhandlungen aber, die sich aus den bisherigen Mel dungen erkennen läßt, zeigt, daß auch in Paris Komödie gespielt wird, daß dort weder der Geist der unparteiischen Gerechtigkeit noch der der klug abwägenden Vernunft herrscht, sondern daß der allzumenschliche — fast möchte man hier sagen, der teuflische — Geist des Handels um augenblickliche Vorteile die Entschlüsse zu beherrschen scheint. Oberschlesien aber, welches rechtsuchend vor dem Forum des Obersten Rates erscheint, wird dort nicht sein Recht finden, sondern das Opfer dieses Egoismus der Entente werden, eines Egoismus, der in seiner Kurzsichtig keit nicht erkennen will, daß ein solches lebenswichtiges Glied am Körper Europas nicht ungestraft dem Augenblick geopfert wird, sondern daß solche Wunden, wie man sie jetzt in Paris der unglücklichen Provinz zu schlagen sich an schickt, Siechtum für den gesamten großen Organismus der Weltwirtschaft und dauernde Beunruhigung der internationalen Politik nach sich ziehen müssen. * Eine zweite Konferenz? Die Sachverständigenkommission hat das Industrie gebiet in 16 Zonen aufgeteilt, um eine endgültige Teilung zu erleichtern. In Paris hält man es für un wahrscheinlich, daß der Oberste Rat seinen Beschluß be kannt gibt, solange die Oberkommissare noch in Paris sind und die verbündeten Truppen noch nicht die nötigen Maß nahmen vorbereitet haben, um die Ausführung einer Ent scheidung zu sichern. Man spricht daher davon, daß die Ausfertigung des Urteilsspruches zunächst ohne Unter schrift der Sachverständigenkommission übergeben wird, während General Le Rond und seine Kollegen schleunigst nach Oberschlesien zurückkehren und alle Vorbereitungen treffen. Dann würden sich die Verbündeten Premier minister zu einer neuen kurzen Konferenz in Paris, London oder Boulogne treffen, um das Protokoll zu unterzeichnen Deutsche Luftfahrt. Ob die Aufsicht aufhören kann? über die Besprechung der Frage der deutschen Luft schiffahrt im Obersten Rat in Paris berichtet Havas folgendes: Es standen sich zwei Auffassungen gegenüber. Von englischer Seite wurde erklärt: Man mutz Deutsch land Vertrauen schenken und vorweg an seinen guten Willen glauben; es müßte denn den Beweis des Gegen teils liefern. Der Krieg ist nunmehr seit drei Jahren zu Ende, wir müssen endlich einmal zu einm wirklichen Frie den kommen und alle Organisationen aufheben, die noch zu sehr an den Krieg erinnern. Es ist daher geboten, es dem Völkerbund zu überlassen, die nötigen Nachfor schungen über die militärische Lage in Deutschland anzu stellen, so wie es in Artikel 213 des Friedensvertrages von Versailles bestimmt. Diesen Ausführungen trat Briand mit folgender Begründung entgegen: Frankreich hat schon seiner Lage nach ein ganz anderes Verhältnis zu Deutschland als England, das vor jedem Angriff durch seine Lage ge schützt ist. Frankreich hat eine gemeinsame Grenze mit dem Volk, das zu allen Zeiten, seine Geschichte beweist es, nur daran gedacht hat, es anzugreifen (!!). Es hat daher Wohl ein gewisses Recht, mißtrauisch zu sein und sich die Gewißheit zu verschaffen, daß seine kriegerischen Nachbarn ihren Angriff nicht wieder beginnen werden. Daher will Frankreich die Kontroll-Organisationen dauernd bei behalten. Zum Schluß wurde das interalliierte Militärkomitee beauftragt, einen Bericht zu erstatten, aus dem hervor gehen soll, ob die Kontrollausschüsse für das Heer, die Flotte und das Luftschiffahrtswesen ihre Ausgabe fort setzen müßten. Im verneinenden Falle soll das Komitee angeben, zu welchem Zeitpunkt diese Ausschüsse ihre Arbeiten einstellen sollen. Schließlich soll das Ko mitee noch erklären, ob diese Ausschüsse unter Umständen anderen Organisationen Platz machen sollen. ^Jlselpon Krafft. Von M. Eitner. (Nachdruck verboten.) Ilse machte sich mit Werner zu schaffen, und sie merkte es nicht, daß Herberts Augen mit einem Ausdruck auf ihr ruhten, in dem Leid und Liebe gemischt waren. Trotz früher Stunde war sie am nächsten Morgen am Kaffeetisch, ehe Herbert wegfuhr. Wie im vorigen Jahr machte sie alles im Inspektor- Haus bereit. Als Werner, während sie die Lichte des Christbaums anzündete, hellauf jauchzte und sein Köpfchen gegen ihr Kleid drückte, wurden ihr die Augen feucht. Sollte der Knabe nie ein Weihnachtsfest haben, an dem der Vater mit ihm vor dem Christbaum stand? Sie dachte an Lüders, der ihr im vorigen Jahr so treu geholfen hatte, aber sie vermochte gar nicht so recht sich vorzustellen, wie das eigentlich gewesen war; denn immer, wenn sie sich Lüders vergegenwärtigen wollte, sah sie nur die Züge ihres Mannes. , Dann neigte sich die Feier zum Ende. Glückstrahlend umstanden die Leute ihre Schlossherrin. Einer nach dem anderen sagte: „Gott sei Dank, daß Sie nun wieder so ganz gesund sind, gnädige Frau." Wie gezwungen richteten sich plötzlich ihre Augen der Tür zu. Das Herz stand ihr still, denn dort, im Rahmen der Tür, erschien Herbert. Er war sehr blaß, aber eine große Freundlichkeit prägte sich in seinen Zügen aus, und er ließ es geschehen, daß die Leute zu ihm herantraten und seine Hand faßten. Dann nahm er Werner, der ihm jauchzend entgegen lief, auf die Arme. Ilse sagte nichts und fragte nichts. Das ging über ihre Kräfte. Sie strich nur mit der Hand über die Stirn, glaubte sie doch in einem Traum befangen zu sein. Als Werner wieder wohlverwahrt der Kinderfrau übergeben worden war, zog Herbert Ilses Arm in seinen und sagte nur: „Komm!" In der Schloßhalle nahm Ilse die warmen Hüllen ab. Franz stand vor der Tür des Saals, die Hand auf die Klinke gelegt. Ilse wunderte sich über sein fröh liches Gesicht. Herbert nahm Werner auf den Arm, reichte Ilse die Hand und sagte wieder nur: „Komm!" Franz öffnete'die Saaltür. Ilse stieß einen Schrei aus. Für die Art, in der die Besprechungen geführt werden, ist eine kleine Episode bezeichnend: Lloyd George versuchte zwischen Lord Curzon und Briand zu vermitteln, wobei es zu folgendem Dialog kam: „Es gibt zwei Methoden, mit einer Ku^ umzugehen", sagte der Engländer, „man kann sie melken und man kann aus ihr Beefsteak machen. Ich halte die erste Methode für besser." Darauf erwiderte Briand: „Ich auch, aber ich habe Furcht, daß die Kuh mit den Hörnern stößt." Der Jahrestag der Verfassung. Eine Rede des Reichskanzlers. Zur Feier des zweiten Jahrestages der Weimarer Verfassung fand im Berliner staatlichen Opernhause ein Festakt statt, bei dem der Reichskanzler Dr. Wirth in Anwesenheit des Reichspräsidenten Ebert, der Mitglieder des Reichskabinetts, der Vertreter der deutschen Länder und zahlreicher Abgeordneter und anderer Politiker eine Rede hielt. Die Grundgedanken des Kanzlers waren un gefähr die folgenden: Ziel und Sinn unserer politischen Arbeit ist die Rettung des deutschen Volkes, die Sicherung seiner Existenz und die Wicderbegründung seiner wirtschaftlichen Wohlfahrt. Das ist nur zu erreichen, wenn die Einheit der demokratischen Repu blik tn der Verfassung ihren Ausdruck findet. Ein Rück blick auf die Zeit seit der Annahme der Verfassung zeigt, daß eine Befriedung und Erholung des deutschen Volkes einge treten ist. Das ist das Verdienst der Nationalversammlung, die die Verfassung geschaffen hat. Im Winter 1918/19 bestand zweifellos die Gefahr, daß Deutschland dem Ansturm der von Osten kommenden Ideen des Umsturzes unterliegen könne. Es ist das Verdienst der Nationalversammlung, daß sie Deutsch land aus festen Boden gerettet hat, indem sie den Gedanken der nationalen Einheit aus freiheitlicher Grundlage in der Ver fassung verwirklichte. Auch in den letzten zwei Jahren hat das junge deutsche Staatswesen mancherlei Gefahren zu be stehen gehabt. Es ist notwendig, -atz alle nationalen Kräfte zusammengefaßt werden, um die Folgen des Krieges zu über winden. Das wird jedoch nicht möglich sein, wenn einzelne Klassen des Volles beiseite stehen. Die Sorge um das Schicksal Oberschlcsiens überwiegt heute den Gedanken an den Jahrestag der Ver fassung. Die leitenden Männer der Entente müssen sich be wußt sein, welch ungeheure Verantwortung sie bei ihrer Ent scheidung tragen. Niemand darf uns die Voraussetzungen rauben, aus denen unsere Leistungsfähigkeit zur Erfüllung des Ultimatums beruht. An diese Ausgabe müssen wir trotz allem immer wieder mit neuem Optimismus herantreten. Wir hoffen, daß wir einst einen froheren Festtag zur Feier der Verfassung begehen können. Das Recht dazu erblicken wir in den Worten, die in der Einleitung zur Verfassung stehen, und in denen von dem deutschen Volke di« Rede ist, welches einig ist in seinen Stämmen. Darin ist der Gedanke der Frei heit und der Gerechtigkeit eingeschlossen, und diesem Stern der Freiheit und Gerechtigkeit folgen wir. Den Gedanken der so zialen Freiheit und Wohlfahrt werden wir trotz allem pflegen, und wir werden wieder auswärts gehen, wenn wir den Ideen treu bleiben, die in dem Verfassungswerk in schweren Stunden niedergelegt worden sind. Franzosenierror in Oberschlesien. Massenverhaftungen von Deutschen. Ihren Überlieferungen getreu, suchen die Franzosen jetzt, da ihre Herrschaft in Oberschlesien zu Ende zu gehen scheint, wenigstens noch im letzten Augenblick ihre Macht auszukosten und ein gutes Andenken zu hinterlassen. Fran zösische Patrouillen erscheinen fortgesetzt in den Ort schaften der Kreise Kosel und Grotz-Strehlitz, wo sie Massenverhaftungen Deutscher vornehmen und diese dann nach Gleiwitz schaffen. Es ist einwandfrei beobachtet worden, daß bei diesen französischen Patrouillen polnische Insurgenten in französischen Uniformen beteiligt waren. Die polnische Bevölkerung hat durch diese Vorkommnisse Oberwasser bekommen und ergeht sich in den wüstesten Drohungen gegen die Deutschen, was letztere veranlaßt, aus ihren Heimstätten zu flüchten und anderwärts Unter schlupf zu suchen. Um ungestört Hausen zu können, hat man die telephonischen Verbindungen mit dem englischen Hauptquartier zerstört. Wie aus Tarnowitz gemeldet wird, stehen die. englischen Truppen, um sich vor etwaigen Auf weißgedeckter Tafel stand ein Tannenbaum mit vielen Lichten. Und da war Spielzeug für Werner, da waren köstliche Blumen für sie. Ilse konnte nicht sprechen. „Du, in deiner großen Liebe und Selbstlosigkeit," sagte Herbert jetzt, „hättest wohl für alle Zeit den Weih nachtsabend geopfert, — aber unser Junge soll ihn haben, und nach und nach wird er auch uns zur Freude werden." Das jauchzende Kind half den Eltern über ihre große, innere Erregung hinweg. Da stand noch ein köstlicher Str uß von Christrosen und Mispeln. „Hans hat ihn für dich in Berlin bestellt und an mich schicken lassen," sagte Herbert. „Ilse," sägte er leise hinzu, „er wäre würdiger gewesen, dich zu besitzen, als ich es bin, aber" — und seine Augen leuchteten jetzt auf — „du ge hörst mir, und besser und höher will ich dich werthalten als bisher." Wie im Traum hörte Ilse den Bericht, daß Herbert mit dem Diener alles verabredet hatte, daß er zur Stadt ge fahren war, um dort noch Besorgungen zu machen und gerade zu der Zeit zurückgekehrt war, da er Ilse mit der Weihnachtstafel im Jnspektorhaus völlig beschäftigt wußte. „Dein Opfer ist zu groß," sagte Ilse. „Es wird dir das Herz zerreißen." Da schlang er den Arm um sie und entgegnete: „Ilse, ein Weihnachtsabend hat mir ein Glück furchtbar zerstört, der heutige soll mir ein neues Glück aufbauen." 8. Kapitel. Es war ein köstlicher Juni-Nachmittag. Gerade zwei Jahre waren vergangen, seit der Arzt Ilse in ihrer schweren Krankheit als „gerettet" erklärt hatte, seit Lüders abgereist war. Daß auf Kaltenborn jetzt vollste Zufriedenheit herrschte, daß die Schloßherrin so glücklich war, wie.eine Frau es nur sein kann, war in Ilses Zügen zu lesen. Sie saß in der Veranda. Werner, der sich in prächtiger Weise entwickelt hatte, spielte im Sand, auf dem großen, freien Platz, und in dem Wagen, der neben Ilse stand, schlief die vier Monate alte Hildegard. Ilse ließ augenblicklich die Hände im Schoß ruhen. Ihr Blick glitt zu Werner hin und ruhte dann aus der kleinen Hilde. Wie ein Jauchzen ging es durch ihre Seele, und ein Strahl großen Glücks brach aus ihren Augen hervor. So arm hatte sie sich gefühlt, so bettelarm, und so reich, so über alle Begriffe reich, war sie jetzt. Ihr Lebensweg war nicht mehr einsam; oft meinte unitevsamen Überraschungen zu sichern, an der Grenze von Tarnowitz bis Myslowitz in höchster Alarmbereit schaft. Le Rond macht Schule. Aus Gleiwitz wird telegraphiert: General de Vr an te s hat an den Oberbürgermeister ein Schreiben gerichtet, in dem dieser aufgcfordert wird, Zwangsmaßnahmen zu treffen zwecks Einstellung der Tätigkeit des deutschen Ausschusses für Oberschlesien in Gleiwitz. Der Oberbürgermeister hat daraus geantwortet, dazu nicht in der Lage zu sein, weil das deutsche Gesetz keine solche Zwangsmaßnahmen gegen Institutionen, die im Interesse und zum Wohle des Volles wirken, kenne. Von einer ähnlichen Maßnahme der I. A. K. gegen die pol nische Volksvertretung in Oberschlesien, den obersten Volksrat, hat die Öffentlichkeit bisher noch nichts erfahren. Dürfen Flüchtlinge zurückkommen? Auf eine Anfrage, ob diejenigen Personen, welche das Abstimmungsgebiet infolge des Aufstandes verlassen haben, be rechtigt seien, ohne besondere Ermächtigung nach Oberschlesien zurückzukehren, hat die Interalliierte Regierungskommission entschieden, daß diejenigen, welche den Wunsch haben, nach Oberschlesien zurückzukehren, zu diesem Zwecke ein Gesuch an den Kreiskontrolleur ihres Wohnsitzes zu richten haben. Der Bericht der Sachverständigen. Paris. Lloyd George und Curzon haben erneut mit Briand »nd Loucheur verhandelt, jedoch noch keine Einigung in der Grenzfrage erzielt. Der Bericht der Sachverständigen wurde abgeschlossen und im Sekretariat der Konferenz nieder gelegt. Darin werden eine Anzahl „Inselchen" im Jn- dustriedreieck festgestellt, die als unteilbar gelten. Nunmehr soll zwischen den einzelnen Enklaven eine Grenzlinie gesunden werden, wobei es sich nicht mehr um eine technische, sondern um eine politische Feststellung handelt. Wenn jetzt über Ober schlesien keine Einigung erzielt wird, so will man diesen Gegen stand vorläufig zurückstellen und in der Tagesordnung der Konferenz sortfahren. Die Grenzlinie. — Keine Verstärkungen. London. „Daily Telegraf" schreibt: Die Grenzlinie, die vom Sachverständigenausschub vorgeschlagen werden soll, sei keineswegs eine der beiden Sforzalinien. Die Sachverständi gen hätten neue Instruktionen von seilen Bonomis und Mar- guis delle Torettas erhalten. Jetzt, nachdem alle im Obersten Rat vertretenen Mächte dem Grundsatz der Teilbarkeit des In dustriegebietes zugestimmt hätten, sei die Entsendung weiterer Verstärkungen für Oberschlesien vollkommen überflüssig. Oie Ruffenhilfe. Der Oberste Rat einverstanden. Der in Paris tagende Oberste Rat hat neben Ober schlesien auch die Not in Rußland behandelt und sich für die Hilfe für Rußland ausgesprochen. Ministerpräsident Briand erklärte, der Oberste Rat könne an einem so großen Unglück, wie es das russische Volk bettoffen habe, nicht achtlos vorübergehen. Alle Verbündeten und Frankreich insbesondere dürften die Hilfe nicht vergessen, die Nuß- land während des Krieges geleistet habe! Briand schlug vor, sich der Hilfeleistung des Roten Kreuzes und der Hooverschen Organisation anzuschließen, ohne daß die Hilfe dadurch offiziell werde. Nach seiner Ansicht könne man sich durch Vermittlung der tschechoslowakischen Regie rung mit dem russischen Volke in Verbindung setzen. Lloyd George wies auf die Schwierigkeiten der Frage hin, da 18 bis 25 Millionen Menschen von Hungersnot und Cho lera betroffen seien. Eine Hilfe sei nicht möglich, wenn die russische Negierung dem Roten Kreuz nicht Erleichte rungen gewähre. Getreide müsse in gewisse Bezirke ge bracht werden. Der italienische Minister Bonomi stellte die Hilfe seiner Regierung in Aussicht. Der amerikanische Botschafter Harvey erklärte, er stehe zur Verfügung, nütz liche Auskünfte über die Absichten der Organisation Hoo vers zu erteilen. Der belgische Außenminister Jaspar schlug Einsetzung eines Sonderausschusses vor, das alle erforderlichen Maßnahmen treffen solle. Schließlich sprach Lord Curzon über Maßnahmen, die er in Indien während der Hungersnot getroffen hat. Die amerikanischen Kriegsgefangenen in Rußland sind, wie verlautet, schon über die russische Grenze gekommen. Die Ver treter von Hoover werden jetzt dafür sorgen, daß die Lebens mittelvorräte aus den baltischen Häfen sofort auf den Weg sie, ihr Glück gar nicht fassen zu können. Von dem Weihnachtsabend an, da Herbert sie zum Christbaum führte, war ihr Glück gewachsen, von einem Tag zum anderen, langsam aber sicher. Ihr stilles Warten hatte gesiegt. Wie ein Jauchzen war es in ihrem Herzen, wie ein Jauchzen zog es durch ihre Seele. Lüders hatte öfter geschrieben, aber immer nur knappe Nachrichten gegeben. „Nie," hatte Herbert heut am Morgen gesagt, „kann ich Hans vergelten, daß er uns eigentlich zusammengeführt hat. Er war der Verlierende, ich der Gewinnende." Als Ilse das alles jetzt überlegte, wurde sie durch Herbert in ihren Gedanken unterbrochen. Die Postsachen waren eingetroffen, und er brachte sie in der Regel gleich zu ihr. „Aus Kalkutta," sagte er, „aber nicht von Hans adres siert " r erbrach das Schreiben, las, las wieder und ver harrte ernst und still. Ilse hatte unterdes einen anderen Brief gelesen, blickte plötzlich auf und fragte: „Was ist es, Herbert? Doch nicht schlechte Nachrichten von Lüders?" „Mein alter Hans ist tot," sagte Herbert ernst. „Der erste Geschäftsführer teilt mir das mit; ein paar Zeilen von Hans liegen bei, geschrieben angesichts des Todes. Lies, Ilse." Er reichte ihr die Todesanzeige hin und die mi! Bleistift geschriebenen Zeilen von Lüders: „Das Fieber hat mich von neuem gepackt, und ich weiß, daß das die letzte Attacke ist. Und, mein lieber, alter Junge, es ist mir recht so. Ich habe dir einmal auf Kaltenborn, als du mich einen Schmetterling nanntest, gesagt, es könnte auch einmal anders werden, und — es war schon anders geworden. Es ist und bleibt ein Unrecht, aber ändern kann ich die Sachs nicht: Meine erste, wahre Liebe galt deiner Frau, und Gott, der alle Geschicke leitet, fügt es gnädig, daß ich sterben darf und nicht länger diese Liebe mit mir herumtragen muß, die ich nicht überwinden kann, und die doch ein Unrecht ist, und" .... Da brach der Brief ab. Anscheinend hatte die Kraft nur noch so weit gereicht, daß diese Zeilen in ein Kuvert gesteckt und adressiert werden konnten. Tränen rannen aus Ilses Augen. „Es ist gut für ihn, daß er gegangen ist," sagte Herbert. „Das muß ich aussprechen, obgleich es mir sehr schwer werden wird, ihn zu entbehren. Ich weiß es jetzt," fuhr er leise fort, „daß der, welcher dich liebt und dich nicht für sich erringen kann, unglücklich werden muß." (Schluß.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)